Sein Ford-T-Modell war damals bereits seit einigen Jahren recht erfolgreich auf dem Markt, am 14.1.1913 jedoch stellte er die Produktion auf Fließband um und reduzierte den Preis von 870 Dollar auf 350 Dollar. Damit läutete er einen tiefgreifenden Wandel ein: Einerseits wurden Luxusgüter wie Automobile für jedermann erschwinglich, andererseits prägte der gleichförmige Arbeitstakt des Fließbands den Alltag der Industriearbeiter. Die Folgen dieser technologischen Revolution sind bis heute spürbar.
"Statt die Männer zur Arbeit zu schicken, sollte die Arbeit zu den Männern kommen."
Auf diesen Nenner brachte einst Upton Sinclair die technische Revolution "Am Fließband" in seinem gleichnamigen sozialkritischen Roman, geschrieben 1948. Er erzählte die Geschichte des Abner Shutt, der in die Fließfertigung des Henry Ford hineinwuchs, Spezialist für das Verschrauben von Radnaben wurde, dann Vorarbeiter und nach drei Jahrzehnten aus dem immer schneller getakteten Bandbetrieb hinausgeschleudert wurde: Er war alt, verbraucht, krank geworden - und mit finanziellen Sorgen belastet. Wurde zurückgestuft und zum Bittsteller beim Vorarbeiter.
"Schon recht Shutt, gehen Sie nur, erledigen Sie Ihre Angelegenheiten mit der Bank. Aber vorher lassen Sie sich am besten Ihre Papiere geben. Wir brauchen hier nämlich Leute, die nicht von der Arbeit weglaufen."
Die Geschichte erzählte Charlie Chaplin bereits früher in seiner Satire "Modern Times" – auf andere Weise natürlich.
"Nie zuvor hatte es ein derartiges Mittel gegeben, um die Arbeit zu beschleunigen. Man brauchte nur an einem Schalter zu drehen, und schon schufteten tausend Männer schneller."
Upton Sinclair hatte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Phänomen zergliederter Arbeit beschrieben, in den Schlachthöfen Chicagos. Brauchte ein Metzgermeister mit Gehilfen einst einen Arbeitstag, um ein Rind zu schlachten und zu zerlegen, so dauerte es am Band - eine Viertelstunde (nach Dominic Pacyga, Columbia College Chicago). Ähnlich sei die Entwicklung im Automobilbau gewesen, sagt der Jenaer Arbeitssoziologe Klaus Dörre:
"Die frühen Autos waren im Grunde Unikate. Da waren Arbeitsvollzüge von hoch qualifizierten Arbeitern, die fast Künstler waren. Jetzt in der standardisierten und mechanisierten Massenproduktion am Band haben Sie faktisch das, was Antonio Gramsci als 'dressierten Gorilla' bezeichnet hat. Das heißt, die Arbeitstätigkeit ist zerlegt in kleine, einzelne Schritte, die zudem bestimmten Zeitvorgaben folgen, und Sie sind darauf geeicht, diese Arbeitsschritte möglichst mechanisch und möglichst schnell zu realisieren. Und das können Sie am besten, wenn Sie den Kopf ausschalten."
Andererseits hat das "System Fließband" relative Sicherheiten für eine Lebensplanung und Teilhabe am Konsum gebracht, die es in dem Maße vorher nicht gab. Selbst das deutsche Wirtschaftswunder ist davon geprägt: Das Fließband setzte sich hier, quasi als amerikanischer Import, erst nach dem Krieg durch.
"Wenn Sie Deutschland nehmen, haben Sie die quantitativ und qualitativ größten Lohnsteigerungen, etwa eine Verdreifachung der Reallöhne in Westdeutschland zwischen 1950 und 1970. Das hat es so vorher nicht gegeben, und das hat es danach auch nicht mehr gegeben. Und das war das eigentlich Revolutionäre: nicht allein die Produktionsmethode, sondern ein gesamtes Produktions- und Reproduktionsmodell. Insofern ist es nicht nur eine lineare Versklavung am Band, sondern es gibt ein Äquivalent. Die Akzeptanz dieser Produktionsmethoden war deshalb herzustellen, weil die Löhne relativ hoch waren und als Äquivalent für diese monotone Arbeit ein Lebensstil winkte, der als Ausgleich in der Freizeit ein relativ hohes Konsumniveau versprach."
In den 1970er-Jahren sei die Fließfertigung in eine Krise gekommen, sagt Klaus Dörre, weil die Tätigkeiten am Band immer weiter aufgesplittert wurden.
"Sie können nicht Arbeit immer weiter zerlegen, ohne dass es letztendlich nicht doch Konsequenzen hat für die Motivation. Nehmen Sie US-Automobilfirmen in den 1970er-Jahren mit Krankheitsquoten von einem Drittel der Belegschaft. Wo einfach die Unlust zu arbeiten durch Konsumsteigerungen gar nicht mehr aufzufangen gewesen ist."
Die kritische Reflexion über Bandarbeit aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erlebte eine Renaissance: Günter Wallraff beklagte das Zermürbende am Band, "das Ausgeliefertsein", und der Komiker Otto Waalkes witzelte über "bunte Schraubenzieher" an den Bändern von VW.
Wie weiter? Eine Variante war eine Fertigung in Gruppen, wie man sie in Schweden bei Volvo einführte; also so weit es ging weg vom klassischen Band, seiner geistlosen und körperschädigenden Monotonie.
In Reinform hat sich die Gruppen- oder Nestfertigung in der Autoindustrie nicht durchgesetzt, dafür aber den Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen gebracht. Christoph Hecker aus Mainz, stellvertretender Abteilungsleiter Gesundheitsschutz bei der Berufsgenossenschaft Holz und Metall, kennt einige bemerkens- und lobenswerte Verbesserungen: Bei Ford zum Beispiel gebe es den "happy seat",
"wo der Beschäftigte sich draufsetzt und dann reingleitet in den Fahrraum, reinschweben sozusagen, da schrauben und montieren kann. Daneben gibt's Arbeitssysteme, wo Beschäftigte im Kreis rund gehen – U-Linien nennt man diese Montagesysteme."
Das Fließband ist auch deshalb geblieben, weil es hier wirtschaftlich gesehen am effektivsten zugehe, ergänzt Klaus Dörre:
"wo es nach wie vor enge Takte gibt, kleine Arbeitsaufgaben, aber im Team rotierend. Auch da haben Sie Elemente drin, das versteckte Wissen der Beschäftigten, was im Fließprozess nur indirekt zum Tragen kommt, anzuzapfen. Oder sogenanntes Kreiseln, also das kontinuierliche Verbessern der Produktionsflüsse. Aber in einem strikt hierarchischen System. Das war die große Diskussion Anfang der 1990er-Jahre, das Konzept der 'lean production', was im Grunde Toyota beerbt hat."
Das ist in einem der modernsten Autowerke gut zu beobachten: bei BMW in Leipzig, eröffnet 2005. 3000 Festangestellte arbeiten hier. Die von Robotern geschweißten und lackierten Karosserien fahren auf dem Fließband heran. Ein Arbeiter links, einer rechts verlegen Kabelstränge. Währenddessen bespricht ein Gruppenleiter etwas mit den beiden.
"Wenn Sie sich das anschauen: Die Mitarbeiter haben Zeit, ihre Arbeit in Ruhe, sauber und ordentlich zu machen. Es gibt keine Hektik, das würden wir auch nicht zulassen. Es wäre nicht für die Mitarbeiter gut, und auch für das Produkt nicht am Ende des Tages."
Jochen Müller ist Pressesprecher der ostdeutschen Standorte von BMW. Im Gegensatz zu manch anderer Branche, wo die Triade "Viel-Schnell-Billig" die Oberhand hat, wird sich hier weit mehr um ausgefeilte Technologien und Erhaltung der Gesundheit gekümmert. Das stupide System des Henry Ford und das Motto "Halt den Mund und tu, was man dir sagt!" (Upton Sinclair) scheinen weit weg und das "Mitdenk-System" von Volvo ziemlich nah, wenn man Jochen Müller hört:
"Es gibt keine Stupidität. Wir brauchen nicht nur die Arbeitskraft der Mitarbeiter, sondern wir brauchen auch deren Ideenpotenzial. Jeder ist aufgerufen, jeden Tag aktiv seinen Arbeitsplatz mitzugestalten, Verbesserungsvorschläge einzubringen, auch ergonomische Verbesserungen einzubringen. Und das tun wir ja auch regelmäßig."
Zum einen ist diese Einsicht die logische Konsequenz aus dem Betriebsablauf und dem Anspruch, ein Premiumprodukt dauerhaft auf dem übersättigten Automarkt zu etablieren. Zum anderen nehmen die Gewerkschaften für sich in Anspruch, in der Politik dafür gesorgt zu haben, dass niemand mehr so ohne Weiteres "Fließband 5, Tempo erhöhen!" rufen darf. Leipzigs DGB-Chef Bernd Günther formuliert es so:
"Es ist unsere Verantwortung als Gewerkschaften mit den Betriebsräten natürlich an erster Stelle, solche technologischen Abläufe zu gestalten, dass sie auch zeitlich und medizinisch leistbar sind. Ich muss nicht bloß acht oder vier Stunden arbeiten; ich muss jeden Tag diese Abläufe machen. Und da verschleiße ich und bringe nicht die Qualität und nicht die Quantität."
Der Einfluss der IG Metall ist so hoch wie schon lange nicht mehr: 2011 stellten im Leipziger Bezirk 5500 vorwiegend junge Kollegen einen Aufnahmeantrag. Bei den Tarifverhandlungen im vorigen Frühjahr standen rund 3000 Arbeiter vor dem Werktor von BMW.
"War 'ne tolle Stimmung! Jugendliche sagen: Ein geiles Bild!"
... freut sich Bernd Günther noch immer. Das Novum: Arbeiter von BMW und Porsche demonstrierten ebenso gemeinsam wie Stammbelegschaft und Zeitarbeiter. Das war nicht immer so:
"Ach, Leiharbeitnehmer, da brauchen wir uns nicht so zu kümmern. War ein strategischer Fehler gewesen, ist auch erkannt worden. Betriebsräte waren diejenigen, die es zuerst gesagt haben: Wir brauchen die Männer und Frauen. Leiharbeiternehmer zeigen immer, dass es auch anders geht und dass eine Belegschaft geteilt wird."
Weshalb der DGB fordert, dass Leiharbeiter zwischen dem vierten und sechsten Monat fest angestellt werden sollen. Was BMW so pauschal nicht mitmacht: Erst wenn sich eine eindeutig positive wirtschaftliche Entwicklung abzeichnet, gibt es Übernahmen. 2012 wurden 400 Mitarbeiter neu eingestellt; rund die Hälfte davon waren Leiharbeiter. Im kommenden Jahr sollen 300 fest eingestellt werden. Das Ganze beruht auf einer gemeinsamen Erklärung von Unternehmensleitung und Gesamtbetriebsrat zur "Sicherung der strategischen Flexibilität".
Der Soziologe Klaus Dörre vergleicht die heutige Situation mit früheren Jahrzehnten:
"Während der 60-er Jahre – auch noch bis in die 70-er rein – hat ein Automobilunternehmen, aber auch ein anderes weltmarktorientiertes Industrieunternehmen schwankende Märke so ausgeglichen, dass man die Obergrenze von Beschäftigung genommen hat. Also man hat so eingestellt, dass man alles abfedern kann – mit der eigenen Belegschaft. Heute nimmt man eine Untergrenze an, und alles, was über der Untergrenze ist, muss flexibel sein. Es gibt richtige Planvorgaben, 20 bis 30 Prozent der Beschäftigten müssen flexibel gehalten werden, und das heißt: befristet, Leiharbeit, Werkverträge und Ähnliches."
Bei BMW soll ab 2015 ein geringerer Anteil gelten: Acht Prozent wurden ebenso vereinbart wie auch das Prozedere der Übernahme von Leiharbeitern.
BMW-Pressesprecher Jochen Müller verweist auf ein weiteres Ziel der Geschäftsführung, das sich Gewerkschaft und Betriebsrat gleichermaßen auf die Fahnen geheftet haben: ergonomisch gut gestaltete Arbeitsplätze.
"Das Band, das ist ein schöner weicher Holzboden, auf dem die Fahrzeuge angebracht sind. Da sehen Sie hier diese Hubtische, die man in der Höhe justieren kann. Der fährt jetzt gerade hoch, damit man ergonomisch optimal den Kabelbaum einführen kann. Aber das können die Mitarbeiter individuell steuern, dass es für sie am angenehmsten ist."
Und dann erklärt er, wie die Gesundheitsberatung im Werk funktioniert und wo das Fitnesscenter zu finden ist. Vor Kurzem hat BMW Leipzig mit der hiesigen Uni einen Kooperationsvertrag abgeschlossen. Ein Bestandteil ist ein gemeinsames Ergonomieprojekt. Es geht um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter wie auch um die Steigerung der Produktivität und Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit.
Aus Sicht der Berufsgenossenschaften geht es um das Vermeiden von Gefahren, die zu Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten führen können. Bei den Auto- oder anderen Großkonzernen mit ihren eigenen Gesundheitsabteilungen gebe es relativ wenig Probleme, sagt Christoph Hecker. Mehr Handlungsbedarf entstehe bei kleinen und mittleren Betrieben, wenn sich nicht der Unternehmer selbst engagiert.
"Die Anzahl der betroffenen Beschäftigten hat sicher im Verlauf der letzten Jahrzehnte abgenommen aufgrund von Automatisierung und Mechanisierung. Aber es gibt auch gegenläufige Trends, wo man für einfache Tätigkeiten, für hohe Flexibilisierung auch wieder fließbandartige Arbeitssysteme einrichtet."
Und wenn es im Betrieb keine Arbeitsschutzexperten, Betriebsräte oder andere engagierte Mitarbeiter gebe, schleichen sich die alten Symptome wieder ein: Rückenschmerzen und andere Körperschäden, die durch die immer gleichen Bewegungen entstehen können.
Doch nicht nur um das Erhalten der körperlichen Kräfte gehe es, sagt Christoph Hecker:
"Es ist im Grunde ein Optimierungsprozess, dass man versucht, auch die psychischen Funktionen wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken, Entscheiden und Sensomotorik möglichst gleichmäßig auszulasten und nicht einseitig belastende Tätigkeiten, also ohne große Handlungsalternativen und mit stark vorgegebenen Tätigkeiten, zu fahren."
Wie wichtig das ist angesichts von immer älter werdenden Belegschaften, erkannten Forscher des Dortmunder Leibniz-Institutes für Arbeitsphysiologie. Sie hatten annähernd 100 Monteure des Bochumer Opel-Werkes untersucht, jüngere und ältere. Im Vergleich zum "jungen" BMW-Werk in Leipzig ist das Bochumer Werk mit seinen 50 Jahren sehr alt. Was sich auch in den Köpfen von älteren Monteuren widerspiegelte: Es wurden Reaktionsvermögen, Gedächtnis und andere Hirnleistungen getestet. Die älteren Probanden schnitten weit schlechter ab als die jüngeren. Und genau da liege der Hase im Pfeffer, sagt Christoph Hecker, liege die Herausforderung,
"dass, wenn das Arbeitssystem sich ändert, wenn man die Produktion umstellen muss, dass die Beschäftigten in der Lage sind, neue Anforderungen zu bewältigen und sich nicht eingleisig Handlungsmuster einbrennt und dann nicht mehr in der Lage ist, sich umzustellen auf neue Anforderungen."
Das ist Zukunftsmusik. Ältere Fließbandarbeiter wie jene vor der Entlassung Stehenden in Bochum lassen sich nur schwer in eine neue Fließfertigung einbauen. Fließband ist am Ende doch Fließband, ist mehr oder minder monoton. Der Gewerkschafter Bernd Günther möchte deshalb etwas anderes.
"Das ist eigentlich die Tür, die aufgemacht wurde: demografischer Wandel. Wie bekomme ich Männer und Frauen, die älter sind, und wie kann ich die eintakten? Aber eben nicht mehr am Fließband. Wir wollen, dass das nicht am Fließband geschieht, sondern dass andere technologische Prozesse durch die betreffenden Männer und Frauen gemacht werden können. Und dafür muss dann eine Qualifizierung oder Umschulung gemacht werden – nicht in einem neuen Beruf, sondern in ihrer Branche, in anderen Abläufen. Sei es im kaufmännischen oder technischen Bereich oder in der Produktionsvorbereitung."
Womit er eine Entwicklung anspricht, die nicht nur die Technologie, sondern auch den Berufstätigen anspricht: Das Fließband heute ist bei Weitem nicht mehr das des Henry Ford, und Menschen wie Abner Shutt, der sich wohlfühlte bei den immer gleichen mechanischen Tätigkeiten, stehen heute auch kaum noch am Band. Es sind gut ausgebildete Facharbeiter, die ihre Ansprüche haben auf gute Entlohnung und eine interessante Arbeit. Ist die Arbeit am Montageband eine solche? Klaus Dörre sagt Nein und sieht darin zugleich eine Chance:
"Also attraktiv ist das nach wie vor nicht. Wer das vermeiden kann, wenn Sie eine Umfrage machen würden unter Berufsabsolventen usw., der würde es vermeiden wollen. Viele konzipieren das als Durchgangsstadium, dass man dann eben mal am Band steht. Ich habe gehört, bei Arbeitern in Eisenach kommt es inzwischen schon vor, dass die lieber einen befristeten Vertrag haben wollen, um dann leichter in ein attraktiveres Beschäftigungsverhältnis wechseln zu können. Also da ändern sich die Kräfteverhältnisse gegenwärtig ein bisschen; ich weiß nicht, ob es so bleibt. Aber das bedeutet gerade mit Blick auf die Älteren: wenn man sie halten und haben will im Betrieb, dass die Arbeitsabläufe so gestaltet werden müssen, dass sie dort anknüpfen, wo die Älteren ihre Vorzüge haben - Erfahrungswissen, Kooperationsbereitschaft usw. Das könnte ein wirklicher Hebel sein, die Frage Arbeitsqualität, alternative Abläufe, die menschengerechter sind, nachhaltiger sind, sie tatsächlich in die Arbeitspolitik zurückzubringen."
"Statt die Männer zur Arbeit zu schicken, sollte die Arbeit zu den Männern kommen."
Auf diesen Nenner brachte einst Upton Sinclair die technische Revolution "Am Fließband" in seinem gleichnamigen sozialkritischen Roman, geschrieben 1948. Er erzählte die Geschichte des Abner Shutt, der in die Fließfertigung des Henry Ford hineinwuchs, Spezialist für das Verschrauben von Radnaben wurde, dann Vorarbeiter und nach drei Jahrzehnten aus dem immer schneller getakteten Bandbetrieb hinausgeschleudert wurde: Er war alt, verbraucht, krank geworden - und mit finanziellen Sorgen belastet. Wurde zurückgestuft und zum Bittsteller beim Vorarbeiter.
"Schon recht Shutt, gehen Sie nur, erledigen Sie Ihre Angelegenheiten mit der Bank. Aber vorher lassen Sie sich am besten Ihre Papiere geben. Wir brauchen hier nämlich Leute, die nicht von der Arbeit weglaufen."
Die Geschichte erzählte Charlie Chaplin bereits früher in seiner Satire "Modern Times" – auf andere Weise natürlich.
"Nie zuvor hatte es ein derartiges Mittel gegeben, um die Arbeit zu beschleunigen. Man brauchte nur an einem Schalter zu drehen, und schon schufteten tausend Männer schneller."
Upton Sinclair hatte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Phänomen zergliederter Arbeit beschrieben, in den Schlachthöfen Chicagos. Brauchte ein Metzgermeister mit Gehilfen einst einen Arbeitstag, um ein Rind zu schlachten und zu zerlegen, so dauerte es am Band - eine Viertelstunde (nach Dominic Pacyga, Columbia College Chicago). Ähnlich sei die Entwicklung im Automobilbau gewesen, sagt der Jenaer Arbeitssoziologe Klaus Dörre:
"Die frühen Autos waren im Grunde Unikate. Da waren Arbeitsvollzüge von hoch qualifizierten Arbeitern, die fast Künstler waren. Jetzt in der standardisierten und mechanisierten Massenproduktion am Band haben Sie faktisch das, was Antonio Gramsci als 'dressierten Gorilla' bezeichnet hat. Das heißt, die Arbeitstätigkeit ist zerlegt in kleine, einzelne Schritte, die zudem bestimmten Zeitvorgaben folgen, und Sie sind darauf geeicht, diese Arbeitsschritte möglichst mechanisch und möglichst schnell zu realisieren. Und das können Sie am besten, wenn Sie den Kopf ausschalten."
Andererseits hat das "System Fließband" relative Sicherheiten für eine Lebensplanung und Teilhabe am Konsum gebracht, die es in dem Maße vorher nicht gab. Selbst das deutsche Wirtschaftswunder ist davon geprägt: Das Fließband setzte sich hier, quasi als amerikanischer Import, erst nach dem Krieg durch.
"Wenn Sie Deutschland nehmen, haben Sie die quantitativ und qualitativ größten Lohnsteigerungen, etwa eine Verdreifachung der Reallöhne in Westdeutschland zwischen 1950 und 1970. Das hat es so vorher nicht gegeben, und das hat es danach auch nicht mehr gegeben. Und das war das eigentlich Revolutionäre: nicht allein die Produktionsmethode, sondern ein gesamtes Produktions- und Reproduktionsmodell. Insofern ist es nicht nur eine lineare Versklavung am Band, sondern es gibt ein Äquivalent. Die Akzeptanz dieser Produktionsmethoden war deshalb herzustellen, weil die Löhne relativ hoch waren und als Äquivalent für diese monotone Arbeit ein Lebensstil winkte, der als Ausgleich in der Freizeit ein relativ hohes Konsumniveau versprach."
In den 1970er-Jahren sei die Fließfertigung in eine Krise gekommen, sagt Klaus Dörre, weil die Tätigkeiten am Band immer weiter aufgesplittert wurden.
"Sie können nicht Arbeit immer weiter zerlegen, ohne dass es letztendlich nicht doch Konsequenzen hat für die Motivation. Nehmen Sie US-Automobilfirmen in den 1970er-Jahren mit Krankheitsquoten von einem Drittel der Belegschaft. Wo einfach die Unlust zu arbeiten durch Konsumsteigerungen gar nicht mehr aufzufangen gewesen ist."
Die kritische Reflexion über Bandarbeit aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erlebte eine Renaissance: Günter Wallraff beklagte das Zermürbende am Band, "das Ausgeliefertsein", und der Komiker Otto Waalkes witzelte über "bunte Schraubenzieher" an den Bändern von VW.
Wie weiter? Eine Variante war eine Fertigung in Gruppen, wie man sie in Schweden bei Volvo einführte; also so weit es ging weg vom klassischen Band, seiner geistlosen und körperschädigenden Monotonie.
In Reinform hat sich die Gruppen- oder Nestfertigung in der Autoindustrie nicht durchgesetzt, dafür aber den Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen gebracht. Christoph Hecker aus Mainz, stellvertretender Abteilungsleiter Gesundheitsschutz bei der Berufsgenossenschaft Holz und Metall, kennt einige bemerkens- und lobenswerte Verbesserungen: Bei Ford zum Beispiel gebe es den "happy seat",
"wo der Beschäftigte sich draufsetzt und dann reingleitet in den Fahrraum, reinschweben sozusagen, da schrauben und montieren kann. Daneben gibt's Arbeitssysteme, wo Beschäftigte im Kreis rund gehen – U-Linien nennt man diese Montagesysteme."
Das Fließband ist auch deshalb geblieben, weil es hier wirtschaftlich gesehen am effektivsten zugehe, ergänzt Klaus Dörre:
"wo es nach wie vor enge Takte gibt, kleine Arbeitsaufgaben, aber im Team rotierend. Auch da haben Sie Elemente drin, das versteckte Wissen der Beschäftigten, was im Fließprozess nur indirekt zum Tragen kommt, anzuzapfen. Oder sogenanntes Kreiseln, also das kontinuierliche Verbessern der Produktionsflüsse. Aber in einem strikt hierarchischen System. Das war die große Diskussion Anfang der 1990er-Jahre, das Konzept der 'lean production', was im Grunde Toyota beerbt hat."
Das ist in einem der modernsten Autowerke gut zu beobachten: bei BMW in Leipzig, eröffnet 2005. 3000 Festangestellte arbeiten hier. Die von Robotern geschweißten und lackierten Karosserien fahren auf dem Fließband heran. Ein Arbeiter links, einer rechts verlegen Kabelstränge. Währenddessen bespricht ein Gruppenleiter etwas mit den beiden.
"Wenn Sie sich das anschauen: Die Mitarbeiter haben Zeit, ihre Arbeit in Ruhe, sauber und ordentlich zu machen. Es gibt keine Hektik, das würden wir auch nicht zulassen. Es wäre nicht für die Mitarbeiter gut, und auch für das Produkt nicht am Ende des Tages."
Jochen Müller ist Pressesprecher der ostdeutschen Standorte von BMW. Im Gegensatz zu manch anderer Branche, wo die Triade "Viel-Schnell-Billig" die Oberhand hat, wird sich hier weit mehr um ausgefeilte Technologien und Erhaltung der Gesundheit gekümmert. Das stupide System des Henry Ford und das Motto "Halt den Mund und tu, was man dir sagt!" (Upton Sinclair) scheinen weit weg und das "Mitdenk-System" von Volvo ziemlich nah, wenn man Jochen Müller hört:
"Es gibt keine Stupidität. Wir brauchen nicht nur die Arbeitskraft der Mitarbeiter, sondern wir brauchen auch deren Ideenpotenzial. Jeder ist aufgerufen, jeden Tag aktiv seinen Arbeitsplatz mitzugestalten, Verbesserungsvorschläge einzubringen, auch ergonomische Verbesserungen einzubringen. Und das tun wir ja auch regelmäßig."
Zum einen ist diese Einsicht die logische Konsequenz aus dem Betriebsablauf und dem Anspruch, ein Premiumprodukt dauerhaft auf dem übersättigten Automarkt zu etablieren. Zum anderen nehmen die Gewerkschaften für sich in Anspruch, in der Politik dafür gesorgt zu haben, dass niemand mehr so ohne Weiteres "Fließband 5, Tempo erhöhen!" rufen darf. Leipzigs DGB-Chef Bernd Günther formuliert es so:
"Es ist unsere Verantwortung als Gewerkschaften mit den Betriebsräten natürlich an erster Stelle, solche technologischen Abläufe zu gestalten, dass sie auch zeitlich und medizinisch leistbar sind. Ich muss nicht bloß acht oder vier Stunden arbeiten; ich muss jeden Tag diese Abläufe machen. Und da verschleiße ich und bringe nicht die Qualität und nicht die Quantität."
Der Einfluss der IG Metall ist so hoch wie schon lange nicht mehr: 2011 stellten im Leipziger Bezirk 5500 vorwiegend junge Kollegen einen Aufnahmeantrag. Bei den Tarifverhandlungen im vorigen Frühjahr standen rund 3000 Arbeiter vor dem Werktor von BMW.
"War 'ne tolle Stimmung! Jugendliche sagen: Ein geiles Bild!"
... freut sich Bernd Günther noch immer. Das Novum: Arbeiter von BMW und Porsche demonstrierten ebenso gemeinsam wie Stammbelegschaft und Zeitarbeiter. Das war nicht immer so:
"Ach, Leiharbeitnehmer, da brauchen wir uns nicht so zu kümmern. War ein strategischer Fehler gewesen, ist auch erkannt worden. Betriebsräte waren diejenigen, die es zuerst gesagt haben: Wir brauchen die Männer und Frauen. Leiharbeiternehmer zeigen immer, dass es auch anders geht und dass eine Belegschaft geteilt wird."
Weshalb der DGB fordert, dass Leiharbeiter zwischen dem vierten und sechsten Monat fest angestellt werden sollen. Was BMW so pauschal nicht mitmacht: Erst wenn sich eine eindeutig positive wirtschaftliche Entwicklung abzeichnet, gibt es Übernahmen. 2012 wurden 400 Mitarbeiter neu eingestellt; rund die Hälfte davon waren Leiharbeiter. Im kommenden Jahr sollen 300 fest eingestellt werden. Das Ganze beruht auf einer gemeinsamen Erklärung von Unternehmensleitung und Gesamtbetriebsrat zur "Sicherung der strategischen Flexibilität".
Der Soziologe Klaus Dörre vergleicht die heutige Situation mit früheren Jahrzehnten:
"Während der 60-er Jahre – auch noch bis in die 70-er rein – hat ein Automobilunternehmen, aber auch ein anderes weltmarktorientiertes Industrieunternehmen schwankende Märke so ausgeglichen, dass man die Obergrenze von Beschäftigung genommen hat. Also man hat so eingestellt, dass man alles abfedern kann – mit der eigenen Belegschaft. Heute nimmt man eine Untergrenze an, und alles, was über der Untergrenze ist, muss flexibel sein. Es gibt richtige Planvorgaben, 20 bis 30 Prozent der Beschäftigten müssen flexibel gehalten werden, und das heißt: befristet, Leiharbeit, Werkverträge und Ähnliches."
Bei BMW soll ab 2015 ein geringerer Anteil gelten: Acht Prozent wurden ebenso vereinbart wie auch das Prozedere der Übernahme von Leiharbeitern.
BMW-Pressesprecher Jochen Müller verweist auf ein weiteres Ziel der Geschäftsführung, das sich Gewerkschaft und Betriebsrat gleichermaßen auf die Fahnen geheftet haben: ergonomisch gut gestaltete Arbeitsplätze.
"Das Band, das ist ein schöner weicher Holzboden, auf dem die Fahrzeuge angebracht sind. Da sehen Sie hier diese Hubtische, die man in der Höhe justieren kann. Der fährt jetzt gerade hoch, damit man ergonomisch optimal den Kabelbaum einführen kann. Aber das können die Mitarbeiter individuell steuern, dass es für sie am angenehmsten ist."
Und dann erklärt er, wie die Gesundheitsberatung im Werk funktioniert und wo das Fitnesscenter zu finden ist. Vor Kurzem hat BMW Leipzig mit der hiesigen Uni einen Kooperationsvertrag abgeschlossen. Ein Bestandteil ist ein gemeinsames Ergonomieprojekt. Es geht um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter wie auch um die Steigerung der Produktivität und Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit.
Aus Sicht der Berufsgenossenschaften geht es um das Vermeiden von Gefahren, die zu Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten führen können. Bei den Auto- oder anderen Großkonzernen mit ihren eigenen Gesundheitsabteilungen gebe es relativ wenig Probleme, sagt Christoph Hecker. Mehr Handlungsbedarf entstehe bei kleinen und mittleren Betrieben, wenn sich nicht der Unternehmer selbst engagiert.
"Die Anzahl der betroffenen Beschäftigten hat sicher im Verlauf der letzten Jahrzehnte abgenommen aufgrund von Automatisierung und Mechanisierung. Aber es gibt auch gegenläufige Trends, wo man für einfache Tätigkeiten, für hohe Flexibilisierung auch wieder fließbandartige Arbeitssysteme einrichtet."
Und wenn es im Betrieb keine Arbeitsschutzexperten, Betriebsräte oder andere engagierte Mitarbeiter gebe, schleichen sich die alten Symptome wieder ein: Rückenschmerzen und andere Körperschäden, die durch die immer gleichen Bewegungen entstehen können.
Doch nicht nur um das Erhalten der körperlichen Kräfte gehe es, sagt Christoph Hecker:
"Es ist im Grunde ein Optimierungsprozess, dass man versucht, auch die psychischen Funktionen wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken, Entscheiden und Sensomotorik möglichst gleichmäßig auszulasten und nicht einseitig belastende Tätigkeiten, also ohne große Handlungsalternativen und mit stark vorgegebenen Tätigkeiten, zu fahren."
Wie wichtig das ist angesichts von immer älter werdenden Belegschaften, erkannten Forscher des Dortmunder Leibniz-Institutes für Arbeitsphysiologie. Sie hatten annähernd 100 Monteure des Bochumer Opel-Werkes untersucht, jüngere und ältere. Im Vergleich zum "jungen" BMW-Werk in Leipzig ist das Bochumer Werk mit seinen 50 Jahren sehr alt. Was sich auch in den Köpfen von älteren Monteuren widerspiegelte: Es wurden Reaktionsvermögen, Gedächtnis und andere Hirnleistungen getestet. Die älteren Probanden schnitten weit schlechter ab als die jüngeren. Und genau da liege der Hase im Pfeffer, sagt Christoph Hecker, liege die Herausforderung,
"dass, wenn das Arbeitssystem sich ändert, wenn man die Produktion umstellen muss, dass die Beschäftigten in der Lage sind, neue Anforderungen zu bewältigen und sich nicht eingleisig Handlungsmuster einbrennt und dann nicht mehr in der Lage ist, sich umzustellen auf neue Anforderungen."
Das ist Zukunftsmusik. Ältere Fließbandarbeiter wie jene vor der Entlassung Stehenden in Bochum lassen sich nur schwer in eine neue Fließfertigung einbauen. Fließband ist am Ende doch Fließband, ist mehr oder minder monoton. Der Gewerkschafter Bernd Günther möchte deshalb etwas anderes.
"Das ist eigentlich die Tür, die aufgemacht wurde: demografischer Wandel. Wie bekomme ich Männer und Frauen, die älter sind, und wie kann ich die eintakten? Aber eben nicht mehr am Fließband. Wir wollen, dass das nicht am Fließband geschieht, sondern dass andere technologische Prozesse durch die betreffenden Männer und Frauen gemacht werden können. Und dafür muss dann eine Qualifizierung oder Umschulung gemacht werden – nicht in einem neuen Beruf, sondern in ihrer Branche, in anderen Abläufen. Sei es im kaufmännischen oder technischen Bereich oder in der Produktionsvorbereitung."
Womit er eine Entwicklung anspricht, die nicht nur die Technologie, sondern auch den Berufstätigen anspricht: Das Fließband heute ist bei Weitem nicht mehr das des Henry Ford, und Menschen wie Abner Shutt, der sich wohlfühlte bei den immer gleichen mechanischen Tätigkeiten, stehen heute auch kaum noch am Band. Es sind gut ausgebildete Facharbeiter, die ihre Ansprüche haben auf gute Entlohnung und eine interessante Arbeit. Ist die Arbeit am Montageband eine solche? Klaus Dörre sagt Nein und sieht darin zugleich eine Chance:
"Also attraktiv ist das nach wie vor nicht. Wer das vermeiden kann, wenn Sie eine Umfrage machen würden unter Berufsabsolventen usw., der würde es vermeiden wollen. Viele konzipieren das als Durchgangsstadium, dass man dann eben mal am Band steht. Ich habe gehört, bei Arbeitern in Eisenach kommt es inzwischen schon vor, dass die lieber einen befristeten Vertrag haben wollen, um dann leichter in ein attraktiveres Beschäftigungsverhältnis wechseln zu können. Also da ändern sich die Kräfteverhältnisse gegenwärtig ein bisschen; ich weiß nicht, ob es so bleibt. Aber das bedeutet gerade mit Blick auf die Älteren: wenn man sie halten und haben will im Betrieb, dass die Arbeitsabläufe so gestaltet werden müssen, dass sie dort anknüpfen, wo die Älteren ihre Vorzüge haben - Erfahrungswissen, Kooperationsbereitschaft usw. Das könnte ein wirklicher Hebel sein, die Frage Arbeitsqualität, alternative Abläufe, die menschengerechter sind, nachhaltiger sind, sie tatsächlich in die Arbeitspolitik zurückzubringen."