Fünf Künstlerinnen, die zwischen 1998 und 2017 in Erl tätig waren, haben sich heute in einem offenen Brief an Hans-Peter Haselsteiner gewandt. Haselsteiner ist Präsident und Mäzen der Tiroler Festspiele. In dem Schreiben belasten sie den künstlerischen Leiter Gustav Kuhn schwer.
Vorwürfe: Küssen, Begrapschen, obszöne verbale Anmache
Sie outen sich als "direkt Betroffene, Zeuginnen oder Mitwissende" und beklagen "anhaltenden Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe" von Seiten Kuhns. In dem Brief heißt es:
"Auch einige von uns waren solchen ausgesetzt: unerwünschtem Küssen auf den Mund oder auf die Brust, Begrapschen unter dem Pullover, Griff zwischen die Beine etc., von obszöner verbaler Anmache ganz zu schweigen. Immer wieder wurden die Grenzen der persönlichen Würde und des Respekts uns gegenüber missachtet und überschritten."
Drei Sängerinnen und zwei Geigerinnen haben den offenen Brief unterzeichnet.
Gustav Kuhn ließ die Vorwürfe über seinen Anwalt heute prompt zurückweisen und stellte mögliche Klagen in den Raum. Eine Strategie, die man in Erl seit Beginn der Vorwürfe verfolgt. Der Tiroler Blogger Marcus Wilhelm sah sich wegen seiner Berichterstattung im Zusammenhang mit der Causa Erl zwischenzeitlich mit 12 Klagen konfrontiert, von denen acht immer noch anhängig sind.
Der offene Brief und damit die Tatsache, dass sich Betroffene sexueller Übergriffe in Erl nun erstmals trauen, mit Namen an die Öffentlichkeit zu gehen, stehen in Zusammenhang mit der Initiative "Voice it" von Sängerin Elisabeth Kulman. Die österreichische Mezzo-Sopranistin und Mitbegründerin der Vereinigung "Art but fair" hatte Ende Mai per YouTube aktuelle und ehemalige Künstler der Tiroler Festspiele dazu aufgerufen, sich als Zeugen zu melden.
"Wein, Weib und Gesang - was wir gut nachvollziehen können"
Mit diesen neuerlichen Vorwürfen dürfte die Luft für Gustav Kuhn, den künstlerischen Leiter in Erl nun dünner werden. Auch wenn sich Festspiel-Präsident Hans-Peter Haselsteiner erst kürzlich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Opernwelt" hinter Kuhn gestellt hatte. Kuhn mache aus seinen Vorlieben eben keinen Hehl, so Haselsteiner: "Wein, Weib und Gesang - was wir gut nachvollziehen können."
Wenn sich nach diesem offenen Brief nun aber die österreichische Justiz ernsthaft mit der Sache beschäftigen sollte, dann könnte es durchaus sein, dass mit dem Festspielfinale am kommenden Sonntag auch für Gustav Kuhn der letzte Vorhang in Erl fällt. Das Werk wäre jedenfalls passend gewählt: Richard Wagners "Götterdämmerung".