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Seehofers Götterdämmerung
Bleibt er? Oder geht er?

Horst Seehofers Zukunft als Bundesinnenminister und CSU-Chef steht überraschend zur Debatte. Gestern Abend bot er seinen Rücktritt von beiden Ämtern an. Nach stundenlangen Beratungen hinter verschlossenen Türen - CDU und CSU voneinander getrennt - hieß es in der Nacht: Ein letztes klärendes Gespräch zwischen den Schwesterparteien sowie zwischen der Kanzlerin und ihrem Noch-Minister solle es richten. Dieses Gespräch soll im Laufe des Tages geführt werden. Erst danach wolle sich Seehofer entscheiden.

    Horst Seehofer spiegelt sich auf dem Weg in einem Gang in der Staatskanzlei. Rechts läuft ein Sicherheitsbeamter.
    Der CSU-Politiker Horst Seehofer in der bayerischen Staatskanzlei (Peter Kneffel/dpa)
    Seehofer will heute einen letzten Klärungsversuch mit Bundeskanzlerin Merkel unternehmen. Es werde dabei ausschließlich um die inhaltliche Frage gehen, ob doch noch ein Kompromiss im Flüchtlingsstreit möglich sei, sagte der CSU-Bundestagsabgeordnete Stracke der Nachrichtenagentur AFP. Seehofer äußerte sich im Anschluss an die Vorstandssitzung in München auch persönlich: "Ich habe ja gesagt, dass ich beide Ämter zur Verfügung stelle, dass ich das in den nächsten drei Tagen vollziehe". Als "Zwischenschritt" werde man an diesem Montag ein Gespräch mit der CDU führen, "in der Hoffnung, dass wir uns verständigen". Alles Weitere werde anschließend entschieden. Der CSU-Chef und Bundesinnenminister wird mit den Worten zitiert, er werde sich nicht entlassen lassen.
    Ein letzter Einigungsversuch
    Seehofer nannte den geplanten neuen Einigungsversuch mit der Bundeskanzlerin im Flüchtlingsstreit der Union ein "Entgegenkommen" von ihm an seine Partei. "Wir wollen im Interesse dieses Landes und der Handlungsfähigkeit unserer Koalition und Regierung - die wir erhalten wollen - einen Einigungsversuch machen in dieser zentralen Frage zur Zurückweisung, alleine zu dieser Frage", betonte Seehofer. Er hoffe, dass dies gelinge. Das Gesprächsangebot sei ein Entgegenkommen von ihm an die Kanzlerin und die CDU. "Sonst wäre das heute endgültig gewesen."
    Die Nerven in der Bayerischen Staatskanzlei: Zum Zerreißen gespannt
    Dem Vernehmen nach hatte Seehofer nach fast achtstündigen Beratungen seinen Parteikollegen gesagt, es gebe drei Optionen: Entweder die CSU beuge sich dem Kurs Merkels in der Asylpolitik. Oder er ordne als Innenminister Zurückweisungen bestimmter Migranten an der deutschen Grenzen an - mit allen Gefahren für den Fortbestand der Koalition. Die dritte Option sei, dass er als Parteichef und Minister zurücktrete, und das habe er auch vor zu tun.
    Zunächst wandte sich CSU-Landesgruppenchef Dobrindt vehement gegen das Angebot Seehofers, als Folge des Asylstreits zwischen CDU und CSU zurückzutreten. Das sei eine Entscheidung, die er so nicht akzeptieren könne, sagte er nach Angaben von Teilnehmern in der Sitzung des CSU-Vorstands. Dobrindt habe dafür lang anhaltenden Applaus erhalten. Letztlich habe die Uneinsichtigkeit der Kanzlerin die CSU in die jetzige Situation gebracht. Zum Abschluss ihrer Sitzung stimmte die CSU demnach in der Nacht dem umstrittenen Masterplan Seehofers zur Migration zu.
    Knackpunkt "Wirkungsgleichheit"
    Zuvor hatte Seehofer die Ergebnisse des EU-Gipfels in der Flüchtlingspolitik für nicht ausreichend erklärt und damit Bundeskanzlerin Merkel widersprochen. Nach übereinstimmenden Berichten sagte der CSU-Vorsitzende auf einer Sitzung von Parteivorstand und Landesgruppe in München, die Beschlüsse seien "nicht wirkungsgleich" mit Zurückweisungen an der deutschen Grenze.
    Bundeskanzlerin Merkel hat die Gipfelergebnisse dagegen ausdrücklich als "wirkungsgleich" bezeichnet, zuletzt noch einmal in einem ZDF-Interview. Zur Frage, ob die Forderungen der CSU erfüllt seien, führte Merkel aus: "In der Summe all dessen, was wir insgesamt beschlossen haben, ist das wirkungsgleich. Das ist meine persönliche Auffassung. Die CSU muss das natürlich für sich entscheiden." Sie wolle, dass CDU und CSU gemeinsam weiter arbeiten können. Die Kanzlerin ging nicht auf die Frage ein, ob sie Seehofer notfalls als Minister entlassen würde. Dies würde das Ende der Koalition bedeuten. Sie ließ auch offen, ob sie eine Vertrauensfrage im Bundestag stellen würde.
    Altmaier (CDU): "Es geht um das Ansehen des Landes."
    Bundeswirtschaftsminister Altmaier warnte vor weitreichenden Folgen bei einer Eskalation des Streits. Es gehe um viel mehr als nur um CDU und CSU, sagte Altmaier vor einer Vorstandssitzung seiner Partei - der CDU - in Berlin. Es gehe um "das Ansehen des Landes und die Regierungsfähigkeit". Altmaier sieht die CDU im Asylstreit nicht in der Bringschuld: "Wir sind mit uns im Reinen", sagte er nach der fast achtstündigen Sitzung der CDU-Gremien in der Nacht zum Montag in Berlin. "Wir haben alles getan, um Brücken zu bauen, und wir werden alles tun, damit die Union zusammenbleibt." - Bundeskanzlerin Merkel sprach in der Sitzung nach Angaben von Teilnehmern von einer "sehr ernsten" Situation.
    An der deutschen Grenze scheiden sich die Geister
    In dem Streit geht es um die Frage, ob Deutschland an der Grenze all jene Flüchtlinge abweist, die bereits in anderen EU-Staaten erfasst sind. Seehofer hat erklärt, diesen Schritt im Alleingang anzuordnen, sollte der EU-Gipfel keine - aus seiner Sicht - zufriedenstellende europäische Lösung erbringen. Merkel strebt bilaterale Abkommen mit den betroffenen Ländern an, um die Rücknahme der Menschen zu erreichen. Die Kanzlerin hat in dem Streit auch klargestellt, dass sie auf ihre Richtlinienkompetenz setzt. Deshalb wurde in den vergangenen Wochen befürchtet, dass es zu einem Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU und möglicherweise zum Bruch der großen Koalition kommen könnte.
    Die Opposition übte heftige Kritik. Die CSU nehme "ganz Deutschland und Europa in Geiselhaft", beklagten die Parteichefs der Linken, Kipping und Riexinger.
    Die FDP warf der CSU "verantwortungslose Politik" vor. Fraktionsvize Theurer sagte in Berlin, das Regierungschaos schade Deutschland.
    SPD stärkt Merkel den Rücken
    Die SPD als dritter Koalitionspartner kritisierte den Unionskonflikt. "Dass da keine pragmatischen Kompromisse möglich wären, das versteht überhaupt niemand", sagte Vizekanzler Scholz in der ARD.
    Er nannte den Streit zwischen den Unionsparteien selbstvergessen und "eigentlich nicht das, was man sich unter ordentlichem Regieren vorstellt." Von der SPD wurde heute auch ein eigenes Positionspapier zur Asylpolitik bekannt. Darin fordert die Parteiführung unter anderem, dass die Rückführung von Flüchtlingen, die bereits in einem anderen EU-Staat Asyl beantragt haben, vom Bund verantwortet wird und nicht mehr von den Ausländerbehörden der Städte und Landkreise. Daduch sollen die Verfahren beschleunigt werden. Zudem lehnt die SPD nationale Alleingänge bei der Zurückweisung von Flüchtlingen ab. Sie unterstützt damit die Position Merkels im Streit mit Seehofer.
    (tep/jcs/tgs)