Jasper Barenberg: Unter politischem Druck stehen private Hilfsorganisationen schon länger, die mit Schiffen auf dem Mittelmeer unterwegs sind, um Flüchtlinge aus Seenot zu retten. Italiens Regierung verlangt beispielsweise seit Kurzem, dass sie einen strengen Verhaltenskodex unterzeichnen. Die Meisten haben das getan, andere aber weigern sich. Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen eine deutsche Hilfsorganisation. Der Vorwurf: Bei drei Aktionen hätten die Aktivisten nicht den Flüchtlingen geholfen, sondern den Schleppern. Am Wochenende nun sahen sich drei NGOs gezwungen, ihre Rettungseinsätze ganz auszusetzen, weil sie die Sicherheit ihrer Mitarbeiter durch das Vorgehen der libyschen Küstenwache bedroht sehen.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat nach eigenen Angaben seit 2005 mehr als 69.000 Menschen aus Seenot gerettet beziehungsweise war daran beteiligt. Präsident der deutschen Sektion ist der Arzt Volker Westerbarkey. Er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Volker Westerbarkey: Guten Morgen, Herr Barenberg!
"Es ist davon auszugehen, dass Menschen nicht weiter fliehen können"
Barenberg: Die Gefahr für die Sicherheit der Mannschaften jetzt durch die neue Situation – ist das der wichtigste Grund, warum auch Ihre Organisation ihr Schiff vorerst im Hafen lässt?
Westerbarkey: Das ist natürlich erst mal der vorrangigste Grund, denn wir können natürlich nur da arbeiten, wo unsere Mitarbeiter sicher sind, und da wir, wie im Beitrag angekündigt, diese Warnung auch vom Seenotrettungszentrum in Rom bekommen haben, nehmen wir sie ernst und müssen darauf reagieren, reduzieren unser Team, um das Risiko zu reduzieren, arbeiten weiter mit der Seenotrettungszentrale zusammen. Darüber hinaus, wie es mein Kollege auch angesprochen hat, wenn es eine Zone werden sollte, in denen die libysche Küstenwache entscheiden kann, wer wann wie gerettet wird, dann entspricht das den Prinzipien der Unabhängigkeit der humanitären Hilfe und ist davon auszugehen, dass Menschen, die flüchten müssen vor Gewalt und Krankheit und Unterdrückung, nicht weiter fliehen können.
Warnschüsse und gefährliche Manöver auf See
Barenberg: Der Anlass ist also offenbar – der unmittelbare Anlass –, dass die Küstenwache in Libyen ihre Kontrolle auch auf internationales Gewässer jenseits des Küstenschutzes sozusagen ausdehnen wird. Warum ist das ein Sicherheitsrisiko für Ihre Mannschaften? Worin besteht die Drohung, von der Sie sprechen?
Westerbarkey: Die Drohung besteht darin, dass die libysche Küstenwache in einem Gebiet, was eigentlich internationales Gewässer ist, beansprucht, die Seenotrettung zu kontrollieren und auch klar gesagt hat, dass sie ungewünschte Seenotrettung von Organisationen wie unserer verhindern wird, behindern wird. Das hat es auch schon in der Vergangenheit gegeben. Die libysche Küstenwache hat teilweise schon Warnschüsse abgegeben, gefährliche Manöver auf See gefahren und unsere Teams und Teams von anderen NGOs in Gefahr gebracht, und das ist eine Gefahr, die wir nur sehr, sehr schwer einschätzen können und vermeiden müssen.
"Nicht bekannt, dass eine Verbreitung der Hoheitsgewässer rechtens ist"
Barenberg: Nun sagt Libyen, so eine erweiterte, wie es heißt: Such- und Rettungszone über die Küstengewässer hinaus in internationale Gewässer hinein, das entspräche internationalem Recht. Können Sie uns sagen, ob das zutrifft oder nicht?
Westerbarkey: Nach unserem Verständnis wird die internationale Seenotrettung von der Leitstelle in Rom koordiniert. Das ist bisher geschehen, das ist auch gut geschehen. Es gibt klare internationale Gesetze, die das regeln, und uns ist nicht bekannt, dass eine Verbreitung dieser Hoheitsgewässer oder Kontrollgewässer durch einen Staat rechtens ist.
"Das ist der Fokus, dass man Menschen aus Not rettet, retten kann"
Barenberg: Libyen hat den Vorwurf erneuert, den es auch von anderer Seite gibt, dass die Hilfsorganisationen mit Schleppern zusammenarbeiten. Sie sagen selber, es gibt dafür keine Beweise, aber Hinweise zumindest – zum Beispiel den, dass immer dann, wenn libyscher Küstenschutz da unterwegs ist, keine Rettungsschiffe unterwegs sind. Was antworten Sie auf diesen Vorwurf?
Westerbarkey: Ich glaube man muss den Blick oder wir müssen den Blick und den Fokus auf die Situation der Menschen richten, die fliehen. Sie haben es vorhin im Beitrag auch kurz angesprochen: Die Menschen, sobald Sie Libyen betreten, werden viele von ihnen gefangen genommen und verkauft, gehandelt, viele zu Zwangsarbeit verpflichtet und sind vieler körperlicher Gewalt, sexueller Gewalt ausgesetzt, und wenn diese Menschen es schaffen zu fliehen, dann muss man denen helfen. Das geschieht nicht durch direkten Kontakt mit Schmugglern, wie Sie es schon angedeutet haben. Man muss natürlich versuchen, dass die Leute nicht erst hunderte von Kilometern gefährlich über das Mittelmeer in diesen kleinen Schlauchbooten zurücklegen, sondern möglichst früh gerettet werden. Dass sie das nicht schaffen, zeigt die Zahl, dass es mehr als 2.400 Tote auch dieses Jahr schon im Mittelmeer gegeben hat. Ich glaube, das ist der Fokus, dass man Menschen aus Not rettet, retten kann, und nicht darum, ob vielleicht die libysche Küstenwache es schafft, einige Menschen an der Flucht zu hindern, die vielleicht einige Tage später fliehen können, denn die Menschen müssen gerettet werden aus dieser schrecklichen Situation in Libyen.
"Wir müssen alles daran setzen, dass diesen Menschen geholfen wird"
Barenberg: Erkennen Sie denn aber gleichzeitig an, dass es ein Dilemma gibt, auch für die Hilfsorganisationen, wenn beispielsweise die Grenzschutzagentur Frontex die Beobachtung macht, dass die Boote immer schlechter ausgerüstet werden, dass sie gerade so viel Treibstoff haben, dass sie die Küstengewässer verlassen können, dass also die Hilfsorganisationen unbeabsichtigt möglicherweise zu einem Magneten für Migranten geworden sind?
Westerbarkey: Das ist sicherlich ein Dilemma, aber das führt auch wieder am Kernproblem vorbei. Es kann nicht sein, dass man auf Kosten von Menschenleben die Rettung einstellt. Welche Sekundäreffekte das hat, glaube ich, da wird viel drüber spekuliert. Wichtig ist, dass die Menschen in katastrophalen Situationen in Libyen leben, überleben und wir alles daran setzen müssen, dass diesen Menschen geholfen wird.
"Menschen nicht zurückschicken, wo sie unter Gewalt und Zwangsarbeit leiden"
Barenberg: Unter welchen Bedingungen wären Sie denn bereit, Ihre Rettungsmission wieder durchzuführen? Was erwarten Sie, sagen wir, von der Bundesregierung oder der Europäischen Union in dieser Situation?
Westerbarkey: Außenminister Gabriel war ja vor gar nicht allzu langer Zeit in Libyen und hat auch selbst berichtet, was er gesehen hat und die Verhältnisse da als inakzeptabel beschrieben. Die Europäische Union – und Deutschland ist ein Teil davon, Italien ist ein Teil davon – führen eine Politik durch, die Flucht über das Mittelmeer eigentlich unmöglich macht und Menschen wieder zurückbringt in eben diese libysche Hölle, wenn ich das mal so ein bisschen pathetisch beschreiben darf, dann muss sich die Bundesregierung klar positionieren, dass sie internationales Recht einhält. Menschen dürfen nicht dahin zurückgeschickt werden, woher sie fliehen, wenn sie nachweislich unter Gewalt und Zwangsarbeit leiden.
Barenberg: Sagt Volker Westerbarkey, der Präsident der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Danke für Ihre Zeit heute Morgen!
Westerbarkey: Vielen Dank Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.