"Ich möchte nicht die weit über 150 Projekte auch nur annäherungsweise vorstellen, sondern auf einige Punkte eingehen, das heißt, es geht einmal darum, neue Forschungsprojekte zu präsentieren, dann auch neue Forschungsschwerpunkte anzusprechen und über neue Infrastruktur zu sprechen im Bereich Kulturerhalt. Aber auch im Bereich Informationstechnologie."
Soweit Professorin Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts, vergangene Woche auf der Jahrespressekonferenz. Zu den neuen Projekten gehören zum Beispiel Forschungen in Katar, die sich mit der Entstehung der Oasenwirtschaft beschäftigen. Auch das größte Archiv der Archäologie des Sudan wollen die Wissenschaftler digitalisieren. Oder den Schutz von Denkmälern in der Türkei unterstützen.
Ein zunehmend wichtiges Thema ist die Transformationspartnerschaft im arabischen Raum und zum Beispiel die aktuelle Situation in Ägypten. Nicht nur dort werden Archäologen bei ihren Arbeiten vor Ort damit konfrontiert, dass die Rahmenbedingungen schwierig sind oder Grabungen erst gar nicht zulassen. Anlässlich der Jahrespressekonferenz des Deutschen Archäologischen Instituts sprach Barbara Weber mit Wissenschaftlern, wie sie unter diesen erschwerten Bedingungen arbeiten:
"Wir haben natürlich die Revolution in Kairo miterlebt. Ich bin ja die ganze Zeit auch dort gewesen und geblieben. Und ich erinnere mich sehr gern, dass das aufregend war, aber auch eine euphorische Stimmung."
Professor Stephan Seidlmayer ist Direktor der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts.
"Es war wirklich eine Stimmung, die die gesamte Gesellschaft durchzogen hat. Der Konsens darüber, so, wie bisher, nicht mehr weitermachen zu wollen, etwas Neues zu beginnen. Das war eigentlich wunderbar."
Inzwischen zeigt sich, dass der so hoffnungsvoll begonnene Aufstand nicht zu dem von vielen erwarteten Ergebnis geführt hat.
"Die Ungeduld ist sehr groß. Es ist ja hier durch die Presse gegangen, dass es in den letzten Monaten - im Moment ist es viel ruhiger - auch gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben hat."
Stephan Seidlmayer skizziert auf der Jahrespressekonferenz des Deutschen Archäologischen Instituts, kurz DAI, seine Sicht der Revolution in Ägypten. Es ist eine Gradwanderung: Einerseits lässt sich die Lage nicht beschönigen. Eine Demokratie nach westlichem Vorbild - so sie denn überhaupt angestrebt wurde - ist nicht in Sicht. Die Nahostarchitektur ist fragiler geworden.
Andererseits können die Wissenschaftler vor Ort kein Interesse an einer Konfrontation mit der jeweiligen politischen Führung haben, könnte das doch die Arbeit erheblich erschweren, im schlimmsten Fall vielleicht sogar das Aus jeglicher Forschung im Land bedeuten.
So umschreibt der Chef des DAI Kairo mit viel diplomatischem Geschick die Lage vor Ort und beruhigt erst einmal.
"Wir sind selbst davon nicht tangiert. Kairo ist eine riesenhafte Stadt, da können Unruhen, ganz reale, auch schlimme Unruhen stattfinden. Und man sitzt an einer anderen Stelle und merkt davon nichts. Insofern ist unsere Arbeit von diesen Entwicklungen zunächst einmal nicht im Grundsatz berührt."
Andererseits gibt es schon einige Aspekte, die die Arbeit der Wissenschaftler vor Ort betreffen:
"Man kann sich und will sich im Grundsatz der Wahrnehmung nicht entziehen."
Schränkt der Archäologe ein.
"Wir haben die Situation mit Raubgrabungen. Wir sind natürlich in einer Lage, in der die Belange der Antiken - wenn sie die vielen Probleme der Nation sehen - nicht mehr an erster Stelle rangieren. Und das birgt immer die Gefahr, dass dann einzelne Leute in ganz momentanen Interessen, auch ohne so richtig zu verstehen, womit sie umgehen, Dinge zerstören, auf archäologisch wichtige Flächen Häuser bauen oder Friedhöfe anlegen. Das sind Dinge, durch die dann das nationale Erbe und das Interesse Ägyptens auf längere Frist schwer beschädigt werden kann, von kriminellem Grabraub rede ich gar nicht. Das ist natürlich das Allerschlimmste, vor allen Dingen, wenn sich kriminelle Strukturen stabilisieren, was ja immer bedeutet auch, die Absatzstrukturen auf den westlichen, inzwischen vielleicht auch auf den östlichen, fernöstlichen Märkten. Das ist eigentlich auf dem Gebiet die größte Gefahr."
Raubgrabungen waren immer ein latenter Begleiter archäologischer Forschung. In Krisenzeiten spitzt sich die Situation dann zu. Aktuell betroffen ist zum Beispiel der Pyramidenfriedhof von Dahschur, ein Ort, an dem Stephan Seidlmayer mit anderen Wissenschaftlern arbeitet.
"Es ist leider so, dass die Ordnungsstrukturen in Ägypten schon durch die Revolution in der Folge der Revolution erschüttert sind und auch die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung gelenkt ist. Und ich glaube, man muss schon zugeben, dass es schwieriger geworden ist."
Deutsche Archäologen arbeiten seit über hundert Jahren in Ägypten; das führte 1907 zur Gründung eines archäologischen Instituts in Kairo. Inzwischen wird im Land an vielen Stellen unter deutscher Mitarbeit geforscht: Zum Beispiel graben seit 1904 Wissenschaftler in Theben, unweit des berühmten Tals der Könige, immer auch in enger Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort.
"Sie müssen sich vorstellen, die ägyptische Antikenbehörde ist ein riesenhafter Apparat von vielen 10.000 Menschen. Und der bildet einen Querschnitt durch die ganze ägyptische Gesellschaft und durch alle die Lebenssituationen. Und die Spannungen, die in der Gesellschaft selbst vorhanden sind, bilden sich im Antikendienst selbst auch aus."
Während unter dem früheren, umstrittenen Antikenminister Zahi Hawass eine sehr klare, manchmal auch rigide Linie gefahren wurde, hat die Revolution auch vor der Antikenbehörde nicht haltgemacht: Das System wird demokratischer, was aber in der Praxis bedeutet,
"dass Dinge weniger gut funktionieren, als sie vorher mal funktioniert haben und als sie in der Zukunft sicher viel besser funktionieren werden. Da müssen einfach neue Spielregeln ausgehandelt werden. Und man muss sich in der Steuerung einer solchen pluralen Organisation neu orientieren. Wir sehen es zum Beispiel daran, dass wir die entscheidenden Erlaubnisse, Entscheidungen, Konzessionen aus der Zentrale in Kairo bekommen und mit dem Papier dann an das örtliche Inspektorat kommen und sagen, wir haben die Erlaubnis, das und das zu machen. Und wir hören dann manchmal, dass sie sagen, ja, in Kairo, da wird ja alles Mögliche erlaubt, aber hier geht das überhaupt nicht. Und ich finde das an sich nicht verkehrt."
So Stephan Seidlmayer, andererseits sei es aber unbequem ...
"Gerade für ein Projekt, zu dem man Leute aus dem Ausland einfliegt- Ind so versteht man auch, dass das ein zusätzlicher Reibungsverlust ist."
Vor Ort zu graben ist für seine Kollegin, Dr. Iris Gerlach, Leiterin der Außenstelle Sana'a des Deutschen Archäologischen Instituts, in weite Ferne gerückt. Sie kam vergangene Woche aus dem Jemen.
"In Sana'a selbst ist es relativ ruhig. Generell hat sich das Land auch stabilisiert, auch mit der Wahl des neuen Präsidenten. Es gibt noch Unruhen im Süden des Landes, also separatistische Bewegungen, die wieder einen Südjemen haben wollen, getrennt vom Nordjemen und ganz im Norden des Landes auch noch schiitische Gruppen, die gegen die Zentralregierung agieren. In Sana'a selbst besteht für uns Ausländer eigentlich die Gefahr der Entführung. Es werden immer wieder Ausländer entführt, die anders, als früher, nicht nur in den Stämmen verbleiben, sondern teilweise wohl offensichtlich auch weiter verkauft werden an Al Kaida im Süden des Landes. Und von daher ist natürlich Vorsicht geboten. Aber wenn man das beachtet, dann kann man dort wieder tätig sein."
Im Jemen interessiert die deutschen Wissenschaftler die antike sabäische Kultur, bekannt und legendär auch hierzulande durch den Mythos der Königin von Saba, deren Existenz aber bislang nicht nachgewiesen werden konnte. Wenn überhaupt, wird das auch noch ein wenig dauern, denn Grabungen im Land würde die Archäologin derzeit komplett ausschließen:
"Nein, wir sollen also möglichst Sana'a nicht verlassen und schon gar nicht mit einem großen Team außerhalb der Stadt, egal wo, jetzt zurzeit im Land tätig werden. Wir hatten bis zum Januar 2011, also bis kurz vor Beginn der Krise, ein Projekt circa 40 Kilometer außerhalb von Sana'a. Das könnte ich mir als Erstes, wenn sich die Lage weiter stabilisiert, vorstellen, dass man dort in diesem sabäischen Ort im Hochland des Jemen wieder tätig wird. Marib liegt noch 150 Kilometer weiter im Osten, in einer sogenannten No-go-Area. Also, bis wir da wieder hin können, also das ist wirklich nicht von der Zentralregierung kontrolliert. Da wird noch ein unbestimmter Zeitraum vergehen."
Marib ist die Hauptstadt des antiken Reiches von Saba, in der heutigen Provinz Marib gelegen. Daneben forschten die Wissenschaftler in Sirwah , ein weiteres sabäisches Zentrum, nur 40 Kilometer entfernt von Marib. In der Oase von Marib liegt auch der Awam-Tempel mit dem dazugehörigen Friedhof.
"Das ist eine Grabung, die wir 1996 begonnen haben, mausoleenartige, turmartige Gebäude, die wir da freigelegt haben. Überhaupt das erste Mal eine systematische Grabung in einem Friedhof durchgeführt wurde, wo die ganzen Toten in Stockwerken nach Familienzusammenhängen dort bestattet wurden. Sirwah selbst: Eine kleine Stadt muss man sich vorstellen mit einer sehr frühen Stadtmauer, das heißt so Beginn des ersten Jahrtausend vor Christus mit einem wunderbar großen Tempel, den wir auch bis 2009 fertig ausgegraben und restauriert haben, also eine sehr, sehr glückliche Kombination."
Die auch zur Touristenattraktion werden sollte: Theoretisch ideal und lehrreich, praktisch ein mögliches Himmelfahrtskommando, denn das Auswärtige Amt warnt vor der Einreise. Wie schwierig die Lage schon in ruhigeren Zeiten war, zeigt die Vorgehensweise der Archäologen. Im Vorfeld mussten die Wissenschaftler immer Absprachen mit dem Stamm treffen, auf dessen Gebiet sich die archäologischen Ruinen befinden.
"Da geht es um ganz logistische Dinge, zum Beispiel, wie viele Arbeiter werden eingestellt, welcher Fahrer, welcher Transport, woher kommt das Wasser, welche Wächter werden uns zur Verfügung gestellt, um auch die Sicherheit vor Ort zu garantieren."
Um zu wissen, wer ihr Ansprechpartner vor Ort ist, müssen die Deutschen ethnologische Studien durchführen. Die jeweiligen Stammesstrukturen sollten bekannt sein. Die Verhandlungen führt auf deutscher Seite die Chefin, nämlich Iris Gerlach.
"Wichtig ist, dass man auch mit lokalen Leuten, die vielleicht auch aus Sana'a kommen, sofort auch zum höchsten Scheich geführt wird und von dort aus dann hierarchisch die ganzen verschiedenen Bereiche bespricht und weitergereicht wird sozusagen."
Und noch ein Punkt versteht sich quasi von selbst:
"Die Wächter, die wir angestellt haben, die waren bewaffnet. Und zwar haben wir die lokalen Stammeswächter vorgezogen einem militärischen Konvoi. Die Waffe gehört einfach dazu. Es ist nicht so, dass ich gesagt habe, ich nehme Wächter, ihr müsst aber bewaffnet sein, sondern jeder Stammeskrieger ist bewaffnet. Das ist wie die Krawatte des Mannes, wenn er zu einem gesellschaftlichen Ereignis geht."
Nicht ganz so martialisch, aber ähnlich, sind die Erfahrungen, die Dr. Margarete van Ess gemacht hat. Margarete van Ess hat als wissenschaftliche Direktorin der Orientabteilung des DAI im Irak gegraben. Zwar sei es wichtig, meint sie, das okay für Grabungen von der Zentrale in Bagdad zu haben, zusätzlich müssten die Stämme, auf deren Gebiet die Grabung liege, kontaktiert werden.
Was über die Jahrzehnte - unter anderem unter ihrer Leitung - ergraben und erforscht wurde, lässt sich zurzeit in einer großen Ausstellung des Pergamon-Museums in Berlin besichtigen. Titel: "Uruk - 5000 Jahre Megacity". Dort ist das Wissen über die antike Großstadt versammelt, zum Beispiel die Erkenntnis, ...
"... dass man im vierten Jahrtausend dort schon eine riesige Stadt entwickelt hat, sodass sich in der Zeit die Gesellschaften von Dörfern zu großen Städten fortentwickeln oder auch die Erkenntnis, dass der Kanalbau eine ganz große Rolle gespielt hat. Das sind alles Dinge, die kann man Leuten schwer vorstellen und schon gar nicht in einer Ausstellung so richtig vor Augen führen, deswegen muss man das transponieren in andere Bildersprachen oder Textsprachen. Das geht heutzutage ganz gut, indem man anfängt, mit 3-D-Rekonstruktionen zu arbeiten. Das wäre vor zehn Jahren noch deutlich schwerer gewesen."
Ein weiteres Thema: die Entwicklung der Keilschrift.
"Wir streiten uns mit den Ägyptologen immer noch ein bisschen, wer denn nun die ältere Schrift hat."
Die Entwicklung der Verwaltung, hervorgerufen durch städtische komplexe Lebensformen, erzwang nahezu ein schriftliches Kommunikationssystem.
"Die Schrift ist erfunden worden, um das zu tun, was wir heutzutage immer noch tun, nämlich sich kleine Merkzettel zu kreieren oder auch so was wie ein Kassenbon, auf dem schlichtweg draufsteht, das und das an dem und dem Tag gekauft oder den und den weitergegeben."
Margarete van Ess forscht seit 25 Jahren zu Uruk. Sie hat im Irak die unterschiedlichsten Situationen und Krisen miterlebt:
"Als ich das erste Mal in den Irak kam 1982, herrschte dort der Iran-Irak-Krieg. Und wir konnten trotz des Krieges arbeiten. immer unter Berücksichtigung dessen, was die Bevölkerung in der Zeit leisten konnte. Wir konnten auch arbeiten während des Embargos in den 90er-Jahren. Ein wirklich wichtiger Einschnitt war dann der Einmarsch 2003, seitdem wir tatsächlich im Irak nicht arbeiten konnten. Auf der anderen Seite besteht eine archäologische Forschung keineswegs nur aus Ausgrabungen oder aus Feldforschungen jeglicher Art vor Ort, sondern auch in der ganzen Schreibtischarbeit und heutzutage dann auch noch in der Analyse von Fernerkundungsdaten. Satellitenbilder spielen inzwischen eine große Rolle, Bodenkarten, die es schon länger gibt, alles Mögliche, was man gar nicht unbedingt im Lande selbst herholen muss, sondern sich auch in der Zusammenarbeit mit ganz anderen wissenschaftlichen Zweigen erarbeiten kann. Das heißt, es war nie so, dass wir nicht arbeiten konnten."
Zudem besteht die Möglichkeit, Kollegen aus dem Irak einzuladen, um sich mit ihnen auszutauschen. Einen wissenschaftlichen Workshop der Universitäten Bagdad und Kufa nutzte Margarete van Ess, um nach Uruk zu fahren.
"In Uruk haben wir die Wächterfamilie immer weiter bezahlt. Der jetzige Wächter ist seit über 50 Jahren in den Diensten unseres Instituts. Der Wächter ist nicht der einzige, der für die Ruine zuständig ist, sondern es gibt auch von der irakischen Antikenverwaltung zuständige Wächter, die ebenfalls da gewesen sind. Das heißt, da hat ein System funktioniert, einfach weil es uns gelungen ist, zusammen mit der irakischen Antikenverwaltung immer den Kontakt zu den lokalen Familien aufrechtzuerhalten. Es ist uns also gelungen, die Ruine intakt zu halten. Da ist nichts passiert."
Anders, als in Babylon, wo ein Militärlager errichtet wurde, blieb Uruk verschont von Zerstörung und Raubgrabungen. Trotz der Unruhen und Anschläge in Bagdad hofft die Wissenschaftlerin seit ihrem letzten Besuch im Februar, in Uruk wieder arbeiten zu können.
"Im Prinzip sehen die Möglichkeiten wieder relativ gut aus. Wir sind jetzt in Verhandlungen mit Bagdad und der Zentralregierung, wie das umsetzbar wäre."
Aber immer gilt auch für die Wissenschaftler: Solange das Auswärtige Amt warnt, dürfen sie vor Ort nicht graben. Das Deutsche Archäologische Institut gehört - wie auch der Deutsche Akademische Austauschdienst - zum Außenministerium. Es ist kein diplomatischer Dienst, aber um ihre Arbeit machen zu können, müssen die Archäologen diplomatisches Geschick beweisen. Sie sind beides: Wissenschaftler und Repräsentanten Deutschlands.
Buchinfos:
Nicola Cüsemann/Margarete van Ess u. a. (Hrsg.): "Uruk - 5000 Jahre Megacity", Michael Imhof Verlag, Petersberg, 2013
Soweit Professorin Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts, vergangene Woche auf der Jahrespressekonferenz. Zu den neuen Projekten gehören zum Beispiel Forschungen in Katar, die sich mit der Entstehung der Oasenwirtschaft beschäftigen. Auch das größte Archiv der Archäologie des Sudan wollen die Wissenschaftler digitalisieren. Oder den Schutz von Denkmälern in der Türkei unterstützen.
Ein zunehmend wichtiges Thema ist die Transformationspartnerschaft im arabischen Raum und zum Beispiel die aktuelle Situation in Ägypten. Nicht nur dort werden Archäologen bei ihren Arbeiten vor Ort damit konfrontiert, dass die Rahmenbedingungen schwierig sind oder Grabungen erst gar nicht zulassen. Anlässlich der Jahrespressekonferenz des Deutschen Archäologischen Instituts sprach Barbara Weber mit Wissenschaftlern, wie sie unter diesen erschwerten Bedingungen arbeiten:
"Wir haben natürlich die Revolution in Kairo miterlebt. Ich bin ja die ganze Zeit auch dort gewesen und geblieben. Und ich erinnere mich sehr gern, dass das aufregend war, aber auch eine euphorische Stimmung."
Professor Stephan Seidlmayer ist Direktor der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts.
"Es war wirklich eine Stimmung, die die gesamte Gesellschaft durchzogen hat. Der Konsens darüber, so, wie bisher, nicht mehr weitermachen zu wollen, etwas Neues zu beginnen. Das war eigentlich wunderbar."
Inzwischen zeigt sich, dass der so hoffnungsvoll begonnene Aufstand nicht zu dem von vielen erwarteten Ergebnis geführt hat.
"Die Ungeduld ist sehr groß. Es ist ja hier durch die Presse gegangen, dass es in den letzten Monaten - im Moment ist es viel ruhiger - auch gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben hat."
Stephan Seidlmayer skizziert auf der Jahrespressekonferenz des Deutschen Archäologischen Instituts, kurz DAI, seine Sicht der Revolution in Ägypten. Es ist eine Gradwanderung: Einerseits lässt sich die Lage nicht beschönigen. Eine Demokratie nach westlichem Vorbild - so sie denn überhaupt angestrebt wurde - ist nicht in Sicht. Die Nahostarchitektur ist fragiler geworden.
Andererseits können die Wissenschaftler vor Ort kein Interesse an einer Konfrontation mit der jeweiligen politischen Führung haben, könnte das doch die Arbeit erheblich erschweren, im schlimmsten Fall vielleicht sogar das Aus jeglicher Forschung im Land bedeuten.
So umschreibt der Chef des DAI Kairo mit viel diplomatischem Geschick die Lage vor Ort und beruhigt erst einmal.
"Wir sind selbst davon nicht tangiert. Kairo ist eine riesenhafte Stadt, da können Unruhen, ganz reale, auch schlimme Unruhen stattfinden. Und man sitzt an einer anderen Stelle und merkt davon nichts. Insofern ist unsere Arbeit von diesen Entwicklungen zunächst einmal nicht im Grundsatz berührt."
Andererseits gibt es schon einige Aspekte, die die Arbeit der Wissenschaftler vor Ort betreffen:
"Man kann sich und will sich im Grundsatz der Wahrnehmung nicht entziehen."
Schränkt der Archäologe ein.
"Wir haben die Situation mit Raubgrabungen. Wir sind natürlich in einer Lage, in der die Belange der Antiken - wenn sie die vielen Probleme der Nation sehen - nicht mehr an erster Stelle rangieren. Und das birgt immer die Gefahr, dass dann einzelne Leute in ganz momentanen Interessen, auch ohne so richtig zu verstehen, womit sie umgehen, Dinge zerstören, auf archäologisch wichtige Flächen Häuser bauen oder Friedhöfe anlegen. Das sind Dinge, durch die dann das nationale Erbe und das Interesse Ägyptens auf längere Frist schwer beschädigt werden kann, von kriminellem Grabraub rede ich gar nicht. Das ist natürlich das Allerschlimmste, vor allen Dingen, wenn sich kriminelle Strukturen stabilisieren, was ja immer bedeutet auch, die Absatzstrukturen auf den westlichen, inzwischen vielleicht auch auf den östlichen, fernöstlichen Märkten. Das ist eigentlich auf dem Gebiet die größte Gefahr."
Raubgrabungen waren immer ein latenter Begleiter archäologischer Forschung. In Krisenzeiten spitzt sich die Situation dann zu. Aktuell betroffen ist zum Beispiel der Pyramidenfriedhof von Dahschur, ein Ort, an dem Stephan Seidlmayer mit anderen Wissenschaftlern arbeitet.
"Es ist leider so, dass die Ordnungsstrukturen in Ägypten schon durch die Revolution in der Folge der Revolution erschüttert sind und auch die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung gelenkt ist. Und ich glaube, man muss schon zugeben, dass es schwieriger geworden ist."
Deutsche Archäologen arbeiten seit über hundert Jahren in Ägypten; das führte 1907 zur Gründung eines archäologischen Instituts in Kairo. Inzwischen wird im Land an vielen Stellen unter deutscher Mitarbeit geforscht: Zum Beispiel graben seit 1904 Wissenschaftler in Theben, unweit des berühmten Tals der Könige, immer auch in enger Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort.
"Sie müssen sich vorstellen, die ägyptische Antikenbehörde ist ein riesenhafter Apparat von vielen 10.000 Menschen. Und der bildet einen Querschnitt durch die ganze ägyptische Gesellschaft und durch alle die Lebenssituationen. Und die Spannungen, die in der Gesellschaft selbst vorhanden sind, bilden sich im Antikendienst selbst auch aus."
Während unter dem früheren, umstrittenen Antikenminister Zahi Hawass eine sehr klare, manchmal auch rigide Linie gefahren wurde, hat die Revolution auch vor der Antikenbehörde nicht haltgemacht: Das System wird demokratischer, was aber in der Praxis bedeutet,
"dass Dinge weniger gut funktionieren, als sie vorher mal funktioniert haben und als sie in der Zukunft sicher viel besser funktionieren werden. Da müssen einfach neue Spielregeln ausgehandelt werden. Und man muss sich in der Steuerung einer solchen pluralen Organisation neu orientieren. Wir sehen es zum Beispiel daran, dass wir die entscheidenden Erlaubnisse, Entscheidungen, Konzessionen aus der Zentrale in Kairo bekommen und mit dem Papier dann an das örtliche Inspektorat kommen und sagen, wir haben die Erlaubnis, das und das zu machen. Und wir hören dann manchmal, dass sie sagen, ja, in Kairo, da wird ja alles Mögliche erlaubt, aber hier geht das überhaupt nicht. Und ich finde das an sich nicht verkehrt."
So Stephan Seidlmayer, andererseits sei es aber unbequem ...
"Gerade für ein Projekt, zu dem man Leute aus dem Ausland einfliegt- Ind so versteht man auch, dass das ein zusätzlicher Reibungsverlust ist."
Vor Ort zu graben ist für seine Kollegin, Dr. Iris Gerlach, Leiterin der Außenstelle Sana'a des Deutschen Archäologischen Instituts, in weite Ferne gerückt. Sie kam vergangene Woche aus dem Jemen.
"In Sana'a selbst ist es relativ ruhig. Generell hat sich das Land auch stabilisiert, auch mit der Wahl des neuen Präsidenten. Es gibt noch Unruhen im Süden des Landes, also separatistische Bewegungen, die wieder einen Südjemen haben wollen, getrennt vom Nordjemen und ganz im Norden des Landes auch noch schiitische Gruppen, die gegen die Zentralregierung agieren. In Sana'a selbst besteht für uns Ausländer eigentlich die Gefahr der Entführung. Es werden immer wieder Ausländer entführt, die anders, als früher, nicht nur in den Stämmen verbleiben, sondern teilweise wohl offensichtlich auch weiter verkauft werden an Al Kaida im Süden des Landes. Und von daher ist natürlich Vorsicht geboten. Aber wenn man das beachtet, dann kann man dort wieder tätig sein."
Im Jemen interessiert die deutschen Wissenschaftler die antike sabäische Kultur, bekannt und legendär auch hierzulande durch den Mythos der Königin von Saba, deren Existenz aber bislang nicht nachgewiesen werden konnte. Wenn überhaupt, wird das auch noch ein wenig dauern, denn Grabungen im Land würde die Archäologin derzeit komplett ausschließen:
"Nein, wir sollen also möglichst Sana'a nicht verlassen und schon gar nicht mit einem großen Team außerhalb der Stadt, egal wo, jetzt zurzeit im Land tätig werden. Wir hatten bis zum Januar 2011, also bis kurz vor Beginn der Krise, ein Projekt circa 40 Kilometer außerhalb von Sana'a. Das könnte ich mir als Erstes, wenn sich die Lage weiter stabilisiert, vorstellen, dass man dort in diesem sabäischen Ort im Hochland des Jemen wieder tätig wird. Marib liegt noch 150 Kilometer weiter im Osten, in einer sogenannten No-go-Area. Also, bis wir da wieder hin können, also das ist wirklich nicht von der Zentralregierung kontrolliert. Da wird noch ein unbestimmter Zeitraum vergehen."
Marib ist die Hauptstadt des antiken Reiches von Saba, in der heutigen Provinz Marib gelegen. Daneben forschten die Wissenschaftler in Sirwah , ein weiteres sabäisches Zentrum, nur 40 Kilometer entfernt von Marib. In der Oase von Marib liegt auch der Awam-Tempel mit dem dazugehörigen Friedhof.
"Das ist eine Grabung, die wir 1996 begonnen haben, mausoleenartige, turmartige Gebäude, die wir da freigelegt haben. Überhaupt das erste Mal eine systematische Grabung in einem Friedhof durchgeführt wurde, wo die ganzen Toten in Stockwerken nach Familienzusammenhängen dort bestattet wurden. Sirwah selbst: Eine kleine Stadt muss man sich vorstellen mit einer sehr frühen Stadtmauer, das heißt so Beginn des ersten Jahrtausend vor Christus mit einem wunderbar großen Tempel, den wir auch bis 2009 fertig ausgegraben und restauriert haben, also eine sehr, sehr glückliche Kombination."
Die auch zur Touristenattraktion werden sollte: Theoretisch ideal und lehrreich, praktisch ein mögliches Himmelfahrtskommando, denn das Auswärtige Amt warnt vor der Einreise. Wie schwierig die Lage schon in ruhigeren Zeiten war, zeigt die Vorgehensweise der Archäologen. Im Vorfeld mussten die Wissenschaftler immer Absprachen mit dem Stamm treffen, auf dessen Gebiet sich die archäologischen Ruinen befinden.
"Da geht es um ganz logistische Dinge, zum Beispiel, wie viele Arbeiter werden eingestellt, welcher Fahrer, welcher Transport, woher kommt das Wasser, welche Wächter werden uns zur Verfügung gestellt, um auch die Sicherheit vor Ort zu garantieren."
Um zu wissen, wer ihr Ansprechpartner vor Ort ist, müssen die Deutschen ethnologische Studien durchführen. Die jeweiligen Stammesstrukturen sollten bekannt sein. Die Verhandlungen führt auf deutscher Seite die Chefin, nämlich Iris Gerlach.
"Wichtig ist, dass man auch mit lokalen Leuten, die vielleicht auch aus Sana'a kommen, sofort auch zum höchsten Scheich geführt wird und von dort aus dann hierarchisch die ganzen verschiedenen Bereiche bespricht und weitergereicht wird sozusagen."
Und noch ein Punkt versteht sich quasi von selbst:
"Die Wächter, die wir angestellt haben, die waren bewaffnet. Und zwar haben wir die lokalen Stammeswächter vorgezogen einem militärischen Konvoi. Die Waffe gehört einfach dazu. Es ist nicht so, dass ich gesagt habe, ich nehme Wächter, ihr müsst aber bewaffnet sein, sondern jeder Stammeskrieger ist bewaffnet. Das ist wie die Krawatte des Mannes, wenn er zu einem gesellschaftlichen Ereignis geht."
Nicht ganz so martialisch, aber ähnlich, sind die Erfahrungen, die Dr. Margarete van Ess gemacht hat. Margarete van Ess hat als wissenschaftliche Direktorin der Orientabteilung des DAI im Irak gegraben. Zwar sei es wichtig, meint sie, das okay für Grabungen von der Zentrale in Bagdad zu haben, zusätzlich müssten die Stämme, auf deren Gebiet die Grabung liege, kontaktiert werden.
Was über die Jahrzehnte - unter anderem unter ihrer Leitung - ergraben und erforscht wurde, lässt sich zurzeit in einer großen Ausstellung des Pergamon-Museums in Berlin besichtigen. Titel: "Uruk - 5000 Jahre Megacity". Dort ist das Wissen über die antike Großstadt versammelt, zum Beispiel die Erkenntnis, ...
"... dass man im vierten Jahrtausend dort schon eine riesige Stadt entwickelt hat, sodass sich in der Zeit die Gesellschaften von Dörfern zu großen Städten fortentwickeln oder auch die Erkenntnis, dass der Kanalbau eine ganz große Rolle gespielt hat. Das sind alles Dinge, die kann man Leuten schwer vorstellen und schon gar nicht in einer Ausstellung so richtig vor Augen führen, deswegen muss man das transponieren in andere Bildersprachen oder Textsprachen. Das geht heutzutage ganz gut, indem man anfängt, mit 3-D-Rekonstruktionen zu arbeiten. Das wäre vor zehn Jahren noch deutlich schwerer gewesen."
Ein weiteres Thema: die Entwicklung der Keilschrift.
"Wir streiten uns mit den Ägyptologen immer noch ein bisschen, wer denn nun die ältere Schrift hat."
Die Entwicklung der Verwaltung, hervorgerufen durch städtische komplexe Lebensformen, erzwang nahezu ein schriftliches Kommunikationssystem.
"Die Schrift ist erfunden worden, um das zu tun, was wir heutzutage immer noch tun, nämlich sich kleine Merkzettel zu kreieren oder auch so was wie ein Kassenbon, auf dem schlichtweg draufsteht, das und das an dem und dem Tag gekauft oder den und den weitergegeben."
Margarete van Ess forscht seit 25 Jahren zu Uruk. Sie hat im Irak die unterschiedlichsten Situationen und Krisen miterlebt:
"Als ich das erste Mal in den Irak kam 1982, herrschte dort der Iran-Irak-Krieg. Und wir konnten trotz des Krieges arbeiten. immer unter Berücksichtigung dessen, was die Bevölkerung in der Zeit leisten konnte. Wir konnten auch arbeiten während des Embargos in den 90er-Jahren. Ein wirklich wichtiger Einschnitt war dann der Einmarsch 2003, seitdem wir tatsächlich im Irak nicht arbeiten konnten. Auf der anderen Seite besteht eine archäologische Forschung keineswegs nur aus Ausgrabungen oder aus Feldforschungen jeglicher Art vor Ort, sondern auch in der ganzen Schreibtischarbeit und heutzutage dann auch noch in der Analyse von Fernerkundungsdaten. Satellitenbilder spielen inzwischen eine große Rolle, Bodenkarten, die es schon länger gibt, alles Mögliche, was man gar nicht unbedingt im Lande selbst herholen muss, sondern sich auch in der Zusammenarbeit mit ganz anderen wissenschaftlichen Zweigen erarbeiten kann. Das heißt, es war nie so, dass wir nicht arbeiten konnten."
Zudem besteht die Möglichkeit, Kollegen aus dem Irak einzuladen, um sich mit ihnen auszutauschen. Einen wissenschaftlichen Workshop der Universitäten Bagdad und Kufa nutzte Margarete van Ess, um nach Uruk zu fahren.
"In Uruk haben wir die Wächterfamilie immer weiter bezahlt. Der jetzige Wächter ist seit über 50 Jahren in den Diensten unseres Instituts. Der Wächter ist nicht der einzige, der für die Ruine zuständig ist, sondern es gibt auch von der irakischen Antikenverwaltung zuständige Wächter, die ebenfalls da gewesen sind. Das heißt, da hat ein System funktioniert, einfach weil es uns gelungen ist, zusammen mit der irakischen Antikenverwaltung immer den Kontakt zu den lokalen Familien aufrechtzuerhalten. Es ist uns also gelungen, die Ruine intakt zu halten. Da ist nichts passiert."
Anders, als in Babylon, wo ein Militärlager errichtet wurde, blieb Uruk verschont von Zerstörung und Raubgrabungen. Trotz der Unruhen und Anschläge in Bagdad hofft die Wissenschaftlerin seit ihrem letzten Besuch im Februar, in Uruk wieder arbeiten zu können.
"Im Prinzip sehen die Möglichkeiten wieder relativ gut aus. Wir sind jetzt in Verhandlungen mit Bagdad und der Zentralregierung, wie das umsetzbar wäre."
Aber immer gilt auch für die Wissenschaftler: Solange das Auswärtige Amt warnt, dürfen sie vor Ort nicht graben. Das Deutsche Archäologische Institut gehört - wie auch der Deutsche Akademische Austauschdienst - zum Außenministerium. Es ist kein diplomatischer Dienst, aber um ihre Arbeit machen zu können, müssen die Archäologen diplomatisches Geschick beweisen. Sie sind beides: Wissenschaftler und Repräsentanten Deutschlands.
Buchinfos:
Nicola Cüsemann/Margarete van Ess u. a. (Hrsg.): "Uruk - 5000 Jahre Megacity", Michael Imhof Verlag, Petersberg, 2013