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Schwerpunktthema
Die Konstruktion von Körperbildern

Deutsche sind blond und groß, Juden klein und von weibischer Natur. Solche verzerrten Körperbilder haben nicht erst die Nationalsozialisten geprägt. Das Hamburger Institut für die Geschichte der deutschen Juden erklärt in einer Vortragsreihe, wie Stereotypen entstehen.

Von Ursula Storost |
    "Lieber Stürmer, wir Kinder der nationalsozialistischen Jugendheimstätte Groß Möllen in Pommern wollen dir auch einmal einen Gruß senden."
    So beginnt ein Brief, den Kinder an das nationalsozialistische Hetzblatt "Der Stürmer" geschickt haben und der im April 1936 dort veröffentlicht wurde.
    "Wir schneiden die Bilder aus dem "Stürmer" aus und nageln sie in unserem Tagesraum an eine besondere Tafel. Da können die Jungen und Mädchen die Juden in ihrem Aussehen genau kennenlernen. Jeden Sonnabend spielt uns unser Heimleiter mit seinem Handpuppenspiel ein Stück vom Juden vor. Wir besitzen eine Puppe, die einen richtigen Juden darstellt. Sie hat eine Nase wie der Satan."
    Ein Dokument der nationalsozialistischen Erziehung zum Rassehass. Dabei haben die Nazis dieses verzerrte Bild des Juden nicht erfunden. Sie haben fortgeführt und pervertiert, was vermeintlich ernsthafte Wissenschaftler lange vor ihrer Zeit begonnen haben. Denn dass Juden nicht nur aufgrund ihrer Religion, sondern auch sonst anders sind als die Durchschnittsbevölkerung, war schon früh ein Thema der Wissenschaft, sagt Dr. Klaus Hödl, Historiker am Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz.
    "Eine der Leitwissenschaften im 18. und teilweise auch im 19. Jahrhundert war die Anthropologie. Die Anthropologie hat sehr viel mit Analogien gearbeitet. Das heißt man hat verschiedene Teile des Körpers gemessen, quantifiziert und versucht Vergleiche herzustellen zu anderen Menschen, anderen Völkern, Tieren und sonst irgendwas. Und daraus hat man irgendwelche Schlüsse gezogenen. Man hat geglaubt, dass Juden kleiner seien als die nichtjüdische Bevölkerung." Männliche Juden, so meinte man bei Messungen in Osteuropa und bei bayerischen Wehrpflichtigen, herausgefunden zu haben, seien mit 1,60 Metern etwa zehn cm kleiner als der Durchschnitt der übrigen männlichen Bevölkerung und sie hätten auch einen geringeren Brustumfang.
    "Eine der Schlussfolgerungen war, dass Juden einen Körperbau haben, der eher jenem von Frauen gleicht. Gleichzeitig haben Mediziner festgestellt, dass Juden zu Nervenkrankheiten leiden, zu Hysterie, zur Nervenschwäche. Also auch alles Krankheiten, die man bei Frauen festgestellt hat. Und aufgrund dieser Analogie hat man gesagt, der Jude ist verweiblicht."
    Der Körper entschied über die Wertigkeit des Menschen. Juden wie nichtjüdischen Frauen attestierte man eine Unterlegenheit gegenüber den normalen Durchschnittsmännern. Aber, so Klaus Hödl, man konstruierte noch weitergehende Zusammenhänge.
    "Im 18. Jahrhundert hat es verschiedene wissenschaftliche Disziplinen gegeben, die sich mit der Frage beschäftigt haben, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen innerem Wesen und äußeren Erscheinungsformen, dem Körper des Juden. Man hat versucht, etwas typisch Jüdisches festzustellen und das Gesicht des Juden hat eine große Rolle gespielt. Und im Gesicht die Augen. Der Blick, der stechende Blick, der Blick, der irgendwie das Böse des Juden zum Ausdruck bringt."
    Hässlische Paare
    Mit dem Bild des hässlichen, bösen Juden entstand im 19. Jahrhundert auch das Bild des Ariers und die Vorstellung einer arischen Rasse.
    "In einer Abgrenzung gegenüber dem Bild vom Juden. Also es wurden immer so Paare gebildet, der Arier war blond, der Jude war dunkel. Der Arier war groß, der Jude war klein, der Arier war kräftig und gestählt, der Jude war eher bucklig und nicht so kräftig. Das Bild vom Arier wäre sozusagen auch unvollständig gewesen ohne dieses Gegenbild des Juden."
    Inka Le-Huu vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden hat die Vortragsreihe über die deutsch-jüdischen Körperbilder konzipiert. Die Gegensatzpaare Arier und Jude zeigten, sagt sie, dass der Körper ein wichtiger Teil der eigenen Identität sei, sagt, sehe man daran, dass Menschen allein aufgrund ihres Aussehens eingeschätzt würden.
    "Ein Moslem mit blonden Haaren irritiert. Von unserem Bild her haben Leute, die aus dem Orient kommen, mit muslimischer Religion ne dunkle Haarfarbe. Es gibt so bestimmte Körperstereotype, die wir bestimmten Identitäten auch zuschreiben. Das war in der Geschichte so und das ist letztlich auch heute noch so."
    Dabei seien Stereotype nicht per se schlecht, resümiert die Historikerin. Sie würden den Menschen helfen, sich in der Welt zu orientieren. Schlecht sei es aber, wenn Stereotype zu ungerechtfertigten Zuschreibungen führten. Inka Le-Huu spricht aus eigener Erfahrung. Als Halbchinesin wird sie oft gefragt, wieso sie denn so perfekt Deutsch spricht. Das prägt ihr Selbstbild.
    "Also ein Mensch mit einer schwarzen Hautfarbe wird immer gefragt werden, woher er denn kommt. Selbst wenn er in Castrop-Rauxel geboren worden ist, da aufgewachsen ist und noch nie irgendwo anders gelebt hat, wird er sein Leben lang diese Frage zu hören bekommen. Und dann ist die Frage, was macht das mit der Identität dieser Person und welche Identität entsteht dann daraus."
    Ein Stereotyp mit dem Juden seit dem 17. Jahrhundert konfrontiert wurden, war das Stereotyp des verkopften Juden, sagt Inka Le-Huu. Die jüdische Religion galt als Religion der Gelehrsamkeit. Demzufolge galten Juden als Menschen, die sich um die Ertüchtigung des Geistes und nicht um die Ertüchtigung des Körpers kümmerten.
    "Und da ist Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts sozusagen eine Gegenentwicklung entstanden, dass Juden bei einer Neudefinition der jüdischen Identität auch mehr auf ihre Körper geachtet haben. Und da gab es richtig eine Bewegung des Muskeljudentums, nannte man das. Da haben sich Juden gemeinsam zusammengetan und Sport getrieben in Sportvereinen."
    Wie stereotype Körperbilder sich in der Zeit des Nationalsozialismus ausgewirkt haben, hat die Soziologin Dr. Michaela Christ erforscht. Sie ist Mitarbeiterin am Norbert Elias Center for Transformation Design and Research an der Universität Flensburg. Michaela Christ hat sich gefragt, welche Juden in Polen und der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs überlebt haben.
    "Und dabei ist mir immer wieder aufgefallen bei Berichten von Zeitzeugen, dass diese Formulierung gut aussehen sehr häufig verwendet wird. Also, dass Menschen sagen, ich hab überlebt weil ich hab gut ausgesehen. Meine ganze Familie sah gut aus oder so was wie, wissen Sie, mir hat man es nicht angesehen. Ich sah gut aus. Und irgendwann fing ich an, mich zu fragen, was sich eigentlich hinter dieser Formel verbirgt. "
    Für ihre Forschungen sichtete Michaela Christ über einhundert Überlebensberichten und Interviews bei der Shoah-Foundation. Gut aussehen, fand sie heraus, das hieß: keinesfalls in ein Stereotyp der jüdischen Rasse zu passen.
    Formung und Umformung von Körperbildern
    In der lebensgefährlichen Situation der Verfolgung versuchten jüdische Menschen, alles vermeintlich Jüdische an ihrem Aussehen zu kaschieren.
    "Man hat Haare gefärbt und geschnitten, man hat sich rasiert. Dann gab es die Vorstellung, Juden würden sich durch ihre immer so traurigen Augen verraten. Also gab es auch Menschen, die sich die Gesichter verbanden, die Nasen bandagierten oder in Trauerbekleidung umhergingen, um zu suggerieren, sie hätten einen Trauerfall zu beklagen, um irgendwie diese vermeintlich jüdischen Augen zu rechtfertigen.
    Der glatte dunkle Bubikopf, bei den Frauen in den 20er-Jahren Ausdruck von Chic und Modernität, verlor nach 1933 in Deutschland schnell an Attraktivität. Der leicht gewellte Blondschopf passte jetzt besser in die Zeit. Färben lautete das Gebot der Stunde.
    "Die Nachfrage des Blondierens kommt daher, dass es ein Interview mit einem Friseurmeister aus Frankfurt gibt, der sinngemäß sagt, das Blondieren hat im Grunde genommen mit der Nazizeit angefangen. Eine deutsche Frau ist blond und raucht nicht. War damals ein geflügeltes Wort. Was ich damit sagen will, ein Körperbild ist ein Ausdruck der jeweiligen Gesellschaft. Und in der Zeit des Nationalsozialismus ist es sehr stark überformt und geprägt von der NS Ideologie."
    Welche Stereotypen von jüdischen Menschen es heute in Deutschland gibt, hat der Historiker Dr. Daniel Wildmann untersucht. Der stellvertretende Direktor des Leo Beck Instituts in London, analysierte dafür "Tatort"-Filme. "Die jüdischen Figuren sind alle bleich. Es sind oft hässliche Männer. Sie laufen gebückt rum. Sie entsprechen eigentlich antisemitischen Konzeptionen von jüdischen Körpern. Dennoch versucht der Film auch, dass wir Sympathie mit diesen Figuren entwickeln. Die Frage ist aber, warum brauche ich hässliche Juden. Die könnten doch einen Film machen auch mit schönen Juden."
    In dem "Tatort"-Judenbild spiegele sich, so Daniel Wildmann, auch deutsche Ratlosigkeit: "Sie sind vielleicht nicht unbedingt Teil der deutschen Gesellschaft. Aber sie sind auch nicht ausgeschlossen aus der deutschen Gesellschaft. Es ist ein sehr ambivalentes Verhältnis, was hier dargestellt wird. "