"Der Große Kaiser Otto – von ihm singt diese Weise und heißt nach seinem Namen die Ottonenweise – streckt eines Nachts sich zum Schlummer hin, da steht die Pfalz plötzlich durch Zufall in hellen Flammen."
Zur Ausstellungseröffnung im Magdeburger Dom spielt das Ensemble Cantilena Aurea aus Leipzig die Ottonenweise, ein Loblied auf Otto den Großen, das wahrscheinlich zu seiner Kaiserkrönung 962 in Rom erklungen ist. Das Lied preist jene Tat König Otto I., die ihm den Weg zur Kaiserkrone bahnte. Er einte die zerstrittenen Herzöge und sammelte im Jahr 955 ein gewaltiges Heer, als Süddeutschland Gefahr drohte.
"Aufgewacht erhebt er sich als Hoffnung für die Seinen, als ein tödlicher Schrecken sollte er bald über die Feinde kommen; denn jetzt fliegt die Kunde durchs Land, die Ungarn hätten ihre Feldzeichen gegen ihn erhoben."
"Die Ungarn waren so der Schrecken des Abendlandes, diese schnellen Reitereien sind bis nach Italien urplötzlich eingefallen, sind raubend und plündernd durch die Länder ge-zogen und wurden zu einer echten Gefahr für das Reich Otto des Großen, das noch nicht das Römische Reich war zu diesem Zeitpunkt, sondern das ostfränkische Reich, also nörd-lich der Alpen. Und er hat dann die Truppen zusammengezogen und südlich von Augsburg die Entscheidungsschlacht gesucht."
Auf dem Lechfeld kam es 955 zu einer lange umkämpften furchtbaren Schlacht mit hohen Verlusten auf beiden Seiten, so Matthias Puhle, Historiker und Direktor des Kultur-historischen Museums Magdeburg. Die Ungarn aber wurden damals so vernichtend ge-schlagen, dass ihre kriegerischen Einfälle und Raubzüge endeten.
Matthias Puhle kann den Besuchern ein besonderes Zeugnis dieser Ereignisse präsentie-ren, es ist zugleich ein Highlight der Ausstellung: das Prunkschwert Otto des Großen aus dem Domschatz Essen:
"Man konnte jahrzehntelang dieses Schwert immer nur in der Scheide sehen und jetzt ha-ben wir Scheide und Klinge getrennt voneinander, ein wirklich großartiger Blick auf dieses Schwert - das Schwert ist aus dem 10. Jahrhundert, die Scheide wurde im 11. Jahrhundert nachgearbeitet, sie wurde als Prunkscheide hinzugegeben, stammt also nicht aus der Zeit Otto des Großen, sollte aber als eine große ottonische Reliquie im Hauskloster der Ottonen in Essen immer an diesen großen Sieg und an die Herrschaftszeit Otto des Gro-ßen erinnern."
Noch auf dem Schlachtfeld, so berichtet Widukind von Corvey, einer der wichtigsten zeit-genössischen Geschichtsschreiber, sei Otto von seinen Truppen zum Kaiser ausgerufen worden ganz so wie die spätrömischen Soldatenkaiser, aber das ist historisch nicht weiter belegt. Vielmehr beschritt Otto in den folgenden Jahren denselben Weg wie Karl der Große. Über die Heirat mit Adelheid, die den Herrschaftstitel als Mitgift in die Ehe brachte, wurde er König von Italien. Das war eine weitere Voraussetzung, um sich 962 in Rom von Papst Johannes dem XII. zum Kaiser krönen zu lassen. Zum römischen, nicht deutschen Kaiser, weil es Deutschland in dieser Zeit noch nicht gab, und auch weil Otto bewusst einen Herr-schaftsanspruch über das Römische Reich, zumindest das weströmische, erhob.
Das neue Selbstverständnis als römischer Kaiser spiegelte sich in der veränderten Selbst-darstellung, wie sie sich in Urkunden und in seinem Siegel niederschlug. Während Otto zuvor - in der Tradition eines fränkischen Heerführers – kriegerisch, mit Fahne und Schild auftrat, präsentierte er sich auf dem neuen Kaisersiegel in ganz anderer Weise.
"Da haben wir dieses berühmte Siegel, ein Wachssiegel, das auch das Herrschaftsver-ständnis der Kaiser und Könige im Mittelalter wiedergibt. Hier haben wir Otto den Großen vor uns, der uns anschaut, der nicht zur Seite schaut wie in früheren Siegeln vor der Kai-sererhebung, da lässt er sich immer im Profil darstellen, das heißt, er wählt eine Dar-stellung, die nur dem byzantinischen Basileus oder Jesus Christus vorbehalten war, und er stellt sich zumindest im Kaisersiegel auf eine Ebene mit dem oströmischen Kaiser. Er zeigt sich im römischen Ornat, mit den Herrschaftszeichen der damaligen Zeit, Krone, Zepter und Globus, dann haben wir diese berühmte Überschrift: Otto IMP AUG - also Otto, Imperator, Augustus, das heißt übersetzt: Otto, der erhabene Kaiser."
Otto greift eine Herrschaftsform auf und adaptiert sie für das Mittelalter, die tausend Jahre vorher Augustus, damals noch Oktavian, begründet hat. Dieser Geschichte des europäi-schen Kaisertums von den Anfängen bis zu Otto dem Großen widmet sich die Magdebur-ger Ausstellung. In fünf chronologischen Stationen beleuchtet sie die Entstehung des Kaisertums, seine spätantike Verbindung mit dem Christentum durch Konstantin den Großen, im dritten Teil die ungebrochene Kontinuität des oströmischen Kaisertums in Byzanz, seine Wiederentstehung im Westen mit Karl dem Großen, und schließlich die Zeit, in der Otto und seine Dynastie das Kaisertum im Mittelalter fest verankern.
Im Jahre 27. vor Christus verlieh der römische Senat den Titel "Augustus" – der Erhabene, an Oktavian, weil er die Bürgerkriege beendete, in denen die Republik sich zerfleischt hatte, und dem Römischen Reich den lang ersehnten Frieden schenkte. Es war die Geburt des Kaisertums. Aber was bedeutet überhaupt Kaisertum? Warum wurde Oktavian Kaiser und nicht König oder Großkönig wie Xerxes im persischen Reich?
Augustus wurde Kaiser, weil er König nicht sein durfte, pointiert der Altertumsforscher Hartmut Leppin. Denn das Königtum aus den Anfängen Roms, so Leppin, sei die gesamte Republikgeschichte hindurch assoziiert gewesen mit Gewaltherrschaft, Unterdrückung und Freiheitsmangel. Das Königtum war so verhasst, dass es Cäsar , in seinem Streben danach, den Tod einbrachte, obwohl sich doch von seinem Namen der Titel und das deutsche Wort Kaiser oder das russische Zar herleiten.
"Es gab mehrere Versuche in Zeiten der Republik von einzelnen Personen eine Allein-herrschaft zu installieren und dies ist immer als negativ besetzt empfunden worden, egal ob man sich an westlichen Vorbildern orientiert hat oder ob man versucht hat eine Diktatur einzurichten. Und Augustus, muss man einfach sagen, hat aus den Fehlern seiner Vor-gänger gelernt, hat nicht wie sein Onkel Julius Cäsar die Diktatur auf Lebenszeit an-genommen, sondern nachdem er den Bürgerkrieg beendet hatte, seine gesamten Sonder-rechte und Machtbefugnisse an den Senat zurückgegeben, und hat danach etwas getan, was man als Unterwanderung des republikanischen Systems begreifen könnte, er hat es nämlich geschafft, Ämter die sonst auf verschiedene Personen verteilt gewesen sind, nach und nach an seine Person zu binden."
Die Archäologin Ulrike Theisen, als Mitkuratorin insbesondere für den antiken Bereich ver-antwortlich, zeigt, wie sich bei Augustus das Kaisertum formt, wie sich die neue Herrscher-rolle gleichsam füllt mit bestimmten Funktionen und Zuschreibungen. Die Aspekte des Kaisertums spiegeln sich in Statuen und Porträts des Augustus, die für die Ausstellung entsprechend arrangiert sind:
"Der erste Raum, den wir betreten, beschäftigt sich nur mit Augustus und zeigt eben genau diese Funktionen. Sie sehen vier Porträts von lebens- bis etwas überlebensgroß und ein kleines 5,3 cm großes Glasköpfchen, die Augustus jeweils in verschiedenen Rollen-bildern bzw. Funktionen zeigen: Das geht los mit dem kleinen Glaskopf, der exakt diesem berühmten Typus von Primaporta entspricht, also dem Feldherrn. Daneben steht ein Kopf des Augustus mit verhülltem Hinterhaupt, das ist etwas , was der Bürger gemacht hat, wenn er zum Opfer geschritten ist, man hat sich aus Ehrerbietung vor den Göttern den Kopf verhüllt, Augustus zeigt es aber in seiner Funktion als Pontifex Maximus, als oberster Priester."
Weiterhin in der Runde sieht man zwei Köpfe des Augustus, die eine Eichenlaubkrone tra-gen. Eine solche Ehrenkrone, erläutert Ulrike Theisen, erhielt ein Bürger, der einem ande-ren in der Schlacht das Leben gerettet hatte.
"Und Augustus hat diese Krone, diese corona civica, verliehen bekommen für die Be-endigung des Bürgerkrieges und die Errettung aller römischen Bürger vor den Bürgerkrieg, vor dem Tod. Und damit haben wir Augustus in sämtlichen Funktionen, die er auch realiter als Person ausgefüllt hat als Bild vor uns stehen, zwar nur mit dem Kopf, die Statuen sind einfach zu groß und häufig nicht erhalten, aber immerhin können wir ihm ins Gesicht schauen mit all diesen Funktionen."
Die Züge des römischen Kaisertums kristallisieren sich heraus: Der Kaiser ist siegreicher Feldherr, er ist aber auch ein Garant des Friedens und der Ordnung, und er besitzt als oberster Priester eine sakrale Aura, die in der Folgezeit zu einer Vergöttlichung, zum Kai-serkult ausgebaut wird. Erst Konstantin der Große brach mit diesem Kaiserkult, indem er sich dem Christentum zuwandte. Er leitete jene Allianz von Kaisertum und Christentum ein, die für Byzanz und in anderer Weise für das Mittelalter so bestimmend wurden. Konstantins persönliche Motive sind unklar und in der Forschung bis heute umstritten. Gläubig war er selber wohl nicht und ließ sich erst auf dem Sterbebett taufen. Ahnte oder erkannte Konstantin die sozialintegrative Kraft des Christentums und seine universale Spiritualität für das auseinander driftende Römische Reich der Spätantike?
Aus dieser Epoche präsentiert Gabriele Köster, die Kuratorin der Ausstellung, einen be-sonderen archäologischen Fund, der allerdings Konstantins Gegenspieler zugeschrieben wird. Es handelt sich um die Herrschaftszeichen des Kaisers Maxentius, über den Kon-stantin im Jahr 312 in der Schlacht an der Milvischen Brücke triumphierte, jener legendäre Sieg, den Konstantin dem Christengott zuschrieb. Gabriele Köster:
"Sie sehen da zum einen Paradelanzen und Standarten, an die auch noch Banner an-gehängt wurden, und Sie sehen Glaskugeln und auch eine Bronzetülle, das sind Reste von Zeptern, und zwar Zepter ganz verschiedener Form auch gekrönt von einer Kugel, denn die Kugel ist Sinnbild des Kosmos und der Welt, und damit der Anspruch auf Universalherr-schaft, der mit dem Kaisertum ganz eng verbunden ist, und das geht dann auch über auf die späteren mittelalterlichen Kaiser, die sich als Vertreter Christi auf Erden gesehen haben, also von diesen Herrschaftszeichen Zepter und Kugel leiten sich sofort auch das mittel-alterliche und neuzeitliche Zepter und der Reichsapfel ab."
Es handelt sich um einen sensationellen Fund, erklärt Matthias Puhle, der zum ersten Mal in Deutschland gezeigt wird.
"Es sind die sogenannten Herrschaftszeichen des Maxentius, die sorgfältig verborgen worden sind auf dem Palatin in Rom, und vor sieben Jahren erst ergraben worden sind, und die sind deswegen so sensationell, weil es die ersten überlieferten Herrschaftszeichen des antiken Römischen Reiches sind, die auf uns gekommen sind, und man mag es kaum glauben, bei der an sich reichen Überlieferung in Italien, aber es ist tatsächlich so, wir kannten solche Zeichen bis jetzt nur von Münzdarstellungen."
Während das Kaisertum 476 mit dem Ende des Römischen Reiches im Westen unterging, bestand das oströmische Imperium noch 1000 Jahre weiter, - 1453 wurde Konstantinopel von den Osmanen erobert. In diesem griechisch überformten byzantinischen Reich, so veranschaulicht die dritte Abteilung der Ausstellung, gab es eine Kontinuität des Kaiser-tums, getragen von einer Kultur, die dem Westen Jahrhunderte lang überlegen war. Gab-riele Köster:
"Man muss sich vorstellen: Köln gilt als die Metropole im westlichen Abendland, trotz-dem werden es nicht mehr als 20.000 Einwohner im 14. Jahrhundert gewesen sein, die dort lebten, wie viele dort tatsächlich im zehnten Jahrhundert wohnten, weiß man nicht, alle diese Städte im Westen waren relativ überschaubar in unserem heutigen Sinne, keine Großstädte, sondern kleineren Umfangs, Konstantinopel hingegen war nach wie vor eine Metropole, mehrere 100.000 Menschen lebten dort, diese Stadt musste ganz anders or-ganisiert werden, dort gab es ganz andere Strukturen des Wirtschaftslebens, Kunstwerk-stätten, die über Generationen hinaus existierten während im Westen die Einfälle von Un-garn, von Sarazenen, die eigenen Kriege immer wieder diese Kontinuitäten unter-brachen."
Und die byzantinischen Herrscher betrachteten sich als die einzigen und universalen rö-mischen Kaiser. Karl, der Große und Otto I. waren in ihren Augen nur fränkische Könige von minderem Rang. Otto suchte durch Heiratspolitik auf Augenhöhe zu kommen. Mehrfach mussten Gesandtschaften nach Konstantinopel reisen, bis man die Braut-werbung dort akzeptierte und die Prinzessin Theophanu, eine Nichte des Kaisers, in die Ehe mit seinem Sohn, Otto, dem Zweiten, gab.
Die ausgestellte purpurrote Heiratsurkunde der Theophanu – vermutlich in der Buch-malerei von Corvey gefertigt - unterstreicht in ihrer kostbaren Aufmachung, wie sehr man im Westen bemüht war, an das kunsthandwerkliche Niveau Konstantinopels und seiner Prachturkunden heranzureichen.
"Diese Urkunde wurde von Otto dem Großen gemeinsam mit seinem Sohn, dem Bräutigam Otto II. ausgestellt, und in ihr wurde Theophanu ihr Hochzeitsgut über-schrieben, das heißt Ländereien insbesondere in allen Teilen des Reiches, in Belgien genau wie hier in Sachsen-Anhalt, zum Beispiel die Pfalz am Fuße des Kyffhäuser war persön-liches Eigentum Theophanus, und diese Ländereien und Besitzungen sollten dazu dienen, dass diese - junge Frau kann man gar nicht sagen - dass dieses eher kleine Mädchen von zwölf Jahren, das da in den Westen gereist ist, dass das abgesichert war in dem Fall, dass Otto, der Zweite früh sterben sollte, und sie dann eigenen Besitz braucht, um davon zu leben; und das war auch sehr berechtigt, wie sich dann herausgestellt hat, denn Otto der Zweite ist im Alter von 22 Jahren tatsächlich verstorben."
Theophanu gelang es, über etliche Jahre die Regentschaft für ihren vierjährigen Sohn Otto den III. auszuüben, bis er mündig wurde. Mit Blick auf Theophanu, aber auch auf Adelheid, ihre Schwiegermuttter, hat der Heidelberger Historiker Stefan Weinfurter eine weiter-gehende Forschung zur Rolle der Kaiserin im Mittelalter vorgeschlagen. Auch in anderer Hinsicht kratzt die Magdeburger Ausstellung am historischen Bewusstsein. Sie klärt auf und macht deutlich, wie sehr die Erfahrung der letzten deutschen Kaiser das andere Bild des Mittelalters zudeckt oder verzerrt hat. Matthias Puhle:
"In der Tat kann man das sich im Mittelalter herausbildende Römische Reich Deutscher Nation, was dann 1806 zu Ende ging, nur schwer vergleichen mit den Kaiserreichen des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts, wie wir sie eben in Deutschland hatten mit dem wilhelmini-schen Kaiserreich, das sich zwar als Zweites Kaiserreich empfunden hat, aber tatsächlich eine andere Struktur hat, eine nationale Ausrichtung, während das Heilige Römische Reich Deutscher Nation oder das Römische Reich der Antike transnational waren, das waren immer Vielvölkerstaaten, es gab im Mittelalter einen Kaiser, der so etwas wie primus inter pares war, das heißt der konnte nur regieren mit Verbündeten, in der Kirche vor allem aber auch unter dem weltlichen Adel, also mit Durchregieren und diktatorischem Handeln war da nicht viel zu holen."
Und die deutsche Geschichte kennt auch keine durchgängigen Zentralorte, kein Paris oder London. Vielmehr haben sich die Machtzentren immer wieder verschoben. Karl der Große ist besonders mit Aachen verbunden, darauf schaute die Nachkriegszeit und betonte nach der moralischen Katastrophe des Nationalsozialismus das gemeinsam Erbe mit Frankreich, heute im wieder vereinten Deutschland und im der Europäischen Union rücken die Otto-nen und Magdeburg ins Blickfeld, wegen ihre Bedeutung für Ostmitteleuropa.
Die Geschichte der europäischen Kaiserzeit zeigt auch, dass die ältere Vergangenheit in manchem moderner ist als die jüngere Vergangenheit mit ihrer Fixierung auf den National-staat. Denn das antike und das mittelalterliche Kaisertum bezogen sich auf Regionen und auf europäische Räume, – das ist aktuell, auch wenn die Ausstellung personalisiert und Herrscher in den Vordergrund stellt, die in der Geschichte ideologisch missbraucht oder als Helden mythisiert wurden, wie Otto der Große.
"Mit einer Handvoll Kämpfer streckte er die Ungarn zu Boden. Vorher und nachher wird er oft Sieger und weckte bei allen gemeinsame Trauer, als er Namen, Reich und reiches Heil vererbte dem Sohne und entschlummerte."
Zur Ausstellungseröffnung im Magdeburger Dom spielt das Ensemble Cantilena Aurea aus Leipzig die Ottonenweise, ein Loblied auf Otto den Großen, das wahrscheinlich zu seiner Kaiserkrönung 962 in Rom erklungen ist. Das Lied preist jene Tat König Otto I., die ihm den Weg zur Kaiserkrone bahnte. Er einte die zerstrittenen Herzöge und sammelte im Jahr 955 ein gewaltiges Heer, als Süddeutschland Gefahr drohte.
"Aufgewacht erhebt er sich als Hoffnung für die Seinen, als ein tödlicher Schrecken sollte er bald über die Feinde kommen; denn jetzt fliegt die Kunde durchs Land, die Ungarn hätten ihre Feldzeichen gegen ihn erhoben."
"Die Ungarn waren so der Schrecken des Abendlandes, diese schnellen Reitereien sind bis nach Italien urplötzlich eingefallen, sind raubend und plündernd durch die Länder ge-zogen und wurden zu einer echten Gefahr für das Reich Otto des Großen, das noch nicht das Römische Reich war zu diesem Zeitpunkt, sondern das ostfränkische Reich, also nörd-lich der Alpen. Und er hat dann die Truppen zusammengezogen und südlich von Augsburg die Entscheidungsschlacht gesucht."
Auf dem Lechfeld kam es 955 zu einer lange umkämpften furchtbaren Schlacht mit hohen Verlusten auf beiden Seiten, so Matthias Puhle, Historiker und Direktor des Kultur-historischen Museums Magdeburg. Die Ungarn aber wurden damals so vernichtend ge-schlagen, dass ihre kriegerischen Einfälle und Raubzüge endeten.
Matthias Puhle kann den Besuchern ein besonderes Zeugnis dieser Ereignisse präsentie-ren, es ist zugleich ein Highlight der Ausstellung: das Prunkschwert Otto des Großen aus dem Domschatz Essen:
"Man konnte jahrzehntelang dieses Schwert immer nur in der Scheide sehen und jetzt ha-ben wir Scheide und Klinge getrennt voneinander, ein wirklich großartiger Blick auf dieses Schwert - das Schwert ist aus dem 10. Jahrhundert, die Scheide wurde im 11. Jahrhundert nachgearbeitet, sie wurde als Prunkscheide hinzugegeben, stammt also nicht aus der Zeit Otto des Großen, sollte aber als eine große ottonische Reliquie im Hauskloster der Ottonen in Essen immer an diesen großen Sieg und an die Herrschaftszeit Otto des Gro-ßen erinnern."
Noch auf dem Schlachtfeld, so berichtet Widukind von Corvey, einer der wichtigsten zeit-genössischen Geschichtsschreiber, sei Otto von seinen Truppen zum Kaiser ausgerufen worden ganz so wie die spätrömischen Soldatenkaiser, aber das ist historisch nicht weiter belegt. Vielmehr beschritt Otto in den folgenden Jahren denselben Weg wie Karl der Große. Über die Heirat mit Adelheid, die den Herrschaftstitel als Mitgift in die Ehe brachte, wurde er König von Italien. Das war eine weitere Voraussetzung, um sich 962 in Rom von Papst Johannes dem XII. zum Kaiser krönen zu lassen. Zum römischen, nicht deutschen Kaiser, weil es Deutschland in dieser Zeit noch nicht gab, und auch weil Otto bewusst einen Herr-schaftsanspruch über das Römische Reich, zumindest das weströmische, erhob.
Das neue Selbstverständnis als römischer Kaiser spiegelte sich in der veränderten Selbst-darstellung, wie sie sich in Urkunden und in seinem Siegel niederschlug. Während Otto zuvor - in der Tradition eines fränkischen Heerführers – kriegerisch, mit Fahne und Schild auftrat, präsentierte er sich auf dem neuen Kaisersiegel in ganz anderer Weise.
"Da haben wir dieses berühmte Siegel, ein Wachssiegel, das auch das Herrschaftsver-ständnis der Kaiser und Könige im Mittelalter wiedergibt. Hier haben wir Otto den Großen vor uns, der uns anschaut, der nicht zur Seite schaut wie in früheren Siegeln vor der Kai-sererhebung, da lässt er sich immer im Profil darstellen, das heißt, er wählt eine Dar-stellung, die nur dem byzantinischen Basileus oder Jesus Christus vorbehalten war, und er stellt sich zumindest im Kaisersiegel auf eine Ebene mit dem oströmischen Kaiser. Er zeigt sich im römischen Ornat, mit den Herrschaftszeichen der damaligen Zeit, Krone, Zepter und Globus, dann haben wir diese berühmte Überschrift: Otto IMP AUG - also Otto, Imperator, Augustus, das heißt übersetzt: Otto, der erhabene Kaiser."
Otto greift eine Herrschaftsform auf und adaptiert sie für das Mittelalter, die tausend Jahre vorher Augustus, damals noch Oktavian, begründet hat. Dieser Geschichte des europäi-schen Kaisertums von den Anfängen bis zu Otto dem Großen widmet sich die Magdebur-ger Ausstellung. In fünf chronologischen Stationen beleuchtet sie die Entstehung des Kaisertums, seine spätantike Verbindung mit dem Christentum durch Konstantin den Großen, im dritten Teil die ungebrochene Kontinuität des oströmischen Kaisertums in Byzanz, seine Wiederentstehung im Westen mit Karl dem Großen, und schließlich die Zeit, in der Otto und seine Dynastie das Kaisertum im Mittelalter fest verankern.
Im Jahre 27. vor Christus verlieh der römische Senat den Titel "Augustus" – der Erhabene, an Oktavian, weil er die Bürgerkriege beendete, in denen die Republik sich zerfleischt hatte, und dem Römischen Reich den lang ersehnten Frieden schenkte. Es war die Geburt des Kaisertums. Aber was bedeutet überhaupt Kaisertum? Warum wurde Oktavian Kaiser und nicht König oder Großkönig wie Xerxes im persischen Reich?
Augustus wurde Kaiser, weil er König nicht sein durfte, pointiert der Altertumsforscher Hartmut Leppin. Denn das Königtum aus den Anfängen Roms, so Leppin, sei die gesamte Republikgeschichte hindurch assoziiert gewesen mit Gewaltherrschaft, Unterdrückung und Freiheitsmangel. Das Königtum war so verhasst, dass es Cäsar , in seinem Streben danach, den Tod einbrachte, obwohl sich doch von seinem Namen der Titel und das deutsche Wort Kaiser oder das russische Zar herleiten.
"Es gab mehrere Versuche in Zeiten der Republik von einzelnen Personen eine Allein-herrschaft zu installieren und dies ist immer als negativ besetzt empfunden worden, egal ob man sich an westlichen Vorbildern orientiert hat oder ob man versucht hat eine Diktatur einzurichten. Und Augustus, muss man einfach sagen, hat aus den Fehlern seiner Vor-gänger gelernt, hat nicht wie sein Onkel Julius Cäsar die Diktatur auf Lebenszeit an-genommen, sondern nachdem er den Bürgerkrieg beendet hatte, seine gesamten Sonder-rechte und Machtbefugnisse an den Senat zurückgegeben, und hat danach etwas getan, was man als Unterwanderung des republikanischen Systems begreifen könnte, er hat es nämlich geschafft, Ämter die sonst auf verschiedene Personen verteilt gewesen sind, nach und nach an seine Person zu binden."
Die Archäologin Ulrike Theisen, als Mitkuratorin insbesondere für den antiken Bereich ver-antwortlich, zeigt, wie sich bei Augustus das Kaisertum formt, wie sich die neue Herrscher-rolle gleichsam füllt mit bestimmten Funktionen und Zuschreibungen. Die Aspekte des Kaisertums spiegeln sich in Statuen und Porträts des Augustus, die für die Ausstellung entsprechend arrangiert sind:
"Der erste Raum, den wir betreten, beschäftigt sich nur mit Augustus und zeigt eben genau diese Funktionen. Sie sehen vier Porträts von lebens- bis etwas überlebensgroß und ein kleines 5,3 cm großes Glasköpfchen, die Augustus jeweils in verschiedenen Rollen-bildern bzw. Funktionen zeigen: Das geht los mit dem kleinen Glaskopf, der exakt diesem berühmten Typus von Primaporta entspricht, also dem Feldherrn. Daneben steht ein Kopf des Augustus mit verhülltem Hinterhaupt, das ist etwas , was der Bürger gemacht hat, wenn er zum Opfer geschritten ist, man hat sich aus Ehrerbietung vor den Göttern den Kopf verhüllt, Augustus zeigt es aber in seiner Funktion als Pontifex Maximus, als oberster Priester."
Weiterhin in der Runde sieht man zwei Köpfe des Augustus, die eine Eichenlaubkrone tra-gen. Eine solche Ehrenkrone, erläutert Ulrike Theisen, erhielt ein Bürger, der einem ande-ren in der Schlacht das Leben gerettet hatte.
"Und Augustus hat diese Krone, diese corona civica, verliehen bekommen für die Be-endigung des Bürgerkrieges und die Errettung aller römischen Bürger vor den Bürgerkrieg, vor dem Tod. Und damit haben wir Augustus in sämtlichen Funktionen, die er auch realiter als Person ausgefüllt hat als Bild vor uns stehen, zwar nur mit dem Kopf, die Statuen sind einfach zu groß und häufig nicht erhalten, aber immerhin können wir ihm ins Gesicht schauen mit all diesen Funktionen."
Die Züge des römischen Kaisertums kristallisieren sich heraus: Der Kaiser ist siegreicher Feldherr, er ist aber auch ein Garant des Friedens und der Ordnung, und er besitzt als oberster Priester eine sakrale Aura, die in der Folgezeit zu einer Vergöttlichung, zum Kai-serkult ausgebaut wird. Erst Konstantin der Große brach mit diesem Kaiserkult, indem er sich dem Christentum zuwandte. Er leitete jene Allianz von Kaisertum und Christentum ein, die für Byzanz und in anderer Weise für das Mittelalter so bestimmend wurden. Konstantins persönliche Motive sind unklar und in der Forschung bis heute umstritten. Gläubig war er selber wohl nicht und ließ sich erst auf dem Sterbebett taufen. Ahnte oder erkannte Konstantin die sozialintegrative Kraft des Christentums und seine universale Spiritualität für das auseinander driftende Römische Reich der Spätantike?
Aus dieser Epoche präsentiert Gabriele Köster, die Kuratorin der Ausstellung, einen be-sonderen archäologischen Fund, der allerdings Konstantins Gegenspieler zugeschrieben wird. Es handelt sich um die Herrschaftszeichen des Kaisers Maxentius, über den Kon-stantin im Jahr 312 in der Schlacht an der Milvischen Brücke triumphierte, jener legendäre Sieg, den Konstantin dem Christengott zuschrieb. Gabriele Köster:
"Sie sehen da zum einen Paradelanzen und Standarten, an die auch noch Banner an-gehängt wurden, und Sie sehen Glaskugeln und auch eine Bronzetülle, das sind Reste von Zeptern, und zwar Zepter ganz verschiedener Form auch gekrönt von einer Kugel, denn die Kugel ist Sinnbild des Kosmos und der Welt, und damit der Anspruch auf Universalherr-schaft, der mit dem Kaisertum ganz eng verbunden ist, und das geht dann auch über auf die späteren mittelalterlichen Kaiser, die sich als Vertreter Christi auf Erden gesehen haben, also von diesen Herrschaftszeichen Zepter und Kugel leiten sich sofort auch das mittel-alterliche und neuzeitliche Zepter und der Reichsapfel ab."
Es handelt sich um einen sensationellen Fund, erklärt Matthias Puhle, der zum ersten Mal in Deutschland gezeigt wird.
"Es sind die sogenannten Herrschaftszeichen des Maxentius, die sorgfältig verborgen worden sind auf dem Palatin in Rom, und vor sieben Jahren erst ergraben worden sind, und die sind deswegen so sensationell, weil es die ersten überlieferten Herrschaftszeichen des antiken Römischen Reiches sind, die auf uns gekommen sind, und man mag es kaum glauben, bei der an sich reichen Überlieferung in Italien, aber es ist tatsächlich so, wir kannten solche Zeichen bis jetzt nur von Münzdarstellungen."
Während das Kaisertum 476 mit dem Ende des Römischen Reiches im Westen unterging, bestand das oströmische Imperium noch 1000 Jahre weiter, - 1453 wurde Konstantinopel von den Osmanen erobert. In diesem griechisch überformten byzantinischen Reich, so veranschaulicht die dritte Abteilung der Ausstellung, gab es eine Kontinuität des Kaiser-tums, getragen von einer Kultur, die dem Westen Jahrhunderte lang überlegen war. Gab-riele Köster:
"Man muss sich vorstellen: Köln gilt als die Metropole im westlichen Abendland, trotz-dem werden es nicht mehr als 20.000 Einwohner im 14. Jahrhundert gewesen sein, die dort lebten, wie viele dort tatsächlich im zehnten Jahrhundert wohnten, weiß man nicht, alle diese Städte im Westen waren relativ überschaubar in unserem heutigen Sinne, keine Großstädte, sondern kleineren Umfangs, Konstantinopel hingegen war nach wie vor eine Metropole, mehrere 100.000 Menschen lebten dort, diese Stadt musste ganz anders or-ganisiert werden, dort gab es ganz andere Strukturen des Wirtschaftslebens, Kunstwerk-stätten, die über Generationen hinaus existierten während im Westen die Einfälle von Un-garn, von Sarazenen, die eigenen Kriege immer wieder diese Kontinuitäten unter-brachen."
Und die byzantinischen Herrscher betrachteten sich als die einzigen und universalen rö-mischen Kaiser. Karl, der Große und Otto I. waren in ihren Augen nur fränkische Könige von minderem Rang. Otto suchte durch Heiratspolitik auf Augenhöhe zu kommen. Mehrfach mussten Gesandtschaften nach Konstantinopel reisen, bis man die Braut-werbung dort akzeptierte und die Prinzessin Theophanu, eine Nichte des Kaisers, in die Ehe mit seinem Sohn, Otto, dem Zweiten, gab.
Die ausgestellte purpurrote Heiratsurkunde der Theophanu – vermutlich in der Buch-malerei von Corvey gefertigt - unterstreicht in ihrer kostbaren Aufmachung, wie sehr man im Westen bemüht war, an das kunsthandwerkliche Niveau Konstantinopels und seiner Prachturkunden heranzureichen.
"Diese Urkunde wurde von Otto dem Großen gemeinsam mit seinem Sohn, dem Bräutigam Otto II. ausgestellt, und in ihr wurde Theophanu ihr Hochzeitsgut über-schrieben, das heißt Ländereien insbesondere in allen Teilen des Reiches, in Belgien genau wie hier in Sachsen-Anhalt, zum Beispiel die Pfalz am Fuße des Kyffhäuser war persön-liches Eigentum Theophanus, und diese Ländereien und Besitzungen sollten dazu dienen, dass diese - junge Frau kann man gar nicht sagen - dass dieses eher kleine Mädchen von zwölf Jahren, das da in den Westen gereist ist, dass das abgesichert war in dem Fall, dass Otto, der Zweite früh sterben sollte, und sie dann eigenen Besitz braucht, um davon zu leben; und das war auch sehr berechtigt, wie sich dann herausgestellt hat, denn Otto der Zweite ist im Alter von 22 Jahren tatsächlich verstorben."
Theophanu gelang es, über etliche Jahre die Regentschaft für ihren vierjährigen Sohn Otto den III. auszuüben, bis er mündig wurde. Mit Blick auf Theophanu, aber auch auf Adelheid, ihre Schwiegermuttter, hat der Heidelberger Historiker Stefan Weinfurter eine weiter-gehende Forschung zur Rolle der Kaiserin im Mittelalter vorgeschlagen. Auch in anderer Hinsicht kratzt die Magdeburger Ausstellung am historischen Bewusstsein. Sie klärt auf und macht deutlich, wie sehr die Erfahrung der letzten deutschen Kaiser das andere Bild des Mittelalters zudeckt oder verzerrt hat. Matthias Puhle:
"In der Tat kann man das sich im Mittelalter herausbildende Römische Reich Deutscher Nation, was dann 1806 zu Ende ging, nur schwer vergleichen mit den Kaiserreichen des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts, wie wir sie eben in Deutschland hatten mit dem wilhelmini-schen Kaiserreich, das sich zwar als Zweites Kaiserreich empfunden hat, aber tatsächlich eine andere Struktur hat, eine nationale Ausrichtung, während das Heilige Römische Reich Deutscher Nation oder das Römische Reich der Antike transnational waren, das waren immer Vielvölkerstaaten, es gab im Mittelalter einen Kaiser, der so etwas wie primus inter pares war, das heißt der konnte nur regieren mit Verbündeten, in der Kirche vor allem aber auch unter dem weltlichen Adel, also mit Durchregieren und diktatorischem Handeln war da nicht viel zu holen."
Und die deutsche Geschichte kennt auch keine durchgängigen Zentralorte, kein Paris oder London. Vielmehr haben sich die Machtzentren immer wieder verschoben. Karl der Große ist besonders mit Aachen verbunden, darauf schaute die Nachkriegszeit und betonte nach der moralischen Katastrophe des Nationalsozialismus das gemeinsam Erbe mit Frankreich, heute im wieder vereinten Deutschland und im der Europäischen Union rücken die Otto-nen und Magdeburg ins Blickfeld, wegen ihre Bedeutung für Ostmitteleuropa.
Die Geschichte der europäischen Kaiserzeit zeigt auch, dass die ältere Vergangenheit in manchem moderner ist als die jüngere Vergangenheit mit ihrer Fixierung auf den National-staat. Denn das antike und das mittelalterliche Kaisertum bezogen sich auf Regionen und auf europäische Räume, – das ist aktuell, auch wenn die Ausstellung personalisiert und Herrscher in den Vordergrund stellt, die in der Geschichte ideologisch missbraucht oder als Helden mythisiert wurden, wie Otto der Große.
"Mit einer Handvoll Kämpfer streckte er die Ungarn zu Boden. Vorher und nachher wird er oft Sieger und weckte bei allen gemeinsame Trauer, als er Namen, Reich und reiches Heil vererbte dem Sohne und entschlummerte."