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Schwere Kost im fernen Land

Explodierende Gewalt, Inzest, Rotlichtmilieu - mit seinem neuen Film verlangt Nicolas Winding Refn seinem Publikum viel Geduld und Offenheit ab. In Cannes wurde "Only God Forgives" ausgebuht. Trotzdem lohnt sich der Streifen.

Von Hartwig Tegeler | 17.07.2013
    Bangkok. Rotlichtmilieu. Thai-Boxen. Julian und Billy; ihr Geld stammt aus Drogengeschäften. Die Tragödie beginnt ... nein, sie hat natürlich schon viel früher angefangen, damals, in den USA; von da flüchteten die Brüder hierher, nach Bangkok. Also …

    "Ich suche nach einem Mädchen ..."

    Korrektur also: Die Tragödie nimmt ihren Lauf, …

    "… einem jungen Mädchen."

    … als Billy eine 16-jährige Prostituierte vergewaltigt und ermordet. Billy ein sadistisches Monster zu nennen: keine Unter-treibung. Doch dann kommt die Polizei und mit ihr der Mann mit dem unbewegten Gesicht und mit dem Schwert. Irgendwie sind wir auch in einen Martial-Arts-Film geraten oder in einen Western? Denn dieser Racheengel lässt Billy vom Vater der toten Prostituierten totschlagen, und dann - "Nur Gott vergibt!", "Only God Forgives" – schlachtet dieser schwarze Engel den Vater ab.

    "Warum hast du ihn getötet? - Weil er meine Tochter ermordet hat. - Du weißt, was sie getan hat. Warum hast du ihr nicht gesagt, du sollst aufhören."

    Die Farbe des Rotlichtviertels, Rot des Blutes, betörender Sound, verstörende explodierende Gewalt, die Stimmung, die Grundfarbe von Nicolas Winding Refns Film ist sofort präsent: Lakonie inmitten einer kunstvollen Farbdramaturgie; alles, wie auf einem Ton gehalten, nichts scheint zu passieren, nur zu gären, kaum einer spricht ein Wort, und plötzlich Gewalt oder plötzlich da im Film: diese monsterhafte Mutter - Kristin Scott Thomas -, angereist aus den USA, um vom überlebenden Bruder Julian - Ryan Gosling - Rache einzufordern.

    "Hast du den Kerl erwischt? Wie hast du ihn umgebracht? - Ich habe ihn laufenlassen. - Hast du völlig den Verstand verloren? So ein Wichser tötet deinen Bruder und du lässt ihn laufen? - Es ist komplizierter als du denkst, Mutter! - Was soll das bedeuten? - Billy hat ein 16-jähriges Mädchen vergewaltigt und getötet. - Ich bin sicher, er hatte seine Gründe. Setz dich hin."

    Damit wären dann in "Only God Forgives" zwei Racheengel bei der Arbeit: der bei der Polizei mit den Schwertern und diese Mutter. Wem jetzt die extremen Figuren aus der griechischen Mythologie oder bei Shakespeare und all das Zerstückeln, Zerhacken und Bluten in den Sinn kommen: bitte sehr! Kein Wunder bei diesem Mix aus Arthaus- und Genrekino; gnadenlos durcheinander, übereinander, nebeneinander. Ödipus ist übrigens auch dabei, denn bei Julian und seiner Mutter muss man nicht tief nach …

    "Du warst immer eifersüchtig auf ihn."

    … dem Inzest graben.

    "Er hat seinen eigenen Vater getötet. Mit bloßen Händen. Deswe-gen ist er geflohen aus Amerika."

    Diese gepanzerte Blondinen-Mutter, die Kristin Scott Thomas lust-voll böse gibt, bietet jede Menge Abgrund,…

    "Jetzt steh auf und küss deine Mutter."

    … sowie bizarre Leidenschaften.

    "Wäre es andersherum gewesen, dann hätte dein Bruder den Killer gefunden, und er hätte mir seinen Kopf serviert auf einem silbernen Teller."

    Aufschlussreich ist, dass Nicolas Winding Refn "Only God Forgives" Alejandro Jodorowsky widmet. Ein Credo. Denn auch Jodorowsky ließ in seinen Filmen "El Topo" und "Montana Sacra" vom Anfang der 1970er Jahre religiöse wie surreale Bilder, Motive, Mythen sich quasi gegenseitig verschlingen und neu ausspucken. Eine einzigartige Filmsprache, gegen alle Konventionen, sagt Nicolas Winding Refn über Jodorowsky. Und genau das habe er, Refn, gesucht mit "Only God Forgives".

    Tabubruch, Verstörendes liefern – allein dieses offene Ende von "Only God Forgives", Julian (Ryan Gosling) - die Hände wie nach Sühne und Bestrafung lechzend vor sich gestreckt -, und der Todes- oder auch Rachenengel mit seinem Schwert.

    Wie immer man diese Bilder auch empfindet, man spürt bei Nicolas Winding Refn den Wunsch, alle Behäbigkeit, die ihm vielleicht mit dem Erfolg von "Drive" hätte drohen können, uns um die Ohren zu hauen. Alles zu nehmen, was Film ihm bedeutet, und alles auf Anfang zu setzen. Egal, wohin das führen mag. Ach ja, und die Gewalt? Man ist angewidert von ihr in diesem Film, abgestoßen, aber - und erzähle mir niemand, dass das nicht eine Konstante des Schauens im Kino immer war -, man ist ebenso fasziniert von den Bildern dieses Films, die einen wie ansaugen. Natürlich muss sich dem niemand aussetzen, aber die Radikalität solchen filmischen Erzählens gilt es zu wertschätzen. Kino war immer so an seinen Polen. Und genau so hat Kino auch immer wieder zu sein. Die verstörenden Gefühle, die Nicolas Winding Refn mit seinem Film "Only God Forgives" auslöst, sind der Beleg dafür, dass es extremes wie faszinierendes Kino immer noch gibt. Trotz der unfassbaren Mainstream-Soße, die uns Tag für Tag umspült.