An einem windstillen Nachmittag steuert die "Aries" hinaus auf die Nordsee. An Bord sind 13 Trauergäste und die Urne von Edda Schlott. Mit 78 Jahren ist sie nach längerer Krankheit gestorben. Ihre Asche soll rund zehn Meilen vor dem heutigen Büsum dem Meer übergeben werden.
Auf der Brücke steht Kapitän Thorsten Rahder. Seit 2002 arbeitet er für die Deutsche See-Bestattungs-Genossenschaft. Mehrere tausend Beisetzungen hat er inzwischen auf der Nordsee und der Ostsee begleitet.
"Meistens halte ich die Rede. Es gibt aber auch Fahrten, wo dann ein Trauerredner oder ein Pastor dabei ist, der das gerne übernimmt. Aber im Großen und Ganzen macht das immer der Kapitän."
Eher neue Form der Beisetzung
Die Stimmung an Bord wirkt entspannt. Viele Trauergäste sind erleichtert darüber, dass das Leiden von Edda Schlott zu Ende ist. Wie viele andere Familienmitglieder war sie eine begeisterte Seglerin. Die Schlotts fühlen sich eng mit dem Meer eng verbunden.
Das gleiche gilt für Kapitän Thorsten Rahder. Auch er möchte gerne eines Tages auf See beigesetzt werden. Der 46-Jährige stammt aus einer Seefahrerfamilie. Er weiß, dass die Seebestattung in ihrer heutigen Form noch relativ neu ist. Weil es früher auf Segelschiffen keine Kühlräume gab, mussten die an Bord verstorbenen Seeleute schnell runter vom Schiff.
"Die wurden halt in Segeltuch eingenäht und wurden dann über die Pritsche zu Wasser gebracht", sagt Rahder.
"Wir vertrauen die Asche der Obhut des Meeres an"
Nach knapp anderthalb Stunden drosselt die "Aries" ihre Fahrt. Die Trauergäste versammeln sich hinten am Heck. Aus den Lautsprechern tönt der erste von drei Freddy-Quinn-Songs. Ganz langsam tritt jetzt Kapitän Rahder aus dem Salon. Vor seinem Bauch trägt er behutsam die beige Urne mit der Asche von Edda Schlott. Rahder tritt an die Reling und stellt das Gefäß mit dem aufgemalten Leuchtturm in einen kleinen Metallkasten am Schiffsende.
"Wir nehmen jetzt Abschied von Edda. Und vertrauen ihre Asche der Obhut des Meeres an. Dort wissen wir sie gut aufgehoben."
Die Schiffsglocke wird vier Mal geschlagen. Dann lässt der Kapitän die Urne langsam an einem Seil ins Wasser gleiten.
"Edda, deine Wache hier auf Erden ist jetzt zu Ende."
Er wünscht noch eine gute Reise. Kurz darauf ertönt die Schiffssirene. Jetzt liegen sich die Schlotts in den Armen, Tränen fließen. Nach und nach werfen sie ihre Blumen in die Nordsee.
Langsam nimmt das Schiff wieder Fahrt auf. Hinter dem Heck schwimmt auf der Wasseroberfläche ein kleiner Blumenteppich. Die "Aries" zieht mehrere Runden um die Stelle herum, an der eben die Urne versunken ist.
Bestattung ohne Grab
Auf der Rückfahrt wirkt die Stimmung gedrückt. Auch bei Uwe Schlott. Der 84-Jährige steht am Heck der "Aries", blickt zurück auf die Nordsee. Und auf 58 Jahre Ehe mit seiner Edda.
"Das nimmt einen ja doch etwas mit. Obgleich ich sechs Jahre Zeit hatte, mich drauf vorzubereiten."
Die Asche seiner Frau wurde genau dort verstreut, wo viele Jahre zuvor auch die sterblichen Überreste der Tochter in die Nordsee gingen. Die Koordinaten der Stelle kennt er. Aber ein Grab ist das nicht.
"Also, für mich ist das einfach: zur See, weg – und dann hat sich das! Ich brauche mich um kein Grab und um nichts kümmern. Ich weiß, wo sie ist. Ich habe zu Hause auch Seekarten. Und weil wir eben viel mit der See verbunden sind, war das die einzige Alternative. Sie wollte das gerne."
Urne und Asche lösen sich auf
Seebestattungen sind immer noch die Ausnahme in Deutschland. Doch in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl verdoppelt. 2017 gab es nach Schätzung des Bundesverbands Deutscher Bestatter rund 20.000 Beisetzungen auf Nord- und Ostsee.
Dass sich immer mehr Menschen dafür entscheiden, könnte auch daran liegen, dass viele Familien heute nicht mehr gemeinsam an einem Ort leben. Mit einer Seebestattung entfällt die Grabpflege. Gleichzeitig fehlt aber auch ein Ort an Land, an dem Freunde und Verwandte trauern können. Das "Grab" auf See ist nur schwer erreichbar. Die Urne und die Asche lösen sich schon wenige Stunden nach der Beisetzung auf.
Gedenkgottesdienste an Land
Dass Seelsorger der evangelischen und katholischen Kirche bei einer Seebestattung mit an Bord sind, ist die Ausnahme. Aber an mehreren Küstenorten gibt es jedes Jahr Anfang September ökumenische Gedenkgottesdienste für die Angehörigen der auf See Bestatteten. Zum Beispiel im Kieler Stadtteil Holtenau. Die evangelische Dankeskirche liegt nur wenige Schritte von der Ostsee entfernt. Unter dem Kirchendach schweben Schiffsmodelle und Schiffsteuerräder.
Ganz vorne vor dem Altar steht ein etwa zweieinhalb Meter langes Holzsegelboot. Langsam füllt sich die Kirche. Fast alle Besucher kommen nach vorne um ein kleines Teelicht anzuzünden und auf das Boot zu stellen. Am Ende werden es an die 100 Kerzen sein. Vorne stehen der katholische Pfarrer Lothar Lorenz und die evangelische Seemannsdiakonin Stefanie Zernikow.
"Ewiger Gott, vor dir gedenken wir der Menschen, die wir verloren haben. Du hast uns alle bei unserem Namen gerufen, zu dir gehören wir. Niemand ist in der Ewigkeit vergessen, darum verlesen wir jetzt die Namen der Menschen, für die wir heute hier sind", sagt Zernikow.
Die beiden Seelsorger stellen im Gedenkgottesdienst kaum Bezüge her zum Meer und zur Seebestattung. Nacheinander werden Dutzende Namen verlesen. Sie zeigen, dass es keineswegs nur Küstenbewohner sind, die sich eine Seebestattung wünschen. Die Menschen, an die hier erinnert wird, stammen aus Lübeck, Hamburg und Kiel. Aber auch aus Hannover, Fulda, Bielefeld, Hagen, München und Frankfurt.
"Man muss manchmal ein bisschen improvisieren"
Unten am Thiessen-Kai macht kurz darauf die "Aries" fest. An diesem Tag läuft sie nicht zu einer Seebestattung aus, sondern zu einer Gedenkfahrt. Diese wird - wie der Gedenkgottesdienst - einmal im Jahr von der Deutschen See-Bestattungs-Genossenschaft organisiert. Mit an Bord ist auch Peter Scharfenberg. Als evangelischer Pastor in der Ostseegemeinde Strande hat er eine besondere Beziehung zum Wasser, aber auch als Segler.
"Und nirgends ist man, finde ich, so sehr Gott nahe wie unter seinem freiem Himmel auf See mit Blick auf den Horizont. Und nirgends wo sonst erlebt man aber auch naja, vielleicht auch in den Bergen, auch das Spiel der Naturgewalten", sagt Scharfenberg.
Als Pastor begleitet er fünf bis zehn Seebestattungen im Jahr. Peter Scharfenberg bekommt deutlich mehr Anfragen, doch die zweieinhalbstündigen Fahrten seien recht zeitintensiv. Auch wenn er als Seelsorger bei Bestattungen gerne dabei ist.
"Weil die Menschen dann sehr, sehr offen sind. Sehr nahe. Und es für mich auch eine große berufliche Befriedigung darstellt, wenn ich merke, ich konnte den Menschen in dieser Trauer, dem Abschiedsritual, ein wenig helfen. Es ist natürlich für einen Pfarrer liturgisch ein ungewöhnlicher und schwieriger Rahmen. Hier gibt es keine Orgel, keine Gesangbücher und dann muss man manchmal ein bisschen improvisieren."
"Trauer braucht in der Regel einen Ort"
Auch die Nordkirche – die evangelisch-lutherische Kirche in Norddeutschland – nimmt den Wandel in der Bestattungs- und Trauerkultur wahr. Die seelsorgerliche Begleitung Sterbender und ihrer Angehöriger bis zuletzt sei ein zentrales Anliegen, so ein Sprecher der Nordkirche.
Auch die Trauerbegleitung für Hinterbliebene sei wichtig. Nicht selten würden nach anonymen oder Seebestattungen die Trauernden leiden, weil ihnen ein Ort der Trauer fehlt. Dabei gebe es inzwischen auf immer kirchlichen Friedhöfen vielfältige Bestattungsformen wie etwa Baumgräber oder Rasenflächen mit eingelassenen Steinplatten mit den Namen der Verstorbenen.
Jeder, der ihm von seinem Wunsch erzähle, auf See beigesetzt zu werden, stellt Pastor Scharfenberg vor allem eine Frage: Warum? Bei manchen Personen sei dies vollkommen klar. Zum Beispiel bei einem Seefahrer, der im Hamburger Stadtteil St. Pauli aufgewachsen sei. Manchmal hat der Theologe aber auch seine Zweifel:
"Man sagt eigentlich schon so in der wissenschaftlichen Seelsorge, im Seelsorgediskurs: Trauer braucht in der Regel einen Ort. Und da ist ein Friedhof sehr geeignet."
Kränze und Plaketten sind unerwünscht
Nahe der Kieler Tiefe stoppt die "Aries" die Motoren. Die etwa 30 Passagiere haben sich am Heck versammelt, viele werden gleich Blumen ins Wasser werfen. Peter Scharfenberg hat eine maritime Version von Psalm 23 mitgebracht, die aus dem Englischen übersetzt wurde.
"Der Herr ist mein Lotse. Ich werde nicht stranden. Er leitet mich auf dunklem Wasser und führt mich auf der Fahrt meines Lebens. Er gibt mir neue Kraft und hält mich auf rechtem Kurs um seines Namens willen."
Die Frage über den richtigen Umgang mit der Trauer sorgt immer wieder für Diskussionen. Besonders hier im Küstenort Strande, dem Startpunkt vieler Seebestattungen.
Immer wieder hinterlassen Angehörige kleine Gedenkplaketten oder Kränze am Ufer von Strande - zum Gedenken an ihre Liebsten. Eine Praxis, die die Gemeinde zu unterbinden versucht. Damit das Holzgeländer an der Uferpromenade nicht weiter mit Gedenkplaketten behängt wird, denkt man über einen Ort für die Angehörigen nach. Eine gute Idee, findet Pastor Scharfenberg, der eine Kapelle vorschlägt.
"Man sollte das wirklich zusammen besprechen"
Denn es kann schmerzhaft es sein, keinen Ort zum Trauern zu haben, sagt eine Frau Mitte 50. Acht Jahre ist es her, dass die Tochter ihres Mannes gestorben ist. Die Familie aus Hannover erfuhr erst spät, dass sie sich eine Seebestattung wünscht.
"Wir haben uns auch so eine schöne Ecke gestaltet am Fenster. Da ist dieser Kieler Leuchtturm. Dann haben wir noch so ein Bild, wo sie mit drauf ist mit der Urne damals, als sie eingelassen wurde. Aber das ist nicht das, wo man trauern möchte. Für den, der sich das wünscht, finde ich das in Ordnung. Aber auch der Hinterbliebene muss eine Möglichkeit haben zu trauern. Und vielleicht sollte man das wirklich zusammen besprechen."
sie habe lange Zeit an eine Beisetzung auf See gedacht, um ihrer Familie die Grabpflege zu ersparen, sagt die Frau, die ihren Namen für sich behalten will. Doch inzwischen sei sie davon abgerückt, sagt sie und schaut auf ihren Ehemann.
"Weil ich habe selber drei Kinder und ich möchte es denen nicht zumuten, so wie er das durchgemacht hat. Weil ich selber komme aus Magdeburg und ich fahre mindestens vierteljährlich zum Grab meiner Eltern. Weil, ich könnte das gar nicht. Wenn ich da bin und vor dem Grab stehe, dann geht es mir wieder gut. Dann ist es gut alles, dann kann ich auch wieder beruhigt wieder zurück fahren. Ich glaube, das brauchst du als Mensch, diese Trauerzeit. Und die geht auch nicht vorbei, das heilt auch keine Wunden."