"Also die Gesamtbevölkerung wird schrumpfen. Und das kann bestimmte Gegenden dann sehr stigmatisieren."
"Das wird ein Riesenproblem des Landes werden, weil es keine Möglichkeit gibt, mit dem Rückgang der Bevölkerung Infrastruktur aufrechtzuerhalten."
"Man hat über viele Jahre gedacht ... naja, die Menschen wollen draußen in den Vorstädten leben und plötzlich sieht man, dass die Renaissance der Stadt eine grundlegende Entwicklung ist."
"Und vor allem wird es ein Problem der Menschen, die heute aus einer falschen Romantik heraus ihr Haus auf dem Land bauen, weil die Grundstücke dort billiger werden und nicht sehen, dass diese Investitionen nie wieder zurückzuholen sind und unter Umstände komplett verloren gehen."
"Zum anderen - Regionen wie Hamburg, da gibt es Arbeit, da geht es darum, Ressourcen zu suchen in der Stadt."
"Und nun stellt sich die Frage, können die Städte in Zukunft wachsen und können die noch so fossil wachsen? Und für wen sollen die Städte wachsen?"
"Wo wollen wir in Zukunft wohnen? Wie wollen wir wohnen? Und was darf das Ganze kosten?" waren die drei Fragen, die auf dem Hamburger Kongress "Wege des Wohnungsbaus im 21. Jahrhundert" im Mittelpunkt der Diskussion standen. Denn auch wenn in auflagenstarken Zeitschriften die "Lust aufs Land" propagiert wird, in der Realität ist "Stadtlust" angesagt. Immer mehr Menschen wollen zum Beispiel in Hamburg, Berlin, München, Frankfurt oder Köln wohnen. Diese Städte werden auch in Zukunft wachsen. Mit spürbaren Folgen: Dort herrscht Wohnungsmangel. Und Mieten und Immobilienpreise steigen – zumindest in den angesagten Vierteln – immer höher. Die Konsequenz, so Uli Hellweg, Stadtplaner und Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Hamburg:
"Wir müssen neue qualitätsvolle Viertel schaffen. Es kann nicht sein, dass die Leute nur in die angesagten Viertel ziehen. Und das ist der Kernansatz der IBA in dem Leitbild Metrozone."
Die IBA, die Internationale Bauausstellung, die seit 2007 in Hamburg stattfindet, hat sich zum Ziel gesetzt, mit baulichen, sozialen und kulturellen Projekten zu zeigen, "wie die Metropole von morgen auf die Herausforderungen von Globalisierung, Polarisierung und Klimawandel reagieren kann". Eines ihrer westlichen Leitthemen ist die Gestaltung von "Metrozonen". Das sind sozusagen die Hinterhöfe der Städte, gelegen am inneren Stadtrand und trotzdem abgeschottet von der Stadt durch große Straßenschneisen, Mülldeponien oder Einkaufszentren. Und oft mit vielfältigen stadtplanerischen, aber auch sozialen Problemen behaftet. Professor Rolo Fütterer, Stadtplaner an der Fachhochschule Kaiserslautern.
"Metrozonen sind Stellen, die bisher nicht beplant waren und übrig geblieben sind durch Planungen drum herum. Und übrigens mit Emissionen, nicht Apriori bestes Bauland. Und es geht doch darum, diese wertvollen Flächenressourcen in der Stadt mit geringsten Abständen zu einer Infrastruktur sprich Bussen, Straßenbahnen, um die zu aktivieren und dort ein gutes Wohnen möglich zu machen."
Zum Beispiel Hamburg Wilhelmsburg. Eine Elbinsel riesigen Ausmaßes – ein Jahrzehnte lang vernachlässigter Problemkiez nah an Hamburgs Mitte gelegen. Mit sterbenden Industrien und Hafenanlagen, den typischen 70er-Jahre-Wohnsilos, durchschnitten von Verkehrsschneisen - ein multikultureller Schmelztiegel mit mannigfachen sozialen Konflikten. Eine "Metrozone" eben, wie es sie auch in vielen anderen Städten gibt. Wahrlich kein angesagtes Viertel – und dennoch, wie Uli Hellweg meint, ein Viertel mit Potenzial.
"Die ambitionierte Aufgabe, die wir uns gestellt haben am Beispiel von Wilhelmsburg, das ist so ein Hinterhof in Hamburg, zu zeigen, dass diese Räume doch sehr große Potenziale haben, zum Beispiel Wasser, Industriekanäle, Grünflächen."
Im Rahmen der IBA ist in Wilhelmsburg eine "neue Mitte" entstanden. Neue Bildungseinrichtungen, Kindertagesstätten, ein Pflegeheim für türkische Demenzkranke, um die migrantische Stammbevölkerung des Kiezes nicht abzuschrecken. Ein Gebäude mit bunter auffälliger Fassade, in das die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt einzog. Häuser, gebaut mit intelligenten Baustoffen der Zukunft. Mit in die Außenfassade eingelassenen Biomasse-Reaktoren, in denen Algen Energie erzeugen. Ein sogenannter Woodcube, ein Haus, ganz aus Holz verdübelt, ohne Leim und Schutzanstriche. Die neue Mitte bricht mit dem Stadtmodell des 19. Jahrhunderts mit geschlossener Blockstruktur und Tante-Emma-Laden mittendrin ebenso wie mit den monotonen Einfamilienhaussiedlungen der Vorstädte. Die Häuser der IBA wirken eher, wie skurrile Gewächse in Park- und Wasserlandschaften, ohne baulichen Zusammenhang, aber ökologisch nachhaltig konzipiert. Wird hier die Stadt des 21. Jahrhunderts neu erfunden, sozial gemischt, ökologisch korrekt und finanziell erschwinglich?
"Uns war es wichtig als IBA, dass wir eine Entwicklung einleiten, die dann weitergeführt werden kann. Deswegen war wichtig, dass wir 1200 Wohnungen gebaut haben und ein Drittel dieser Wohnungen sind preiswerte, Sozialwohnungen, zwei Drittel sind frei finanzierte Wohnungen. Alle müssen die gültige Energiesparverordnungen um 30 Prozent unterschreiten. Wir haben auch noch 560 Wohnungen energetisch modernisiert. Dann war es wichtig zu zeigen, wie wir lokale Energien nutzen können für die Versorgung der Wohnungen. Zum Beispiel haben wir diesen alten Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg zu einem Kraftwerk umgebaut, das immerhin 3000 Haushalte mit Wärme versorgt, wir haben eine alte Mülldeponie umgebaut zu einem Energieberg, der 4000 Haushalte mit Strom versorgt."
Stadtplanung in Zeiten knapper werdender Rohstoffe muss aber vor allem energieeffizient sein. "Wie wollen wir wohnen", der zweite Aspekt des Hamburger Kongresses, stand dann auch ganz unter dem Leitmotiv der Nachhaltigkeit. Manfred Hegger, Professor für Entwerfen und Energieeffizientes Bauen am Fachbereich Architektur der TU Darmstadt, über die drei Säulen der Nachhaltigkeit:
"Effizienz, Konsistenz Suffizienz. Effizienz ist jedermann klar, da geht es darum, aus einer Einheit - Stoff oder Energie - möglichst viel rauszuholen und da sind wir relativ weit, vor allem was Energie anbelangt. Konsistenz bedeutet, dass wir geschlossene Kreisläufe mehr und mehr haben, einerseits bei den Materialien versuchen so zu bauen, dass wir am Ende des Lebenszyklus der Bauteile oder Materialien austauschen können und die Materialien wiederverwenden können, was heute noch die Ausnahme ist. Und dann haben wir noch die Suffizienz. Und das bedeutet, dass wir uns auch eine bestimmte Selbstbeschränkung auferlegen sollten in der Nutzung. Wir brauchen jedes Jahr mehr Fläche für das Wohnen, was damit zu tun hat, dass die Haushalte kleiner werden. … Wir brauchen mehr kleine Wohnungen."
Im Frühjahr meldete das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden allerdings, dass die Ansprüche an die Wohnungsgröße ständig steigen. Lebte vor 15 Jahren noch jeder Deutsche im Schnitt auf 39 Quadratmeter, so sind es jetzt 45 Quadratmeter, Tendenz steigend. Grund sei vor allem die starke Zunahme von Ein- und Zwei-Personen-Haushalten. Suffizienz ist da ein schöner Anspruch, doch ist er auch realistisch?
"Das ist ein riesiges Thema. Zum Beispiel in New York, dort hat der Bürgermeister Bloomberg jetzt gesagt, wir brauchen mehr kleine Wohnungen, für die, die sich die großen Wohnungen nicht mehr leisten können. Und es werden zunehmend Häuser gebaut, die Wohnungen anbieten zwischen 25 und 35 Quadratmeter. Diese kleinen Miniappartements, die sind extrem intelligent gemacht und bieten flexible Grundrisse und flexibles Mobiliar an."
Manfred Hegger stellte in Hamburg sein neuestes Projekt vor. In Frankfurt baut er gerade eines der ersten mehrgeschossigen "Aktiv-Stadthäuser". Ein Haus mit 74 Wohnungen, das mehr Energie erzeugt als verbraucht, was bislang nur für Einfamilienhäuser realisiert werden konnte.
"Es ist mit Fotovoltaik ausgestattet, genügend, um das ganze Haus in der Jahresbilanz mit der elektrischen Energie für die Haushalte zu versorgen. Die Wärme selbst entziehen wir dem Abwasser. In den großen Abwasserkanal der Straße legen wir einen Wärmetauscher und der ist verbunden mit Wärmepumpen, die dann die Wärme und das Warmwasser erzeigen. Im Erdgeschoss dieser Häuser sind Fahrradstellplätze untergebracht hinter Glas, sodass man immer auch denkt, ich hab mein Fahrrad da, es ist barrierefrei rauszuschieben, ich muss nicht in den Keller und es hochhieven, und daneben gibt es für jede Hauseinheit einige Carsharing-Stellplätze , die auch über den Strom dieses Hauses gespeist werden, die bestellt man eigentlich übers iPad."
Zur spielerischen Sensibilisierung fürs Energiesparen kann jeder Mieter in dem Aktiv-Haus auf dem iPad nachsehen, wie viel Energie er im Vergleich zu den anderen Hausbewohnern verbraucht. Und mit 13,70 Euro - auf städtischem Grund - liegt die Warmmiete sogar leicht unter den Durchschnittsmieten in der Frankfurter Innenstadt. Ob allerdings ein durch Energieeffizienz preisgünstigeres Wohnen den CO2-Fußabdruck der Deutschen wesentlich senken würde, ist die Frage. Denn was würden die Deutschen machen, wenn Sie beim Wohnen Energie- und damit Geld einsparen würden? Rolo Fütterer:
"Ich bin gerade in einem Forschungsprojekt und da haben wir eine Umfrage gemacht zu dem Thema CO2 Bilanz und das war erstaunlich. Also wenn Menschen dann Geld übrig haben, dann auch durch Ersparnisse aus den Heizkosten, die sie nicht bezahlen müssen, dann würden, glaube ich, 60 Prozent das umwandeln in Reisen und dann sind wir wieder bei dem Problem: Das, was wir mit unserer Technologie einsparen, verblasen wir dann als Kerosin."
"Was uns das Wohnen kosten wird" war der dritte Tagesordnungspunkt auf der Hamburger Konferenz. Denn die Kosten für Immobilien in den Wachstumsstädten explodieren. Die Folge ist eine zunehmende "Entmischung" sozialer Milieus. Um auch weniger finanzstarke Menschen in den Städten zu halten, konstruierte ein Kölner Architektenbüro in Wilhelmsburg gar einen sogenannten fünfgeschossigen "Grundbau". In diesem Bauskelett können dann die zukünftigen Bewohner selbst Hand anlegen und die Wohnungen nach ihren finanziellen Möglichkeiten gestalten. Baumaterial plus Handbuch mit Bauanleitung wird mitgeliefert. Und Prof. Paolo Fusi entwickelte in Wilhelmsburg das ‚Prinzip Fertighaus‘ weiter. Was früher als "Plattenbau" verschrien war, ist bei dem Professor für Städtebau an der HafenCity Universität Hamburg ein schicker, ökologisch korrekter kubischer Bau geworden mit einzelnen hochflexiblen Lofts darin.
"Loftcharakter bedeutet, dass wir eine primär tragende Struktur haben, dass wir Räume gestalten, die alle haustechnischen und technischen Bedürfnisse erfüllen. Aber gleichzeitig können sie ständig von den Bewohnern umgestaltet werden, mit Schiebelementen, mit klappbaren Betten oder mit ständiger Neugestaltung der Möblierung, sodass man zwischen Tag und Nacht oder Generationswechsel diese offenen flexiblen Räume immer neu interpretieren kann, neu anpassen kann."
Doch letztlich sind solche Projekte Solitäre in einem zunehmend durch Privatinvestoren und Luxusimmobilien bestimmten städtischen Raum. Rolo Fütterer sieht deshalb die Politik am Zuge, die der zunehmenden Segregation – der Entmischung verschiedener sozialer Milieus - entgegenwirken müsse.
"Wer baut die Stadt? Stadt war immer eine kollektive Angelegenheit und durch dieses Vakuum, was entsteht. Alles den Privatinvestoren zu überlassen, ist dann eine Lücke da, die wiederum geschlossen werden muss. Und dazu ist Innovation notwendig, auf volkswirtschaftlicher Ebene. Und das ist natürlich dann das Thema geförderter Wohnungsbau, also, wie günstig kann ich wohnen. Wo wollen wir wohnen, wo sollen wir wohnen, das ist eine politische Entscheidung."
Für Uli Hellweg sind es die Metrozonen, in denen die Stadt des 21. Jahrhunderts sich weiter entwickeln kann. Diese aufzuwerten, ohne allerdings die Alteingesessenen zu verdrängen, scheint ihm die Chance für neue sozial durchmischte urbane Orte. In Wilhelmsburg sieht er solche Ideen auf einem guten Weg:
"Das sind drei verschiedene Gruppen, die in die Neubauten reingehen. Das sind einmal Leute, die vom Land wieder zurückkommen in die Stadt, weil sie in der Stadt leben wollen. Dann sind es junge Leute, die in den gentrifizierten Vierteln verdrängt worden sind, weil sie Familie gründen oder mit den Eltern zusammenziehen. Und die dritte Gruppe sind Leute, die früher weggezogen sind aus Wilhelmsburg, wenn ihre Kinder in die Schulen kamen und die jetzt bleiben, weil sie sehen, dass die Schulen einen gewaltigen Sprung getan haben. Dagegen steht dann eine Angst bei den Leuten, die hier leben, dass sie irgendwann die Mieten nicht mehr zahlen können. Und deshalb haben wir immer ganz gezielt Wert darauf gelegt, für die Leute die hier leben, das sind ja viele Migranten, eine entsprechende Infrastruktur zu bauen, die sie ermutigt zu bleiben …, dass wir die Struktur, die hier ist, auch halten wollen. Allein in die Neubauten wollen wir Leute holen, die früher weggezogen sind."
"Das wird ein Riesenproblem des Landes werden, weil es keine Möglichkeit gibt, mit dem Rückgang der Bevölkerung Infrastruktur aufrechtzuerhalten."
"Man hat über viele Jahre gedacht ... naja, die Menschen wollen draußen in den Vorstädten leben und plötzlich sieht man, dass die Renaissance der Stadt eine grundlegende Entwicklung ist."
"Und vor allem wird es ein Problem der Menschen, die heute aus einer falschen Romantik heraus ihr Haus auf dem Land bauen, weil die Grundstücke dort billiger werden und nicht sehen, dass diese Investitionen nie wieder zurückzuholen sind und unter Umstände komplett verloren gehen."
"Zum anderen - Regionen wie Hamburg, da gibt es Arbeit, da geht es darum, Ressourcen zu suchen in der Stadt."
"Und nun stellt sich die Frage, können die Städte in Zukunft wachsen und können die noch so fossil wachsen? Und für wen sollen die Städte wachsen?"
"Wo wollen wir in Zukunft wohnen? Wie wollen wir wohnen? Und was darf das Ganze kosten?" waren die drei Fragen, die auf dem Hamburger Kongress "Wege des Wohnungsbaus im 21. Jahrhundert" im Mittelpunkt der Diskussion standen. Denn auch wenn in auflagenstarken Zeitschriften die "Lust aufs Land" propagiert wird, in der Realität ist "Stadtlust" angesagt. Immer mehr Menschen wollen zum Beispiel in Hamburg, Berlin, München, Frankfurt oder Köln wohnen. Diese Städte werden auch in Zukunft wachsen. Mit spürbaren Folgen: Dort herrscht Wohnungsmangel. Und Mieten und Immobilienpreise steigen – zumindest in den angesagten Vierteln – immer höher. Die Konsequenz, so Uli Hellweg, Stadtplaner und Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Hamburg:
"Wir müssen neue qualitätsvolle Viertel schaffen. Es kann nicht sein, dass die Leute nur in die angesagten Viertel ziehen. Und das ist der Kernansatz der IBA in dem Leitbild Metrozone."
Die IBA, die Internationale Bauausstellung, die seit 2007 in Hamburg stattfindet, hat sich zum Ziel gesetzt, mit baulichen, sozialen und kulturellen Projekten zu zeigen, "wie die Metropole von morgen auf die Herausforderungen von Globalisierung, Polarisierung und Klimawandel reagieren kann". Eines ihrer westlichen Leitthemen ist die Gestaltung von "Metrozonen". Das sind sozusagen die Hinterhöfe der Städte, gelegen am inneren Stadtrand und trotzdem abgeschottet von der Stadt durch große Straßenschneisen, Mülldeponien oder Einkaufszentren. Und oft mit vielfältigen stadtplanerischen, aber auch sozialen Problemen behaftet. Professor Rolo Fütterer, Stadtplaner an der Fachhochschule Kaiserslautern.
"Metrozonen sind Stellen, die bisher nicht beplant waren und übrig geblieben sind durch Planungen drum herum. Und übrigens mit Emissionen, nicht Apriori bestes Bauland. Und es geht doch darum, diese wertvollen Flächenressourcen in der Stadt mit geringsten Abständen zu einer Infrastruktur sprich Bussen, Straßenbahnen, um die zu aktivieren und dort ein gutes Wohnen möglich zu machen."
Zum Beispiel Hamburg Wilhelmsburg. Eine Elbinsel riesigen Ausmaßes – ein Jahrzehnte lang vernachlässigter Problemkiez nah an Hamburgs Mitte gelegen. Mit sterbenden Industrien und Hafenanlagen, den typischen 70er-Jahre-Wohnsilos, durchschnitten von Verkehrsschneisen - ein multikultureller Schmelztiegel mit mannigfachen sozialen Konflikten. Eine "Metrozone" eben, wie es sie auch in vielen anderen Städten gibt. Wahrlich kein angesagtes Viertel – und dennoch, wie Uli Hellweg meint, ein Viertel mit Potenzial.
"Die ambitionierte Aufgabe, die wir uns gestellt haben am Beispiel von Wilhelmsburg, das ist so ein Hinterhof in Hamburg, zu zeigen, dass diese Räume doch sehr große Potenziale haben, zum Beispiel Wasser, Industriekanäle, Grünflächen."
Im Rahmen der IBA ist in Wilhelmsburg eine "neue Mitte" entstanden. Neue Bildungseinrichtungen, Kindertagesstätten, ein Pflegeheim für türkische Demenzkranke, um die migrantische Stammbevölkerung des Kiezes nicht abzuschrecken. Ein Gebäude mit bunter auffälliger Fassade, in das die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt einzog. Häuser, gebaut mit intelligenten Baustoffen der Zukunft. Mit in die Außenfassade eingelassenen Biomasse-Reaktoren, in denen Algen Energie erzeugen. Ein sogenannter Woodcube, ein Haus, ganz aus Holz verdübelt, ohne Leim und Schutzanstriche. Die neue Mitte bricht mit dem Stadtmodell des 19. Jahrhunderts mit geschlossener Blockstruktur und Tante-Emma-Laden mittendrin ebenso wie mit den monotonen Einfamilienhaussiedlungen der Vorstädte. Die Häuser der IBA wirken eher, wie skurrile Gewächse in Park- und Wasserlandschaften, ohne baulichen Zusammenhang, aber ökologisch nachhaltig konzipiert. Wird hier die Stadt des 21. Jahrhunderts neu erfunden, sozial gemischt, ökologisch korrekt und finanziell erschwinglich?
"Uns war es wichtig als IBA, dass wir eine Entwicklung einleiten, die dann weitergeführt werden kann. Deswegen war wichtig, dass wir 1200 Wohnungen gebaut haben und ein Drittel dieser Wohnungen sind preiswerte, Sozialwohnungen, zwei Drittel sind frei finanzierte Wohnungen. Alle müssen die gültige Energiesparverordnungen um 30 Prozent unterschreiten. Wir haben auch noch 560 Wohnungen energetisch modernisiert. Dann war es wichtig zu zeigen, wie wir lokale Energien nutzen können für die Versorgung der Wohnungen. Zum Beispiel haben wir diesen alten Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg zu einem Kraftwerk umgebaut, das immerhin 3000 Haushalte mit Wärme versorgt, wir haben eine alte Mülldeponie umgebaut zu einem Energieberg, der 4000 Haushalte mit Strom versorgt."
Stadtplanung in Zeiten knapper werdender Rohstoffe muss aber vor allem energieeffizient sein. "Wie wollen wir wohnen", der zweite Aspekt des Hamburger Kongresses, stand dann auch ganz unter dem Leitmotiv der Nachhaltigkeit. Manfred Hegger, Professor für Entwerfen und Energieeffizientes Bauen am Fachbereich Architektur der TU Darmstadt, über die drei Säulen der Nachhaltigkeit:
"Effizienz, Konsistenz Suffizienz. Effizienz ist jedermann klar, da geht es darum, aus einer Einheit - Stoff oder Energie - möglichst viel rauszuholen und da sind wir relativ weit, vor allem was Energie anbelangt. Konsistenz bedeutet, dass wir geschlossene Kreisläufe mehr und mehr haben, einerseits bei den Materialien versuchen so zu bauen, dass wir am Ende des Lebenszyklus der Bauteile oder Materialien austauschen können und die Materialien wiederverwenden können, was heute noch die Ausnahme ist. Und dann haben wir noch die Suffizienz. Und das bedeutet, dass wir uns auch eine bestimmte Selbstbeschränkung auferlegen sollten in der Nutzung. Wir brauchen jedes Jahr mehr Fläche für das Wohnen, was damit zu tun hat, dass die Haushalte kleiner werden. … Wir brauchen mehr kleine Wohnungen."
Im Frühjahr meldete das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden allerdings, dass die Ansprüche an die Wohnungsgröße ständig steigen. Lebte vor 15 Jahren noch jeder Deutsche im Schnitt auf 39 Quadratmeter, so sind es jetzt 45 Quadratmeter, Tendenz steigend. Grund sei vor allem die starke Zunahme von Ein- und Zwei-Personen-Haushalten. Suffizienz ist da ein schöner Anspruch, doch ist er auch realistisch?
"Das ist ein riesiges Thema. Zum Beispiel in New York, dort hat der Bürgermeister Bloomberg jetzt gesagt, wir brauchen mehr kleine Wohnungen, für die, die sich die großen Wohnungen nicht mehr leisten können. Und es werden zunehmend Häuser gebaut, die Wohnungen anbieten zwischen 25 und 35 Quadratmeter. Diese kleinen Miniappartements, die sind extrem intelligent gemacht und bieten flexible Grundrisse und flexibles Mobiliar an."
Manfred Hegger stellte in Hamburg sein neuestes Projekt vor. In Frankfurt baut er gerade eines der ersten mehrgeschossigen "Aktiv-Stadthäuser". Ein Haus mit 74 Wohnungen, das mehr Energie erzeugt als verbraucht, was bislang nur für Einfamilienhäuser realisiert werden konnte.
"Es ist mit Fotovoltaik ausgestattet, genügend, um das ganze Haus in der Jahresbilanz mit der elektrischen Energie für die Haushalte zu versorgen. Die Wärme selbst entziehen wir dem Abwasser. In den großen Abwasserkanal der Straße legen wir einen Wärmetauscher und der ist verbunden mit Wärmepumpen, die dann die Wärme und das Warmwasser erzeigen. Im Erdgeschoss dieser Häuser sind Fahrradstellplätze untergebracht hinter Glas, sodass man immer auch denkt, ich hab mein Fahrrad da, es ist barrierefrei rauszuschieben, ich muss nicht in den Keller und es hochhieven, und daneben gibt es für jede Hauseinheit einige Carsharing-Stellplätze , die auch über den Strom dieses Hauses gespeist werden, die bestellt man eigentlich übers iPad."
Zur spielerischen Sensibilisierung fürs Energiesparen kann jeder Mieter in dem Aktiv-Haus auf dem iPad nachsehen, wie viel Energie er im Vergleich zu den anderen Hausbewohnern verbraucht. Und mit 13,70 Euro - auf städtischem Grund - liegt die Warmmiete sogar leicht unter den Durchschnittsmieten in der Frankfurter Innenstadt. Ob allerdings ein durch Energieeffizienz preisgünstigeres Wohnen den CO2-Fußabdruck der Deutschen wesentlich senken würde, ist die Frage. Denn was würden die Deutschen machen, wenn Sie beim Wohnen Energie- und damit Geld einsparen würden? Rolo Fütterer:
"Ich bin gerade in einem Forschungsprojekt und da haben wir eine Umfrage gemacht zu dem Thema CO2 Bilanz und das war erstaunlich. Also wenn Menschen dann Geld übrig haben, dann auch durch Ersparnisse aus den Heizkosten, die sie nicht bezahlen müssen, dann würden, glaube ich, 60 Prozent das umwandeln in Reisen und dann sind wir wieder bei dem Problem: Das, was wir mit unserer Technologie einsparen, verblasen wir dann als Kerosin."
"Was uns das Wohnen kosten wird" war der dritte Tagesordnungspunkt auf der Hamburger Konferenz. Denn die Kosten für Immobilien in den Wachstumsstädten explodieren. Die Folge ist eine zunehmende "Entmischung" sozialer Milieus. Um auch weniger finanzstarke Menschen in den Städten zu halten, konstruierte ein Kölner Architektenbüro in Wilhelmsburg gar einen sogenannten fünfgeschossigen "Grundbau". In diesem Bauskelett können dann die zukünftigen Bewohner selbst Hand anlegen und die Wohnungen nach ihren finanziellen Möglichkeiten gestalten. Baumaterial plus Handbuch mit Bauanleitung wird mitgeliefert. Und Prof. Paolo Fusi entwickelte in Wilhelmsburg das ‚Prinzip Fertighaus‘ weiter. Was früher als "Plattenbau" verschrien war, ist bei dem Professor für Städtebau an der HafenCity Universität Hamburg ein schicker, ökologisch korrekter kubischer Bau geworden mit einzelnen hochflexiblen Lofts darin.
"Loftcharakter bedeutet, dass wir eine primär tragende Struktur haben, dass wir Räume gestalten, die alle haustechnischen und technischen Bedürfnisse erfüllen. Aber gleichzeitig können sie ständig von den Bewohnern umgestaltet werden, mit Schiebelementen, mit klappbaren Betten oder mit ständiger Neugestaltung der Möblierung, sodass man zwischen Tag und Nacht oder Generationswechsel diese offenen flexiblen Räume immer neu interpretieren kann, neu anpassen kann."
Doch letztlich sind solche Projekte Solitäre in einem zunehmend durch Privatinvestoren und Luxusimmobilien bestimmten städtischen Raum. Rolo Fütterer sieht deshalb die Politik am Zuge, die der zunehmenden Segregation – der Entmischung verschiedener sozialer Milieus - entgegenwirken müsse.
"Wer baut die Stadt? Stadt war immer eine kollektive Angelegenheit und durch dieses Vakuum, was entsteht. Alles den Privatinvestoren zu überlassen, ist dann eine Lücke da, die wiederum geschlossen werden muss. Und dazu ist Innovation notwendig, auf volkswirtschaftlicher Ebene. Und das ist natürlich dann das Thema geförderter Wohnungsbau, also, wie günstig kann ich wohnen. Wo wollen wir wohnen, wo sollen wir wohnen, das ist eine politische Entscheidung."
Für Uli Hellweg sind es die Metrozonen, in denen die Stadt des 21. Jahrhunderts sich weiter entwickeln kann. Diese aufzuwerten, ohne allerdings die Alteingesessenen zu verdrängen, scheint ihm die Chance für neue sozial durchmischte urbane Orte. In Wilhelmsburg sieht er solche Ideen auf einem guten Weg:
"Das sind drei verschiedene Gruppen, die in die Neubauten reingehen. Das sind einmal Leute, die vom Land wieder zurückkommen in die Stadt, weil sie in der Stadt leben wollen. Dann sind es junge Leute, die in den gentrifizierten Vierteln verdrängt worden sind, weil sie Familie gründen oder mit den Eltern zusammenziehen. Und die dritte Gruppe sind Leute, die früher weggezogen sind aus Wilhelmsburg, wenn ihre Kinder in die Schulen kamen und die jetzt bleiben, weil sie sehen, dass die Schulen einen gewaltigen Sprung getan haben. Dagegen steht dann eine Angst bei den Leuten, die hier leben, dass sie irgendwann die Mieten nicht mehr zahlen können. Und deshalb haben wir immer ganz gezielt Wert darauf gelegt, für die Leute die hier leben, das sind ja viele Migranten, eine entsprechende Infrastruktur zu bauen, die sie ermutigt zu bleiben …, dass wir die Struktur, die hier ist, auch halten wollen. Allein in die Neubauten wollen wir Leute holen, die früher weggezogen sind."