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Schwierige Abkehr vom Gaddafi-Regime

Der Sturz des Gaddafi-Regimes stellt China vor die Frage, wie es mit dem neuen Regime umgehen soll. Peking sorgt sich darum, dass die Rebellen Unterstützer der Militäraktion bevorzugen könnten.

Von Ruth Kirchner |
    Lange Zeit hat Peking gezögert, die Rebellenbewegung in Libyen anzuerkennen. Erst Anfang dieser Woche, als ein Sturz von Gaddafi so gut wie sicher schien, hieß es in einer Stellungnahme des Außenministeriums, man respektiere die Entscheidung des libyschen Volkes, Gaddafi vertreiben zu wollen. Eine offizielle Anerkennung ist das zwar immer noch nicht, aber faktisch kommt es einer Abkehr vom Gaddafi-Regime gleich. Damit erhofft man sich, die Beziehungen zu Libyen jetzt auf eine neue Grundlage zu stellen, sagt He Wenping, Afrika-Expertin an der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften:

    "Was den Wiederaufbau angeht, werden sie eine Menge Hilfe brauchen – finanziell, personell und technologisch. China ist bereit diese Art von Unterstützung zu geben und in Zukunft zu helfen."

    Zugleich fordert China eine führende Rolle der Vereinten Nationen beim Wiederaufbau. Und das wohl nicht ohne Grund. Offensichtlich sorgt man sich in Peking, dass die neue Regierung die Länder bevorzugen könnte, die die Militäraktion der Nato gegen Gaddafis Truppen mitgetragen haben. Entsprechende Äußerungen eines Rebellenführers ließen in Peking die Alarmglocken schrillen.

    China hatte den Militäreinsatz der Nato abgelehnt, hatte allerdings im Weltsicherheitsrat nicht von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht, mit der man die entsprechende UN-Resolution hätte stoppen können. Wie Deutschland hatte sich China der Stimme enthalten, hatte aber in den letzten Monaten immer wieder seinen Unmut über die Luftangriffe deutlich gemacht. Man habe sich aber jetzt nichts vorzuwerfen, sagt He Wenping:

    "Anders, als viele westliche Länder haben wir die Rebellen nicht militärisch unterstützt. Wir lehnen es ab, Konflikte militärisch zu lösen. Das heißt aber nicht, dass wir auf der anderen Seite standen. Wir sehen uns als Dialogpartner."

    Bereits im Juni hatte Peking erste Kontakte zu den Rebellen aufgenommen, hatte wiederholt Gespräche geführt mit Vertretern des Nationalen Übergangsrates. Das China sich so früh so weit vorwagte, war relativ ungewöhnlich. Denn die Volksrepublik insistiert in der Regel auf ihrer Doktrin der Nicht-Einmischung. Rückte man in Libyen also davon ab? Jin Canrong, Experte für Internationale Politik an der Pekinger Volksuniversität, sieht das anders:

    "Nicht-Einmischung ist weiterhin Chinas Grundsatz in der Außenpolitik. Das hat sich nicht geändert. Aber was die Umsetzung dieses Grundsatzes angeht, da wird China flexibler."

    Bei anderen Konflikten verfolgt man die alte Linie: China widersetzt sich derzeit vehement einer UN-Resolution gegen Syrien beispielsweise. Aber in Libyen schien es offenbar zweckmäßiger, die eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen und rechtzeitig die Weichen zu stellen. Was die Zukunft des nordafrikanischen Landes angeht, hofft man jetzt, dass die neue Regierung nicht nur China in den Wiederaufbau mit einbezieht, sondern auch chinesische Investitionen im Lande schützt und alte Verträge anerkennt. China war ein wichtiger Abnehmer von libyschem Öl. 150.000 Barrel pro Tag wurden nach China geliefert – das entspricht drei Prozent der jährlichen chinesischen Öl-Importe. Dutzende von chinesischen Firmen waren zudem in Libyen aktiv – unter anderem im Straßenbau. Zu Beginn des Konflikts hatte China 35.000 seiner Arbeiter abgezogen – in einer bislang einmaligen Evakuierungsaktion. Doch ob sie jetzt zurückkehren werden, das ist noch offen. Zumindest eines hat Peking bereits erreicht: Bei der großen Libyen-Konferenz die Frankreich nächste Woche in Paris organisiert, sitzen Vertreter Chinas mit am Tisch.