Mit Spezialschuhen an den Füßen und Schutzhelm auf dem Kopf geht es an der Seite von Projektleiter Keno Dirks auf vorgezeichneten Wegen über das weitläufige Liebherr-Werksgelände. Überall stehen imposante Schiffs- und Hafenkrane, hier gebaut und zum Verschiffen bereit. Doch unser Ziel befindet sich hinter einer Fertigungshalle direkt an der Wasserkante und sucht Seinesgleichen: Der TCC 78000 wirkt mit seinem rot-weißen Kran-Mast auf einem massiven Stahlportal wie eine Weltraum-Rakete kurz vor dem Start.
"Also was wir sehen, ist das Portal mit einer Breite von 30 Metern und einer Durchfahrtshöhe von 18 Metern. Bis zur Mastspitze sind es 107 Meter. Der Ausleger ist mit seinem Gelenk an einem Mast befestigt in einer Höhe von 66 Metern, und wenn man ihn senkrecht aufstellt, ist er 165 Meter hoch. Und wenn man ihn hochgeklappt hat, ist er auch - abgesehen von dem Antennenmast hier in der Nachbarschaft - das höchste Bauwerk in Rostock."
Der Riesenkran heißt intern nur "der Kleine"
Der erste Einsatz werde der Aufbau des Heavy Lift Crane (HLC) sein, erzählt der großgewachsene Ingenieur mit dem langen roten Zopf unter dem Helm.
"Das ist ein Offshore-Kran, der auf einem Schiff installiert wird und dann in der Lage ist, bis zu 5000 Tonnen zu heben. Das heißt also, dieses Riesending hier läuft bei uns im Werk immer nur als 'der Kleine'. Der 'Große' ist echt noch eine Nummer größer."
Für den nötigen sicheren Stand des "Kleinen" sorgte vor allem der Rostocker Hafen, indem er unter anderem eine fünf Millionen Euro teure Extra-Doppelschiene parallel zur Wasserkante bauen ließ. Und nicht nur das, so Keno Dirks.
"Die Schienen stehen auf einer Doppelreihe Pfähle - 23 Meter lange Betonpfähle, die durch den Sand, aus dem das Gelände hier besteht, hindurchreichen bis in den gewachsenen ursprünglichen Meeresboden. Darüber wird die Last des Kranes 'abgetragen', so sagen wir. Der Kran wiegt, wenn er seine vollen 1.600 Tonnen dran hat, 7.100 Tonnen. Also ein durchschnittlicher PKW wiegt eine Tonne. Das heißt, man fährt hier mit 7.100 PKW übereinandergestapelt über die Schienen."
Einmalig an Nord- und Ostseeküste
Weder an der Nord- noch an der Ostsee gibt es bislang einen anderen Hafenkran dieser Größenordnung, weiß man auch bei Rostock Port. Auf deren Hafenfläche errichtete der Liebherr-Ableger MCCtec 2005 mit viel öffentlichem Fördergeld ein neues Werk, um seine maritimen Krane direkt an der Wasserkante herstellen zu können.
"Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich eine Diskussion hatte, als ich zum ersten Mal das Projekt von Liebherr kennenlernen durfte, dass sie sich mit dem Gedanken tragen, so was zu machen", erzählt Hafen-Ko-Geschäftsführer Jens Scharner.
"Wo wir lernen durften, um welche Dimensionen es geht und dass noch nie in Europa so etwas genehmigt worden ist, dass diese Höhen einmalig sind. Da haben wir uns intern auch gefragt: Wird Liebherr das eigentlich umsetzen? Und wenn wir uns dann erinnern, dass Liebherr sehr klein angefangen hat und dass sie alle Zusagen, die sie der Landesregierung und dem Hafen damals gegeben haben, nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt haben, waren unsere Leute überzeugt: Wenn Liebherr ja sagt, dann werden sie es auch machen."
Hoffnung auf Geschäfte mit lukrativen Schwerlast-Transporten
Der Rostocker Hafen hofft nun ebenso wie das Kranbau-Unternehmen, dass sie sich nicht verhoben haben, sondern weitere extrem schwere Brocken an den Haken bekommen. Die Hoffnung ist berechtigt, denn der große Kostendruck in der weltweiten Logistikbranche veranlasst immer mehr Hersteller von über die Maßen großen Industriegütern, ihre Produkte weitgehend vormontiert oder sogar im endgefertigten Zustand zu den Kunden zu bringen.
Das Problem: Die meisten Straßen, Schienen- und Wasserwege zwischen den Produktionsstandorten im Hinterland und dem Riesenkran im Rostocker Hafen sind für derart sperrige Schwerlasttransporte nicht fit genug. Vor allem die Brücken der A19.
Zurück an die Wasserkante, wo dem riesigen TCC 78000 nicht anzusehen ist, dass er gerade mitten im Wind der Stärke 6 steht. Und wenn es noch stürmischer wird? Projektkoordinator Keno Dirks winkt ab.
"Dieser Kran ist so berechnet, dass er auch den sogenannten 'Jahrhundertsturm' überlebt. Der hat Windgeschwindigkeiten von bis zu 55 Metern pro Sekunde. Das ist weit jenseits von Windstärke 12. Es gibt eine spezielle Verriegelung unten an der Schiene, so dass der Wind den Kran nicht über die Schiene schieben kann, und es ist absolut ausgeschlossen, dass der Wind den Kran irgendwie umwerfen könnte oder so."
Dennoch braucht der Kranfahrer bei Sturm besonders gute Nerven, könnte man beim Blick hoch zur Kabine denken. So nennen sie das Führerhaus direkt unter dem 112 Meter langen Ausleger.
"Ich glaube, dass das für viele Kranfahrer schon ein ziemlich cooler Job ist, weil die meisten hier schon Schwerlast-Nerds sind. Das kann man schon fast so sagen. Also Fans von schweren Dingen. Und man kann dann bei seinen Kollegen schon sagen: 'Ich fahre den größten Kran in Rostock, in Deutschland, in Europa!' Man muss natürlich schwindelfrei sein. Denn da haben sie ihre Füße auf einer Glasscheibe stehen, damit sie gut gucken können. Und das ist nicht für jeden was."