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Seebestattung
Die Erinnerung wird abgeschraubt

In der Ostsee, ein paar Kilometer vom Bülker Leuchtturm entfernt, liegt ein Feld für Seebestattungen. Am Ufer sollte eigentlich nichts an die Toten erinnern. Es ist verboten, Gedenkplaketten anzubringen und Blumen hinzulegen. Viele Hinterbliebene tun es dennoch. Die Gemeinde Strande geht dagegen vor.

Von Johannes Kulms |
    Ein Schild an der Bülker Promenade verweist auf das Verbot, Gedenkplaketten für verstorbene anzubringen
    Seit einem viertel Jahrhundert betreibt Petra Amelow am Fuße des Bülker Leuchtturms ein kleines Café. Das Leuchtturmgelände liegt auf einer Landzunge an der Ostsee. Genau an der Stelle, an der die Kieler Förde ins offene Meer übergeht. Sie sagt: "Wir sind der Natur hier gewaltig nah. Erleben jeden Zustand von Natur, von bitteren Stürmen bis zu schönen Sommertagen. Ist alles dabei."
    Genau so ließen sich auch die menschlichen Emotionen rund um den Bülker Leuchtturm beschreiben. Denn hier wird nicht nur gesegelt, geangelt, geradelt und gewandert sagt Amelow.
    "Es gibt ja zum Beispiel auch Taufen. Es gibt Hochzeiten. Es gibt die Bestattung. Es gibt eigentlich alles das, was zum Leben dazu gehört. Vom Anfang bis zum Ende."
    Mehrere Kilometer vor dem Bülker Leuchtturm liegt in der offenen Ostsee ein Feld für Seebestattungen. Rund 800 Mal im Jahr fahren Schiffe von der Gemeinde Strande aus hinaus zu dieser Stelle um die Urne dem Meer zu übergeben. Manche Trauergemeinde kommt später noch im Café von Petra Amelow zusammen. Die Trauer und das Gedenken an die auf See Bestatteten gehört für die 55-Jährige auch als Anwohnerin schon lange zum Alltag. Doch habe sich das Gedenken verändert. In jüngster Zeit hätten immer wieder Angehörige kleine Plaketten am Holzgeländer des Ostseeufers angebracht, nur wenige Schritte unterhalb des Leuchtturms.
    Sie erzählt: "Aber es bleibt nicht bei diesen Plaketten. Sondern es ist im Enddefekt wirklich so, dass am Strande Sachen verbracht werden, die da auf Dauer nicht hingehören. Die dann ins Meer gespült werden. Sei es Plastikgegenstände, Plastikblumen, und, und, und… Und das sollte hier eigentlich nicht sein."
    Zwischen Trauer und Tourismus
    Seit November steht am Ostseeufer unterhalb des Leuchtturms ein Schild. Darauf zu lesen ist die Bitte, keine Gedenkmarken mehr anzubringen. Diese würden kostenpflichtig entfernt.
    Im Februar wurden etwa 20 kleine Plaketten vom Holzgeländer der Promenade abgeschraubt. Nun liegen sie in einer Plastiktüte - in einem Schrank im Büro von Holger Klink. Klink ist der Bürgermeister der Gemeinde Strande - und hat das Schild am Ostseeufer aufstellen lassen.
    "Das sind die letzten abgeschraubten Plaketten, die noch dort vorhanden waren. Die jederzeit bei mir abgeholt werden können", sagt er.
    In Form und Aussehen ähneln sie Türklingelschildern. Auf den Plaketten sind verschiedene Namen eingraviert. Zum Beispiel die von Klaus, Elke, Jörn und Annegret.
    Abgeholt wurde bis heute keine einzige Plakette, sagt Strandes Bürgermeister Holger Klink. Er hat in den letzten Wochen immer wieder Post von Angehörigen aus der Umgebung bekommen.
    Klink sagt: "Die darüber natürlich auch ein wenig ihr Unverständnis geäußert haben. Und ich habe jeden Brief auch einzeln beantwortet und habe erklärt, warum wir so reagieren. Dass es weniger darum geht, Menschen zu verletzen oder zu brüskieren. Sondern dass wirklich im Hintergrund steht, dass wir die gemeinschaftliche Nutzung zwischen Trauer und Tourismus an einem Ort für sehr unglücklich halten."
    Vor etwa sechs Jahren habe es bereits zu dem Thema einen Gemeinderatsbeschluss gegeben, sagt der CDU-Politiker: "Lange, lange Zeit passierte nichts. Seit Sommer letzten Jahres hatten wir noch mal eine Zunahme. Und daraufhin wurde ich natürlich als Bürgermeister darauf angesprochen von den Gemeinderatsmitgliedern aber natürlich auch von Spaziergängern und Besuchern von diesem Ort. Die gesagt haben, dass sie es unglücklich finden, wenn an dieser Position immer mehr Plaketten angeschraubt werden."
    Stellt sich nur die Frage: Ist dieser Umgang mit der Trauer nicht für sich genommen schon wieder eine ziemlich traurige Entscheidung?
    Klink: "Ja gut, also die Härte ist letztendlich meine ich noch gar nicht richtig entstanden. Weil wir sehr früh eingegriffen haben. Ich glaube, es wär‘ sehr viel härter gewesen, hätten wir jetzt erst mal `n paar hundert Plaketten abgewartet und wären dann tätig geworden."
    "Wir bestatten unsere Toten auch nicht in der Fußgängerzone!"
    Doch nicht alle sehen das so. So wie jenes junge Kieler Pärchen, das an diesem Nachmittag unterhalb des Bülker Leuchtturms spazieren geht. Typisch deutsch sei das Schild, findet die 25-jährige Frau, die ihren Namen nicht im Radio hören will.
    Eine Spaziergängerin sagt: "Wenn ich über `n Friedhof laufe fühle ich mich ja auch nicht belästigt. Da läuft man ja auch nicht dran vorbei und sagt, ‚Da muss `ne große Wand gezogen werden‘ oder so."
    Auch wenn beide noch sehr jung sind ist ihnen der Gedanke von der See als letzter Ruhestätte nicht völlig fremd. "Also, ich könnt’s mir durchaus eventuell vorstellen. Aber ich weiß es auch noch nicht…" - "Also, mir würd‘ der Anlaufpunkt fehlen…" - "Ja, genau. Das würde mir da auch fehlen - der Anlaufpunkt."
    Tatsächlich wird in Strande schon länger darüber nachgedacht, am Ostseeufer einen Ort zum Gedenken einzurichten. Möglicherweise sogar nur wenige Hundert Meter vom Bülker Leuchtturm entfernt.
    Lars Emersleben ist Referent beim Landeskirchenamt in Kiel. Der frühere Pfarrer macht deutlich: Der Tod gehöre zum Leben dazu und sei daher auch nicht unvereinbar mit einem Ort, an dem Sportler und Spaziergänger unterwegs seien.
    Emersleben sagt: "Wir haben aber schon bei uns aufgrund der Tradition, die wir haben, schon die Tendenz zu sagen: Die Toten haben einen bestimmten Ort. Wir bestatten unsere Toten auch nicht in einer Fußgängerzone!"
    Schon heute gebe es am Meer Gedenkstätten, mit denen der auf See getöteten Soldaten gedacht werde, sagt Emersleben. Zum Beispiel in das Marine-Ehrenmal von Laboe, das in Sichtweite von Strande am anderen Ufer der Kieler Förde steht. Ein Ort, an dem die Zivilbevölkerung den auf See Bestatteten gedenken kann, ist dem Theologen nicht bekannt.
    Emersleben: "Wichtig ist ja nur, dass die Gestaltung ihren Zweck erfüllt. Nämlich dass sie den Menschen das Gefühl gibt: Nicht nur meine Toten sind bei Gott gut aufgehoben. Sondern auch meine Trauer hat einen Ort, den ich in meinem Kopf und in einer bestimmten Stelle so verankern kann, dass bei mir im Kopf Frieden eintritt. Wenn das gelingt, ist es gut."