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Seehofers Pläne zum Familiennachzug
"Mit Menschenleben macht man keinen Wahlkampf in Bayern"

Der von Innenminister Horst Seehofer vorgelegte Gesetzentwurf zum Familiennachzug sei nicht deckungsgleich mit den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag, betonte die SPD-Politikerin Hilde Mattheis im Dlf. Die Verschärfungen seien offenbar dem Wahlkampf in Bayern geschuldet.

Hilde Mattheis im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Die SPD-Politikerin Hilde Mattheis.
    Die SPD-Politikerin Hilde Mattheis (imago)
    Tobias Armbrüster: Die Große Koalition streitet um den Familiennachzug für Flüchtlinge. Innenminister Horst Seehofer hat dazu jetzt einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, und der soll eine deutliche Verschärfung der Regeln vorsehen, heißt es. Unter anderem soll es künftig möglich sein, den Nachzug abhängig zu machen vom Bezug von Hartz-4, und der Personenkreis der nachzuholenden Familienmitglieder soll eingeschränkt werden.
    Und wir wollen das etwas genauer besprechen mit Hilde Mattheis. Sie zählt zum linken Flügel der SPD und ist Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21, jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Frau Mattheis!
    Hilde Mattheis: Guten Morgen!
    Armbrüster: Frau Mattheis, wo genau liegt bei diesem Gesetzentwurf jetzt das Problem?
    Mattheis: Wir haben uns ja schon sehr schwer getan, insbesondere wir Linke in der SPD, mit den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag, und es war uns ja sehr wichtig, da insbesondere auch dieses Thema Härtefallregelungen mit einzubeziehen. Und nach den Informationen, die ja auch durch die Medien im Moment in der Öffentlichkeit diskutiert werden, sind das insbesondere, auch was den Familiennachzug anbelangt, die Geschwisterkinder, die ausgeschlossen werden sollen, und vor allen Dingen auch alle Menschen, die in irgendeiner Weise Sozialleistungen bekommen, dass die ebenfalls ausgenommen werden. Aber Integration ist natürlich genau der Punkt, dass wir sagen, Integration muss fußen auch auf der Möglichkeit, Familiennachzug nachkommen zu lassen, um einfach die Integration auch in diesem Land zu befördern. Und wir wissen, dass Menschen, die hier bei uns Schutz gesucht haben und Angst um ihre Familien haben weiterhin, dass die natürlich da nicht vollumfänglich im Prinzip befähigt sind, diese Integration zu leisten.
    Armbrüster: Frau Mattheis, wenn ich Sie da ganz kurz unterbrechen darf – das Innenministerium sagt jetzt, dieser Gesetzentwurf ist sozusagen deckungsgleich mit dem, was Sie, was die SPD mit der Union in den Koalitionsvereinbarungen vereinbart hat.
    Mattheis: Na, da haben wir eine andere Lesart dieses Koalitionsvertrags. Und vielleicht meinen diejenigen, die das im Moment so äußern, dass sie das Papier der Sondierungsgespräche meinen. Und in Nachverhandlungen haben wir genau an diesem Punkt hart verhandelt, und es wurde hart verhandelt bezüglich dieser Härtefallregelung. Dass das jetzt vom Innenministerium und insbesondere der CSU wieder zurückgefahren werden soll, ist, glaube ich, auch dem Wahlkampf in Bayern geschuldet. Aber mit Menschenleben macht man keinen Wahlkampf in Bayern. Und von daher glaube ich, dass es ein wichtiger Punkt ist, jetzt hier zu sagen, der Koalitionsvertrag sagt etwas anderes.
    Armbrüster: Allerdings, Sie haben die Hartz-4-Regelung angesprochen, es soll, so lautet der Vorwurf, mit diesem Gesetzentwurf niemand mehr nachgeholt werden können oder niemand mehr seine Familie nachholen können, der Hartz-4 bezieht. Das ist in der aktuellen Regelung ja auch schon so. Da gibt es eigentlich keine Änderung der Rechtslage mit diesem Gesetzentwurf. Das sehen Sie auch so?
    Mattheis: Ja, aber der Punkt ist, dass wir in diesem Bereich der Härtefallregelung etwas anderes vereinbart haben. Und ich glaube, es muss einfach an der Stelle allen Beteiligten klar sein, dass viele Menschen, die eben im Hartz-4-Bezug sind, das heißt, nicht auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen konnten, denen dieser Weg des Familiennachzugs versperrt ist.
    Armbrüster: Und genau da sagt das Innenministerium, das ist nicht so. Die können weiterhin ihre Familien nachholen. Das ist auch jetzt schon bestehende Rechtsgrundlage, und daran wird sich nichts ändern.
    Mattheis: Wenn das so wäre, wäre das in Ordnung. Aber das will ich sehen, und das will ich auch, was die Ausführungsbestimmungen anbelangt, sehen. Und vor allen Dingen, ich finde an dem Bereich der Geschwisterkinder zeigt sich doch, dass hier eine Einschränkung vorgenommen werden soll. Denn welche Familie lässt zu Hause ihre minderjährigen Kinder zurück und geht als Eltern nach Deutschland, zu ihrem anderen minderjährigen Kind? Und da haben wir immer gesagt, es geht um die Kernfamilie, und so steht es auch im Koalitionsvertrag.
    Man muss sich drauf verlassen können, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde
    Armbrüster: Frau Mattheis, kann es sein, dass die SPD grundsätzlich gar nichts gut finden kann, was der neue Innenminister Horst Seehofer auf den Weg bringen will?
    Mattheis: Das könnte man uns unterstellen, das könnte man insbesondere mir unterstellen, ja. Das kann schon sein. Ich finde, man muss aber, wenn man in dieser Koalition einigermaßen umgehen will, wirklich sich wenigstens auf den Koalitionsvertrag verlassen können, der vereinbart worden ist. Das muss das Mindeste sein, worauf man sich beziehen kann.
    Armbrüster: Was erwarten Sie dann jetzt von Horst Seehofer?
    Mattheis: Das wird natürlich eine Debatte sein, und ich erwarte vor allen Dingen auch von unseren Ministerinnen und Ministern, dass man im Kabinett genau an diesem Punkt diskutiert und sich auf den Koalitionsvertrag bezieht.
    "Keine Closed-Shop-Veranstaltung daraus machen"
    Armbrüster: Ist das denn wirklich ein Thema, mit dem Ihre Partei, die SPD, innenpolitisch noch punkten kann?
    Mattheis: Wissen Sie, es geht nicht ums punkten, hin oder her, sondern es geht darum, wie wir diese Gesellschaft gestalten wollen und wie wir das Leben der Menschen in dieser Gesellschaft gestalten wollen. Und da glaube ich, ist es etwas, was auch einen weltoffenen Ansatz bedeutet und auch einen Ansatz bedeutet, wo man aus humanitären Gründen tatsächlich hier Menschen auch Schutz bietet, die bei uns Schutz suchen. Und da geht es darum, nicht nur die Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch zu zeigen, wir haben Verantwortung in dieser Welt, und keine Closed-Shop-Veranstaltung daraus zu machen. Das ist ein prinzipiell anderes Herangehen an politische Lösungen.
    Armbrüster: Sie haben jetzt aber auch eine wachsende politische Kraft im Bundestag, die AfD, die ganz klar sagt, wir wollen keine weiteren Flüchtlinge, vor allen Dingen wollen wir auch keinen weiteren Familiennachzug.
    Mattheis: Von daher, glaube ich, sollte man sehr klar machen, wir spielen nicht der AfD die Argumente in die Hände und sagen, wir sind so vom gesellschaftspolitischen Ansatz her wie ihr, sondern wir bieten eine alternative Herangehensweise an die Gestaltung dieser Gesellschaft. Da geht es um Verteilungsgerechtigkeit, da geht es um eine offene Gesellschaft, da geht es darum, zu gestalten und nicht abzuschotten. Und ich glaube, an diesem Ansatz müssen wir uns unterscheiden von der AfD und von allen anderen, die womöglich jetzt meinen in der CSU, ein Stück weit in diese Richtung gehen zu müssen.
    Armbrüster: Was sagen Sie denn dann der wachsenden Zahl von Wählern, die ganz klar sagen, wir wollen eigentlich keine weiteren Flüchtlinge.
    Probleme in der Gesellschaft als Gesamtkonzept lösen
    Mattheis: Ich glaube, und das hat sich ja auch im Wahlkampf und in den Monaten danach gezeigt, dass es grundsätzlich nicht darum geht, den Menschen im Prinzip zu sagen, wir wollen hier so eine abgeschlossene Gesellschaft, sondern wir wollen eine Gesellschaft, in der jeder und jede wertgeschätzt wird. Deshalb ist es für uns als Linke in der Partei ein sehr wichtiger Punkt, zu sagen, es geht nicht ausschließlich darum, eine Flüchtlingspolitik zu gestalten, sondern es geht darum, die Gesellschaft als Ganzes zu gestalten und zu sagen, hier in dieser Gesellschaft – diese Gesellschaft ist eine, die im Prinzip auch die Umverteilung von oben nach unten gewährleistet und nicht diese Spaltung der Gesellschaft in massive, zunehmende Armut und eine Konzentration des Reichtums befürwortet. Um das geht es, glaube ich, dass es drum geht, in einem Gesamtkonzept die Probleme in dieser Gesellschaft zu lösen.
    Armbrüster: Und was ist, wenn Ihnen da jetzt entgegengehalten wird, gerade die Flüchtlinge spalten ja unsere Gesellschaft immer weiter?
    Mattheis: Ich glaube, das ist ein Thema, an dem im Prinzip es sich entzünden kann, aber es ist nicht das Thema, das für die Lösung sorgt. Das habe ich gerade versucht darzustellen. Die Themen, die für die Lösung sorgen, sind Schließung des prekären Beschäftigungsmarktes, eine Lösung, auch günstigen, bezahlbaren und guten Wohnraum zu schaffen, eine Geschichte, die auch die Steuergerechtigkeit befürwortet. Das sind die Lösungsansätze, die wir brauchen.
    Armbrüster: Frau Mattheis, Ihr Kollege im Bundestag Jens Spahn von der CDU, der sagt jetzt in einem aktuellen Interview, auch die Sozialdemokraten, die müssten endlich erkennen, dass sie Vertrauen verloren haben. In vielen Teilen der Bevölkerung entstehe inzwischen der Eindruck, dass der Staat gar nicht mehr in der Lage sei, Recht durchzusetzen. Hat er recht?
    Mattheis: In dieser verkürzten Darstellung, die Sie gerade gemacht haben, müssen wir natürlich feststellen, dass wir bei 20,5 Prozent Wahlergebnis Vertrauen verloren haben. Aber ich würde Herrn Spahn immer raten, auch anzugucken, wie seine Partei Vertrauen verloren hat. Er schlägt im Prinzip eine andere Richtung ein, Vertrauen wieder hinzuzugewinnen, indem er im Prinzip so eine Art Law-and-Order-Politik befürwortet. Ich finde, ein Gesundheitsminister sollte jetzt erst mal seinen Gesetzentwurf vorlegen, wo er die Parität in der Krankenversicherung darstellt. Das würde ich jetzt erst mal von einem Gesundheitsminister erwarten. Und da gibt es ja eine klare Vereinbarung im Koalitionsvertrag.
    Wir als Sozialdemokraten, wir müssen selbstverständlich, und da ist ja auch unser Ansatz der Erneuerung und nicht nur der Aufarbeitung des Wahlergebnisses, sondern auch der klaren sozialpolitischen Ausrichtung unserer Politik. Das ist unsere Aufgabe, das ist richtig. Und diese Aufgabe besteht auch darin, zu verbinden die Interpretation dieses Koalitionsvertrags mit dem, was wir an praktischer Politik in Zukunft zu leisten haben. Und da geht es drum, auch humanitäre Gesichtspunkte wahrzunehmen und in dieser Gesellschaft dafür zu sorgen, dass viele bei uns einen guten Platz haben. Und damit meine ich nicht ausschließlich Flüchtlinge, sondern damit meine ich die Menschen, die hier leben bei uns, dass die einen guten Platz haben, auf dem sie in dieser Gesellschaft wirklich auch die Teilhabemöglichkeiten haben und die guten Lebensbedingungen haben. Dafür müssen wir sorgen.
    Armbrüster: Sagt hier bei uns live in den "Informationen am Morgen" Hilde Mattheis, Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21 und Bundestagsabgeordnete der SPD aus Ulm. Vielen Dank, Frau Mattheis, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Mattheis: Sehr gern, schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.