Archiv


Schwere Zeiten für Zeitungen

Drei Regionalzeitungen beherrschen den Markt in Mecklenburg-Vorpommern: Die Schweriner Volkszeitung, die Ostsee-Zeitung aus Rostock und der Nordkurier aus Neubrandenburg. Alle drei ehemaligen Bezirkszeitungen der SED leiden seit Jahren unter massiven Leserschwund, denn die älteren Leser sterben weg und die jungen verlassen das Land.

Von Peter Marx |
    Ein Dorf im Nordosten. An der Bundesstraße, die am Dorf vorbeiführt, wartet ungeduldig eine Frau auf die Zeitungslieferung. Sie muss nur eine Zeitung abliefern. Mehr Abonnenten gibt es nicht mehr unter den 50 Einwohnern des Dorfes. "Eine Horror-Vorstellung" nennt Michael Seidel dieses Szenario und hofft, dass es nie eintritt. Damit beschäftigen muss sich der Chefredakteur des Nordkuriers trotzdem:

    "Wir sind das Medium, das am tiefsten gestaffelt in der Region steht. Wir sind die Heimatzeitung, so empfinden uns die Menschen auch, gerade wieder in Marktforschungsfragen erfahren und bestätigt bekommen. Und wenn die Erwartung ist, dass wir für die Leute in der Region da sind, selbst wenn die Gemeinde nur noch 50 Einwohner hat, dann müssen wir sicherstellen, dass wir da hinkommen. Für extreme Fälle gibt's natürlich auch Lösungen, dass wir sagen, wir stellen bis zu einem noch vertretbaren Punkt zu."

    Der Nordkurier gehört heute drei westdeutschen Verlagen: Ein Drittel Augsburger Allgemeine, ein Drittel der Schwäbischen Zeitung und ein Drittel den Kieler Nachrichten.
    85.000 Auflage hat heute die Zeitung, das sind rund 7000 Abonnenten weniger als im ersten Quartal 2009 und rund 40.000 weniger als die ehemalige Bezirkszeitung noch "Freie Erde" im Titel führte.

    Sie liegt damit auch unter der 100.000-Schwelle, die von Fachleuten als Schmerzgrenze angesehen wird, bei der ein Verlag noch wirtschaftlich arbeiten kann. Das spüren die freien Mitarbeiter bei den niedrigen Honoraren und die 95 festangestellten Redakteure durch deutlich mehr Arbeit als früher.

    "Wir haben versucht, den Personalbestand zu stabilisieren und wo es geht aufzubauen. Wir wollen sogar noch präsenter in der Fläche sein, sind gerade dabei weitere Redaktionsstandorte zu eröffnen. Insofern grundsätzlich sind wir sehr wohl in der Lage das lokale Geschäft weiter zu erfüllen."

    Was vermutlich stimmt. Nur unter welchen Bedingungen, wenn aus den Dörfer nichts mehr zu berichten ist. Die meisten Dörfer sind entvölkert, die alten Vereine mangels Mitglieder aufgelöst und Dorfkneipe längst pleite. Über das Nichts berichten? "Ist möglich", sagt Seidel:

    "Zum Beispiel kann man das berichten, wie eine Region durch Entvölkerung sich wandelt, sich einem Struktur- und Funktionswandel sich unterzieht."

    Aber nicht 365 mal im Jahr!

    "Es ist richtig. Themen erwachsen aus solch einer Entwicklung. Zu berichten haben wir immer jederzeit genug. Die Frage ist, ob wir es noch abbilden können, weil mit der Handvoll Redakteure, die es noch pro Lokalredaktion gibt, kann man nicht permanent in einer Fläche präsent sein, die so groß ist annähernd wie das Saarland."

    Die Kreisgebietsreform des Bundeslandes, aus der sechs Großkreise mit einer Flächenausdehnung jeweils in der Größe des Saarlandes entstanden, wirbelte das alte Lokalredaktionsnetz des Nordkuriers durcheinander. Lokalredakteure wie Andreas Terstiege aus Waren gewöhnen sich langsam daran, dass sie zu Terminen 80 Kilometer und mehr fahren müssen. Vorbei die Zeit, wo Journalisten drei Bürgermeister und einen Kreisrat an einem Tag besuchten und Themen bearbeiten konnten:

    "Das bleibt nicht aus, weil es in diesem Sprengel so viele Dörfer und Ortschaften gibt. Wir haben hier beim Nordkurier vor zwei oder drei Jahren so eine Geo-Analyse gemacht und wenn ich mir die durchblättere, dann habe auch ich hier in meinem Sprenkel marode Bereiche. Das heißt: Da müssen wir mehr machen."

    Nur wie, wenn entweder die Zeit nicht reicht oder die Mitarbeiter schon überbelastet sind.
    Aus der Sicht des Chefredakteurs helfen vor allem neue Organisationsformen in den Redaktionen:

    "Und da kommt es darauf an, dass nicht mehr jede Redaktion einzeln vor sich hin muckelt, sondern dass jede Redaktion ihr lokales Geschäft selbst macht, aber trotzdem einen Blick dafür entwickelt, dass die eine Geschichte, die man für sich recherchiert hat, von der Grundstruktur genauso interessant wäre für die Nachbarausgabe. Und das man diese Idee auch sofort weitergibt und Inhalte über Ausgabestrukturen managt, neudeutsch gesagt."

    Für die Lokalredaktionen bedeutet das, neue Wege zu den Gesprächspartnern zu finden oder ganz alte Wege der Kontaktpflege wieder zu betreten, sagt Andreas Terstiege:

    "Also Stammtisch ist ein Stichwort oder wir treffen uns ganz bewusst mit den Bürgermeistern, mit den Entscheidern vor Ort, mit dem Einzelhandel. Wir machen Umfragen in den einzelnen Ortschaften, fahren dann da hin und reden mit den Leuten."

    Weder Chef- noch Lokalredakteure haben Angst, dass derzeit Themen übersehen werden oder dass sie von Online-Medien untergebuttert werden. Wobei der Nordkurier im elektronischen Feld stark vertreten ist. Nur Geld verdienen, sagt Chefredakteur Seidel, wird der Verlag mit Online nicht. Und schon gar nicht in einer Region mit einer überalterten Bevölkerung, die Computer bestenfalls kennt, aber damit nicht umzugehen weiß. Was bleibt ist für Michael Seidel die "entscheidende Frage:"

    "Was machen wir mit denen, die nicht die Zeitung abonnieren. Wenn sie schon nicht Interesse an einer kompletten Zeitung haben, haben sie vielleicht Interesse an einzelnen Produkten aus diesem Verlagshaus. Und so muss man auch mit kleinen Schritten Erlösmodelle entwickeln, und daneben versuchen wir, noch ein paar große Würfe zu machen."