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Sea-Watch-3-Einsatzleiter
Keine Lobby für Menschenrechte

Man sei nach Seerecht gebunden, den nächsten Hafen anzulaufen, sagte Philipp Hahn, Einsatzleiter von Sea-Watch 3, im Dlf. Darum musste Kapitänin Rackete Lampedusa ansteuern. Hahn zeigte sich enttäuscht, dass es der Politik bisher nicht gelungen sei, bei der Seenotrettung "eine anständige Lösung" zu finden.

Philipp Hahn im Gespräch mit Peter Sawicki |
Migranten auf der Sea-Watch 3 am 29. Juni 2019 vor Lampedusa, Italian (Videostill)
Weder die Niederlande, Flaggenstaat des Schiffes, noch die anderen Staaten, hätten auf die Anfrage der Sea-Watch 3 reagiert, sagte Sea-Watch 3 Einsatzleiter Hahn im Dlf (AFP / Local Team)
Peter Sawicki: Die "Sea-Watch 3", das Rettungsschiff, hatte in der vergangenen Woche Schlagzeilen gemacht. Kapitänin Carola Rackete, die unter Hausarrest stand und danach freikam, muss sich immer noch Kritik gefallen lassen. Sie übt umgekehrt Kritik, unter anderem an der Bundesregierung. Und am Dienstag muss sie sich noch einmal vor Gericht verantworten, ihr droht immer noch eine Anklage.
Eines der Mitglieder von "Sea-Watch 3", die mit an Bord waren während der Rettungsaktion von "Sea-Watch 3", ist der Einsatzleiter des Schiffes, Philipp Hahn – und er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Hahn!
Philipp Hahn: Schönen guten Morgen, Herr Sawicki!
Sawicki: Herr Hahn, blicken wir mal kurz auf die Schiffe, die derzeit unterwegs sind, die "Alan Kurdi" unter anderem. Haben Sie Kontakt zu den Mitgliedern dort?
Hahn: Wir sind in einem losen Kontakt mit den verschiedenen Rettungsorganisationen, dort wird sich immer wieder gegenseitig upgedatet, wie wir das nennen. Man versucht sich da gegenseitig auf der Höhe der Informationen zu halten. Und wir fiebern natürlich mit, dass die Menschen jetzt schnell an Land kommen.
Sawicki: Was wissen Sie über die Situation dort an Bord?
Hahn: Nun, ich weiß, dass das Schiff mit viel Mühe [unverständlich durch Leitungsaussetzer]-isation Sea Eye, dass sie sich viel Mühe gegeben haben, ein gutes Rettungsgerät zur Verfügung zu stellen. Aber es ist ein altes Forschungsschiff [längerer Leitungsaussetzer], sicherlich kein Schiff, das Menschen für längere Zeit an Bord beherbergen kann.
"Sea-Watch 3 ist vorübergehend beschlagnahmt"
Sawicki: Die Leitung ist derzeit etwas schlecht, Herr Hahn, wir versuchen das einfach noch mal kurz weiter. Zu Ihnen persönlich beziehungsweise den weiteren Crewmitgliedern der "Sea-Watch 3", wie ist Ihre Lage vor Ort in Italien?
Hahn: Nun, wir warten im Moment auf den Ausgang des gerichtlichen Prozesses dort. Wir, also die "Sea-Watch 3", das Schiff, ist vorübergehend beschlagnahmt. Das bedeutet dann für uns, dass wir im Hafen liegen und dort erst mal nicht weg können. Wir nutzen die Zeit natürlich, um nötigen Reparaturen an dem Schiff voranzubringen und das Schiff wieder insofern auszustatten, als dass wir damit schnell wieder in Einsatz können.
Sawicki: Warum sind Sie noch in Italien?
Hahn: Also einmal, da keine neue Crew derzeit an Bord kann beziehungsweise das immer wieder durch die Staatsanwaltschaft genehmigt werden muss, wer dort an Bord kann und wer nicht. Das heißt, ich warte jetzt erst mal darauf, dass eine neue Crew mich ersetzen kann und das genehmigt wird. Und das andere ist, dass es mir natürlich darum geht, einen halbwegs guten Abschluss unserer doch sehr turbulenten Mission zu gewährleisten.
Wir haben da ein Vorgehen, dass wir unsere Crew debriefen, wie wir das nennen, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, die Geschehnisse zu reflektieren und da einen Abschluss unserer Unternehmungen auch in psychologischer Sicht zu gewährleisten.
"Man musste nach Lampedusa fahren"
Sawicki: Eine allgemeine Frage: Wie nehmen Sie die Debatte um die Seenotrettung derzeit wahr in der Politik?
Hahn: Na ja, wir verfolgen die Debatte ja schon lange und wir versuchen sie auch mit zu führen, schon seit Jahren, seit 2015, seit es Sea-Watch gibt. Und uns ging es stets darum, sicherzustellen, dass Menschen auf dem Mittelmeer nicht ertrinken. Das war und ist das Ziel von Sea-Watch, dafür zu sorgen, dass wir nicht weiter als Europäer zugucken, dass Menschen dort im Mittelmeer ertrinken müssen.
Für mich persönlich ist es sehr enttäuschend, zu sehen, dass es in all der Zeit der Politik nicht gelungen ist, eine anständige Lösung zu finden. Ich bin sicher, würde das Problem die deutsche Industrie betreffen, eine Lösung wäre schon längst gefunden. Allerdings, für Menschenrechte oder für das Leben von den Menschen dort, die sich da auf den Weg machen, scheint es eben eine entsprechende Lobby nicht zu geben. Und in der Situation befinden wir uns gerade.
Sawicki: Nun gibt es aber auch durchaus Zweifel daran, ob es notwendig war, nach Lampedusa zu fahren im Rahmen Ihrer Rettungsaktion – und zum Beispiel nicht nach Malta oder in andere Länder, die Ihnen möglicherweise freundlicher gegenübergestanden hätten. Warum haben Sie sich für Lampedusa entschieden?
Hahn: Na ja, dort hat ja das Gerichtsurteil der italienischen Richterin hier in Agrigent eigentlich eine klare Ansage gemacht insofern, als dass hier nach Seerecht und genauso nach geltendem italienischem Recht ganz klar kein anderer Hafen näher war als der Hafen der Insel Lampedusa. Man ist nach Seerecht gebunden, den nächsten Hafen anzulaufen. Und das Einzige, was zu beachten ist, dass dieser Hafen ein sicherer Hafen ist. Das bedeutet, dass den Menschen dort keine Verfolgung und keine Menschenrechtsverletzungen drohen.
Die "Sea-Watch 3" Ende Juni mit Kurs auf Lampedusa
Wenn Sie sich das auf der Karte angucken, dann sehen Sie ganz klar, man musste nach Lampedusa fahren. Und dann wieder auch unser Schiff, das ist ein hervorragendes Mittel, um Soforthilfe zu leisten, aber kein Kreuzfahrtschiff oder kein Schiff, dass die Sicherheit insofern gewährleistet, als dass damit längere Reisen zu unternehmen wären. Die Menschen haben ja dort auf unserem Achterdeck kampiert und mussten das die Tage aushalten.
EU-Staaten "waren vor allem inaktiv"
Sawicki: Sie waren ja etwa zwei Wochen im Mittelmeer unterwegs. Wäre es da nicht möglich gewesen, einen anderen Hafen anzusteuern?
Hahn: Nun, wir haben ja von Anfang an die Regierung beziehungsweise die verantwortlichen Seenotrettungsstellen gebeten, uns einen Hafen zuzuweisen, die wären dafür verantwortlich gewesen, genauso wie unser Flaggenstaat, das sind die Niederlande, in der Verantwortung gestanden hätte, unserer Kapitänin eine schnelle Lösung für das Problem, dass man 54 Menschen gerettet hat und auf Deck provisorisch versorgen muss, ihr dort die Möglichkeit zu geben, einen Hafen anzulaufen.
Wir haben diese Forderung gestellt, wir haben uns komplett an die Maßgaben gerichtet, die dort das Seerecht an Schiffsführungen stellt. Und jegliche Reaktion blieb aus. Die Niederlande haben sich komplett weggeduckt, haben nichts unternommen. Und auch die anderen Staaten waren vor allem inaktiv - beziehungsweise Italien, die ja mit einem neuen Gesetz dafür gesorgt haben, dass der Eindruck entstand, dass juristische Verfolgung droht, wenn man denn Gerettete in einen italienischen Hafen bringt – was auch von der Richterin dann komplett entkräftet wurde.
Das Gesetz als solches ist keine Handhabe, um zivile Seenotretter in irgendeiner Form aufzuhalten.
Sawicki: Ganz kurz noch mit Blick auf den Termin am kommenden Dienstag. Sehen Sie es auch so wie Carola Rackete, sehen Sie sich im Recht?
Hahn: Also, selbstverständlich haben wir genau das getan, was notwendig war. Man wächst ja auch stark zusammen mit den Menschen, die man dort rettet, die man dort tagelang versucht zu versorgen und für deren Wohlergehen man sorgt. Wir haben natürlich… Unser Ziel ist es, die Menschen so schnell wie möglich an Land zu bringen, und dementsprechend glaube ich, haben wir genau das Richtige getan, um dort zu warten und dafür zu sorgen, dass sie an Land kommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.