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Schwesig: Bildungspaket mit Infrastrukturprogramm flankieren

"Die Idee des Bildungspaketes ist gut", betont Manuela Schwesig, Sozialministerin Mecklenburg-Vorpommern und Vizevorsitzende der SPD. Die bürokratischen Hürden bei der Beantragung eines Zuschusses für Mittagessen oder Vereinsbeitrag seien aber zu hoch. Zudem müsse es insgesamt mehr Ganztagsschulen geben, die überhaupt ein warmes Mittagessen anbieten.

Manuela Schwesig im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen wird heute vor der Hauptstadtpresse das erste Jahr des sogenannten Bildungs- und Teilhabepaketes würdigen - voraussichtlich unter besonderer Berücksichtigung des warmen Mittagessens. Die Zielsetzung ist vernünftig: Kinder aus bedürftigen Familien so auszustatten, dass sie sich Nachhilfeunterricht, das Training im Sportverein, den Klavier- oder Schlagzeugunterricht, die Teilnahme an einer Klassenfahrt oder auch nur den neuen Schulranzen zum Schulstart leisten können. Das heißt, zweckgebunden Geld bereitstellen, so dass dieses nicht zu Hause oder in irgendwelchen staatlichen Strukturen versickert. Seit dem 1. April des vergangenen Jahres können rund 2,5 Millionen Mädchen und Jungen dieses Geld beanspruchen.

    Am Telefon ist jetzt Manuela Schwesig, die Arbeits- und Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende Vorsitzende der SPD. Guten Morgen.

    Manuela Schwesig: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Frau Schwesig, sollten Kinder armer Eltern im Verein Fußball, oder in der Musikschule Klavier spielen lernen können?

    Schwesig: Ja, natürlich! Es geht darum, dass alle Kinder, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, die Möglichkeit haben, teilzuhaben an Vereinssport, Vereinsmusik, wie auch immer. Denn das ist auch ein Stück von sozialer Teilhabe und auch ein Stück von Bildung.

    Heinemann: Dann ist das Bildungspaket eine tolle Idee?

    Schwesig: Die Idee des Bildungspaketes ist gut und vor allem auch die Komponenten, die die SPD ja nachträglich hineinverhandelt hat: dass es zum Beispiel ein kostenloses Mittagessen in Horten gibt, dass es zusätzlich Schulsozialarbeiter gibt. Das sind gute Komponenten, auch die Vereinsförderung. Allerdings erfahren wir von den Kommunen und auch von denen, die das beantragen, dass doch noch die Bürokratie vor Ort sehr hoch ist und wir deswegen leider noch nicht alle Kinder erreichen.

    Heinemann: Aber immerhin in Berlin, schon mehr als 61 Prozent der Anspruchsberechtigten haben dort einen Antrag gestellt. Es dauert ein bisschen, bis es sich herumgesprochen hat, aber jetzt scheint es doch zu funktionieren.

    Schwesig: Das Bildungspaket in seiner Idee mit den Leistungskomponenten ist gut. Aber dennoch, ich sage: Wir müssen möglichst alle Kinder aus Familien erreichen, die diese Unterstützung brauchen. Und da sind wir noch lange nicht. Wir könnten noch die Bürokratie vereinfachen, denn es ist ja ganz wichtig, dass das Geld nicht in der Bürokratie versickert, sondern wirklich über die Leistungen bei den Kindern ankommt.

    Heinemann: Was würden Sie noch vereinfachen?

    Schwesig: Wir haben von Anfang an dafür plädiert, dass es nicht nötig ist, dass für das Kind jeder Antrag einzeln gestellt wird, einzeln abgerechnet wird, daraus wieder eine Statistik gemacht wird. Sondern dass wir auch die Möglichkeit haben müssen, an Kitas, an Schulen, an Vereine direkt das Geld zu geben, pauschal, damit die Leistungen dort angeboten werden können, damit wir wirklich auch die Kinder erreichen.

    Heinemann: Aber Sie wollen jetzt die Institutionen stärken. Die Idee war eigentlich, das Geld den Familien oder den Kindern, den Eltern zur Verfügung zu stellen, zweckgebunden für die Kinder.

    Schwesig: Nein, das ist beides das Gleiche.

    Heinemann: Nein!

    Schwesig: Das Bildungspaket läuft ja so, dass ein Elternteil beantragen muss die Vereinsförderung, zehn Euro im Monat, dann zu dem Verein geht und dann abgerechnet wird und dann das Geld überwiesen wird. Was man ja auch machen könnte ist, gleich mit den Vereinen verabreden oder mit der Kita: Ihr habt so und so viele Kinder von Hartz IV in eurer Kita, die nehmen am Essen teil und dafür kriegt ihr pauschal das Geld. Dann bräuchte man die ganzen Einzelabrechnungen nicht, denn noch mal: Selbst da, wo wir schon 50 Prozent erreichen, wir erreichen noch nicht die anderen 50 Prozent, und das ist sehr wichtig. Dazu kommt, dass leider nicht alle Kinder zum Beispiel in eine Ganztagsschule gehen, wo überhaupt Mittagessen angeboten wird. Das gilt egal für welche Kinder aus den Haushalten. Und da ist es jetzt Zeit, dass der Bund auch im Grunde dieses Bildungspaket mit einem Infrastrukturprogramm flankiert. Ich möchte mich nicht ausruhen auf dem, was wir mit dem Bildungspaket erreicht haben, sondern es muss weitergehen, und insbesondere die Komponenten Mittagessen im Hort und auch Schulsozialarbeiter, die die SPD reinverhandelt haben - es ist nämlich auch wichtig, dass es Menschen gibt, die die Kinder unterstützen -, die sind zeitlich befristet worden bis 2013. Es ist ein Erfolg, die beiden Sachen werden gut angenommen und es wird Zeit, dass wir diese Komponenten jetzt entfristen, dass die Kommunen und vor allem die Kinder und Familien wissen, dass es weitergeht.

    Heinemann: Frau Schwesig, es bleibt ein Unterschied, ob man das Geld den Eltern zur Verfügung stellt, um es für die Kinder einzusetzen, oder ob man die Institutionen stärkt, denn das Angebot der Institutionen müssen die Eltern ja überhaupt erst mal wahrnehmen, auch solche, die mit Kultur oder mit Sport überhaupt nichts zu tun haben. Das ist ein Riesenunterschied!

    Schwesig: Ja! Ich bin Ihnen ganz dankbar, dass Sie auf diesen Unterschied hingewiesen haben. Das ist doch das Problem. Es nehmen eben nicht alle Eltern das Angebot an. Und wir wissen, dass wir auch Familien in Deutschland haben, wo wir große Probleme haben heranzukommen, und da ist es doch ganz wichtig, dass wir gleich da sind mit unseren Leistungen, wo die Kinder sind. Zum Beispiel machen viele Vereine Angebote an Kinder und dann wäre es doch einfacher, dass wir gar nicht diesen Abrechnungsprozess haben. Ich war selber dabei, wo eine Familie einen Antrag gestellt hat eben nur fürs Mittagessen und nicht für die Vereinsförderung, wo nicht das Bewusstsein da war, dass es vielleicht auch für ein Kind toll sein kann, Sport zu machen, Musik zu machen. Solche Programme laufen ja vor Ort und da sagen die Kommunen - und ich glaube, da muss man drauf hören -, dass es einfacher wäre, wenn wir diesen Abrechnungsmodus nicht so anstrengend machen.

    Heinemann: Frau Schwesig, Sie sind Arbeits- und Sozialministerin. Gestern ist eine Transfergesellschaft für die mehr als 11.000 Beschäftigten der insolventen Drogeriemarktkette Schlecker gescheitert. Es scheiterte vor allen Dingen an den Landesregierungen von Bayern, Niedersachsen und Sachsen, vor allem am FDP-Teil dieser Koalitionen. Wieso benötigen eigentlich die Mitarbeiter von Schlecker eine Auffanggesellschaft, während die von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten anderer Betriebe sehen müssen, wo sie bleiben?

    Schwesig: Es geht ja hier nicht nur um die 11.000 Arbeitsplätze von Frauen, die jetzt gekündigt werden - denn wir müssen wissen, bei dem Unternehmen Schlecker handelt es sich vor allem um Frauenarbeitsplätze auch mit kleineren Einkommen -, sondern es geht auch um die Arbeitsplätze, die jetzt noch im Unternehmen fortbestehen. Das sind ja auch noch mal fast 20.000. Denn wenn ein abgespecktes Unternehmen Schlecker weitergeführt werden soll mit den Arbeitsplätzen, muss es für einen Investor interessant sein. Und wenn ein Investor jetzt die Kündigungsschutzklagen derjenigen, die gekündigt werden, im Grunde als Risiko tragen soll, dann wird man ihn ganz schwer finden. Also sind auch die Arbeitsplätze, die zukünftig fortgeführt werden sollen, die fast 20.000, nicht zwingend sicher.

    Heinemann: Das gilt aber für jeden Betrieb, Frau Schwesig, nicht nur für Schlecker.

    Schwesig: Ich möchte es kurz erklären, weil es in den Medien kaum wirklich herüberkommt für die Menschen: Dazu kommt, dass wir die Möglichkeit hätten, über eine Transfergesellschaft 11.000 Frauen viel besser zu vermitteln und zu qualifizieren und ihre Chancen, in eine neue Arbeit zu kommen, gut sind.

    Heinemann: Die Bundesagentur für Arbeit, wenn ich das kurz sagen darf, sagt, der Markt sei aufnahmefähig, die Mitarbeiterinnen seien gut qualifiziert und insofern ist das Ganze vielleicht überflüssig.

    Schwesig: Nein, Herr Heinemann, da können Sie sicher sein: Gerade die Bundesagentur für Arbeit hat uns in den Ländern geraten, die Transfergesellschaft mitzumachen. Es ist ja nicht so, dass man es nicht selbstkritisch hinterfragt, denn es geht ja auch um Geld, was man zur Verfügung stellen muss. Es gibt nachgewiesen eine höhere Erfolgschance, wenn wir diese Frauen in der Transfergesellschaft ein halbes Jahr qualifizieren und dann vermitteln. Und jetzt zu Ihrer Frage, warum das nicht immer gemacht wird: Es wird doch total oft geholfen, es wird milliardenschwer geholfen bei den Banken. Die bayerische Landesregierung hat in ihre eigenen Bank 13 Milliarden Euro gesteckt und war jetzt nicht bereit, mit zehn Millionen Euro Frauen in kleineren Einkommen zu helfen. Das ist die Politik der FDP, milliardenschwere Gelder für Banken, aber kein Geld für Frauenarbeitsplätze.

    Heinemann: Sie sind stellvertretende Vorsitzende der SPD, Frau Schwesig. Gegenwärtig ist fast täglich in der Presse über die miserable Zusammenarbeit zwischen Parteichef Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, zu lesen. Gestern hat das "Heute"-Journal auch darüber berichtet. Können Sie uns erklären, wieso Herr Gabriel hinter Herrn Steinmeiers Rücken eine SMS zum politischen Kurs der SPD verschickt?

    Schwesig: Ich kann Ihnen dazu nichts sagen, weil ich weder diese SMS erhalten habe noch bei diesem Gespräch dabei war. Ich persönlich erlebe, dass die Leute in der Parteispitze und mit dem Fraktionschef gut zusammenarbeiten. Und dass es immer mal knirscht, dass man immer mal auch unterschiedlicher Meinung ist bei vielen Themen, die so eine große Volkspartei beschäftigen, ist ja auch nichts Schlimmes.

    Heinemann: Es geht mehr um den Stil als um die Themen.

    Schwesig: Dazu kann ich Ihnen aber nichts sagen, weil ich an diesen Sachen nicht beteiligt war, weil ich nicht dabei war. Deswegen hüte ich mich, das dann auch zu kommentieren. Ich persönlich erlebe Diskussionen gut und fair und dabei bleibt es auch.

    Heinemann: Sigmar Gabriel hat Parteifreunde aufgefordert, sie sollten öffentlich erklären, die Zustimmung der SPD zum Fiskalpakt hänge von einer Beteiligung der Finanzmärkte und der Spekulanten ab. Steinmeier wusste davon nichts und er soll sehr, sehr wütend gewesen sein. Stellen Sie sich so gute Zusammenarbeit vor?

    Schwesig: Ich kann Ihnen dazu nichts sagen, weil ich A nicht dabei war und B die Dinge jetzt auch nur aus der Presse kenne und noch keine Gelegenheit hatte, mit den beiden zu sprechen. Da müssen Sie mich verstehen: Das mache ich dann nicht, dass ich öffentlich was kommentiere, was ich nicht selbst mitbekommen habe und wo ich auch noch keine Chance hatte, mit den Leuten darüber zu reden.

    Heinemann: Werden Sie sich in Schwerin anschauen, wie sich die beiden in Berlin zerlegen?

    Schwesig: Natürlich nicht, und sie werden sich auch nicht zerlegen. Da kann ich Sie ganz beruhigen.

    Heinemann: Muss die SPD jetzt nicht rasch klarstellen, wer für die Bundestagswahl Nummer eins sein wird?

    Schwesig: Nein! Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, sich vor allem zunächst zu den Themen zu positionieren. Ich spüre auch, dass die Menschen sowieso nichts davon halten, wenn es immer wieder Personaldiskussionen gibt. Es gibt dieses Jahr keine Bundestagswahl. Es geht in diesem Jahr darum, wichtige Landtagswahlen zu gewinnen, um weiter da gute Politik zu machen, wie zum Beispiel die gute Politik von Hannelore Kraft für Kinder in Nordrhein-Westfalen. Das steht für uns im Vordergrund und die Bundestagswahl ist im nächsten Jahr. Dann werden Sie sehen, dass die SPD einen sehr guten Kandidaten oder eine Kandidatin präsentiert.

    Heinemann: Vor der Fiskalpakt-SMS hat Herr Gabriel den Umgang der Israelis mit den Palästinensern mit dem Apartheid-Regime verglichen. Benötigt Sigmar Gabriel einen Betreuer?

    Schwesig: Nein!

    Heinemann: Was gilt denn in der SPD, was Herr Gabriel sagt, oder die Meinung von Herrn Steinmeier?

    Schwesig: In der SPD hat die Meinung von Herrn Gabriel und die Meinung von Herrn Steinmeier einen hohen Stellenwert. Und es ist ja nicht so, dass die eine Ansage machen und alle anderen dann brav folgen, sondern schwierige Diskussionen zum Fiskalpakt, aber auch zu anderen Themen, die werden natürlich breit im Parteivorstand, aber auch an der Parteibasis diskutiert. Und da ist es nicht so, dass einer reinspaziert, eine Ansage macht und dann läuft es, sondern es ist uns sehr wichtig, nach der besten Lösung zu suchen und diese Lösung dann vor allem gut vertreten zu können. Und ich darf erinnern, dass bisher die Krise in der EU bewältigt worden ist durch die Stimmen der SPD und nicht durch die Stimmen der Regierung CDU und FDP, denn die ist in Wahrheit heillos zerstritten.

    Heinemann: Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig. Sie ist Arbeits- und Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Schwesig: Auf Wiederhören! Einen guten Tag! Tschüß!

    Heinemann: Ihnen auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.