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Seelsorge und Corona
Innenstadt leer, Kirche auch

Wochenlang waren bundesweit sämtliche Gottesdienste abgesagt, erst seit kurzem kommen Gläubige wieder zusammen. Allerdings ist vielerorts kaum etwas wie vor Corona. Etwa in früher belebten Innenstadt-Kirchen mit Angeboten für "spontane Laufkundschaft" in München. Was sagt das über die Zukunft?

Von Burkhard Schäfers |
Sechs Menschen sind von hinten in Krichenbänken zu sehen. Sie sitzen versetzt, immer alleine in einer Bank und je eine Bank zwischen einander frei.
Nicht nur Geschäfte, sondern auch Kirchen leben von Passanten (dpa / picture alliance / Christoph Soeder)
80 Gläubige statt 800: In der Michaelskirche in der Münchner Fußgängerzone zwischen Marienplatz und Stachus ist nur jede zweite Reihe besetzt. Mit Menschen, die Mund-Nasen-Schutz tragen, und denen ein gummibehandschuhter Priester die Kommunion reicht.
"Ich merke schon, dass es auf manche gespenstisch wirkt. So sehr, dass da auch die Frage aufkommt, hat es überhaupt einen Sinn, Gottesdienste so zu feiern?"
Wer Andreas Batlogg gegenübersitzt, merkt dem Jesuitenpater auch aus der nötigen Distanz an, dass ihn die kirchliche Corona-Situation grundsätzlicher umtreibt. Während man von einem katholischen Priester vielleicht als erstes den Satz erwarten würde: "Hauptsache wieder Gottesdienste", ist Batlogg ambivalent.
"Endlich wieder die Orgel hören"
"Ich denke, es ist auch wichtig, dass nicht unsere priesterliche oder klerikale Befindlichkeit das Maß aller Dinge ist, sondern auch die Bedürfnisse der Menschen. Und ich kenne auf der anderen Seite Menschen, die gesagt haben, Gott sei dank können wir wieder miteinander diese Kirche betreten, in sehr reduzierter Form Eucharistie feiern. Oder ganz banal: Wie schön, endlich wieder die Orgel zu hören."
Der Jesuit Andreas Batlogg
Andreas Batlogg ist Jesuit und City-Seelsorger in München (Christian Ender)
Indes versteht Batlogg auch Kollegen wie den Magdeburger Bischof Gerhard Feige. Der spricht sich dafür aus, in seinem Bistum für längere Zeit auf öffentliche Gottesdienste zu verzichten. Feiernde und Priester sollten sich nicht zu Handlungen gedrängt fühlen, die ihre Gesundheit gefährden, schrieb der Magdeburger Bischof vor einigen Tagen in einem offenen Brief. Dabei hat Feige vor allem ältere Menschen im Blick. Sie zählen zur Risikogruppe und machen das Gros der Gottesdienstbesucher aus.
Seit Beginn der Pandemie bieten viele Gemeinden Video-Gottesdienste an. In etlichen Kirchen würden die Gottesdienste, zu denen nun wieder Menschen kommen dürfen, für die Risikogruppen weiterhin im Netz übertragen, sagt eine Sprecherin der evangelischen Kirche.
Seelsorge lebt von Nähe, Corona erfordert Distanz: Wie sinnvoll umgehen mit dieser Spannung, fragt sich Jesuit Andreas Batlogg. Und: Sind Gottesdienste systemrelevant?
"Natürlich ist Liturgie, Zusammenkommen, Feiern, Glauben teilen ein Anliegen. Aber auf der Prioritätenliste der ersten zehn wichtigen Geschichten geht es um Grenzen, die wieder zu öffnen sind, um Gaststätten, um Sportclubs und was auch immer. Es ist auch eine Chance, einen realistischeren Blick auf Glauben und auf Christentum zu gewinnen. Wir sind ja längst eine Minderheit, und wir werden es immer mehr werden."
"Kirchen werden leerer"
Eigentlich ist die Münchner Innenstadtkirche Sankt Michael, in der Batlogg als Seelsorger arbeitet, ein offenes Haus: Für Sinnsuchende und zufällige Laufkundschaft. Mit Gruppen, die gemeinsam Glaubens- und Lebensfragen nachgehen. Mit Besinnungstagen, Vorträgen und Orchestermessen für mehrere hundert Besucher. Zurzeit aber pausieren die Angebote der City-Seelsorge fast vollständig – und niemand weiß, wann und wie es weitergeht.
Eine Illustration zeigt den Schattenumriss eines Mannes an einem Schreibtisch vor einem grafischen Hintergrund.
Digitales in Corona-Zeiten - Das Geheimnis des Segnens
Der Segen und das Segnen sind derzeit digital allgegenwärtig.Alle Religionen kennen den Segen. Aber was ist das genau? Wie wird Segen wirksam? Wird Gottes Segen jedem zuteil? Auch im Netz?
Die Corona-Auszeit vergrößert wie eine Lupe, was vorher schon sichtbar war: Die Kirchen werden leerer. Weil nun auch die Kernklientel, die vor der Pandemie aus Gewohnheit dabei war, merkt, ob sie wirklich etwas vermisst.
"Ich denke, dass diese Krise zutage fördert, was eigentlich längst schon Sache ist: Christentum als Minderheit. Ich bin als Rahner-Liebhaber natürlich schnell mal bei Karl Rahner, der schon in den 50er und 60er Jahren solche Diagnosen gestellt hat. Die große Masse derer, die schon getauft sind und das nicht mehr praktizieren oder keine großen Bedürfnisse haben, die stehen de facto schon vor der Frage: Was heißt es für mich, ob ich Christ bin oder nicht Christ bin?"
Der Prager Soziologe und theologische Denker Tomas Halik sieht in den leeren Kirchen mehr als eine Störung im Betriebsablauf. Er spricht vom – Zitat – "warnenden Blick durch das Fernrohr in eine verhältnismäßig nahe Zukunft". Und weiter: "Ich gestehe ein, dass mich schon lange verschiedene Formen der Kirche an kühle und prachtvolle Grabmale eines toten Gottes erinnern". Der tschechische Theologe dringt darauf, dass Kirchenvertreter künftig stärker in Dialog mit Suchenden treten, anstatt fertige Antworten zu geben.
"Gott ist kein Zauberer"
Im Sinne Haliks sagt Jesuitenpater Batlogg selbstkritisch: Die Kirchen hätten auf die Pandemie vielerorts mit Aktionismus geantwortet.
"Mir wurde in den letzten Wochen zu viel organisiert. Krise als Chance und so weiter. Natürlich mussten auch neue Formate entwickelt werden. Das haben wir ja auch gemacht mit den Videoformaten. Aber eine andere Frage ist halt auch: Das Schweigen und die Leere aushalten."
Der Blick in leere Kirchen mag so manchen an seinem Gottesbild zweifeln lassen.
"Der liebe Gott ist eben kein Zauberer, der einen Impfstoff in einem Container herunterlässt und möglichst im Vatikan oder im Erzbischöflichen Garten abstellt. Aber dass Glaube helfen kann, nicht zum Verschwörungstheoretiker zu werden, zu verzweifeln oder in Panik zu geraten, das ist schon wichtig."
Der tschechische Denker Tomas Halik erinnert an eine Zeit im Mittelalter, als in vielen Regionen keine Gottesdienste stattfanden. Da hätten die Menschen begonnen, eine persönliche Gottesbeziehung zu suchen. Und die Mystik habe einen großen Aufschwung erlebt.