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Schwesig: Echtes Bildungspaket, nicht nur Bildungspäckchen

In den Verhandlungen zur Hartz-IV-Reform schlägt Manuela Schwesig (SPD) einen Stufenplan für den Ausbau der Jugend- und Schulsozialarbeit vor. Bis 2015 soll sich der Bund mit einem Sozialarbeiter pro Schule beteiligen.

Manuela Schwesig im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Eigentlich hat das Verfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet, eine Hartz-IV-Reform auf den Weg zu bringen. Langzeitarbeitslose sollten zum 1. Januar einen neu berechneten Regelsatz erhalten und ihre Kinder ein Bildungspaket. Daraus ist nun noch nichts geworden, Regierung und Opposition bezichtigen sich gegenseitig einer Blockadepolitik. Die Verhandlungen sind auch gestern Abend wieder vertagt worden, und mit der Verhandlungsführerin der SPD, mit Manuela Schwesig, die auch noch Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern ist, sind wir jetzt verbunden. Einen schönen guten Morgen, Frau Schwesig!

    Manuela Schwesig: Guten Morgen, Herr Zagatta!

    Zagatta: Frau Schwesig, bevor ich Sie gleich frage, ob es denn wenigstens eine nennenswerte Annäherung gegeben hat gestern Abend, hören wir uns vielleicht ganz kurz einmal an, was Ihre Kontrahentin, wie Ursula von der Leyen die Verhandlungen gestern mit Ihnen beurteilt hat. Sie ist ja jetzt offenbar bereit, mehr Kinder einzubeziehen.

    Ursula von der Leyen: Ich glaube, hier sind wir nach detaillierten, aber sehr konstruktiven Verhandlungen langsam aber sicher Schritte vorangekommen.

    Zagatta: Also die Regierung will wohl jetzt einlenken und zumindest das Bildungspaket auch auf die Kinder von Geringverdienern ausweiten, die Wohngeld beziehen. Frau Schwesig, haben Sie, hat die SPD denn auch in irgendeinem Punkt nachgegeben?

    Schwesig: Ich finde es gut, dass es uns gelungen ist, Frau von der Leyen und auch die CDU, FDP zu überzeugen davon, dass wir mehr Kinder einbeziehen müssen in das Bildungspaket. Nach den neuesten Berechnungen können wir damit 200.000 Kinder mehr in Deutschland erreichen. Frau von der Leyen hat aber selber gesagt, dass es alles sehr langsam geht, weil sie sich doch noch schwertun damit, weitere Maßnahmen zu machen. Wir wollen nämlich ein echtes Bildungspaket, und nicht nur ein Bildungspäckchen. Und dazu gehört für uns auch, dass wir darüber nachdenken, wie wir die Förderstruktur, die Angebotsstruktur vor Ort für unsere Kinder, die übrigens allen Kindern dann in Deutschland zugutekommt, ausbaut. Und da kann man sich vieles vorstellen: Ganztagskitas, Ganztagsschulen, Schulsozialarbeiter, Jugendsozialarbeit - und wir haben uns aus diesem großen Paket, was wir eigentlich auf den Weg bringen müssten, auch nach allen Studien, der jüngsten Bertelsmann-Studie zum Beispiel, entschieden, uns auf einen Teilbereich zu konzentrieren, weil man die Verhandlungen natürlich nicht überfrachten kann. Und hier schlagen wir ganz konkret einen Stufenplan für den Ausbau der Jugend- und Schulsozialarbeit vor. Der Bund soll auch nicht für alle verantwortlich werden, sondern für einen Teil, er soll sich mit einem Jugend- und Schulsozialarbeiter rechnerisch gemessen an einer Schule beteiligen. Und ich hatte den Eindruck, dass nachdem erst überhaupt keine Bereitschaft da war, anzuerkennen, dass Jugend- und Schulsozialarbeit, der Ausbau wichtig wäre und der Bund ja auch eine Verpflichtung hat, dass wir gestern jedenfalls uns viel Zeit genommen haben in den Gesprächen noch mal, diese Wichtigkeit zu betonen und zu erklären und so weiter, und dass da schon doch jetzt offene Ohren auf der anderen Seite sind. Insofern: Es ist alles sehr langsam und schwerfällig, aber der Vorwurf, dass wir uns vielleicht zu stark für die Kinder machen, mit dem könnte ich dann doch ganz gut leben.

    Zagatta: Aber wenn ich das so höre, dann deutet das darauf hin: Frau von der Leyen hat sich ein bisschen bewegt gestern Abend, und Sie noch gar nicht.

    Schwesig: Doch. Wir haben aus dem Maßnahmepaket, was notwendig wäre, um die echte Teilhabe und Unterstützung von Kindern vor Ort zu sichern - der wirklich weitere massive Ausbau von Ganztagskitas und Ganztagsschulen, wir bräuchten auch zum Beispiel viel mehr Schulkantinen in Deutschland, um überhaupt das Mittagessen zu gewährleisten - aus diesem ganzen Maßnahmepaket haben wir uns jetzt eins rausgesucht, und das sind die Jugend- und Schulsozialarbeiter, und sagen, wir wollen in einem Stufenplan, nicht sofort, sondern bis 2015 erreichen, dass der Bund sich mit einem Jugend- und Schulsozialarbeiter pro Schule beteiligt, und haben vorgeschlagen, in 2011 einzusteigen mit 200 Millionen Euro, das wären 4000 Sozialarbeiter für Kinder und Jugendliche, und haben hier einen ganz konkreten Stufenplan vorgestellt, über den wir gerne auch gesprächsbereit sind. Wir wollen darüber sprechen: Wie kann man das machen, in welchem Umfang sieht Frau von der Leyen für den Bund Möglichkeiten? Aber wir wollen nicht mehr über das Ob sprechen, denn eins ist doch klar in Deutschland: Nach den ganzen Rettungspaketen für Banken und andere Länder brauchen wir endlich mal ein Rettungspaket für die Kinder zur wirklich wirksamen Bekämpfung von Kinderarmut. Und da machen wir natürlich richtig Druck, weil es das wichtigste Thema ist in Deutschland, dass wir die Kinder viel mehr unterstützen, als es Frau von der Leyen bisher plant.

    Zagatta: Frau Schwesig, wenn wir ...

    Schwesig: Und sie und die Kanzlerin können nicht ständig die Bedeutung der Kinder betonen, die Kanzlerin macht große Bildungsgipfel, und dann sagt auf einmal Frau von der Leyen, sie ist für Bildung nicht zuständig. Darüber haben wir gestern viel diskutiert, und ich habe den Eindruck, dass wir da jetzt doch langsam die Türen geöffnet kriegen.

    Zagatta: Aber wenn wir da vielleicht mal zum Grundsätzlichen kommen. Die Regierung will den Regelsatz für Erwachsene - darum geht es jetzt - um fünf Euro auf 364 Euro erhöhen und wirft der SPD vor, das natürlich als zu wenig abzulehnen, aber keine eigenen Berechnungen vorzulegen. Wenn Sie mal konkret werden: Welchen Betrag halten Sie denn für angemessen?

    Schwesig: Das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar die Bundesregierung und damit Frau von der Leyen beauftragt, die Berechnung zu machen, ...

    Zagatta: Was die Regierung auch gemacht hat.

    Schwesig: Aber es fehlte bisher eine ganz übliche Berechnung in Deutschland, die Berechnung nach 20 Prozent der unteren Einkommen, und die Bundesregierung hat ja jetzt selbst zugesagt, Frau von der Leyen hat jetzt selbst zugesagt, dass sie die notwendigen Berechnungen noch bis zum 17. Januar vorlegt.

    Zagatta: Auf welchen Betrag kommt die SPD, auf welchen Betrag kommen Sie?

    Schwesig: Es geht nicht darum, was wir berechnen, sondern es geht darum, dass die Berechnungsgrundlagen aus dem statistischen Bundesamt genommen werden und dass Frau von der Leyen die Berechnung macht. Hier kann nicht jeder seine Berechnungen machen, sondern wir müssen mit den gleichen Zahlen arbeiten, und am 17. Dezember (Januar, Anm. d. Redaktion) will Frau von der Leyen die notwendigen Berechnungen vorlegen.

    Zagatta: Aber Sie könnten ja sagen, was Sie noch mit drinhaben wollten und das ausrechnen. Das wollen Sie nicht machen?

    Schwesig: Wir haben gesagt, was wir wollen, wir wollen zum Beispiel, dass wir auf die übliche Berechnungsmethode gehen, die es seit Jahren gibt, die das Bundesverfassungsgericht anerkannt hat, denn Sie müssen ja eins sehen, Herr Zagatta: Die Politik ist schon mal massiv bruchgelandet vor dem Bundesverfassungsgericht, wir können es uns nicht leisten. Und darüber haben wir gestern lange diskutiert, dass wir doch noch mal Punkte, die wir als verfassungswidrig sehen, besprechen müssen, wie wir hier eine Korrektur hinbekommen. Und das ist das ganz Entscheidende, dass diesmal die Berechnung des Existenzminimums wirklich auch vor dem Gericht standhält, denn noch mal so eine Ohrfeige würde ich sehr, sehr schwierig empfinden.

    Zagatta: Aber Frau Schwesig, wenn Sie die Verhandlungen jetzt wieder vertagt haben, heißt das ja auch, dass diese zumindest fünf Euro vorerst nicht ausgezahlt werden können und Leistungen für Kinder aufgeschoben werden. Haben Sie da als Sozialdemokratin kein schlechtes Gewissen?

    Schwesig: Zum einen ist es so, dass die fünf Euro nachgezahlt werden. Da geht überhaupt gar nichts verloren. Und zum anderen habe ich deshalb kein schlechtes Gewissen, weil wir beantragt haben, dass die fünf Euro, so wie es zum Beispiel bei der Beamtenbesoldung üblich ist, jetzt schon ausgezahlt werden, das ist möglich, und wir haben auch gesagt, auch der Zuschuss zum Mittagessen und die Lernförderung - die es ja auch bereits schon gibt, aber eben nicht so gut ausgebaut - auch jetzt schon laufen kann. Das ist überhaupt gar nicht strittig. Es geht ja nicht darum, diese Sachen zu streichen, es geht darum, mehr rauszuholen, insbesondere für die Kinder in Deutschland, und da habe ich ein sehr gutes Gewissen, weil einer muss sich ja mal wohl wirklich stark machen für die Kinder in Deutschland, so geht es nicht mehr weiter.

    Zagatta: Halten Sie denn Ihren Vorwurf aufrecht, dass das ein Erpressungsversuch der Regierung ist, dass sie Kinder da quasi als Geiseln nehmen? Das ist ja harter Tobak.

    Schwesig: Ja, weil es überhaupt nicht einzusehen ist, dass es nicht ausgezahlt wird, und Frau von der Leyen hat über Monate im letzten Jahr angekündigt, dass sie es auch tun wird, unabhängig davon, wann das Gesetz beschlossen wird, und dann kurz vor Weihnachten zu sagen, jetzt doch nicht, um den Druck in den Verhandlungen zu erhöhen, das finde ich nicht in Ordnung, das wird auf dem Rücken der Kinder vor allem ausgetragen. Und deswegen müssen wir hier auch zu schnelleren Lösungen kommen. Dieses Schneckentempo, was wir derzeit erleben, geht so nicht, und ich will noch mal daran erinnern, dass ja gerade in den letzten Tagen die CDU und die FDP gesagt hat, wir können uns schnell einigen, auch beim Mindestlohn geht es schnell, und wir haben gestern erlebt, dass es da überhaupt gar keinen Vorschlag gab beim Thema Verbesserungen für die Menschen, die in Leih- und Zeitarbeit leben. Eine Million Menschen sind in Deutschland betroffen, da gab es eine Scheinlösung, da sind die Verhandlungen richtig gestockt, und da muss ich sagen, wenn man erst so große Versprechungen macht, dann muss man in den Verhandlungen liefern.

    Ich freue mich aber, dass wir an den Punkt gekommen sind und gesagt haben: Wir brechen da jetzt nicht ab oder vertagen uns, sondern wir werden in den Arbeitsgruppen zu den Themen, die uns wichtig sind - Bildung, Regelsatz und Mindestlohn - weiterreden. Beim Mindestlohn muss die CDU und FDP jetzt ihr Versprechen halten, wirklich einen Vorschlag zu machen. Und bei Bildung bin ich sehr zuversichtlich, dass wir da weiter vorankommen, denn die Gespräche gestern, noch mal, waren doch schon von mehr Offenheit geprägt von der anderen Seite, und deswegen hoffe ich, dass wir da jetzt in der nächsten Woche, wenn wir unsere Gespräche fortsetzen, auch weitere Schritte machen.

    Zagatta: Nun besteht ja die Gefahr, darauf weist die Regierung oder das Regierungslager immer wieder hin, dass man mit Hartz IV unter Umständen besser wegkommt als mancher, der arbeitet. Was sagen Sie denn bei der ganzen Diskussion zu Umfragen, wonach eine Mehrheit der Deutschen sogar dagegen ist, dass die Hartz-IV-Sätze überhaupt erhöht werden? Kann Ihnen das egal sein?

    Schwesig: Die Umfragen zeigen aber, dass eine Mehrheit der Deutschen sagt, dass wir unbedingt mehr für Kinder tun müssen, die Kinderarmut bekämpfen müssen, und da sind wir dran, da machen wir uns ganz stark in den Verhandlungen. Und es ist ja auch entscheidend nicht alleine, dass die Transferleistungen erhöht werden, sondern dass wir eben vor allem vor Ort gute Angebote machen, und darum geht es uns, und auch unbürokratisch. Ich bin dafür, dass sich das lohnt, wenn Menschen arbeiten gehen, und deswegen kämpfen wir für bessere Löhne, für einen Mindestlohn, denn jetzt leben viele Menschen, über 250.000, die arbeiten gehen, von Hartz IV, weil sie Billiglöhne haben. Und hier ist die CDU und FDP nicht bereit, nachzubessern, und das ist der eigentliche Skandal. Denn wenn sich Arbeit wirklich lohnen soll, kann man nicht die Sozialleistung nach unten drücken, das hat das Verfassungsgericht zu Recht verboten, sondern dann müssen wir die Löhne, die Mindestlöhne bekommen.

    Zagatta: Frau Schwesig, eins würde mich da zum Schluss noch interessieren: Wenn mehr Frauen politische Entscheidungen zu treffen hätten, heißt das ja gemeinhin, wäre vieles einfacher, gäbe es eher einen Kompromiss oder Kompromisse. Beweisen Sie und Frau von der Leyen da jetzt gerade das Gegenteil?

    Schwesig: Nein, denn wir zeigen, dass wir in einer sehr, sehr schweren Materie, wo wir viele Baustellen haben, konstruktiv zusammenarbeiten, und dass wir eben trotz unterschiedlicher Meinungen hier immer wieder den Gesprächsfaden aufnehmen, und dass man natürlich auch in solchen Verhandlungen Klartext redet, auch öffentlich, das finde ich richtig, denn die Menschen müssen ja auch wissen: Wo sind die Konflikte, und wo kann es vielleicht weitergehen?

    Zagatta: Manuela Schwesig, die Verhandlungsführerin der SPD. Ich bedanke mich ganz herzlich, dass Sie nach diesen schwierigen Gesprächen gestern Abend so früh schon wieder Zeit für uns hatten. Frau Schwesig, ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

    Schwesig: Das wünsche ich Ihnen auch, Herr Zagatta! Auf Wiederhören!