An diesem Mittwoch wollen Bund und Länder wieder darüber beraten, wie es weitergeht in der Coronakrise. Während sich viele Menschen eine längerfristige Strategie wünschen, tut sich die Politik schwer, die kommenden Tage zu überblicken. Tatsächlich ähnelt dieser Kampf "Alle gegen COVID-19" einem Hase- und Igel-Spiel: Immer wenn wir einen Schritt weiter sind und sinkende Infektionszahlen verbuchen, meldet sich das Virus mit einer neuen Idee, besonders heimtückische Mutationen zum Beispiel. Und so geht das Auf und Ab seit fast einem Jahr.
"Wie ein Gegenanstieg beim Bergsteigen"
Was bringt COVID-19 nicht allein an gesundheitlichen Gefahren, an ökonomischen Lasten – was richtet es auch an der Psyche an? Der Psychotherapeut Wolfgang Schmidbauer meint, es komme jetzt vor allem darauf an, sich auf die langfristige Auseinandersetzung einzustellen. Das sei sehr schwierig, sagte er im Dlf. Es sei wie ein Gegenanstieg beim Bergsteigen. "Oder, wenn man schon müde ist und denkt, jetzt geht es immer abwärts und ich kann mich fallen lassen und komme an. Und auf einmal muss man wieder irgendwo aufwärts gehen. Das war, glaube ich, die Stimmung im Herbst. Die war völlig anders als die im Frühjahr, als so ein Optimismus dominiert hat, dass wenn wir uns jetzt zusammennehmen, dann wird es im Sommer besser. Und dann ist es gut."
Es sei zwar im Sommer besser geworden, so Schmidbauer, aber es sei natürlich überhaupt nicht gut gewesen. "Dieser starke Einbruch und dass der Lockdown dann so krass gekommen ist, das hängt damit zusammen, dass dieser Optimismus diese Sicht wieder übertönt hat und dass wir viel zu spät reagiert haben, um den Lockdown etwas mäßiger und differenzierter zu gestalten."
"Wäre besser, man könnte die Todesgefahr ignorieren"
Der Psychotherapeut meint, wir sollten uns klarmachen, dass die wissenschaftliche Entwicklung uns nicht von psychischen Problemen erlöst, sondern uns zusätzliche seelische Probleme und Belastungen liefert. Zu COVID-19 gehöre diese Zusatzbelastungen. "Vom rein psychologischen her wäre es natürlich viel besser, man könnte die ganze Todesgefahr ignorieren. Das geht aber nicht." Man würde am glücklichsten leben, wenn man die ganze Situation verdrängen könnte, ergänzte Schmidbauer.
"Das kann man aber nicht, man muss sich ständig damit auseinandersetzen, das ist das eine psychologische Problem. Das andere ist natürlich die Einschränkung, der Lockdown, der vor allem Familien mit Kindern unglaublich belastet." Über den Zustand alleinlebender Menschen wisse man zudem noch viel weniger, weil sie sich zurückziehen und weniger auffallen würden. "Ein großes Problem bei psychischen Leiden ist ja die Unauffälligkeit", die Leute, die störten, seien eigentlich gesünder, als die, die sich zurückziehen.
Grundsätzlich fehle es an Empathie den Leuten gegenüber, denen das alles zugemutet werde. Wir müssten uns viel aktiver um Familien oder Menschen, die wirtschaftliche Nachteile erlitten haben, kümmern, mahnte Schmidbauer. "Wenn jemand in so einem aufgewühlten, traumatisierten Zustand auf eine Behörde trifft, die als Behörde funktioniert, ist das gar nicht gut."
Allgemeine Regel für den Umgang mit Ängsten
Vorschriften würden alle Menschen treffen und eine extreme Ungerechtigkeit schaffen. Dass manche Berufe extrem unter diesen Umständen leiden, während andere wirtschaftlich überhaupt keine Konsequenzen spüren, das sei eine Situation, die sehr viel Wut schaffe. "Man muss dann mit dieser Aggression fertig werden und viele reagieren dann depressiv", so der Psychotherapeut. In anderen Fällen, wie in den Familien würden dann Konflikte ausbrechen, mit denen man bis dahin gut leben konnte. Man sehe es an den Demonstrationen, dass dann eine Tendenz entstehe, blindwütend zu werden und zu sagen, wir seien Opfer einer Verschwörung.
Es gebe eine allgemeine Regel für den Umgang mit Ängsten. "Man muss prüfen, ob die Gefahr jetzt wirklich realistisch ist und dann, wenn man feststellen kann, dass ich nicht ausweichen oder nichts tun kann, sie ignorieren. Es gibt ein vernünftiges Maß an Vorsicht in dieser COVID-Situation: Man kann sich impfen lassen. Wir werden aber nie eine absolute Sicherheit herstellen können. Prüfen und wenn man das Mögliche getan hat, die Angst ignorieren", fasst Schmidbauer zusammen.