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Seeigel im Stresstest

Zoologie.- Wenn der Kohlendioxidgehalt in der Luft steigt, erhöht sich auch der Säuregrad im Meerwasser. Darunter leiden wiederum Schalentiere und Stachelhäuter, da die Säure den Kalk ihres Panzers angreift. Eine Ausnahme scheinen allerdings Seeigel zu sein. Die Tiere können sich recht gut an niedrige pH-Werte anpassen – zumindest manchmal.

Von Christine Westerhaus | 09.04.2013
    Ohne Kalkgerüst hätte der purpurne Seeigel seinen Feinden kaum etwas entgegenzusetzen. Er wehrt sich mit langen, leuchtend lila gefärbten Kalk-Stacheln, seine empfindlichen Weichteile schützt er durch einen Kalkpanzer. Dennoch ist dieser wehrhafte Meeresbewohner der Ozeanversauerung nicht ganz hilflos ausgeliefert, wie Melissa Pespeni beobachtet hat. An der Hopkins Meeresstation der Stanford Universität in Pacific Grove ließ sie Seeigel-Larven in Meerwasser mit unterschiedlichen pH-Werten aufwachsen: Ein Teil musste sich an ein saures Milieu anpassen. Die übrigen Larven konnten sich bei normalen Bedingungen entwickeln.

    "Wir haben gesehen, dass diejenigen Seeigel-Larven, die in dem sauren Milieu überlebten, bestimmte Genvarianten besaßen. Zum einen waren dies Erbanlagen, die wichtig sind für die Biomineralisation, also für die Bildung eines Kalkskeletts. Zum anderen waren es Gene, die für das Wachstum und den Stoffwechsel wichtig sind. Offenbar besaßen diese Individuen also das genetische Potenzial, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen."

    Diejenigen Individuen, denen diese genetischen Eigenschaften fehlten, starben in dem Experiment jedoch aus. Damit übt der niedrige pH-Wert einen starken Selektionsdruck auf die Larven aus. Denn nur die anpassungsfähigen Larven überleben und können sich weiter fortpflanzen. Normalerweise geschehen solche Anpassungen an neue Umweltbedingungen über längere Zeiträume. Die Forscher waren daher überrascht, wie schnell die untersuchte Seeigel-Population auf den veränderten pH-Wert im Wasser reagiert hat.

    "Wir haben die Veränderungen getestet, die in weniger als 100 Jahren erwartet werden. In evolutionären Zeiträumen ist das nur ein Wimpernschlag. Die Bedingungen verändern sich für diese Organismen also extrem schnell. In unserem Experiment hatten die Larven sogar nur sechs Tage Zeit, sich anzupassen. Doch unsere Studie zeigt, dass eine so schnelle Evolution möglich ist. Vielleicht können sie sich dank ihrer genetischen Voraussetzungen also auch in freier Natur daran anpassen."

    Ob das auch für andere Meeresbewohner gilt, ist jedoch unklar. Viele Studien haben gezeigt, dass vor allem Kalk bildende Organismen wie Korallen empfindlich auf niedrige pH-Werte reagieren. Zudem wird der Klimawandel die Meeresorganismen auch auf andere Weise stressen: Meeresströmungen werden sich verändern und die Wassertemperaturen steigen. Selbst den anpassungsfähigsten Kreaturen werden deshalb Grenzen gesetzt sein, meint Steve Palumbi, Co-Autor der Studie.

    "”Wenn sich die Weltmeere weiterhin so stark verändern werden, wie sie es jetzt tun, werden sie die Evolutionsmechanismen der Organismen überstrapazieren. Die genetischen Möglichkeiten, die wir in unserer Studie aufgezeigt haben, werden manchen Arten einen gewissen Spielraum verschaffen, in dem sie sich anpassen können. Dies gibt uns etwas mehr Zeit, das Problem mit dem Klimawandel in den Griff zu bekommen. Ich hoffe sehr, dass wir diese Zeit nutzen werden.”"