"Was passiert eigentlich mit der Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, wenn mehr und mehr Menschen sich von den Religionen abwenden und gar nicht mehr die Vorstellung haben, dass man im Himmel weiterleben kann?", fragt sich der Dokumentarfilmer Moritz Riesewieck, der in einer katholischen Familie im Ruhrort Herdecke aufwuchs.
"Ich selbst habe auch diesen Glauben verloren und gleichzeitig aber treten Digitalunternehmen auf den Plan, die da sagen: ‚Ihr braucht gar nicht auf eine Gottheit hoffen, die euch im Himmel weiterleben lässt. Wir haben ja die KI, und die KI hat auch magische Vorstellungen, die kann euch in der Cloud weiterleben lassen.‘"
Die KI, die künstliche Intelligenz als Versprechen für die digitale Unsterblichkeit. Moritz Riesewieck ist gemeinsam mit Hans Block in dem Buch "Die digitale Seele" der Frage nachgegangen, wie ein Weiterleben in Zeiten der künstlichen Intelligenz aussehen kann. Aber auch, wie sich die Trauerkultur, wie sich Rituale verändern.
Der Ort der Trauer wandelt sich
Block: "Ich selbst verbinde sehr wenig mit dem Friedhof oder eher etwas Negatives. Für mich ist das kein Ort, an den ich gerne gehe, um mich an die Leute zu erinnern oder in Kontakt zu treten, die verstorben sind. Für mich ist das ein Ort, der mit einem unangenehmen Gefühl verbunden ist."
Der Ort der Trauer wandelt sich. Der Soziologe Lorenz Widmaier erforscht die Trauer im digitalen Zeitalter. Er hat für sein Promotionsprojekt zahlreiche Trauernde interviewt. "Es wird dort getrauert, wo auch davor gelebt wurde. Und wenn davor auf Facebook viel Kontakt stattfand mit dem Verstorbenen, dann wird da auch danach viel getrauert", sagt Widmaier. "Das ist die Möglichkeit, die Facebook mehr und mehr anbietet, dass man dann Profile von Menschen, die verstorben sind, in eine Art Kondolenzbuch umwandelt."
Mittlerweile gibt es in den sozialen Medien zigtausende Verstorbene, deren Profile in Gedenkseiten umgewandelt worden sind. In den Smartphones leben die Toten weiter in Form von Text- und Sprachnachrichten sowie kurzen Videoclips. Und es gibt viele Trauergruppen, die sich online finden: zum Beispiel Menschen, die ein Kind verloren haben oder deren Angehörige durch einen Suizid oder ein Gewaltverbrechen verstorben sind.
Das sei eine große Entlastung für Hinterbliebene, sagt Lorenz Widmaier: "Ich glaube, dass das oft erst die Trauer ermöglicht. Wir haben viele Berichte, dass sie nicht die Möglichkeit haben, in ihrem persönlichen Umfeld zu trauern, vor allem wenn es über einen längeren Zeitraum geht. Und die Möglichkeit hat man dann im Internet, dass man mit anderen Trauernden verbunden sein kann, und das auch über Jahre hinweg."
Soziale Medien: Abschied nicht nur im Privaten
"Also interessanterweise führt die Digitalisierung eher dazu, dass Trauer aus dem Privaten heraus wieder in die Öffentlichkeit kommt.", sagt der evangelische Pfarrer Rainer Liepold. Er hat kürzlich das Portal "Gedenkenswert" ins Leben gerufen – eines der wenigen explizit kirchlichen Trauerangebote im Netz.
Liepold: "Wir haben grundsätzlich eine Neigung, dass Abschiede auf das Private beschränkt werden, aber die Digitalisierung führt dazu, dass Menschen an einem Abschied teilhaben und dass mehr Menschen ihre Erinnerungen, Gedanken und ihre Beziehung zu dem Verstorbenen thematisieren."
Vor allem in den sozialen Medien. Jeden Tag sterben weltweit rund 8.000 Facebook-Nutzer. Was passiert mit ihrem digitalen Nachlass? "Zunächst mal ist eine spannende Frage, wer das Recht hat, an einen Verstorbenen zu erinnern. Da kann es schnell dazu kommen, dass auf einmal unterschiedliche, auch konkurrierende Erinnerungen nebeneinanderstehen. Dann ist eine Frage knallhart, wer Zugangsrechte zu bestimmten digitalen Plattformen hat. Einen Facebook-Account von einem Verstorbenen – erbt das jemand oder verfällt das? Digitaler Nachlass ist ja eine Gestaltungsaufgabe und das kann dazu führen, dass es da zu Konkurrenz kommt zwischen Angehörigen", so Liepold.
Digitales Erbe: "Oft ist es auch schwierig"
Bereits über die Hälfte der Verstorbenen in Deutschland hinterlässt ein digitales Erbe. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs gehen die Nutzungsrechte an einem Social-Media-Account eines Verstorbenen an die Erben über; es sei denn, der Nutzer hat zu Lebzeiten etwas anderes verfügt.
Aber die Sache hat einen Haken: "Das ist auch ein Problem für die Hinterbliebenen, dass sie nicht wissen, was hat der Verstorbene gewünscht, was darf ich anschauen?", so Lorenz Widmaier. So kann das Smartphone zum Fundort tausender, zum Teil sehr persönlicher Informationen werden: "Manchmal ist das toll, was man dann findet. Man kann viel über den Verstorbenen lernen. Zum Beispiel bei Suiziden ist das oft ganz wichtig zu verstehen, und das ging dann manchmal über das digitale Erbe, über die Kommunikation, die gespeichert ist, aber oft ist es auch schwierig. Ich hatte auch einen Fall, da wurde einen Tag nach dem Tod eine langjährige Affäre auf dem Smartphone gefunden und das ändert Trauer auch."
Das Netz führt Trauernde zusammen
Neben den privaten Facebook-Accounts gibt es auch zahlreiche Online-Friedhöfe und Trauerportale, auf denen zum Teil sehr persönlich an die Verstorbenen erinnert wird. Rainer Liepold: "Viele dieser Gruppen haben zunächst eine ideelle Motivation, aber wenn Sie sich auf den Seiten ein bisschen bewegen und interagieren, dann dauert es gar nicht lange, dann bekommen Sie von Wahrsagern, Geistheilern, Medien und allen möglichen dubiosen Therapeuten kostenpflichtige Angebote. Das heißt, viele Dinge, die auf den ersten Blick ideell motiviert erscheinen, haben am Ende schon eine wirtschaftliche Tiefengrammatik."
Trotz manch dubioser Anbieter – das Netz führt Trauernde zusammen – viel stärker, als das in den vergangenen Jahrzehnten geschehen ist, meint der Dokumentarfilmer und Autor Moritz Riesewieck. "Der Tod ist mittlerweile für viele Menschen eine Privatsache geworden und auch das Trauern um Tote ist eine Privatsache geworden, und da könnte so ein Beispiel einer Wieder-Vergemeinschaftung über soziale Netzwerke dazu führen, dass Menschen sich künftig nicht mehr so ganz allein fühlen müssen mit diesen Gefühlen der Trauer und des Gedenkens, sondern dass auch viele Menschen daran teilhaben können und sich auch austauschen können über ihre Gefühle, die ja sehr ähnlich sein dürften."
Neue Visionen von Unsterblichkeit
Riesewieck und sein Co-Autor Hans Block gehen noch einen Schritt weiter. Das Netz biete nicht nur eine neue Vergemeinschaftung von Trauernden an, sondern auch neue Visionen von einer Art Unsterblichkeit: "Vielleicht kann man das transzendentale Obdachlosigkeit nennen, vielleicht eine große Lücke in der Gesellschaft, wie man eigentlich mit dieser Trauer und Erinnerungskultur umgeht. In diese Lücke gehen jetzt große Tech-Unternehmen rein und sagen sich, wir bieten jetzt eine Alternative an, dass man an Menschen erinnert in Form von digitalen Bots, dass man mit Leuten in Kontakt tritt, die verstorben sind in Form von künstlichen Intelligenzen. Und vielleicht ist das eine Lücke, die zu füllen ist. Und genauso haben wir das auch bei den Menschen, die sowas probieren, an sich, feststellen können, dass im Grunde der Versuch, unsterblich zu werden, auch heißt, sterben zu lernen."
Was sind Social Bots?
Hans Block spricht hier von digitalen Bots, die für die Kommunikation mit Verstorbenen immer wichtiger werden. Doch was sind eigentlich Bots, Social Bots?
Fragen wird doch mal so einen Bot (Siri): "Unter einem Bot versteht man ein Computerprogramm, das weitgehend automatisch sich wiederholende Aufgaben abarbeitet, ohne dabei auf eine Interaktion mit einem menschlichen Benutzer angewiesen zu sein."
Die Bezeichnung "Bot" leitet sich vom englischen Wort für Roboter ab. Wie mechanische Roboter sind Internet-Bots darauf programmiert, sich wiederholende Aufgaben zu erfüllen. Dazu führen sie in Form von Algorithmen klar definierte Befehle aus, die sie schneller umsetzen, als jeder Mensch es könnte. Bots sind somit Computerprogramme, die eigenständig und automatisiert agieren. Moderne Bots sind inzwischen in der Lage, sich durch künstliche Intelligenz weiterzuentwickeln, die eigene Datenbank zu erweitern und neue Funktionen und Begriffe zu erlernen.
Dad-Bot: Chatten mit dem verstorbenen Vater
Moritz Riesewieck berichtet von einem Bot, den der Kalifornier James Vlahos entwickelt hat. Vlahos erfuhr von der schweren Krebserkrankung seines Vaters. Nach den ärztlichen Diagnosen hatte der Vater nur noch wenige Monate zu leben. Daraufhin entwickelte der junge Mann einen speziellen Social Bot.
Riesewieck: "James hat dazu dann auf herkömmliche Weise Interviews geführt mit dem Vater. Der Vater hatte einiges zu erzählen aus seinem Leben, ganz viele Anekdoten, kannte viele Witze und so weiter. Es war wohl sehr ergiebig und er hat dann diese Geschichten in eine Bot-Architektur eingespeist. Und so kann jetzt dieser Dad-Bot, wie er den jetzt nennt, mit zum Beispiel James Mutter, also der Frau des Verstorbenen, heute noch sprechen. Und wir waren dort und haben gesehen mit dem Bot-Chat, wie sie sich austauschen über gemeinsame Erlebnisse, obwohl der Mann längst verstorben ist."
In einem Gespräch mit dem US-amerikanischen Computermagazin "Wired" präsentierte James Vlahos ein Beispiel aus einem Chat-Verlauf:
Vlahos: Wo bist du?
Bot: Als ein Bot werde ich wohl auf irgendeinem Rechner in San Francisco existieren. Und ich hoffe, in den Gedanken der Menschen, die mit mir chatten. Du kannst mir noch eine Frage stellen.
Vlahos: Liebst du mich?
Dad-Bot: Oh, ich vermisse dich dort. Worüber möchtest du noch sprechen?
Bot: Als ein Bot werde ich wohl auf irgendeinem Rechner in San Francisco existieren. Und ich hoffe, in den Gedanken der Menschen, die mit mir chatten. Du kannst mir noch eine Frage stellen.
Vlahos: Liebst du mich?
Dad-Bot: Oh, ich vermisse dich dort. Worüber möchtest du noch sprechen?
James Vlahos macht keinen Hehl daraus, dass er enttäuscht ist von der Antwort des Dad-Bots. Natürlich weiß er, dass die Antworten des Bots auf Algorithmen beruhen; doch gewünscht hätte er sich eine emotionale Antwort: "Ja, mein Sohn, ich liebe dich."
Die Tochter in VR wiedersehen
Noch einen Schritt weiter als James Vlahos ist ein TV-Unternehmen in Süd-Korea gegangen.
"Es gab ein relativ viral gegangenes Video auf Facebook. Im Februar 2020 haben über 18 Millionen Menschen dabei zugesehen, wie plötzlich eine Mutter, die ihre Tochter verloren hatte vor einigen Jahren, sich eine virtuelle Brille aufsetzt und in der virtuellen Realität ihre Tochter wiedertrifft. Die Tochter wurde von einem Unternehmen in Südkorea sehr aufwendig rekonstruiert, sehr viel Zeit damit sehr detailgenau - nicht nur den Körper, sondern auch die Stimme dieses Mädchens nachzubilden und sie zum Sprechen zu bringen. Und dann gab es diese Begegnung, wo dann plötzlich in einem Park, wo die Mutter immer mit dem Kind spazieren gegangen war und gespielt hat, ein plötzlich Kind hinter einem Gegenstand auftaucht und auf die Mutter zurennt und sagt: ‚Wo warst du so lange?‘ Und es entspinnt sich eine unglaublich emotionale Szene zwischen der virtuellen Tochter und der realen Mutter, die sich in den Armen liegen, und wenn man das von außen betrachtet, sieht man, dass die Mutter natürlich nur ins Leere greift, wenn sie versucht, ihre Tochter zu umarmen", erzählt Hans Block.
Abschiednehmen für Psyche ein wichtiger Prozess
"Jetzt kann man im ersten Moment sagen, das ist unethisch, was dort gemacht wird, denn man weiß nicht, was das für Spätfolgen hat, und das ist sicherlich auch eine sehr große Kritik, die man diesem Unterfangen geben muss. Wir haben mit Psychologen gesprochen, die sagten, dass das zu einem pathologischen Trauern führen kann, der Gedanke, dass da jemand nicht weg ist. Dieses Abschiednehmen, diese Trauerphase, dieses Bewusstwerden, dass ein Mensch nicht mehr wiederkommt, ist zwar schmerzhaft, aber für die Psyche auch ein wichtiger Prozess. Und wenn dieser Prozess gestört wird mit der Annahme, da wäre doch noch jemand da, mit dem man sprechen kann, kann das zu extremen Folgen führen", sagt Hans Block.
Die Tochter Na-Yeon starb mit sieben Jahren an Leukämie. Vier Jahre danach sah die Mutter Jang Ji-Sung durch eine Virtual-Reality-Brille ihre Tochter wieder.
"Die Mutter selbst sagt, ihr hat das gutgetan. Sie hat das Bild ihrer Tochter im Kopf gehabt – die ganze Zeit –, als ihre Tochter im Krankenhaus lag, an Schläuche gefesselt; die Krankheit hing als Bild im Kopf fest. Für sie war das wie eine Überschreibung zu sagen: ‚Ich habe meine Tochter noch mal glücklich, lebendig, quietschfidel in diesem Park sehen dürfen, das hat mich besänftigt‘", so Block.
"Eine Operation am offenen Herzen der Menschheit"
Hans Block ist durchaus fasziniert von diesen Experimenten mit künstlicher Intelligenz, so etwas wie virtuelle Unsterblichkeit zu kreieren. Allerdings: "Es ist tatsächlich eine Operation am offenen Herzen der Menschheit. Das hat es noch nie zuvor gegeben und das ist unbedingt mit Vorsicht zu genießen und auch sehr kritisch zu betrachten, was für Versuche momentan stattfinden."
Das sieht der evangelische Theologe Rainer Liepold ähnlich: "Ich halte das für hochriskant. Weil es tatsächlich Menschen das Abschiednehmen erschwert. Wir kommen um die Zumutung nicht herum, dass wir uns auf den Abschied auch einlassen."
Abschiedsrituale helfen
Früher waren die Abschiedsrituale genau festgelegt: Nach dem Tod blieb der Verstorbene noch einige Zeit im Haus aufgebahrt, sodass sich die Familie und die Nachbarn verabschieden konnten. Bei der Beerdigung folgte oft das halbe Dorf dem Sarg bis zum Grab. In der katholischen Kirche erinnert man im Sechs-Wochen-Amt an den Toten. Und früher trugen die Witwen und Witwer ein Jahr lang schwarze Kleidung.
Liepold: "Die große Stärke eines Abschiedsrituals ist, dass es tatsächlich eine Zäsur markiert. Die Lebenden erleben, dass der Tote jetzt wirklich weg ist. Das ist sehr schmerzhaft, aber im Grunde ist es die Voraussetzung für einen gesunden Trauerprozess. Erst wenn wir wirklich verinnerlicht haben, dass der Tote nicht mehr da ist, können wir uns neu organisieren für ein Leben ohne ihn. Und alle Versuche zu suggerieren, dass wir weiter mit dem Toten in Kontakt bleiben können, ist ein Risiko für einen gesunden Trauerprozess."
Der Initiator des Portals "Gedenkenswert" verweist auf Online-Foren, in denen Trauernde sehr stark um sich selber kreisen würden. Liepold: "Es könnte sein, dass solche digitalen Foren dazu führen, dass Menschen am Ende in einer Negativschleife landen und immer mehr ihre Verwundungen und ihren Schmerz bekräftigen und gar nicht mehr rausfinden. Und deshalb war uns wichtig, dass unsere Seite zwar der Trauer Raum gibt, aber dass es gleichzeitig so ist, dass wir Menschen auch dazu einladen wollen, anderen mitzuteilen, was ihnen hilft und ihnen guttut. Also wir wollen Trauer in einer lebensbejahenden Weise in den Blick nehmen."
Hologramme von Holocaust-Überlebenden
Auch ohne VR-Brille – schon heute lassen sich mit künstlicher Intelligenz dreidimensionale Hologramme von Verstorbenen kreieren. Diese werden zum Beispiel von Holocaust-Überlebenden angefertigt, die zu Lebzeiten tagelang Fragen über ihre Biografie beantwortet haben. Gefüttert mit diesem Datenmaterial können dann die Hologramme in der politischen Bildungsarbeit eingesetzt werden und Fragen von Jugendlichen beantworten.
Die Erschaffung personalisierter Hologramme: das ist eine Entwicklung, die für die Trauerberaterin Birgit Janetzky auch skurrile Züge hat:
"Wenn das so weitergeht, dann kann man irgendwann per Hologramm den verstorbenen Papa am Weihnachtsbaum Weihnachtslieder singen lassen, und in diese Richtung gehen die Versuche mit den zu Lebzeiten erhobenen Daten und Inhalten, eine virtuelle Existenz zu schaffen, mit der dann die Trauernden interagieren können."
"Wir glauben schon, dass sich da abzeichnet, dass wir mehr und mehr erleben werden, dass auch subjektlose Stimmen in unseren Alltag treten, dass wir in Zukunft sehr genau hinsehen werden müssen, wer steckt hinter einer vermeintlich authentischen Stimme, hinter einem authentischen Video", sagt der Dokumentarfilmer Moritz Riesewieck.
"Wir erleben, dass das immer schwieriger wird, diese sogenannten Deep Fakes von tatsächlichen Videoaufnahmen zu unterscheiden, und wir steuern da auf eine Gesellschaft zu, wo es sowohl virtuelle Wesen geben wird als auch menschliche fleischliche Wesen und die alle miteinander und durcheinander kommunizieren, genauso wie die Lebenden und die Toten miteinander kommunizieren werden."
Tech-Unternehmen: Wir wissen, wer du bist
Weiß die künstliche Intelligenz künftig mehr über uns als unsere Liebsten und wir selbst? Hans Block verweist auf eine Studie der Uni Cambridge aus dem Jahre 2015. Aufgrund unseres Onlineverhaltens lasse sich ein sehr genaues Bild über uns entwickeln.
Block: "Also dass die Daten, die wir täglich im Netz hinterlassen, dass man aus diesen gewaltigen Datenmassen eine algorithmische Analyse bestimmen kann, was für eine Persönlichkeit wir sind, was wir denken, und nicht nur in die Vergangenheit der Analyse kann das zurückgehen, sondern auch in die Zukunft verlängern und das wahrscheinlichste Verhalten errechnen. Und das ist etwas, was Gott vorbehalten war, der auch weiß, wer wir wirklich sind. Und plötzlich sind es die großen Tech-Unternehmen, die diese göttliche Position einnehmen und sagen, da gibt es etwas, anhand dessen wir bestimmen können, wer die Menschen wirklich sind, und ihr könnt uns glauben und folgen."
Aber geht es um ein auf Algorithmen basierendes Bild des Verstorbenen? Ist die Persönlichkeit eines Menschen objektivierbar? Der Soziologe Lorenz Widmaier hat in seinem Forschungsprojekt in den Interviews mit Trauernden beobachtet, dass die vielen Daten aus dem Netz, aus den sozialen Medien, von den Smartphones und Laptops für die Hinterbliebenen manchmal wenig hilfreich sind.
Widmaier: "Zumal auch eine Interviewpartnerin gemeint hat, dass sie diese ganzen Bilder auf dem Smartphone von ihrer Tochter und die Videos, dass sie schon gar nicht mehr weiß, wie ihre Tochter in ihrer eigenen Erinnerung war."
Trauern im Netz statt auf dem Friedhof?
Wie und wo gedenkt man in Zukunft der Toten? Verschiebt sich der Trauerort immer mehr vom Friedhof ins Netz?
"Ich glaube nicht, dass digitale Formen von Trauer echte Begegnungen oder echte Friedhöfe ersetzen, sondern manchmal denke ich mir, dass digitale Angebote die echten wieder ins Gespräch bringen und aufwerten können", meint der Münchener Pfarrer Rainer Liepold.
Der 35-jährige Hans Block sieht das anders. Der Berliner Dokumentarfilmer hat ja ohnehin eine Abneigung gegenüber Friedhöfen. Für ihn verliert die traditionelle Trauerkultur der Religionen mehr und mehr an Anziehungskraft: "Genau diese Lücke füllen jetzt eben neue Ideen, neue Unsterblichkeitserzählungen. Die Unsterblichkeitserzählungen der Religionen werden abgelöst von digitalen Unsterblichkeitserzählungen im 21. Jahrhundert, und dadurch bekommt der Begriff Seele, der sehr verstaubt und anachronistisch wirkt, plötzlich eine überraschende Renaissance."
Hans Block und Moritz Riesewieck: Die digitale Seele: Unsterblich werden im Zeitalter Künstlicher Intelligenz.
München: Goldmann Verlag. 592 Seiten.
Gebunden 20 Euro, E-Book 12,99 Euro.
München: Goldmann Verlag. 592 Seiten.
Gebunden 20 Euro, E-Book 12,99 Euro.
Trauerportal "Gedenkenswert": https://www.gedenkenswert.de/