Gerd Breker: Zehn Jahre und ein Tag ist sie Kanzlerin, die Physikerin der Macht. Für Angela Merkel war es ein weiter Weg, aber ein gerader Weg von Kohls Mädchen zur Kanzlerschaft, und dann behandelt wie ein Schulmädchen. Horst Seehofer, der CSU-Chef, nutzte den Parteitag letzten Freitag, um seine Kanzlerin zu belehren. Eifrige Kollegen, die normalerweise die Stoppuhr nutzen, um die Länge des Beifalls zu messen, sie kamen auf ganze 13 Minuten, die sich Angela Merkel, auf der Bühne stehend, die Belehrung anhören durfte. Dann war es ihr genug. Sie hatte offenbar Ohren und Nase voll. - Am Telefon sind wir nun verbunden mit Michael Spreng, ehemaliger Chefredakteur der "Bild"-Zeitung und Wahlkampfberater von Edmund Stoiber. Guten Tag, Herr Spreng.
Michael Spreng: Guten Tag, Herr Breker.
Breker: War das ein Zickenkrieg zweier Schwestern, die gar nicht merken, dass sie sich dabei selber schaden?
Spreng: Nein. Ich glaube, der Begriff Zickenkrieg ist zu harmlos. Ich finde, was Horst Seehofer gemacht hat, war ein beispielloser Affront, denn er beschädigt damit die Amtsautorität der Bundeskanzlerin. Wie soll Frau Merkel in der Welt Respekt genießen, wenn sie sich zuhause vom Chef einer Regionalpartei so abkanzeln und demütigen lassen muss.
Breker: Dann muss die Not für Horst Seehofer aber groß sein. Fürchtet er um die absolute Mehrheit in Bayern?
Spreng: Ich glaube, das spielt eine Rolle, aber es spielt auch eine andere Rolle. Ich glaube, das ist auch eine charakterliche Frage. Es ist ja bekannt, dass er in Bayern auch ähnlich mit seinen Ministern umspringt und sie öffentlich demütigt, und er hat wohl geglaubt, er hätte jemand aus seinem Kabinett vor sich, als er so mit der Bundeskanzlerin umgesprungen ist.
Breker: Offenbar will Horst Seehofer zumindest in Bayern so eine Art Brandmauer gegen die AfD ziehen. Kann das gelingen?
Spreng: Es gibt ja einige Beispiele aus der Geschichte deutscher Landtagswahlen, dass das meist nicht gelingt, sondern dass je weiter eine konservative Partei versucht, rechten Gedanken nachzulaufen, umso größer wird die Gefahr, dass das Original gewählt wird. So ist es ja einmal in Baden-Württemberg passiert, es gibt auch andere Beispiele. Ich glaube nicht, dass diese Taktik aufgeht.
"Sie hat die Chance, die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen"
Breker: Die Popularität der Bundeskanzlerin, sie fällt, in der Bevölkerung, aber auch in der Union.
spreng: Ja! Es gibt starken Widerstand, auch in der CDU, gegen ihre Flüchtlingspolitik. Aber unabhängig davon findet die Mehrheit der Bevölkerung und erst recht der CDU nach wie vor Angela Merkel als Bundeskanzlerin gut. Es gibt so eine Stimmung wie "Frau Merkel ist prima, aber sie muss zur Vernunft kommen". Nur zu der Vernunft, zu der ihr einige raten, will sie nicht kommen. Sie will keine Obergrenzen nennen und sie will auch nicht von ihrer offenen Politik des vergangenen Sommers abgehen. Da ist ein Dissens.
Breker: Ihre Flüchtlingspolitik, kann das die Kanzlerin durchhalten, oder ist sie nicht schon klammheimlich dabei und überlässt ihrem Innenminister, da Grenzen zu ziehen?
Spreng: Ich glaube, es wird entscheidend sein, wie sich die Lage im Frühjahr darstellt. Frau Merkel hat jetzt über den Winter einige Monate Zeit, an der Sicherung der Außengrenzen zu arbeiten, mit der Türkei zu verhandeln, die Lage in den Flüchtlingslagern zu verbessern. Wenn aber im Frühjahr erneut Hunderttausende von Flüchtlingen an die deutsche Grenze kommen, dann kann es eng für sie werden. Und in der Zeit sind ja dann auch drei wichtige Landtagswahlen für die CDU. Das wird die Frage sein oder das wird der Termin sein, an dem man die Frage beantworten kann.
Breker: Die Nagelprobe dafür, ob der Stern der Kanzlerin sinkt, ob wir eine Art Kanzlerinnendämmerung mitmachen?
Spreng: Ja. Wir haben es ja bei Gerhard Schröder erlebt, der damals über Nordrhein-Westfalen gestolpert ist, über die Wahlniederlage. Insofern besteht die Gefahr, dass Baden-Württemberg Angela Merkels Nordrhein-Westfalen werden könnte. Aber so weit ist es noch nicht. Nach wie vor hat sie die Chance, die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen, und zwar ohne ihre Prinzipien aufgeben zu müssen, und das wäre für sie auch das Gefährlichste, denn dann würde sie ihre Glaubwürdigkeit verlieren und das ist ihr stärkstes Kapital.
Nagelprobe Europäische Flüchtlingspolitik
Breker: Die Flüchtlingspolitik der Angela Merkel war eine relativ einsame Entscheidung, ganz anders als sie sonst agierte. Sonst hat sie abgewartet, Stimmung aufgenommen, und die Physikerin der Macht trifft eine einsame Entscheidung. Hat sie sich verzockt damit?
Spreng: Ja, sie ist erstmalig ins Risiko gegangen, was bisher nicht ihre Art war, gespeist aus ihrer Haltung, auch aus Emotionalität, aber rational basiert. Sie weiß und sie ist zur Erkenntnis gekommen, die Flüchtlingskrise ist national nicht zu lösen, also erweckt sie auch nicht den Eindruck. Und das wirft sie auch ihren internen Kritikern vor, die so tun, als könne man das national lösen, was nicht geht. Insofern, wie soll man sagen, ist sie auf der vernünftigeren Seite.
Breker: Aber ist es nun die Nagelprobe, ob es gelingt, eine Art europäische Flüchtlingspolitik hinzubekommen, oder nicht?
Spreng: Ja, das ist die entscheidende Frage. Wenn das scheitert, wenn die anderen europäischen Staaten sich weiter verweigern, wenn die Hotspots nicht funktionieren, wenn es mit der Türkei, mit der Einigung mit der Türkei nicht klappt, dann würde ja der Plan von Angela Merkel scheitern. Und wenn der Plan scheitert, gerät auch sie in die Gefahr des Scheiterns.
Breker: Die Einschätzung von Michael Spreng war das. Er ist Politikberater und war Wahlkampfberater von Edmund Stoiber. Herr Spreng, ich danke für dieses Gespräch.
Spreng: Ich danke, Herr Breker.
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