Ende der 1990er-Jahre fanden sich in St. Petersburg lesbische Sportlerinnen zusammen, die das Versteckspiel hinter sich lassen wollten. Auch in anderen russischen Städten wurden Freizeitgruppen gegründet. Sie mieteten selten genutzte Räume, manchmal unter falschem Vorwand. Einige Sportler reisten zu Wettkämpfen nach Westeuropa oder in die USA. An den Gay Games 2010 in Köln nahmen aus Russland 52 Lesben und Schwule teil, die meisten hatten sich zuvor niemandem anvertrauen wollen. Zurück in Russland gründeten sie die LGBT-Sportföderation, für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle. Ihr Vorsitzender ist der Eiskunstläufer Konstantin Yablotskiy.
“Wir sind keine politische Organisation, wir sind keine Menschenrechtsorganisation. Natürlich nutzen wir den Sport indirekt, um Schwule und Lesben in einem geschützten Umfeld zusammenzubringen. Wir haben mehr als fünfzig Wettkämpfe organisiert, für 800 Mitglieder aus dem ganzen Land, die meisten stammen aber aus Moskau und St. Petersburg. Wir protestieren damit gegen niemanden, wir werben für Toleranz.“
Provokationen aus dem Weg gehen
Der Verband ist beim Sportministerium registriert, doch eine Förderung hat er nie erhalten. Die Aktivisten sind auf Spenden und Teilnahmegebühren angewiesen. Zu den wenigen Sponsoren zählen drei homosexuelle Olympia-Athleten, sie wollen anonym bleiben. Konstantin Yablotskiy möchte während der Open Games Aufklärung leisten. Doch wie soll das funktionieren, wenn schon das Zeigen von Regenbogenflaggen eine Strafe nach sich ziehen kann? Die Diskriminierungen haben sich herum gesprochen, zuletzt hat der Verband Absagen von Teilnehmern aus dem Ausland erhalten. Eine russische Badmintonspielerin verlor ihren Job in einer Werbeagentur, nachdem Fotos von ihr bei einem Wettkampf in Rotterdam aufgetaucht waren. Zweimal wurden schwullesbische Teams in Moskau von Sportplätzen geworfen. Auch Konstantin Yablotskiy wurde beschimpft. Wie reagieren Interessenten der Open Games?
“Einige haben Angst, andere wollen der Visums-Bürokratie aus dem Weg gehen. Alle Wettbewerbe werden in geschlossenen Hallen und Räumen stattfinden, nicht unter freiem Himmel. Wir haben Sicherheitsleute engagiert. Zuschauer müssen sich vorher auf unserer Internetseite anmelden. So gehen wir jeder Provokation aus dem Weg. So sieht das Leben zurzeit in Russland aus.“
Amnesty: Selbstmorde und Misshandlungen
Bei den Olympischen Spielen in Vancouver 2010 und London 2012 wurden Pride-Häuser geöffnet, Treffpunkte für homosexuelle Fans und Athleten. In London hatte das Organisationskomitee eine Verpflichtungserklärung zur Vielfalt aufgenommen. Die südafrikanische Bogenschützin Karen Hultzer nutzte die Atmosphäre für ihr Coming-out. In Sotschi wurde ein Pride-Haus schon vor der schärferen Gesetzgebung verboten. Daran konnte auch ein Gespräch von russischen Aktivisten mit dem IOC-Präsidenten Thomas Bach im November nichts ändern. Laut dem russischen Lewada-Zentrum, einem unabhängigen Meinungsforschungsinstitut, kennen nur zwölf Prozent der Bevölkerung Schwule oder Lesben persönlich, 35 Prozent halten Homosexualität für eine Krankheit. Peter Franck ist Russland-Experte von Amnesty International.
“Der Staat gibt ein Signal: Die gehören zu uns und das sind andere. Und das Signal in einer homophoben Gesellschaft ermuntert natürlich jetzt Rechtsradikale gegen Homosexuelle vorzugehen, sich verdeckt mit ihnen zu verabreden, dann bloßzustellen und im Internet zu outen. Wir haben Selbstmorde, wir haben Misshandlungen. Und vor allem auch im öffentlichen Bereich, zum Beispiel in Talkshows, trauen sich Leute Dinge zu sagen, die vorher so noch nicht zu hören waren. Und das ist die fatale Wirkung dieses Gesetzes.“
Botschafter gesucht
Laut dem Internetportal Outsports leben von den 2500 Olympia-Athleten nur sechs offen homosexuell, ein Mann ist nicht darunter. Die schwullesbische Gemeinschaft hat Konzepte entwickelt, um abseits der großen Bühnen Begegnungen zu ermöglichen. Für die Gay Games 2002 in Sydney richtete sich ein Stipendiaten-Programm an australische Ureinwohner. Vereine in Frankfurt oder Düsseldorf unterstützen seit langem homosexuelle Sportler aus Osteuropa. Konstantin Yablotskiy will nun in Sotschi Werbung für die Open Games in Moskau machen, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Er sucht Botschafter, bislang hat nur die niederländische Sportministerin Edith Schippers ihr Kommen in Aussicht gestellt.
Nicht nur sie soll erfahren, wie wichtig der Sportverband für Lesben und Schwule geworden ist, sagt die Tänzerin Alexandra Chekalina. “Hier in Russland sind wir meistens Individuen. Es gibt ein paar Clubs, wo wir uns treffen können. Leider ist unser Sportangebot noch nicht wirklich bekannt. Dabei können wir gerade hier selbstbestimmt auftreten. Es ist ein Kontrast zum sonstigen Alltag. Wenn ich traurig oder erschöpft bin, dann treffe ich mich mit Freunden im Tanzstudio, und sehr schnell ist die Traurigkeit verschwunden.“