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Ex-Schwimmerin Aleksandria Herasimenia
Von Lukaschenko gefeiert, verstoßen und verurteilt

Alexandra Herasimenia jahrelange das Aushängeschild des belarussischen Sports - bis sie sich gegen Machthaber Lukaschenko stellt. Vor zwei Wochen wurde die ehemalige Schwimmerin zu 12 Jahren Haft in Abwesenheit verurteilt.

Von Tatjana Schweizer | 08.01.2023
Die belarussische Schwimmerin Aliaksandra Herasimenia präsentiert bei der WM 2017 stolz ihre Bronzemedaille
Aliaksandra Herasimenia zählt in Belarus zu den erfolgreichsten Athletinnen der Sportgeschichte (imago / Insidefoto / © Giorgio Perottino / Deepbluemedia / Insidefoto)

Ich bin mir sicher, euch ist es nicht egal, welches Belarus ihr vertreten werdet: das Land, in dem Menschenrechte beachtet werden oder das Land der Angst und Repressionen.

So wendet sich Alexandra Herasimenia an die belarussischen Sportler und Sportlerinnen im September 2020. Die Wahlen sind erst einen Monat her. Seitdem protestieren Hunderttausende lautstark gegen das Regime und den Wahlbetrug in ihren Augen. Einige Menschen sind bei den Protesten ums Leben gekommen. Die dreifache olympische Medaillengewinnerin stellt sich gegen das Regime, nachdem sie miterlebt hat, wie brutal die Streitkräfte gegen die Protestierenden vorgegangen waren.

Herasimenia sieht "verfaultes System" in Belarus

"Ich wusste, dass in unserem Land vieles nicht perfekt war, dass das System verfault war. Aber so eine grausame Gewalt sah ich zum ersten Mal”, erinnert sich Herasimenia heute. „Es ist mir schwergefallen, das zu akzeptieren. Innerlich wollte ich sogar zustimmen, dass das alles fake sei, wie die Propagandisten behaupteten. Aber ich habe ja das alles gesehen. Drei Tage lang habe ich nur geweint.“

"Players"-Podcast zum Thema:

Von der Volkshelding zur Staatsfeindin

Ein Wendepunkt für Herasimenia, die jahrelang ein Aushängeschild im belarussischen System war: Fernsehen, Werbung, staatliche Veranstaltungen. Sport ist hier eng mit dem Staat verwoben. Das bedeutet auch, aus der Volksheldin wird schnell eine Feindin. Jeder, der sich gegen das Regime äußert, riskiert automatisch seine Karriere, sagt Herasimenia.

Für Lukaschenko sei Sport ein Spielzeug

Für Lukaschenko selbst sei Sport “wie ein Spielzeug, ein Lieblingsspielzeug. Deswegen hat er unsere Erfolge als seine eigenen gesehen und meinte, das Recht zu haben, uns zu belehren, wie wir trainieren, wie wir schwimmen, laufen sollen. Natürlich hat das keiner ernst genommen, aber uns war klar, dass der Sport ein Propaganda-Instrument war."

Auch andere Sportler und Sporlerinnen gehen zu Demos

Doch trotz dieser starken Abhängigkeit vom Staat ist Herasimenia bei weitem nicht allein. Viele Sportlerinnen und Sportler gehen vereint zu den Demos und rufen andere auf, sich anzuschließen. Für Lukaschenko eine persönliche Beleidigung.

Wir wurden automatisch zu Verrätern. Zu denjenigen, die er als Vater großzog und die ihn hintergangen haben.

Alexandra Herasimenia will mehr machen, als auf Proteste zu gehen. Doch sie weiß: Im Land zu bleiben ist zu gefährlich. Sie verlässt Belarus und gründet im Ausland die Belarusian Sport Solidarity Foundation, kurz BSSF mit, eine Organisation, die verfolgten Sportlerinnen und Sportlern helfen soll. BSSF fordert Sanktionen gegen den belarussischen Sport. Und erntet Erfolge. 
„Niemand hat früher sowas gemacht. Wir haben uns selbst diesen Weg geebnet. Wir haben für Sanktionen gekämpft, mehrere internationale Spiele wurden deshalb aus Belarus verlegt. Alleine die Eishockey-Weltmeisterschaft: Wer hat so was schon mal erreicht? Wir haben das innerhalb weniger Monate gemacht."

Sanktionen gegen Sportler sind notwendig

Auch heute, wenn das belarussische Regime den russischen Krieg in der Ukraine unterstützt, findet sie Sanktionen gegen Sportler notwendig. Sie selbst lebte vor dem Krieg in Kiew und musste fliehen - zum zweiten Mal in ihrem Leben. "Im Krieg gibt es keine Zeit, lange zu überlegen, wer das verdient und wer nicht. Sportler, die eine falsche Entscheidung getroffen haben, weil sie Angst um ihre Karriere hatten, haben diese Karriere schon damals verloren.”

Herasimenia in Belarus zu zwölf Jahren Haft verurteilt

Herasimenia selbst hat ihre Karriere als Schwimmerin 2019 beendet, also noch vor den Wahlen in Belarus, und gibt zu, dass es ihr deswegen leichter fiel, die Protestbewegung zu unterstützen. Doch auch sie hatte viel zu verlieren. Schon wenige Wochen nachdem sie ihre Position bekanntgibt, wird ihre Schwimmschule geschlossen, noch ein paar Monate später - ihr Haus beschlagnahmt. Vor zwei Wochen wurde sie in einem Schauprozess in Belarus zu 12 Jahren Haft verurteilt, weil sie zu Sanktionen aufgerufen und damit angeblich die nationale Sicherheit gefährdet habe. Ob sie als aktive Sportlerin dieselben Entscheidungen getroffen hätte?
“Ich denke ja. Es steht immer etwas auf der Waage. Und wir müssen abwägen. Was ist wichtiger: Ehre und Gerechtigkeit oder etwas anderes? Für mich gab es keinen Weg zurück. Ich konnte es nicht einfach herunterschlucken und vergessen. Hätte ich das gemacht, hätte mich mein Haus, das mir jetzt weggenommen wurde, daran erinnert, dass ich feige war. Ich hätte ständig mein Gewissen gehört: Dir ist jetzt gemütlich in deinem Haus, und jemand sitzt im Gefängnis, er wird gefoltert, erniedrigt, von Läusen geplagt. Heute schäme ich mich nicht. Ich weiß, dass ich damals alles gemacht habe, was ich konnte.”