Arndt Reuning: Ein Team von französischen Forschern berichtet heute im Fachmagazin Science über die Folgen des Klimawandels für die Mittelmeer-Region. Mein Kollege Volker Mrasek hat sich die Studie angesehen. Herr Mrasek, was ist denn die Hauptaussage dieser Untersuchung?
Volker Mrasek: Dass der Mittelmeer-Raum auf dem besten Weg ist, sich stärker zu erwärmen als jemals zuvor während des gesamten Holozäns - also in den zurückliegenden über 11.000 Jahren - und dass selbst dann, wenn die globale Erwärmung bei zwei Grad Celsius gestoppt werden könnte, die Mittelmeer-Region aus diesem "ihr vertrauten" Temperaturfenster ausbrechen würde.
Dieses Ziel hat sich die Staatengemeinschaft im Klimavertrag von Paris gesetzt - die Erwärmung im weltweiten Durchschnitt möglichst auf zwei Grad plus zu begrenzen. Derzeit ist sie schon bei etwa einem Grad.
Klima wie zuletzt vor 4.700 Jahren
Reuning: Was wären die Folgen?
Mrasek: Mögliche starke Veränderungen der Vegetation und Ökosysteme wären die Folge, Gras- und Strauchsteppe und Wüsten würden sich auf Kosten von Wäldern ausbreiten. In der Studie heißt es zum Beispiel: Wenn wir so weitermachten wie bisher, würde sich im ganzen Süden Spaniens ein Wüstenklima einstellen.
In einer Zwei-Grad-Welt wäre am Mittelmeer mit Klimabedingungen wie vor rund 4.700 Jahren zu rechnen. Das sei eine besonders regenarme Episode des Holozäns gewesen, mit starken Umbrüchen in den Ökosystemen, sagen die Autoren. Zwölf bis 15 Prozent der Landoberfläche hätten sich damals verändert. Forscher sehen das als Warnsignal für die gegenwärtige Entwicklung - unter ihnen ist übrigens Wolfgang Cramer, der lange am PIK war - heute arbeitet er in Frankreich.
Reuning: Woher können Cramer und seine Kollegen das so genau wissen?
Mrasek: Die Vegetation schreibt ihre Geschichte gewissermaßen selbst. Und zwar überdauern Pflanzenpollen im Boden, in Sedimentschichten, in See-Ablagerungen. Und wenn man die durch Altersbestimmung zeitlich zuordnet kann man sehen, zu welcher Zeit welche Pflanzen an welchen Orten vorkamen.
Das haben die Forscher gemacht, also das Pollenarchiv für den mediterranen Raum gelüftet, und zwar rückblickend für das ganze Holozän - auch das ist das Neue an der Studie. So können sie einen Eindruck gewinnen, wie sich Vegetationsformen und Ökosysteme in der Vergangenheit und bei welchen Klimabedingungen entwickelt haben.
Zweiter Teil war dann, sich vorliegende Modell-Simulationen für dieses Jahrhundert anzuschauen - und zu sehen: Wann bricht der Mittelmeer-Raum aus dem gewohnten Klima des Holozäns aus? Wie sieht das für verschiedene Pfade der Treibhausgas-Emissionen aus?
Und dann das Fazit: Der Klimavertrag von Paris genügt nicht! Schon in einer Zwei-Grad-Welt würden Steppe und Wüste in Südeuropa und Nordafrika weiter vordringen - wobei man auch sagen muss, dass sich der Mittelmeer-Raum stärker als die Welt im Durchschnitt erwärmt.
"Ein weiteres Plädoyer an die Staatengemeinschaft, noch mehr zu tun, um ihre Treibhausgas-Emissionen runterzufahren"
Reuning: Und das wird die Politiker beim nächsten Klimagipfel in Marokko aufrütteln? Der Beginnt ja auch wieder in zehn Tagen!
Mrasek: Wenn sie davon Notiz nehmen! Aber es liegen ja schon genügend andere Studien vor, die nahelegen, dass auch schon zwei Grad plus - global gemittelt - Ökosysteme hier und dort überstrapazieren könnten - in der Arktis etwa oder in den Tropen.
Für den Mittelmeer-Raum zeigen Klima-Simulationen ja auch schon länger, dass sommerliche Hitzewellen durch den Klimawandel dort viel intensiver werden dürften Man kann die neue Studie jedenfalls als weiteres Plädoyer an die Staatengemeinschaft verstehen, noch mehr zu tun, um ihre Treibhausgas-Emissionen runterzufahren - und als Plädoyer an die mediterranen Länder, sich auf die Entwicklung einzustellen und die eigene Landnutzung kritisch zu hinterfragen.
Denn da gäbe es sicher auch Einiges zu tun - Wälder werden gerodet oder durch Weidehaltung übernutzt, Böden verlieren an Fruchtbarkeit - etwas, was die Situation noch verschärft.
Reuning: Wodurch zeichnet sich denn die Vegetation des Mittelmeer-Raumes aus?
Mrasek: In den Wäldern dominieren Hartlaubgewächse, also Baumarten, die an das warme, im Sommer trockene Klima angepasst und immergrün sind. Typische Vertreter sind Kork-, Kermes- und Steineiche, die Steinlinde oder auch Olivenbäume; in Höhenlagen sind es Nadelhölzer wie Pinien und Zypressen.
In der Steppe kommen im Wesentlichen nur noch Sukkulenten und Dornsträucher vor - das sind Pflanzen mit speziellen Strategien zur Vermeidung von Wasserverlusten, die auch längere Dürren überstehen.