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Seelentröster
Die Sehnsucht nach Linderung

"Der Mensch ist ein trostsuchendes Wesen", sagte der Philosoph Georg Simmel. Trost kann das Leiden nicht ändern, Schmerzen und Trauer bleiben. Was sich verändert, sind Denken und Leidempfinden. Aber vielleicht ist das nur Vertröstung.

Von Rolf Cantzen |
Rückansicht einer sich selbst umarmenden Frau.
"Jeder hat es nötig, getröstet zu werden: durch eine Religion oder eine Philosophie oder ein Gedicht oder intimere Veranstaltungen. Aber Trost muss wirksam sein", sagte der Philosoph Ludwig Marcuse. (imago stock&people / Gary Waters)
"He du, altes Rindvieh!"
Der Wächter begriff nicht sogleich, dass er gemeint war.
"He, mit dir rede ich!", rief der junge Mann wieder.
Der Wächter, der sich gerade mit einer Fliege beschäftigte, zerdrückte diese mit dem Finger und sagte: "Was brüllst du hier so herum?"
Der junge Mann klopfte sich mit seinen gelben Handschuhen den Staub von der Hose und sagte mit delikater Stimme:
"Sagen Sie, Großväterchen, wie kommt man von hier in den Himmel?"
"Das Tröstliche für mich ist, dass das Leben weiter geht, dass es den Tod, so wie wir ihn verstehen, nicht gibt und dass wir eigentlich immer geborgen sind, auch jetzt schon im Leben. Das ist meine felsenfeste Überzeugung."
Bernard Jakoby ist Sterbeforscher. Er hat viele Bücher geschrieben, sehr viele. Alle über das Sterben, über das, was einem danach noch so alles passiert.
"Dann kommt ja dieses Tunnelerlebnis oder ein Übergang, wenn man so will, manche sprechen ja auch von einer Wiese oder einer Brücke. Letztlich wird dann immer dieses Licht wahrgenommen und dieses Licht immer als größte Liebe, die möglich ist, beschrieben. Und dieses Licht ist Gott."
Bernhard Jakoby hält einen Vortrag über Nahtoderfahrungen im Rahmen der Vortragsreihe "Lebenskunst" im Jahr 2017
Der Autor Bernard Jakoby (imago images / sportsword)
Nach seinem Tod lebt der Mensch – beziehungswiese seine Seele – also weiter, begegnet an einer Art Grenz- oder Übergangsstation verstorbenen Verwandten oder Freunden, die einen mit einer herzlichen Umarmung abholen und einen auf den Weg bringen zum liebenden Gott, wie ihn sich Bernard Jakoby vorstellt: "Trost bedeutet doch einfach, dass man weiß, dass wir ewige geistige Wesen sind."
"He, mit dir rede ich", rief der junge Mann wieder und blieb vor dem Wächter stehen.
"Wie kommt man von hier in den Himmel?"
Der Wächter musterte den jungen Mann, kratzte sich den Bart und sagte: "Hier wird nicht stehen geblieben, weitergehen!"
"Entschuldigen Sie", sagte der junge Mann, "aber ich habe einen dringenden Termin. Das Zimmer für mich steht schon bereit."
Der Text "Der junge Mann, der einen Wächter in Staunen versetzte" ist von Daniil Charms, einem trostbedürftigen russischen Schriftsteller, der unter den trostlosen Lebensbedingungen der Sowjetunion in den 1920er- und 30er-Jahre zu leiden hatte, bevor er im Gefängnis verhungerte.
Der Wächter musterte den jungen Mann mit seinen gelben Handschuhen, kniff erst das eine Auge zu, dann das andere und kratzte sich weiter am Bart.
"Der Mensch ist ein trostsuchendes Wesen"
"Trostbedürfnis kommt ins Spiel, wo unsere Sehnsucht nach so etwas wie einem Nest der fraglosen Eindeutigkeit in die Irre führt. Beispielweise, wenn wir Fragen eines bestimmten Stils stellen wie: Warum ist die Welt? Warum ist sie, wie sie ist? Warum bin ich hier? Und warum bin ich hier als derjenige, den in antreffe? Ist ein Gott?"
Benjamin Dober ist hier – er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg und Lehrer. Er hat ein Buch über den Trost geschrieben: Ethik des Trostes. Hans Blumenbergs Kritik des Unbegrifflichen.
Dober: "Der Trost hat einen schlechten Leumund in der Geschichte der Philosophie. Er wurde oft diffamiert als das, was nur vertröstet und was uns eigentlich davon abhält, auf die Welt zu schauen, wie sie eben ist."
Philosophen geht es meistens um "ungeschminkte Wahrheit". Es gehört nicht zu ihrem Kerngeschäft, Trostpflästerchen aufzukleben oder rosarote Brillen zu verteilen. "Wahrheit" muss ertragen werden, auch wenn der Mensch mit ein bisschen weniger Wahrheit vielleicht besser leben könnte.
Nur wenige Philosophen denken über den Trost nach. Einer ist . Er lebte um das Jahr 1900. "Der Mensch ist ein trostsuchendes Wesen" - diese Definition kommentiert er:
"Der Begriff des Trostes hat eine viel weitere, tiefere Bedeutung, als man ihm bewusst zuzuschreiben pflegt. (...) Trost ist etwas anderes als Hilfe – sie sucht auch das Tier; aber der Trost ist das merkwürdige Erlebnis, das zwar das Leiden bestehen lässt, aber sozusagen das Leiden am Leiden aufhebt, er betrifft nicht das Übel selbst, sondern den Reflex in der tiefsten Instanz der Seele."
Der deutsche Soziologe und Philosoph in einer zeitgenössischen Aufnahme. Zu seinen bedeutensten Werken zählen u.a. "Philosophie des Geldes" und "Grundfragen der Soziologie". Georg Simmel wurde am 1. März 1858 in Berlin geboren und ist am 26. September 1918 in Straßburg gestorben.
Der deutsche Soziologe und Philosoph Georg Simmel (picture-alliance / dpa / null)
Trost kann das Leiden selbst nicht ändern, das Leiden an Krankheit, Liebeskummer, Einsamkeit, an Tod und Sterblichkeit. Aber Trost kann am Denken über das Leiden und am Empfinden des Leids etwas ändern. Trost bestätigt: Das Leiden findet seinen Grund im Menschsein.
Dober: "Trost als eine solche Form der Linderung ist so etwas wie der Anteilnahme und der Empathie durchaus verwandt, und zwar weil wir uns in Situationen des Trostes gegenseitig erkennen, in so etwas wie der menschlichen Grundsituation."
"Dem Menschen ist im Großen und Ganzen nicht zu helfen. Darum hat er die wundervolle Kategorie des Trostes ausgebildet – der ihm nicht nur aus den Worten kommt, wie Menschen sie zu diesen Zwecken sprechen, sondern den er aus hunderterlei Gegebenheiten der Welt zieht."
Der Mensch braucht Trost, sucht sich Trost und kann auch Trost spenden – sich selbst und anderen. Trost lenkt ab vom Leiden, von den großen Sehnsüchten. Trost hat oft nur aufschiebende Wirkung, ist provisorisch und kann gelingen – manchmal auch mit aufmunternden Banalitäten.
Trostbedürftig, trostsuchend bleibt er, weil er – meistens – mehr offene Sehnsüchte hat als erfüllte, oft mehr Fragen als zufriedenstellende Antworten.
Dober: "Warum ist die Welt? Warum ist sie wie sie ist? Warum bin ich hier? Und warum bin ich hier als derjenige, den ich antreffe? Ist ein Gott? Wie soll ich mich verhalten?"
"Wie kommt man von hier in den Himmel?"
Dober: "Solche Fragen, die wir einerseits aus der metaphysischen Tradition geerbt haben, diese metaphysische Tradition ist aber andererseits dadurch ermöglicht, dass wir Menschen solche Fragen stellen können auf Grund unserer Bewusstseinsstruktur, und bei Fragen dieser Art scheitert dann unser Streben, eindeutige Antworten durchzusetzen."
Doch sie scheitern – Gott sei Dank – nicht bei allen Menschen. Viele haben eine Antwort oder glauben so sehr an die Antwort, dass sie keine Fragen mehr haben, sondern nur noch Antworten:
Bernard Jakoby: "Ich finde, dass man das, was Millionen von Menschen auf der ganzen Erde erlebt haben, Milliarden würde ich sogar sagen, sehr trostreich sein kann in der Bewältigung eines eigenen Verlustes."
Bernard Jakoby meint die Sache mit dem Tunnel, durch den die körperlosen Seelen zum göttlichen Licht hinüberwandern, wie zum Beispiel im Blockbuster "Der sechste Sinn" mit Bruce Willis.
"Es gibt inzwischen über 60 Millionen Menschen, die Nahtoderfahrungen gehabt haben, die noch leben. Das hat damit zu tun, dass in den letzten zehn Jahren, will ich einmal sagen, die Möglichkeiten der Reanimation dermaßen verfeinert hat, dass immer mehr Menschen zumindest teilweise erst einmal aus den Randzonen des Todes zurückgeholt werden können."
Schattenriss eines Mannes, der durch einen Tunnel ins Licht geht.
Hirnforscher führen die Wahrnehmungen bei Nahtoderfahrungen auf Halluzinationen zurück (imago)
Dass es post mortem weiter geht – und zwar schöner, besser, glücklicher als auf dieser Welt – das bietet dem Trost, der daran glaubt.
Jakoby: "Ich glaube nicht, ich weiß, dass es so ist."
Bernard Jakoby ist sich sogar ganz sicher: Kein Zweifel mehr, keine störenden Fragen.
Neurologen liefern andere Erklärungen: Sie meinen, Nahtoderfahrungen und die erlebten Lichterscheinungen seien Halluzinationen.
Jakoby: "Das ist ja langsam auch langweilig, was da immer behauptet wird."
Halluzinationen, erzeugt im Gehirn, genauer im Grenzbereich von Schläfen- und Scheitellappen, und wohltuend begleitet von stressreduzierenden Glückshormonen. Auch ein Trost: glücklich sterben.
Nach etwa einer halben Stunde passiert dann allerdings nichts mehr im Gehirn: Hirn tot! Exitus! Aus und vorbei! Finito!"
Bernard Jakoby widerspricht trostreich: "Das hat mit dem Gehirn überhaupt nichts zu tun. Wie ich das verstehe, verlässt er seinen Körper und geht in ganz andere Welten. Das hat mit dem Gehirn nicht das Geringste zu tun. Das zeigt ja einfach auch, dass Bewusstsein völlig unabhängig vom Körper ist."
Verstorbene loslassen
Und deshalb können auch die Verstorbenen Kontakt aufnehmen zu den Lebenden:
Jakoby: "Man spürt einfach diese Nähe. Und dann werden ja meistens auch telepathisch Botschaften übermittelt: Mir geht es gut und so weiter."
Wer das erlebt, ist mehrfach getröstet: Der verstorbenen Mutter geht es bestens in der göttlichen Liebe. Und man selbst hat – auch nicht schlecht – die gleiche Aussicht und trifft sie post mortem wieder. Hinzu kommen noch eventuell finanzielle Vorteile, wenn etwa die Verstorbene telepathisch mitteilt, wo sie das Testament versteckt oder – das war vor allem im 19. Jahrhundert, als der Spiritismus modern war – an welcher Stelle im Garten der Familienschatz vergraben liegt.
Jakoby: "Ich habe jetzt gerade ein Buch gemacht über Kinder und Tod. Unsterbliche Kinderseelen heißt das. Ich habe mit verwaisten Eltern gearbeitet und da wird es natürlich als außerordentlich trostreich empfunden, wenn sie spüren, das Kind ist da, sie spüren die Gegenwart oder es gibt irgendwelche Träume oder Zeichen oder sonst was, ja."
Psychologen, die sich mit Trauervorgängen auseinandersetzen, erklären, dass solche Gefühle ganz normale Ereignisse des Trauerprozesses sind – psychoanalytisch gesprochen: libidinöse Besetzung. Wir können liebe Verstorbene emotional nicht loslassen. Unsere Wünsche sind Ursache der Träume und Einbildungen. Bernard Jakoby hat tröstlichere Erklärungen:
Jakoby: "Nein, das hat mit Wünschen nichts zu tun, das geht von der Verstorbenen aus. Das können wir nicht selbst so herstellen, es sei denn, Sie suchen ein Medium auf. Das ist etwas anderes."
Allerdings können – nach dem Tod – auch weniger schöne Dinge passieren.
Jakoby: "Ich denke, dass es Seelen gibt, die zwischen dieser und der anderen Welt irgendwo steckenbleiben für eine gewisse Zeit."
Die dann herumspuken, weil sie nicht wissen, dass sie eigentlich tot sind. Solche Seelen können unangenehm werden, wie in "Poltergeist" Teil eins bis drei oder in anderen Gruselfilmen.
Figur mit Bettlaken und Schlitzen für die Augen als Gespenst. Der Schauspieler Casey Affleck in dem US-amerikanischen Spielfilm "A Ghost Story" aus dem Jahr 2017
Schauspieler Casey Affleck in dem US-amerikanischen Spielfilm "A Ghost Story" aus dem Jahr 2017 (picture alliance / ZUMA Press / Entertainment Pictures / )
Jakoby: "Das sind ja diese Poltergeistphänomene. Der sitzt da fest und versucht, die anderen zu erschrecken."
Doch selbst die dümmsten Seelen kapieren es irgendwann, lassen alles Irdische los und gehen ins göttliche Licht. Keine Seele – da ist sich Bernard Jakoby ganz sicher – bleibt auf der Strecke oder landet befristet im Fegefeuer oder gar ewig in der Hölle. Auch das ist tröstlich: keine postmortale Seelenquälerei! Es gibt so etwas wie eine Rückschau der Seele auf die letzte Inkarnation: Was war okay, was nicht? Aber das war es dann auch: keine Strafe! Wenn nötig vielleicht noch eine Phase seelischer Weiterentwicklung. Dann: ewiges Leben im göttlichen Licht für Alle.
Benjamin Dober: "Trösten kann Vieles und ich würde auch sagen, es ist ein Gebot der Vorsicht, dem, was andere tröstet, rücksichtsvoll zu begegnen."
Benjamin Dober trösten – bei allem gebotenen Respekt gegenüber der trostbedürftigen Menschheit – diese Eindeutigkeiten eher nicht:
Dober: "Wenn man über eine Ethik des Trostes nachdenkt, also die Frage, was guten von schlechtem Trost unterscheidet, dann steht eben die gute Trostpraxis doch im Verbund mit einer aufklärerischen Tradition."
"Gott ist tot!"
Eine Endstation der religions- und auch sonst kritischen, aufklärerischen Tradition ist das Denken des Philosophen Friedrich Nietzsche.
"Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!"
Ein plastisches Abbild des Philosophen Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900) vom Künstler Klaus Friedrich Messerschmidt, aufgenommen am 15.11.2017 in Röcken, einem Ortsteil der Stadt Lützen (Sachsen-Anhalt).
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900) (picture alliance / Sebastian Willnow)
Die aufklärerische Gottesmörderei macht frei, frei von allerlei Glaubens- und Gewissenszwängen, aber nicht unbedingt glücklich:
"Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?"
Lässt Nietzsche die Gottesmörder fragen, und sie bleiben sich selbst die Antwort schuldig.
Und wenn nicht? Dann bleibt, sie, die unstillbare Sehnsucht nach Eindeutigkeiten, nach tröstenden Antworten, obwohl "aufgeklärte" Menschen diesen Antworten eigentlich misstrauen müssen. Aber wer will nicht hinein, hinein in den, nun ja, "Himmel"?
Benjamin Dober: "Angesichts dieser dilemmatischen Situation müssen wir eben nach Trostformen suchen, nach gutem Trost, der irgendwie näher dran ist an unserer menschlichen Situation als die vermeintlich eindeutigen Antworten."
"In Ordnung", sagte der Wächter, "zeig mir deine Eintrittskarte."
"Eintrittskarte habe ich keine; man hat mir gesagt, ich käme auch so rein", sagte der junge Mann und sah dem Wächter ins Gesicht.
"So siehst du aus!" sagte der Wächter.
"Also, wie jetzt?" fragte der junge Mann. "Lassen Sie mich rein?"
"Der Mensch ist ein trostsuchendes Wesen" und – einigen Philosophen zufolge – "ein Mängelwesen".
Tiere sind durch ihre Instinkte und Gene weitgehend auf ein bestimmtes Verhalten festgelegt, Menschen fehlen diese Festlegungen.
Benjamin Dober: "Wir sind und wir empfinden uns als mangelhaft – bildlich gesprochen in der Analogie zu anderen Bedürfnislagen - und das bedeutet konkret, dass wir auch leiden können an unserem Mangel an Wahrheit oder an Sinn oder an Heil oder auch an Lebenszeit und dass wir aufgrund unserer Bewusstseinsstruktur auch prädisponiert sind, an solchen Dingen zu leiden."
Der Mensch muss sich immer wieder neu orientieren und neu erfinden. So stellt er dann Fragen: "Warum ist die Welt? Warum ist sie wie sie ist? Warum bin ich hier? Und warum bin ich hier als derjenige, den ich antreffe? Ist ein Gott? Wie soll ich mich verhalten?", sagt Dober.
"Wie komme ich in den Himmel?"
Das gehört zum Kerngeschäft christlicher und islamischer Theologen.
Bernard Jakoby: "Moderne Theologie geht so weit, dass sie an den Ganztot glauben und erst am Jüngsten Tag werden wir alle wieder auferweckt. Das ist natürlich eine völlig schräge Vorstellung, absurd!"
Christlicherseits erfolgt diese Auferweckung "ganzheitlich": Die Seele braucht einen Körper. Der wird am Jüngsten Tag deshalb rekonstruiert, sogar ästhetisch optimiert.
Innenaufnahme der Sixtinischen Kapelle mit Michelangelos berühmten Fresko "Das Jüngste Gericht" (1536-1541). Die Kapelle mit ihren berühmten Fresken wurde 1980 von der Unesco als Kulturdenkmal in die Liste des Welterbes aufgenommen. Undatierte Aufnahme.
Innenaufnahme der Sixtinischen Kapelle mit Michelangelos berühmten Fresko "Das Jüngste Gericht" (Udo Bernhart / dpa)
Jakoby: "So ein Quatsch. Ich frage mich, wie die darauf kommen."
Der Gedanke einer unsterblichen, körperlosen Seele war in der Frühzeit des Judentums unbekannt und blieb bis zur Entstehungszeit des Neuen Testaments umstritten.
"Das ewige Licht leuchte ihnen"
Es leuchtete lange im Christentum. Doch in der modernen Theologie, kommt die ewige Seele unter Beschuss: Karl Rahner, einer der wichtigsten katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts, erklärte in einem Interview 1972:
"Mit dem Tod ist zunächst einmal alles aus. Das Leben ist vorbei, es kommt nicht wieder, es wird einem nicht ein zweites Mal geschenkt."
Der evangelische Theologenkollege Karl Barth erwartete auch nicht "ein in irgendeine unendliche Zukunft hinein fortgesetztes und in dieser Zukunft irgendwie verändertes Leben".
Der Schweizer Theologe Karl Barth
Der Schweizer Theologe Karl Barth (dpa picture alliance/ Karl Schnoerrer)
Keine weitere Chance, keine individuelle unsterbliche Seele. Die Aufklärung ist schuld! "Exitus! Aus! Vorbei! Das war’s!"
Gott sei Dank gibt es noch die Bibel. Dort verspricht Jesus: "Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden."
Bergpredigt. Dort gibt es noch den Hinweis: "Euer Lohn im Himmel wird groß sein."
Allerdings ist es wenig trostreich, wenn Theologen wie Rahner oder Barth ein buntes himmlisches Leben, wie wir es uns "von hier unten aus" vorstellen, in Frage stellen.
"Nichts gegen das Trösten. Die schlechte Angewohnheit, im Trost etwas zu sehen, was den Fortschritt hemmt, gehört zum großen inhumanen Aberglauben der Zeit."
Der Philosoph Ludwig Marcuse ist kein wahrheitsfanatischer Trostverächter.
"Jeder hat es nötig, getröstet zu werden: durch eine Religion oder eine Philosophie oder ein Gedicht oder intimere Veranstaltungen. Aber Trost muss wirksam sein; oder er beleidigt und verschlimmert die Lage des Menschen, dem er offeriert wird."
Benjamin Dober: "Die Not der Trostbedürftigkeit macht auch sehr erfinderisch, was die Mittel des Trostes angeht. Und dadurch, dass wir nicht nur trostbedürftig, sondern auch trostfähig sind, sind wir auch zugleich reiche Wesen, ebenfalls metaphorisch verstanden."
Trostmöglichkeiten in Stichworten
Erstens: Unsterbliche Seele
Bernard Jakoby: "Ich glaube nicht, ich weiß, dass es so ist."
Hatten wir bereits, hier aber mit Zusatztrost:
"Wir sind hier, um seelisch und geistig zu wachsen und lieben zu lernen. Verschiedene Reinkarnationen, aber Reinkarnation ist kein Muss, meiner Ansicht nach. Ich kann mich auch entscheiden, mich in der geistigen Welt weiterzuentwickeln."
Das heißt: ewiges Licht plus Fortschritt durch Selbstoptimierung – das passt prima zu unserer Leistungsgesellschaft.
Zweitens: Nichts
Endgültiges Erlöschen, Nirwana, kein Ich mehr, kein Bewusstsein mehr: Verlöschen. Das ist die buddhistische Variante. Ob das den Menschen tröstet – Benjamin Dober hat da seine Zweifel:
"Einerseits lässt er sich nicht trösten von der Aussicht, irgendwann gar nicht mehr zu sein, andererseits kann darin auch der Funke einer Erleichterung liegen."
Also: Trost durch ewige Ruhe, die kein Ich mehr genießen kann, weil es das nicht mehr gibt.
Drittens: Seelenruhe
Sich durch nichts und niemanden mehr aus der Ruhe bringen zu lassen, sich nicht von seinen Emotionen hinreißen zu lassen, Leid gelassen ertragen – die antiken Stoiker empfahlen dies als tröstlichen Zustand:
Benjamin Dober: "Das Problem der Seelenruhe ist, dass sie selten anzuhalten geneigt ist."
Weil es noch, so der Philosoph Hans Blumenberg, im Menschen neben dem seelenberuhigenden Tröster auch immer den "Wühler" gibt.
Benjamin Dober: "Und der Tröster in uns, der sorgt immer wieder für Beruhigung, für Seelenruhe, aber früher oder später stellt sich aber wieder bei uns der Wühler ein, der wieder Unordnung in unser sorgsam konsolidiertes Welt- und Selbstverhältnis bringt und beginnt, dass vermeintlich Fraglose wieder zu befragen."
Der Philosoph Hans Blumenberg
"Bekanntester Unbekannter" - Philosoph Hans Blumenberg (Peter Zollna / Suhrkamp Verlag)
Viertens: Humor, Lachen, Ironie
Das heißt: Distanz, Distanz zum Leiden, zur vermeintlich einzig "wahren" Sicht auf die Welt.
Benjamin Dober: "Humor kann als Ironie die Dinge in so etwas wie einer erträglichen Schwebe halten und uns dadurch auch vom Absolutismus der Eindeutigkeit verschonen und – so kann man das auch formulieren – Humor gewährt uns die menschliche Chance, uns auf den Arm zu nehmen, ohne uns fallen zu lassen."
"Wohin wollen Sie", fragte der Wächter mit strengem Gesicht.
Der junge Mann hielt die Hand mit dem gelben Handschuh vor den Mund und sagte sehr leise:
"In den Himmel!"
Der Wächter beugte sich vor und fragte schroff: "Was? Du willst mich auf den Arm nehmen?"
Elftens: Trost durch Erinnerung
Erinnertwerden als Trost im Wissen um die eigene Sterblichkeit.
Benjamin Dober: "Der Gedanke, erinnert zu werden, tröstet erstens, weil es überhaupt nichts Geringes ist, von einem anderen Menschen in der Erinnerung bewahrt zu werden."
Wobei klar ist: Wer sich erinnert, fügt etwas hinzu, lässt etwas weg, erzählt sich und anderen Geschichten.
Zwölftens: Tröstliche Geschichten
Dober: "Und zweitens tröstet der Gedanke, erinnert zu werden, weil es jederzeit gnädig unbestimmt sein darf, wie lange wir einander erinnern werden. Wir können es überhaupt nicht genau ausmachen und in dieser Unbestimmtheit liegt ein großer Trost."
Dreizehntens: Unbestimmtheit, Ungewissheit
Benjamin Dober: "Das sich selbst in der Schwebe lassen zu können und innezuhalten, Zaudern vor dem Versuch, den Menschen zu vereindeutigen, das kann etwas sehr Tröstliches sein."
"Was? Du willst mich auf den Arm nehmen?"
Der junge Mann lächelte, hob die Hand im gelben Handschuh, schwenkte sie über dem Kopf und war auf einmal verschwunden.