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Schwierige Aufarbeitung in Istanbul

Hrant Dink, der Chefredakteur der Zeitung "Agos" in Istanbul war, wurde 2007 von einem jugendlichen Nationalisten erschossen. Die türkische Justiz verhandelt den Fall immer noch, so dass sich Dinks Umfeld mehr von der öffentlichen Diskussion erhofft.

Von Susanne Güsten |
    "Alo, Agos Gazetesi - alo, Agos Gazetesi."

    Hektischer Alltag in der Redaktion der armenischen Wochenzeitung "Agos" in Istanbul. Dass die von Hrant Dink gegründete Zeitung nicht untergehen dürfe, hatten sich Redakteure, Leser und Unterstützer nach der Ermordung ihres charismatischen Chefredakteurs geschworen. Die Zeitung, die zweisprachig auf Armenisch und Türkisch erscheint, ist nicht nur das publizistische Herz armenischen Lebens in der Türkei, sie ist auch ein führendes Sprachrohr der türkischen Demokratiebewegung. Die Redaktion hat ihrem ermordeten Chefredakteur die Treue gehalten, und das hat sich gelohnt: Dreieinhalb Jahre nach seinem Tod hat das Blatt so viele Leser wie zuvor, und doch hat sich einiges verändert - nicht zuletzt an den Sicherheitsvorkehrungen.

    Der Eingang zu den Redaktionsräumen im ersten Stock eines eleganten Altbaus im armenischen Stadtviertel Pangalti ist nun mit einer Panzerglas-Schleuse verbaut - nicht schön, aber leider notwendig, wie Agos-Reporter Sarkis Güreh sagt:

    "Das haben wir neu eingebaut, nachdem Hrant ermordet wurde, als Sicherheitsmaßnahme. Eine Kamera ist da, die jede Bewegung im Eingangsbereich dokumentiert. Und die Polizei ist auch da, 24 Stunden am Tag sind mindestens zwei Polizisten im Dienst. Sie kontrollieren unten Ausweise, durchsuchen auch mal, wenn ihnen jemand verdächtig vorkommt."

    Die Polizisten stehen tatsächlich im Hauseingang unten. Wären sie schon im Winter 2006/ 2007 hier postiert gewesen, als Hrant Dink von Nationalisten angefeindet und bedroht wurde, dann wäre der wohl noch am Leben. Denn genau hier vor der Haustüre wurde Hrant Dink am 19. Januar 2007 von einem 16-jährigen Nationalisten erschossen. Dass der Täter nicht alleine handelte, dass Polizei und Geheimdienst zumindest von den Anschlagsplänen informiert waren, wenn nicht gar aktiv in sie verstrickt - all das ist heute bekannt. Geschehen ist aber bis heute nichts, wie die Rechtsanwältin Fethiye Cetin beklagt, die Hrant Dinks Angehörige vertritt:

    "Hrant Dink ist nicht geschützt worden, und diejenigen, die ihn nicht geschützt haben, werden nicht vor Gericht gestellt. Hrant Dinks Leben war schon lange in Gefahr, und das wusste der Staat. Alle Sicherheitsbehörden wussten das."

    "Trotzdem wurde er nicht geschützt. Und bis heute ist kein einziger Angehöriger der Sicherheitskräfte dafür vor Gericht gestellt worden."

    Dass Staatspräsident Abdullah Gül kürzlich eine Mitschuld des Staates an der Ermordung von Hrant Dink einräumte und dass Außenminister Ahmet Davutoglu sich von Beamten seines Ministeriums distanzierte, die Dink die Schuld für seinen Tod in die Schuhe schieben wollten, das reicht Familie und Freunden des Ermordeten deshalb nicht. Den Worten müssten Taten folgen, fordert die Initiative "Freunde von Hrant", der auch der Karikaturist Kemal Gökhan Günes angehört:

    "Die Spitzenvertreter von Staat und Regierung erzählen uns neuerdings, wie nahe ihnen die Ermordung von Hrant Dink geht. Als Freunde von Hrant Dink teilen wir diesen Schmerz natürlich, aber als Beobachter des Gerichtsverfahrens gegen seine Mörder haben wir da noch ein paar Fragen. Denn uns scheint, dass diese Staatsvertreter, die Hrant Dinks Ermordung beklagen, zugleich noch nichts getan haben, um den Mordfall aufzuklären."

    Die Initiative ruft alle Freunde und Sympathisanten von Hrant Dink dazu auf, die Behörden schriftlich mit Fragen zu bombardieren, darunter auch den Staatspräsidenten:

    "Herr Staatspräsident, Sie haben neulich gesagt, dass Hrant Dink leider starb, weil die notwendigen Maßnahmen zu seinem Schutz nicht ergriffen wurden. Wir wollen wissen: Sind irgendwelche Ermittlungen gegen diejenigen eingeleitet worden, die diese Maßnahmen nicht ergriffen haben? Und wir wollen wissen: Haben Sie die Behörden angewiesen, solche Ermittlungen einzuleiten?"

    Fünfzehn Werktage haben die Behörden nach dem Gesetz nun Zeit, um die Fragen ihrer Bürger zu beantworten. Von der öffentlichen Diskussion versprechen sich Familie und Freunde von Hrant Dink inzwischen mehr als von der türkischen Justiz, die den Fall seit drei Jahren verhandelt. Ein Urteil in dem Istanbuler Prozess ist jedenfalls noch immer nicht absehbar.