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Schweres und Leichtes im Wettbewerb von Cannes

Im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes sind schwere und leichte Themen vertreten: Der Österreicher Michael Haneke zeigte sein Sterbedrama "Amour", der rumänische Regisseur Christian Mungiu erzählt die Geschichte eines grausamen Exorzismus und der Südkoreaner entführt den Zuschauer in eine Märchenwelt.

Von Josef Schnelle | 24.05.2012
    Drei Tage Sturm und Starkregen haben den ganzen Glamour auf dem roten Teppich aufgesogen. Düstere Wolken verwandelten die Croisette in eine Endzeitkulisse. Und auch im Kino überwog die Schwere des Seins. Vor allem der Österreicher Michael Haneke vertrat mit seinem Sterbedrama "Amour" – "Liebe" das Kino der Zumutungen. Mit winzigen Irritationen kündigt sich eine Tragödie an.

    "Anne!" – "Was machst Du, Du hast das Wasser laufen lassen." – "Was ist los. Bist Du vollkommen verrückt geworden? Ist das ein Scherz?" –"Wie bitte?" – "Ist das ein Witz? Versuchst du gerade, einen Witz zu machen?" – "Wie, einen Witz? Ich verstehe nicht" – "Hör zu Anne, lass das Spiel. Das ist nicht lustig. " – "Über was redest du denn? Was ist hier los?"

    Anne hat, ohne es zu merken, einen Schlaganfall erlitten, von dem sie sich nicht mehr erholen wird. Georges und Anne – beide um die 80 sind eines dieser Paare, die wirklich zusammen leben, bis das "der Tod sie scheidet." Weswegen der Film auch "Liebe" heißt und nicht "Das Sterben". Genau aber das zeigt Haneke in seiner großartig inszenierten minutiösen "Sterbebegleitung", die die Liebe eines ganzen Lebens widerspiegelt. Unmittelbar nach der Premiere wurde der Film zurecht schon als Kandidat für die Goldene Palme gehandelt. Dabei hatte Haneke schon eine bekommen – vor zwei Jahren für "Das weiße Band". Auch der rumänische Regisseur Christian Mungiu hat seit 2007 einen der Edelpreise in seinem Trophäenschrank. In diesem Jahr ist er mit "Hinter den Bergen" erneut im Wettbewerb angetreten. Seine Geschichte eines grausamen Exorzismus in einem rumänisch-orthodoxen Provinzklosters beruht auf einem authentischen Fall, den er konsequent auf sein brutales Ende hin inszeniert. Am Ende stirbt eine junge Frau - quasi "gekreuzigt" - an Nahrungs- und Wassermangel. Schließlich – so die Logik der Klosternonnen– wird mit ihrem Körper ja auch der Teufel geschwächt, der in ihr steckt. Ebenso wie Hanekes Film ist das alles andere als leichte Kost. Da ist man dankbar für jedes leicht-lockere Gegengewicht. Zum Beispiel für den Film des südkoreanischen Regisseurs Hong Sang-soo. "Ein anderes Land" - so der Titel des Films - will er zeigen. Mit uns reist in diese Märchenwelt Südkorea die französische Schauspielerin Isabelle Huppert, die dieses Liedchen vorgesungen bekommt.

    In immer neuen Windungen dreht und wendet Hong Sang-soo diese Geschichte der Wirrnisse zu einer klugen Komödie, die eher von Strukturen und Pirouetten lebt, anstatt Weisheiten und Wahrheiten zu verkünden. Ähnlich angreifbar macht sich auch der iranische Regisseur Abbas Kiarostami mit einer Komödie der Missverständnisse: "Like Someone in Love" zu deutsch etwa "Wie ein Verliebter". Man könnte hinzufügen "Trottel". Ein alter Soziologieprofessor bekommt Besuch von einer Edelprostituierten, die ihm seine inzwischen in die Halbwelt Tokios abgerutschten Exschüler spendieren. Der Alte weiß aber seine Rolle nicht zu finden, ebenso wenig die Studentin, die eigentlich nur vor ihrem eifersüchtigen Freund davonläuft. Will der Alte Liebhaber sein, netter großväterlicher Freund oder der Pate einer vielversprechenden jungen Beziehung? Eine komödiantische Spielanordnung. Die Sommerbrise, die aus diesem Film herüberweht hat inzwischen auch den Himmel über Cannes erreicht. Die Strand-Sanddämme, die vor dem Unwetter schützen sollten, werden gerade wieder weggebaggert. Cannes schlüpft wieder in sein mediterranes Stimmungskleid. Komödie oder Tragödie? Was soll’s denn sein? Ken Loach – auch er schon Palmen-Gewinner – und jetzt zum zehnten Mal im Wettbewerb mit seiner frischen Maltwhiskey-Komödie "The Angels Share" beantwortet sie am Besten.

    "Wir leben nicht in einer monoemotionalen Welt. All unsere Erfahrungen sind teilweise Komödie, teilweise Tragödie. Man könnte die gleichen Figuren nehmen und eine tragische Geschichte erzählen. Ganz einfach. So ist das Leben. Als Filmemacher erzähle ich einfach die Geschichte dieses Moments. Das Kriterium ist nicht: werden wir einen Lacher kriegen oder eine Träne. Das Kriterium ist allein: Ist es die Wahrheit."