Verwunschen liegt er da, der kleine Veringkanal im malerischen Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Mächtige Weidenbäume hängen ihre Blätter ins Wasser, Enten schwimmen vorbei, am idyllisch zugewucherten Ufer dösen ein paar rostige alte Schiffe vor sich hin. Dazwischen liegt die 150 Quadratmeter große künstliche Insel – halb Floß, halb provisorisches Gebäude.
Über einen wackligen Holzsteg gelangt man drauf. Mehrere Pontons aus Stahl liegen nebeneinander, ein großes Holzdeck verbindet sie, darüber ein Dach. An einem großen Tisch sitzen sechs Kinder und zeigen, was sie gezeichnet haben.
Kinder: "Ich hab hier ein Haus gemalt, und hier ist der Keller mit einem Aquarium, und diese Treppen sind Rolltreppen."
"Eine auf Ketten fahrende Bibliothek."
"Das ist ein Vogelkäfig. Und das ist eine Bücherhalle unter Wasser."
Bibliothek der Zukunft
Wie könnte eine tolle Bibliothek aussehen, wenn sie groß sind? Das haben die Kinder sich überlegt. Und das ist im Grunde auch die Frage, die die Künstler der Bibliotheksinsel umtreibt, erzählt der 30-jährige Finn Brüggemann.
Finn Brüggemann: "Wir versuchen hier rauszufinden: Wie wollen wir in Zukunft miteinander leben und arbeiten? Und das ist ja ein Projekt, das aus der bildenden Kunst kommt, also überlegen wir uns auch, was für ein Bild braucht es dann? Und dieses Auf-dem-Wasser-Sein, Losgelöst-vom-Land-Sein, da finden wir, dass das ein ziemlich gutes Bild dafür ist, für diese Frage."
Die Pontons lassen sich mit einer Barkasse auch an andere Orte bringen. Und das haben die Künstler auch schon mit ihnen gemacht.
Finn Brüggemann: "Gerade in Hamburg bietet sich das natürlich total an. Wenn man sich mal so eine Karte von Hamburg anschaut, dann ist ja überall Blau. Also, es gibt ganz viel Wasser, und wenn man da so naiv draufschaut, dann sind das erst mal riesige zu bespielende Freiräume, wo doch Kunstprojekte total schön hinpassen."
Wissen aufbewahren und weitergeben
Eine klassische Bibliothek ist das hier aber nicht. Ein einziges Bücherregal steht da mit gerade mal zwei Dutzend Büchern drin, das meiste ziemlich anspruchsvoller Kram zu philosophischen und künstlerischen Fragen.
Und trotzdem nennt sich dieses Kunstprojekt Bibliotheksinsel: In einer Bibliothek wird Wissen aufbewahrt und weitergegeben. Und das passiert auch hier, erklärt die 33-jährige italienische Architektin Federica Tedi. Sie ist für die Berliner Künstlergruppe "ft Kultur" dabei.
Federica Tedi: "Das Wissen ist vielleicht ein bisschen anders, als was man normalerweise so in den Büchern findet. Es ist ganz stark verbunden mit den Leuten, die den Ort beleben."
Auch deshalb sind alle Menschen eingeladen, zur Bibliotheksinsel zu kommen.
Federica Tedi: "Die Bibliothek selbst lebt davon, dass die Leute herkommen, ein Gespräch führen, was erzählen …"
Finn Brüggemann: "Wir sammeln Geschichten. Geschichten des Alltags und Lebensgeschichten. Und auch Geschichten des Stadtteils. Und die versuchen wir zu konservieren."
Ein offener Ort
Darum hat die mobile Bibliothek auch eine Schreib- und eine Druckwerkstatt. Geschichten sollen erzählt, gesammelt, aufgeschrieben, übersetzt und gedruckt werden, erklärt der 34-jähige Architekt Fabien Bidaut vom französischen Künstlerkollektiv "mit".
Fabien Bidaud: "Wir wollen einen Ort schaffen, der sehr offen ist – nicht wie eine konventionelle Bibliothek, wo viele Sachen, Bücher vor allem, gesammelt und archiviert werden, sondern, wo wir was produzieren."
Den ganzen Monat über gibt es hier täglich Programm. Auch für Kinder. Und die sind begeistert.
Kind: "Sehr gut! So eine Bücherhalle auf dem Wasser, das gibt’s ja noch nicht."