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Gewaltvorwürfe im Schwimmsport
Externe Kommission startet Aufarbeitung

Die Vorwürfe von psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt im Deutschen Schwimmverband sind weiter nicht hinreichend aufgearbeitet. Deshalb hat nun eine externe Kommission mit der Untersuchung der Vorfälle begonnen.

Von Andrea Schültke | 18.03.2023
Schwimmerin beim Weltcup in Lausanne
Vorwürfe von Gewalt im Schwimmen: "Verantwortung gegenüber Betroffenen" (Eric Dubost / Imago)
Die Aufgabe gleicht einem Ermittlungsverfahren. Die unabhängige Aufarbeitungskommission wird Dokumente sichten, mit Betroffenen, Funktionären und anderen Beteiligten sprechen. So soll ein möglichst umfassendes Bild entstehen, welche Vorfälle von Gewalt es im Deutschen Schwimmverband gegeben hat.
Das ist der Plan der vierköpfigen Kommission um Sportsoziologin Bettina Rulofs. Die Wissenschaftlerin von der Sporthochschule Köln hat die maßgeblichen Studien zum Thema sexualisierte Gewalt im deutschen Sport vorgelegt. Im Team mit Soziologin Fabienne Bartsch sowie den Sportjuristen Caroline Bechtel und Martin Nolte geht sie die komplexe Untersuchung an.

Kommissionsleiterin Rulofs: Verantwortung gegenüber Betroffenen

"Mit hohem Respekt gehen wir an die Aufgabe. Wir haben das auch sorgfältig überlegt, ob und inwiefern wir das machen können. Wir haben aber eben auch eine gewisse Verantwortung gespürt." Verantwortung gegenüber Betroffenen. Ihnen will die Kommission zuhören und so ihr Leid anerkennen, sagt Bettina Rulofs.
Bei der Aufarbeitung der Vorwürfe im Deutschen Schwimmverband möchte die Kommission von den Betroffenen erfahren, welche Gewalthandlungen sie erlebt haben. "Was diese Gewalthandlungen auch für ihre Biografie, für ihr Leben bedeutet haben, wie sich das auf vielleicht gesundheitliche Aspekte, aber auch psychische Aspekte, aber auch auf die sportliche Entwicklung ausgewirkt hat."

Regeln zum Vorgehen bei sexualisierter Gewalt fehlen

Immer wieder berichten Betroffene, sie hätten Verantwortlichen von den Übergriffen erzählt, nichts sei passiert. Niemand habe ihnen geglaubt oder – noch schlimmer – die Taten gar vertuscht. Daher geht es den Forschenden bei der Aufarbeitung auch darum, neben mutmaßlichen Tätern Mitwisser zu identifizieren.
Dass die verbandsrechtlich noch sanktioniert werden können, hält Martin Nolte kaum für möglich. Der Leiter des Instituts für Sportrecht an der Sporthochschule Köln vermutet: Es gab und gibt im Verband kein Regelwerk zum Vorgehen bei sexualisierter Gewalt:
"Wenn es um die Größe oder die Seitenbreite einer Badehose geht, da gibt es dann Regelungen, die hoch diskutiert werden, aber solche substanziellen elementaren Regelungen gegen Gewalt und Missbrauch fehlen. Das ist natürlich eigentlich aus dem juristischen Blickwinkel verblüffend frappierend, und es ist natürlich auch erschreckend, dass man dort keine Regeln hat."
Aufgabe der Kommission wird daher auch sein, Strukturen zu identifizieren, die Missbrauch begünstigt haben, und Lücken im Verbandsregelwerk aufzudecken. "Um Vorschläge zu erarbeiten, Empfehlungen zu erarbeiten, in welchem Umfang und auf welche Weise diese Lücken in der Zukunft geschlossen werden können, um Gewalt und Missbrauch im Schwimmsport zukünftig wirksam aufzudecken, verfolgen und sanktionieren zu können."

Unabhängige Institution nötig

Für die Zukunft schwebt Nolte eine unabhängige Institution vor, die Fälle sexualisierter Gewalt im Sport außerhalb des jeweiligen Verbandes regelt.
Eine unabhängige Stelle hält auch Bettina Rulofs für erforderlich. Dass Aufarbeitung wichtig ist, würden immer mehr Verbände erkennen. Sie seien aber im Ehrenamt damit überfordert.
"Das heißt, es braucht hier eine professionelle Instanz, eine Agentur, eine Clearingstelle, die hilft, die unterstützt und solche systematischen Untersuchungsprozesse für die Verbände voranbringen kann."
Das geplante "Zentrum für Safe Sport" könnte unter anderem diese Aufgaben übernehmen. Bis es so weit ist, müssen Verbände wie der DSV selbst einen Weg der Aufarbeitung suchen. Der Verband hatte zunächst viele vollmundige Ankündigungen gemacht – mit wenig greifbaren Ergebnissen. Aber jetzt steht die Kommission und wird von einem Projektbeirat unterstützt. In diesem Beirat sitzen unter anderem eine Sportpsychologin, eine Trainerin und eine ehemalige Leistungssportlerin.

DSV trägt die Kosten

Die Aufarbeitung "Schwimmen" ist zunächst auf ein Jahr befristet, der chronisch klamme DSV zahlt dafür 100.000 Euro aus den Rücklagen. Vizepräsident Wolfgang Rupieper sagt: "Die Zielsetzung, eben alles ganz transparent aufzuarbeiten, muss erreicht werden und dieses konnte nur durch diese Kommission geschehen. Und dass dadurch Kosten verursacht wurden, die wir tragen müssen, war uns klar."
Rupieper hat selbst zum verbandsinternen Team gehört, das Vorwürfe sexualisierter Gewalt geprüft hat: Gegen einen ehemaligen Bundestrainer, der inzwischen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt ist. Die Ergebnisse seiner Untersuchung hat der Verband nie öffentlich gemacht, führt als Grund Datenschutzbestimmungen an. Ein beliebtes Argument in solchen Fällen. Jetzt wird die Aufarbeitungskommission auch diese Akten prüfen.

Persönliche Konsequenzen nicht ausgeschlossen

Auch der Vizepräsident selbst muss mit möglichen Konsequenzen rechnen, sollte die Kommission feststellen: Es hat doch Regeln gegeben und er hat sich bei der internen Untersuchung der Vorwürfe nicht daran gehalten.
"Ich habe ja gesagt, dass also persönliche Konsequenzen nie ausgeschlossen werden. Das wird auch die Kommission selbstverständlich aufarbeiten. Das gehört mit in den Komplex. Wenn gravierende Fehler bei amtierenden Funktionären festgestellt werden, muss man sehen, wie man damit umgeht, welche Konsequenzen der Deutsche Schwimmverband ziehen muss."
Das gilt auch für den weiteren amtierenden Vizepräsidenten Kai Morgenroth. Als Präventionsbeauftragter ist er ebenfalls in die Untersuchung eines Falles sexualisierter Gewalt eingebunden gewesen. Dass der Verband am Ende der Aufarbeitung ohne seine beiden Vizepräsidenten dasteht, scheint aber eher unwahrscheinlich.
Laut Bettina Rulofs sollen die Berichte der Aufarbeitungskommission auf jeden Fall veröffentlicht werden, unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes. Verbandsvize Wolfgang Rupieper zeigt sich im Gespräch mit dem Deutschlandfunk sogar offen für mögliche Entschädigungszahlungen.
Durch den Verband direkt sei das aufgrund der Satzung nicht möglich. "Es gibt einen Ausgleichsfonds, aber der ist begrenzt nach oben und würde bei solchen Verstößen, die immens sind, nicht ausreichen. Also da suchen wir Möglichkeiten und Wege, dass wir da der moralischen Verpflichtung, die wir gegenüber den Betroffenen, gegenüber den Opfern haben, gerecht werden."
Betroffenen die Last nehmen
Für einen deutschen Sportverband sind das neue Töne. Andere Verbände haben tatsächliche Entschädigungszahlungen für Betroffene sexualisierter Gewalt im Sport bisher strikt abgelehnt.
Der Vizepräsident hat auch den Willen signalisiert, Empfehlungen der Kommission umzusetzen. Wenn das geschieht, wäre ein Ziel der Aufarbeitungskommission erreicht. Für Sportsoziologin Bettina Rulofs ist aber zentral: "Wenn Betroffene nach diesem Aufarbeitungsprojekt sagen, wir haben eine Gelegenheit gehabt, sorgfältig angehört zu werden. Wir konnten auch ein Stück weit – hoffentlich ist das der Fall – unsere Last loswerden - das wäre ein sehr schönes Ergebnis."