Wenn die Mikrobiologin Gloria Dominguez Bello sich auf die Suche nach einer möglichst großen Artenvielfalt macht, geht es ihr wie den Ökologen: Sie muss weite Wege zurücklegen und sich in abgelegene Regionen durchschlagen – zum Beispiel zum indigenen Volk der Yanomami im Amazonas-Gebiet:
"Die finden es lustig, dass wir von so weit her aus den Städten zu ihnen kommen, nur um ihre Hinterlassenschaften zu holen: Aber dann erklären wir ihnen den Grund und sie verstehen das. Besonders, wenn wir ein Mikroskop mitbringen und ihnen all die winzigen Organismen in ihren Exkrementen zeigen. Und wir sagen ihnen dann, dass sie viele verschiedene Lebensformen in sich tragen, die wir verloren haben."
Vielfalt der Mikrobenarten schwindet
Tatsächlich konnte die Mikrobiologin bereits zeigen, dass die Yanomami, die mitten in Südamerika vermutlich seit 11.000 Jahren relativ isoliert leben, etwa doppelt so viele Mikrobenarten im Darm, auf der Haut und auf ihren Schleimhäute haben wie Bewohner westlicher Länder. Allerdings stellte sie ebenfalls schnell fest: Auch diese Vielfalt schwindet, und zwar, weil die indigenen Menschen immer häufiger mit der westlichen Medizin in Kontakt kommen. Die Angst vor diesem unwiederbringlichen Verlust brachte sie auf eine Idee, wie ihr Mann Martin Blaser berichtet, ebenfalls Mikrobiologe:
"Gloria hatte diese Idee, die sich an das erfolgreiche Archiv für Samenarten auf Spitzbergen in Norwegen anlehnt. Wir haben uns mit den Machern diese Samentresors in Verbindung gesetzt und uns ausgetauscht. So haben wir erfahren, dass sie dort 30 Jahre für ihr Projekt gebraucht haben."
Verarmtes Mikrobiom fördert Zivilisationskrankheiten
Seitdem drängt es die Forscher zur Eile. Denn die Vielfalt des Mikrobioms könne bereits in zehn Jahren verschwunden sein, sagt Gloria Dominguez Bello. Mit womöglich drastischen Folgen für die Gesundheit der Menschen. Denn es gibt Hinweise darauf, dass ein gestörtes oder verarmtes Mikrobiom eng mit bestimmten Krankheiten wie etwa Asthma, Diabetes oder Autismus zusammenhängt. Neben einer einseitigen Ernährung und übertriebener Hygiene sei dafür vor allem ein zu sorgloser Umgang mit Antibiotika verantwortlich, meint der Mikrobiologe und Arzt Martin Blaser:
"Wir wissen seit langem, dass Antibiotika die Umwelt verändern. Die bekannteste Nebenwirkung ist die Entwicklung von Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind. Dem wurde schon viel Aufmerksamkeit geschenkt. Aber ich glaube, das ist nur die Spitze des Eisbergs. Der größere Teil des Problems - das sind die Auswirkungen auf das Mikrobiom."
Machbarkeitsstudie für Mikroben-Archiv
Noch sind viele Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und der Gesundheit nicht erforscht - viele Mikrobenarten sind nicht einmal bekannt. Gerade deshalb sei es so wichtig, dass man die derzeit noch vorhandene Vielfalt irgendwie bewahre, finden Dominguez Bello und Blaser. Sie haben daher gemeinsam mit der Universität Kiel und einer portugiesischen Stiftung eine Machbarkeitsstudie für das Mikroben-Archiv in Auftrag gegeben. In Berlin werden sie mit den Gutachtern in dieser Woche erste Zwischenergebnisse diskutieren. Denn es gibt noch viele Fragen zu klären: Was ist die beste Konservierungsmethode für Mikroben – einfrieren, gefriertrocknen oder vielleicht beides? Wer kommt als Geldgeber in Frage? Ist die kalte Arktis ein guter Ort für die Arche oder doch eher ein Tunnel in den Schweizer Bergen? Nicht zuletzt seien auch rechtliche Fragen noch zu klären, meint Martin Blaser:
"Wenn wir die Exkremente von einem Menschen aus irgendeinem Land haben, wem gehören diese Exkremente dann?"
Denn sollte sich herausstellen, dass sich mit bestimmten, seltenen Mikroben des Archivs Krankheiten behandeln lassen, dann könnten diese schnell sehr wertvoll werden.