"Im Unterschied zu den klassischen Formen von Internet ist es so, dass jeder eigentlich mitmachen kann, ohne besondere Technikkenntnisse mitbringen zu müssen."
Dr. Kristina Bedijs, Sprachwissenschaftlerin, Universität Hildesheim.
"Jeder, der als Empfänger agiert im Internet, ist auch gleichzeitig wieder Sender. Das heißt, wir haben gar keine strikte Trennung mehr, dass einer etwas schreibt und der andere es liest, sondern es kann auch derjenige, der gelesen hat, direkt reagieren."
Das bedeutet:
"Dadurch werden bestimmte mediale Hierarchien auch ausgeschaltet. Also wo wir früher eine Autorität von klassischen Medien wie der Presse hatten, kann sich heutzutage jeder äußern. Und es wird durch dieses Web 2.0 eine Diskussion mit Fremden auch ganz leicht möglich, da man doch alles kommentieren kann."
Und nicht nur das: Über das normale Texteschreiben hinaus können die
Nutzer Emoticons verwenden, Videos einstellen, Musikclips oder auch Links teilen.
Web 2.0 oder Social Media, wie es auch genannt wird, bietet den Nutzern interaktive Möglichkeiten, die ihnen vor zehn Jahren noch unvorstellbar schienen.
"Das bedeutet, durch diese Multimedialität können wir Textsorten, die wir aus anderen Medien schon kennen, je nach Portal frei kombinieren zu neuen Textsorten und ganz neue Möglichkeiten entwickeln, wie wir miteinander ins Gespräch kommen. Wenn ich da mal einhaken darf."
Ergänzt Christiane Maaß, Professorin für Medienlinguistik, Universität Hildesheim.
"Da haben wir auch den Unterschied der situationalen Einbindung. Also wir dialogisieren, wir stehen in Gruppen zusammen bei Facebook, verschiedene Personen interagieren miteinander, man spricht miteinander über das Internet, aber die Einbindung ist eben eine andere: Wir sehen uns nicht, wir kommunizieren spontan, aber es fehlen uns Interpretationshilfen wie Mimik und Gestik. Wir sehen nicht, was der andere für ein Gesicht macht, wenn er gerade was schreibt. Und das führt dann dazu, dass wir möglicherweise auch Schwierigkeiten haben, das zu interpretieren, was er meint."
Jeder hat die Freiheit, sich zu äußern. Jeder kann auf jeden reagieren. Weltweit. Meinungsbekundungen auf Plattformen entfalten so eine ungeahnte, unkontrollierte Wirkung - positive und negative.
Entwickeln sich diese Äußerungen zu einem massenhaften, virtuellen Pranger, spricht man von einem Shitstorm. Bei einem Shitstorm steht die massenhafte Diffamierung einer Person oder Gruppe im Vordergrund. Diese Art der Meinungsäußerung kommt im Internet häufiger vor als im realen Leben, meint Prof. Tobias Keber, Medienwissenschaftler an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Ein Grund ist die Anonymität im Netz. Die Urheber einer Schmähkritik bleiben unbekannt. Ein weiterer Grund:
"Ein Like ist schnell geklickt, und wenn dann hunderttausend Leute bereits geliked haben und gesagt haben, irgendetwas ist schlecht, dann ist vielleicht auch das Posting einfacher, weil man weiß, man hat die digitale Mehrheit hinter sich."
Während Einzelpersonen relativ hilflos einem Shitstorm ausgeliefert sind, haben einige Unternehmen bereits reagiert und sogenannte Social Media Manager angestellt. Die versuchen dann, die Stimmung im Netz zu drehen:
"Wenn man es ganz geschickt macht - und da sind auch wieder die Social-Media-Manager gefragt - kann man aus einem Shitstorm einen Candystorm machen, also es regnet dann Bonbons, also Begeisterungswellen. Die Deutsche Bahn hat das geschafft. Bei der Deutschen Bahn gab es ein Posting, indem sich eine Dame beschwert hat, und zwar recht phantasievoll: Sie hat einen Abschiedsbrief geschrieben so wie an ihren Exfreund und hat gesagt, liebe Bahn, es ist Schluss, wir können nicht mehr miteinander. Und die Bahn hat so reagiert, dass sie sozusagen als Exfreund geantwortet hat: Lass es uns noch mal versuchen, ich komme in Zukunft pünktlich. Großartig. Da hat mal jemand nachgedacht. Und die Community nimmt das auch so auf, dass sie sagt, das ist witzig. Und das führt dazu, dass das Image dann wieder gut wird."
Die Netzkommunikation in Foren gestaltet sich etwas anders, wie die beiden Sprachwissenschaftlerinnen Prof.Christiane Maaß und Dr.Kristina Bedijs von der Universität Hildesheim herausgefunden haben.
Internetforen sind virtuelle Marktplätze, Diskussionsplattformen, die die Möglichkeit bieten zu einem Thema Meinungen und Tipps, Informationen und Klatsch auszutauschen. Auch hier agieren die User anonym, aber jeder Diskussionsteilnehmer hat eine eigene Identität. Die kann sich komplett von der unterscheiden, die der Teilnehmer offline hat. Manche zeigen sich aber auch so wie im realen Leben. Kristina Bedijs:
"Die Selbstdarstellung gegenüber anderen Teilnehmern ist natürlich im Internet auch deswegen besonders wichtig, weil wir uns nicht gegenseitig sehen können und die Einschätzung durch die anderen nur anhand von Profilselbstdarstellung und von den Beiträgen, die man bringt, erfolgen kann. Und darum ist natürlich den Teilnehmern sehr wichtig, wie sie sich selbst präsentieren, damit sie entsprechend wahrgenommen werden können."
Teilnehmer eines Forums haben sehr wohl ein Interesse daran, möglichst positiv wahrgenommen zu werden. Sie entwickeln auch online ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Sie fühlen sich solidarisch mit anderen aus der Gruppe auf der Grundlage von gemeinsamen Interessen. Sie entwickeln das, was man in der Soziologie soziale Identität nennt. Mitglieder einer solchen Gruppe wollen von den anderen Gruppenmitgliedern akzeptiert werden. Doch anders als in der realen Welt, rekrutieren sich die Gruppenmitglieder nicht nur aus dem persönlichen Umfeld, sondern können aus allen Regionen der Welt kommen. Was die beiden Linguistinnen besonders interessiert ist, wie Menschen innerhalb der Foren miteinander kommunizieren.
"Wie höflich oder unhöflich man sich selber darstellt oder mit anderen umgeht, ist von vollkommen verschiedenen Faktoren abhängig. Nämlich zum Beispiel davon, welches Gruppengefühl auf der Plattform hergestellt ist, wo man sich bewegt. Welchen Vertrautheitsgrad man mit den anderen Teilnehmern hat und um welches Gesprächsthema es geht. Wie der Umgangston ist, der dort herrscht, was die Ziele jedes einzelnen sind. Wie viel Respekt vor den Bedürfnissen der anderen besteht, was für einen Gesprächsanlass es gibt und wie viel Emotionalität jeder Einzelne da einbringt."
Eine Tendenz scheint bei allen Foren ähnlich zu sein: Je geringer das Gruppengefühl der Teilnehmer ist und je mehr es um die reine Meinungsäußerung geht, desto eher wirken Online-Gespräche unhöflich.
"Während wenn es dieses Gruppengefühl bereits gibt und sich da eine soziale Gruppe konstituiert hat, die Teilnehmer doch tendenziell sehr freundlich miteinander umgehen und auch Wünsche haben, wenn es mal Streit gibt, den auch wieder zu schlichten."
Christiane Maaß hat das an dem Beispiel eines Kochforums untersucht:
"Da geht es eben darum, was soll gekocht werden, was kosten die Lebensmittel und dann kann man ein gemeinsames Interesse der verschiedenen Teilnehmer voraussetzen, die sich da beteiligen."
Innerhalb dieses Forums können die Mitglieder eine bestimmte Hierarchiestufe erwerben. In manchen Foren wird die einfach durch die Dauer der Mitgliedschaft bestimmt.
"Bei anderen Foren ist es so, dass man für jeden Beitrag, also für die aktive Teilnahme, belohnt wird und dann aufsteigen kann. Und da gibt es so humorvolle Hierarchien, zum Beispiel bei Chefkoch.de kann man aufsteigen vom Tellerwäscher zum Sternekoch, wobei man für den Sternekoch 12.000 Punkte braucht und für einen Forumsbeitrag genau zwei Punkte bekommt, wenn er denn rezeptspezifisch, kochspezifisch ausgerichtet ist. Sodass man sich vorstellen kann, welche Art von Aktivität nötig ist, um diesen Weg zu beschreiten, da muss man schon sehr aktiv und sehr viel dort unterwegs sein."
Kristina Bedijs kennt diese Verfahren auch aus anderen Foren:
"Es gibt gerade in Hilfeforen oft auch die Möglichkeit, einzelne Beiträge zu bewerten. Also beispielsweise wenn die Frage gestellt wird, wie streiche ich am besten meinen Gartenzaun und jemand gibt eine Antwort darauf, und dann steht darunter, wie hilfreich war diese Antwort und man kann eins bis fünf Sterne geben oder so etwas."
Dann haben es neu hinzukommende User prinzipiell schwerer als Nutzer, die schon länger dabei sind. Sie können leichter angegriffen werden als jemand, der schon lange dabei ist und womöglich schon gewisse Hierarchiestufen erklommen hat und in einer Community etabliert ist. Hierarchiestufen geben auch Interpretationshilfen für die Kommunikation. Christiane Maaß:
"Wir haben keine situationale Einbindung, man weiß wenig über die anderen. Aber ich erfahre eben, das ist jemand, der schon Kaltmamsell ist, der hat schon 1000 Punkte erworben und darf damit auf eine große Zahl an Beiträgen zurückblicken. Und dann schaue ich in das Profilbild hinein und stelle fest, dass da noch irgendwelche Kochvorlieben geschildert werden, dann nutze ich das, um zu interpretieren was er oder sie mir im Forum von sich preisgibt und hab' dann vielleicht schon eine Interpretationsvorlage, ob eine Äußerung als Aggression gemeint sein könnte oder ob ich das so hinnehmen kann."
Wie Kommunikation in einem solchen Forum ablaufen kann, welche Dynamik sich entwickelt und wodurch sie sich von Offline-Kommunikation unterscheidet, hat Christiane Maaß in dem Forum Chefkoch.de herausgefunden:
"Das Beispiel war da ganz konkret, dass eine Teilnehmerin bei Chefkoch.de in die Community eine Frage gegeben hat. Sie hat halt eine Wette abgeschlossen, wie sie mit 20 Euro ihre ganze Familie für eine Woche bekochen kann und sie hat mit ihrer Freundin ausgemacht, dass sie das schafft. Und wenn sie das nicht schafft, dann muss sie die Freundin verköstigen. Und sie gibt also diese Frage rein: Schickt mir billige Rezepte, ich möchte das schaffen, wie kann ich das machen?"
Der Dialog beginnt wie erwartet:
"Dann fängt das auch tatsächlich so an, dass die User ihr Rezepte schicken."
Dann wechselt die Ebene und eine Teilnehmerin fragt:
"Naja, also die Kinder noch mit reinzuziehen in so eine Sache, schlechte Ernährung, Billigernährung, das geht ja eigentlich nicht."
An diesem Punkt springt eine Verteidigerin in die Bresche und attackiert die Kritikerin:
"Möchtest Du unsere Wettabschließerin zur Rabenmutter abstempeln, die ihre Kinder nicht ordentlich ernährt?"
Sie verschärft den ursprünglich gemachten Vorwurf.
"Und dann steht dieses Wort 'Rabenmutter' im Raum und es gibt eine heiße Diskussion, eine wirklich aggressive Parteienbildung darüber, ob sie eine Rabenmutter ist, ob man so billig kochen darf, ob man seine Kinder möglicherweise misshandelt mit solchen Dingen, was dieser ursprünglichen Frage in keinster Weise entspricht. Und da haben wir genau diesen Fall, dass die über fast 40 Posts sich streiten und dieser Streit aber auch beigelegt wird."
Was jetzt passiert, ist typisch für Online-Kommunikation und unterscheidet sich von den meisten Offline-Gesprächen:
"Es streiten sich durchaus auch die Parteien, also man ergreift Partei für die ein oder die andere Seite und spricht dann damit über Dritte. Also man spricht über die Wettabschließerin und das ist an sich schon einmal eine unangenehme Sache. Selbst wenn man im eigenen Beisein gelobt wird, ist das ja schon unangenehm, aber wenn auch noch negativ über einen gesprochen wird und man liest mit, ist das eine besonders unangenehme Situation. Genau das ist es, was im Forum passiert, dass man eben permanent über anwesende Dritte spricht. Und da muss man da schon sehr vorsichtig sein, wie Beiträge aufgenommen werden. In dem Fall ist es aber so ausgegangen, dass sie sich alle wieder eingekriegt haben. Sie hat die Wette gewonnen, mit 20 Euro die ganze Familie bekocht und hat am Ende von ihrer Freundin ein Festmahl gekocht bekommen. Die Sache ist gut ausgegangen in diesem Fall."
Forenkommunikation unterscheidet sich durch weitere Aspekte von Offline-Kommunikation: Sie kann asynchron sein, das heißt noch Jahre später kann jemand auf einen Beitrag antworteten, denn einmal gepostete Beiträge stehen für alle Zeiten zugänglich im Netz. Natürlich können Mitglieder eines Forums auch sofort antworten, also spontan auf eine Äußerung reagieren. Damit ähnelt sie mündlicher Kommunikation.
"Aber im Unterschied zur mündlichen Kommunikation ist sie nicht flüchtig: Ich sag was, und das verhallt. Und dann ist es vorbei. Und wenn mein Gegenüber nicht so ein tolles Gedächtnis hat, ist schon morgen nicht mehr die Rede davon. Während im Internet auch drei Jahre oder sieben Jahre später meine unbedachte Äußerung immer noch nachlesbar ist."
Was Forenteilnehmern häufig nicht klar ist:
"Sie werden reduziert wahrgenommen. Und wenn sie dann angegriffen werden als Person, dann fühlen sie sich in ihrer Gesamtheit in Frage gestellt und werden über diese Schiene des Forumsthemas beurteilt und fühlen sich dann in besonderer Weise schlecht behandelt, was auch Aggressionen in der Forenkommunikation Vorschub leistet. Das ist so ein Grund, warum Forenkommunikation an manchen Stellen so aufschäumt und so aggressive Beiträge ausgetauscht werden. Wenn das Foren sind, die eine Community dahinter haben, ist aber oft auch der Versuch da, selbst in einzelnen Diskussionsverläufen, Konflikte beizulegen."
Das noch junge Web 2.0 ist zu einem spannenden Forschungsfeld für Kultur- und Sozialwissenschaftler geworden. Auffällig an der wissenschaftlichen Debatte, die sich mit dem Phänomen Social Media beschäftigt, ist, dass überwiegend negative Kommunikation im Netz untersucht wird. Kristina Bedijs hat dafür eine Erklärung:
"Das Negative ist das, was Probleme macht. Die Art, wie Menschen miteinander umgehen, ist dann nicht problematisch, wenn sie freundlich ist. Wir finden es trotzdem auffällig, wie freundlich es sein kann im Internet, aber es ist natürlich kein Problem, wenn Menschen nett zueinander sind. Während wenn Leute im Internet sich gegenseitig diffamieren oder sich bedrohen oder beleidigen oder sonst was Böses miteinander tun, dann ist das natürlich genauso schlimm, vielleicht sogar noch schlimmer als wenn sie das eben im Leben außerhalb des Internets tun. Und auch da muss es gegebenenfalls verfolgt werden oder überlegt werden, wie man einen Streit schlichten kann. Und auch im Leben offline wird natürlich nicht über positive Kommunikation geredet, denn die bildet nun mal keinen Problemfall."
Dem stimmt auch Christiane Maaß zu. Kommunikation im Netz sei nicht per se negativer oder aggressiver als im realen Gespräch. Allerdings könne man beobachten, dass es online extrem unhöfliche, aber auch höfliche, emphatisch-positive Kommunikation gäbe.
"Wenn man da mit so einer Höflichkeitstheorie herangeht, zum Beispiel wir haben mit Watts gearbeitet, der alle möglichen Arten von höflicher und unhöflicher Kommunikation in ein Modell fasst. Und er sagt, wir haben im Prinzip zwei große Parameter: Wir können angemessen kommunizieren, und wir können unangemessen kommunizieren. Und dann, der zweite Parameter wäre dann, das Ganze kann markiert sein, also eine markierte Kommunikation, die uns auffällt und sie kann uns auch auffallen, wenn sie besonders höflich ist, wenn besonders viel Lob erscheint, wenn besonders stark sich entschuldigt wird, weil man einen Fehler begangen hat."
Die Hildesheimer Wissenschaftler haben bei ihren Untersuchungen eine Tendenz zu markierter Kommunikation beobachtet und daraus geschlossen, dass unmarkierte Kommunikation ohne Situationseinbindung nicht ausreicht …
"…. wo ich aus der Mimik noch ablesen kann, wie ist es gemeint gewesen, so dass dann die Gefahr besteht, dass das möglicherweise als nicht ganz angemessen, etwas zu rüpelhaft oder nicht ganz höflich interpretiert wird, so dass erfahrene User, die das vermeiden möchten, ihre freundlich gemeinten Posts emphatisch gestalten, so dass wir im Internet nicht unbedingt negative Kommunikation haben, sondern negativ wie positiv markierte, weil wir eben den medialen Rahmen so haben, dass uns Interpretationshilfen sonst fehlen."
Dr. Kristina Bedijs, Sprachwissenschaftlerin, Universität Hildesheim.
"Jeder, der als Empfänger agiert im Internet, ist auch gleichzeitig wieder Sender. Das heißt, wir haben gar keine strikte Trennung mehr, dass einer etwas schreibt und der andere es liest, sondern es kann auch derjenige, der gelesen hat, direkt reagieren."
Das bedeutet:
"Dadurch werden bestimmte mediale Hierarchien auch ausgeschaltet. Also wo wir früher eine Autorität von klassischen Medien wie der Presse hatten, kann sich heutzutage jeder äußern. Und es wird durch dieses Web 2.0 eine Diskussion mit Fremden auch ganz leicht möglich, da man doch alles kommentieren kann."
Und nicht nur das: Über das normale Texteschreiben hinaus können die
Nutzer Emoticons verwenden, Videos einstellen, Musikclips oder auch Links teilen.
Web 2.0 oder Social Media, wie es auch genannt wird, bietet den Nutzern interaktive Möglichkeiten, die ihnen vor zehn Jahren noch unvorstellbar schienen.
"Das bedeutet, durch diese Multimedialität können wir Textsorten, die wir aus anderen Medien schon kennen, je nach Portal frei kombinieren zu neuen Textsorten und ganz neue Möglichkeiten entwickeln, wie wir miteinander ins Gespräch kommen. Wenn ich da mal einhaken darf."
Ergänzt Christiane Maaß, Professorin für Medienlinguistik, Universität Hildesheim.
"Da haben wir auch den Unterschied der situationalen Einbindung. Also wir dialogisieren, wir stehen in Gruppen zusammen bei Facebook, verschiedene Personen interagieren miteinander, man spricht miteinander über das Internet, aber die Einbindung ist eben eine andere: Wir sehen uns nicht, wir kommunizieren spontan, aber es fehlen uns Interpretationshilfen wie Mimik und Gestik. Wir sehen nicht, was der andere für ein Gesicht macht, wenn er gerade was schreibt. Und das führt dann dazu, dass wir möglicherweise auch Schwierigkeiten haben, das zu interpretieren, was er meint."
Jeder hat die Freiheit, sich zu äußern. Jeder kann auf jeden reagieren. Weltweit. Meinungsbekundungen auf Plattformen entfalten so eine ungeahnte, unkontrollierte Wirkung - positive und negative.
Entwickeln sich diese Äußerungen zu einem massenhaften, virtuellen Pranger, spricht man von einem Shitstorm. Bei einem Shitstorm steht die massenhafte Diffamierung einer Person oder Gruppe im Vordergrund. Diese Art der Meinungsäußerung kommt im Internet häufiger vor als im realen Leben, meint Prof. Tobias Keber, Medienwissenschaftler an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Ein Grund ist die Anonymität im Netz. Die Urheber einer Schmähkritik bleiben unbekannt. Ein weiterer Grund:
"Ein Like ist schnell geklickt, und wenn dann hunderttausend Leute bereits geliked haben und gesagt haben, irgendetwas ist schlecht, dann ist vielleicht auch das Posting einfacher, weil man weiß, man hat die digitale Mehrheit hinter sich."
Während Einzelpersonen relativ hilflos einem Shitstorm ausgeliefert sind, haben einige Unternehmen bereits reagiert und sogenannte Social Media Manager angestellt. Die versuchen dann, die Stimmung im Netz zu drehen:
"Wenn man es ganz geschickt macht - und da sind auch wieder die Social-Media-Manager gefragt - kann man aus einem Shitstorm einen Candystorm machen, also es regnet dann Bonbons, also Begeisterungswellen. Die Deutsche Bahn hat das geschafft. Bei der Deutschen Bahn gab es ein Posting, indem sich eine Dame beschwert hat, und zwar recht phantasievoll: Sie hat einen Abschiedsbrief geschrieben so wie an ihren Exfreund und hat gesagt, liebe Bahn, es ist Schluss, wir können nicht mehr miteinander. Und die Bahn hat so reagiert, dass sie sozusagen als Exfreund geantwortet hat: Lass es uns noch mal versuchen, ich komme in Zukunft pünktlich. Großartig. Da hat mal jemand nachgedacht. Und die Community nimmt das auch so auf, dass sie sagt, das ist witzig. Und das führt dazu, dass das Image dann wieder gut wird."
Die Netzkommunikation in Foren gestaltet sich etwas anders, wie die beiden Sprachwissenschaftlerinnen Prof.Christiane Maaß und Dr.Kristina Bedijs von der Universität Hildesheim herausgefunden haben.
Internetforen sind virtuelle Marktplätze, Diskussionsplattformen, die die Möglichkeit bieten zu einem Thema Meinungen und Tipps, Informationen und Klatsch auszutauschen. Auch hier agieren die User anonym, aber jeder Diskussionsteilnehmer hat eine eigene Identität. Die kann sich komplett von der unterscheiden, die der Teilnehmer offline hat. Manche zeigen sich aber auch so wie im realen Leben. Kristina Bedijs:
"Die Selbstdarstellung gegenüber anderen Teilnehmern ist natürlich im Internet auch deswegen besonders wichtig, weil wir uns nicht gegenseitig sehen können und die Einschätzung durch die anderen nur anhand von Profilselbstdarstellung und von den Beiträgen, die man bringt, erfolgen kann. Und darum ist natürlich den Teilnehmern sehr wichtig, wie sie sich selbst präsentieren, damit sie entsprechend wahrgenommen werden können."
Teilnehmer eines Forums haben sehr wohl ein Interesse daran, möglichst positiv wahrgenommen zu werden. Sie entwickeln auch online ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Sie fühlen sich solidarisch mit anderen aus der Gruppe auf der Grundlage von gemeinsamen Interessen. Sie entwickeln das, was man in der Soziologie soziale Identität nennt. Mitglieder einer solchen Gruppe wollen von den anderen Gruppenmitgliedern akzeptiert werden. Doch anders als in der realen Welt, rekrutieren sich die Gruppenmitglieder nicht nur aus dem persönlichen Umfeld, sondern können aus allen Regionen der Welt kommen. Was die beiden Linguistinnen besonders interessiert ist, wie Menschen innerhalb der Foren miteinander kommunizieren.
"Wie höflich oder unhöflich man sich selber darstellt oder mit anderen umgeht, ist von vollkommen verschiedenen Faktoren abhängig. Nämlich zum Beispiel davon, welches Gruppengefühl auf der Plattform hergestellt ist, wo man sich bewegt. Welchen Vertrautheitsgrad man mit den anderen Teilnehmern hat und um welches Gesprächsthema es geht. Wie der Umgangston ist, der dort herrscht, was die Ziele jedes einzelnen sind. Wie viel Respekt vor den Bedürfnissen der anderen besteht, was für einen Gesprächsanlass es gibt und wie viel Emotionalität jeder Einzelne da einbringt."
Eine Tendenz scheint bei allen Foren ähnlich zu sein: Je geringer das Gruppengefühl der Teilnehmer ist und je mehr es um die reine Meinungsäußerung geht, desto eher wirken Online-Gespräche unhöflich.
"Während wenn es dieses Gruppengefühl bereits gibt und sich da eine soziale Gruppe konstituiert hat, die Teilnehmer doch tendenziell sehr freundlich miteinander umgehen und auch Wünsche haben, wenn es mal Streit gibt, den auch wieder zu schlichten."
Christiane Maaß hat das an dem Beispiel eines Kochforums untersucht:
"Da geht es eben darum, was soll gekocht werden, was kosten die Lebensmittel und dann kann man ein gemeinsames Interesse der verschiedenen Teilnehmer voraussetzen, die sich da beteiligen."
Innerhalb dieses Forums können die Mitglieder eine bestimmte Hierarchiestufe erwerben. In manchen Foren wird die einfach durch die Dauer der Mitgliedschaft bestimmt.
"Bei anderen Foren ist es so, dass man für jeden Beitrag, also für die aktive Teilnahme, belohnt wird und dann aufsteigen kann. Und da gibt es so humorvolle Hierarchien, zum Beispiel bei Chefkoch.de kann man aufsteigen vom Tellerwäscher zum Sternekoch, wobei man für den Sternekoch 12.000 Punkte braucht und für einen Forumsbeitrag genau zwei Punkte bekommt, wenn er denn rezeptspezifisch, kochspezifisch ausgerichtet ist. Sodass man sich vorstellen kann, welche Art von Aktivität nötig ist, um diesen Weg zu beschreiten, da muss man schon sehr aktiv und sehr viel dort unterwegs sein."
Kristina Bedijs kennt diese Verfahren auch aus anderen Foren:
"Es gibt gerade in Hilfeforen oft auch die Möglichkeit, einzelne Beiträge zu bewerten. Also beispielsweise wenn die Frage gestellt wird, wie streiche ich am besten meinen Gartenzaun und jemand gibt eine Antwort darauf, und dann steht darunter, wie hilfreich war diese Antwort und man kann eins bis fünf Sterne geben oder so etwas."
Dann haben es neu hinzukommende User prinzipiell schwerer als Nutzer, die schon länger dabei sind. Sie können leichter angegriffen werden als jemand, der schon lange dabei ist und womöglich schon gewisse Hierarchiestufen erklommen hat und in einer Community etabliert ist. Hierarchiestufen geben auch Interpretationshilfen für die Kommunikation. Christiane Maaß:
"Wir haben keine situationale Einbindung, man weiß wenig über die anderen. Aber ich erfahre eben, das ist jemand, der schon Kaltmamsell ist, der hat schon 1000 Punkte erworben und darf damit auf eine große Zahl an Beiträgen zurückblicken. Und dann schaue ich in das Profilbild hinein und stelle fest, dass da noch irgendwelche Kochvorlieben geschildert werden, dann nutze ich das, um zu interpretieren was er oder sie mir im Forum von sich preisgibt und hab' dann vielleicht schon eine Interpretationsvorlage, ob eine Äußerung als Aggression gemeint sein könnte oder ob ich das so hinnehmen kann."
Wie Kommunikation in einem solchen Forum ablaufen kann, welche Dynamik sich entwickelt und wodurch sie sich von Offline-Kommunikation unterscheidet, hat Christiane Maaß in dem Forum Chefkoch.de herausgefunden:
"Das Beispiel war da ganz konkret, dass eine Teilnehmerin bei Chefkoch.de in die Community eine Frage gegeben hat. Sie hat halt eine Wette abgeschlossen, wie sie mit 20 Euro ihre ganze Familie für eine Woche bekochen kann und sie hat mit ihrer Freundin ausgemacht, dass sie das schafft. Und wenn sie das nicht schafft, dann muss sie die Freundin verköstigen. Und sie gibt also diese Frage rein: Schickt mir billige Rezepte, ich möchte das schaffen, wie kann ich das machen?"
Der Dialog beginnt wie erwartet:
"Dann fängt das auch tatsächlich so an, dass die User ihr Rezepte schicken."
Dann wechselt die Ebene und eine Teilnehmerin fragt:
"Naja, also die Kinder noch mit reinzuziehen in so eine Sache, schlechte Ernährung, Billigernährung, das geht ja eigentlich nicht."
An diesem Punkt springt eine Verteidigerin in die Bresche und attackiert die Kritikerin:
"Möchtest Du unsere Wettabschließerin zur Rabenmutter abstempeln, die ihre Kinder nicht ordentlich ernährt?"
Sie verschärft den ursprünglich gemachten Vorwurf.
"Und dann steht dieses Wort 'Rabenmutter' im Raum und es gibt eine heiße Diskussion, eine wirklich aggressive Parteienbildung darüber, ob sie eine Rabenmutter ist, ob man so billig kochen darf, ob man seine Kinder möglicherweise misshandelt mit solchen Dingen, was dieser ursprünglichen Frage in keinster Weise entspricht. Und da haben wir genau diesen Fall, dass die über fast 40 Posts sich streiten und dieser Streit aber auch beigelegt wird."
Was jetzt passiert, ist typisch für Online-Kommunikation und unterscheidet sich von den meisten Offline-Gesprächen:
"Es streiten sich durchaus auch die Parteien, also man ergreift Partei für die ein oder die andere Seite und spricht dann damit über Dritte. Also man spricht über die Wettabschließerin und das ist an sich schon einmal eine unangenehme Sache. Selbst wenn man im eigenen Beisein gelobt wird, ist das ja schon unangenehm, aber wenn auch noch negativ über einen gesprochen wird und man liest mit, ist das eine besonders unangenehme Situation. Genau das ist es, was im Forum passiert, dass man eben permanent über anwesende Dritte spricht. Und da muss man da schon sehr vorsichtig sein, wie Beiträge aufgenommen werden. In dem Fall ist es aber so ausgegangen, dass sie sich alle wieder eingekriegt haben. Sie hat die Wette gewonnen, mit 20 Euro die ganze Familie bekocht und hat am Ende von ihrer Freundin ein Festmahl gekocht bekommen. Die Sache ist gut ausgegangen in diesem Fall."
Forenkommunikation unterscheidet sich durch weitere Aspekte von Offline-Kommunikation: Sie kann asynchron sein, das heißt noch Jahre später kann jemand auf einen Beitrag antworteten, denn einmal gepostete Beiträge stehen für alle Zeiten zugänglich im Netz. Natürlich können Mitglieder eines Forums auch sofort antworten, also spontan auf eine Äußerung reagieren. Damit ähnelt sie mündlicher Kommunikation.
"Aber im Unterschied zur mündlichen Kommunikation ist sie nicht flüchtig: Ich sag was, und das verhallt. Und dann ist es vorbei. Und wenn mein Gegenüber nicht so ein tolles Gedächtnis hat, ist schon morgen nicht mehr die Rede davon. Während im Internet auch drei Jahre oder sieben Jahre später meine unbedachte Äußerung immer noch nachlesbar ist."
Was Forenteilnehmern häufig nicht klar ist:
"Sie werden reduziert wahrgenommen. Und wenn sie dann angegriffen werden als Person, dann fühlen sie sich in ihrer Gesamtheit in Frage gestellt und werden über diese Schiene des Forumsthemas beurteilt und fühlen sich dann in besonderer Weise schlecht behandelt, was auch Aggressionen in der Forenkommunikation Vorschub leistet. Das ist so ein Grund, warum Forenkommunikation an manchen Stellen so aufschäumt und so aggressive Beiträge ausgetauscht werden. Wenn das Foren sind, die eine Community dahinter haben, ist aber oft auch der Versuch da, selbst in einzelnen Diskussionsverläufen, Konflikte beizulegen."
Das noch junge Web 2.0 ist zu einem spannenden Forschungsfeld für Kultur- und Sozialwissenschaftler geworden. Auffällig an der wissenschaftlichen Debatte, die sich mit dem Phänomen Social Media beschäftigt, ist, dass überwiegend negative Kommunikation im Netz untersucht wird. Kristina Bedijs hat dafür eine Erklärung:
"Das Negative ist das, was Probleme macht. Die Art, wie Menschen miteinander umgehen, ist dann nicht problematisch, wenn sie freundlich ist. Wir finden es trotzdem auffällig, wie freundlich es sein kann im Internet, aber es ist natürlich kein Problem, wenn Menschen nett zueinander sind. Während wenn Leute im Internet sich gegenseitig diffamieren oder sich bedrohen oder beleidigen oder sonst was Böses miteinander tun, dann ist das natürlich genauso schlimm, vielleicht sogar noch schlimmer als wenn sie das eben im Leben außerhalb des Internets tun. Und auch da muss es gegebenenfalls verfolgt werden oder überlegt werden, wie man einen Streit schlichten kann. Und auch im Leben offline wird natürlich nicht über positive Kommunikation geredet, denn die bildet nun mal keinen Problemfall."
Dem stimmt auch Christiane Maaß zu. Kommunikation im Netz sei nicht per se negativer oder aggressiver als im realen Gespräch. Allerdings könne man beobachten, dass es online extrem unhöfliche, aber auch höfliche, emphatisch-positive Kommunikation gäbe.
"Wenn man da mit so einer Höflichkeitstheorie herangeht, zum Beispiel wir haben mit Watts gearbeitet, der alle möglichen Arten von höflicher und unhöflicher Kommunikation in ein Modell fasst. Und er sagt, wir haben im Prinzip zwei große Parameter: Wir können angemessen kommunizieren, und wir können unangemessen kommunizieren. Und dann, der zweite Parameter wäre dann, das Ganze kann markiert sein, also eine markierte Kommunikation, die uns auffällt und sie kann uns auch auffallen, wenn sie besonders höflich ist, wenn besonders viel Lob erscheint, wenn besonders stark sich entschuldigt wird, weil man einen Fehler begangen hat."
Die Hildesheimer Wissenschaftler haben bei ihren Untersuchungen eine Tendenz zu markierter Kommunikation beobachtet und daraus geschlossen, dass unmarkierte Kommunikation ohne Situationseinbindung nicht ausreicht …
"…. wo ich aus der Mimik noch ablesen kann, wie ist es gemeint gewesen, so dass dann die Gefahr besteht, dass das möglicherweise als nicht ganz angemessen, etwas zu rüpelhaft oder nicht ganz höflich interpretiert wird, so dass erfahrene User, die das vermeiden möchten, ihre freundlich gemeinten Posts emphatisch gestalten, so dass wir im Internet nicht unbedingt negative Kommunikation haben, sondern negativ wie positiv markierte, weil wir eben den medialen Rahmen so haben, dass uns Interpretationshilfen sonst fehlen."