Das US-Team 11th Hour Racing hat das diesjährige Ocean Race gewonnen, eines der härtesten Segelrennen der Welt. 60.000 Kilometer haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den vergangenen sechs Monaten zurückgelegt - von Europa nach Brasilien, über den Atlantik in die USA und zurück nach Europa.
Dabei war 11th Hour Racing gar nicht als erstes Team ins Ziel gekommen. Das Team hatte aufgrund eines unverschuldeten Zusammenstoßes auf der abschließenden siebten Etappe noch vier Punkte gutgeschrieben bekommen und dadurch das Schweizer Team Holcim PRB überholt.
Verursacht hatte den entscheidenden Crash das Team Guyot mit dem Berliner Co-Skipper Robert Stanjek. "Diese Kollision hat so erheblichen Schaden an beiden Schiffen verursacht, dass beide die Etappe vorzeitig aufgeben mussten", sagte Stanjek im Deutschlandfunk-Sportgespräch. Er sei mit seinem Team nun per Flugzeug zum Zielort geflogen, um "noch ein paar schöne Tage mit viele Feiern und der Siegerehrung" zu verbringen.
Stanjek: "Ergebnis nicht am grünen Tisch entschieden"
11th Hour Racing hatte nach dem Crash einen Antrag auf Wiedergutmachung gestellt und hat so noch die entscheidenden Punkte gutgeschrieben bekommen. "Ich bin schwer erleichtert, dass so eine klare, faire, faktenbasierte Entscheidung getroffen wurde", so Stanjek.
Mona Küppers, Präsidentin des Deutschen Segler-Verbandes ergänzt: "Wir gehen sehr fair miteinander um. Und wenn dann doch etwas passiert, versuchen wir, Lösungen zu finden."
Das Ocean Race sei die "Champions League auf dem Ozean", sagte Stanjek. "Es hat eine wahnsinnige Abenteuer-Komponente. Wir sind mit vier Seglern auf diesen Booten weitesgehend autark und fahren durch Seegebiete, da gibt es keinen normalen Notfallzugriff."
Sollte sich ein Team-Mitglied beispielsweise einen Oberschenkelhalsbruch zuziehen, "muss man den mit Morphium versorgen und die nächste Notfallbehandlung ist erst in zehn bis 15 Tagen möglich." Teilweise habe sich Stanjek "wie auf einem anderen Planeten gefühlt."
Auch andere Faktoren des Segelns in den Fokus gerückt
Küppers freue sich, das durch das Ocean Race auch andere Faktoren, die das Segeln ausmachen, in den Fokus gerückt werden - wie eben die Notfallversorgung, die auch Seglerinnen und Segler bei kleineren Überfahrten beherrschen müssen. "Ich erinnere mich an meinen eigenen Kurs, wo ich lernen musste, an einem Schweineohr eine Wunde zu nähen. Über solche Vorbereitungen sprechen wir normalerweise gar nicht."
Dafür liebe Küppers das Ocean Race, "dass da mal deutlich gezeigt wird, was diesen Segelsport alles insgesamt ausmacht."
Stanjek und sein Team haben zudem nachts vor der Küste der USA während eines Sturms einen Mastbruch erlitten. Stanjek hatte zu der Zeit versucht, zu schlafen, musste dann aber schnell wieder an Deck.
"Da heißt es, schnell anziehen. Das ist ähnlich wie bei einem Feuerwehreinsatz. Und die Sicherheit darf man in der Hektik nicht vergessen", sagte er, als er den Vorfall im Sportgespräch schilderte. "Da heißt es, sehr schnell, sehr schmerzvolle Entscheidungen zu treffen. Man muss sich so schnell wie möglich diesen Mast, der neben dem Boot schwimmt, befreien. Weil wenn bei sechs Meter hohen Wellen dieser Mast den Rumpf des Schiffes perforiert, dann ist das der Worst Case, dann verliert man unter Umständen sein Schiff. Da setzt man dann Säge, Messer und Bolzenschneider an", erklärt der Segler das Notfall-Procedere.
Im Fall der Guyot war das Vorgehen erfolgreich, das Boot konnte sich an die US-Küste retten. "Unser Mast steckt jetzt in der Titanic. Die Koordinaten passen ziemlich genau."
Doch es gab auch schöne Moment im Ocean Race. Etwa als die Schiffe die Kieler Förde passierten und von rund 120.000 Menschen bejubelt wurden. Solche Bilder brauche der Segelsport, sagt Segler-Verbands-Präsidentin Küppers. "Ganz viel in unserem Leben erfolgt aufgrund von Vorbildfunktionen. Und diese Segler sind für uns Vorbilder. Wir benutzen manchmal das Wort Leuchttürme. Sie strahlen über alles hinweg, was im Segelsport möglich ist."
Küppers: "Man muss Respekt haben vor der Umwelt"
Namen wie Boris Hermann und Robert Stanjek seien auch jungen Menschen bekannt. "Und viele wollen einmal so werden wie eben diese Leuchttürme. Und wir profitieren natürlich davon. Weil der Segelsport hat ein Image, was manchmal nicht so toll ist. Er gilt als sehr elitär und teuer. Das werden diese Rennen nicht wegwischen können. Aber insgesamt wird deutlich: Segeln ist so viel mehr als wir uns oft vorstellen."
Auch Stanjek freue sich über die Aufmerksamkeit. "Es ist tatsächlich doch ein Sport, der durch die verschiedenen Ebenen wie Technik, Naturverbundenheit, Abenteuer, der faire Wettkampf, der saubere Sport in Deutschland eine riesige Reichweite entwickelt hat. Und das ist schön, das macht mich stolz." Der Empfang in Kiel habe Stanjek überrascht. "Und ich denke mal, dass das die besten Gegebenheiten sein werden, beim nächsten Ocean Race vielleicht auch einen Stopover zu bekommen oder vielleicht sogar Starthafen zu werden."
Um nach solchen medienwirksamen Ereignissen neue Seglerinnen und Segler zu gewinnen, "verweisen wir auf unsere Vereine", sagt Verbands-Präsidentin Küppers. "Das hört sich jetzt sehr unsexy an, aber wir haben eben weit über Tausend Vereine in Deutschland, die wirklich in jeder Bootsklasse präsent sind."
Nach dem Fly-By in Kiel, "hatten wir tatsächlich unglaublich viele, die gesagt haben, ich würde das gerne mal probieren. Und den meisten Menschen ist auch klar, dass sie nicht mit einem Ocean Racer beginnen, sondern dass sie kleiner beginnen müssen und das auch wollen. Und das ist etwas, was wir nutzen können."
Stanjek sieht Segelsport als perfekten Ausgleich für Kinder
Auch beim Thema Umweltschutz sei der Segelsport "anders in den Fokus gerückt", sagte Küppers. Wenn das Segel oben sei, sei der Segelsport "total im Einklang mit der Natur." Das komme dem Sport letztlich zugute.
Auch Stanjek sieht den Segelsport in Deutschland aktuell "auf einer guten Welle. Und auf der wollen wir auch drauf bleiben." Seiner Meinung nach sei der Segelsport in einer Zeit, in der alles schneller und digitaler werde, für Kinder "der kraftvollste Ausgleich, dem man sich mit einem Hobby geben kann und den man sich als Eltern für sein Kind nur wünschen kann."
Dass Segeln ein teurer Sport sei, wollte Küppers so nicht bestätigen. Der durchschnittliche Jahresbeitrag für einen Jugendlichen in einem Segelverein betrage 60 Euro, sagte sie. "Das ist deutlich weniger als für einen Fußballverein." Nur bei neuer technischer Ausstattung fange es an, "ins Geld zu gehen. Aber das ist in vielen Sportarten auch so."
Dazu komme, dass der Segelsport für jeden möglich sei, sagte Küppers. "Ich kann es als kleines Kind und als alter Mensch machen. Es gibt da kein No Go." Auch Menschen mit Beeinträchtigungen könnten segeln. "Wir haben unglaublich viele Boote, die man durch bestimmte Adaptionen so umbauen kann, dass auch Menschen mit und ohne Behinderungen auf Augenhöhe gegeneinander fahren können, weil die Behinderungen ausgeglichen werden."
So könne man Segelsport betreiben, "bis ich fast hundert Jahre alt bin und kann dieses Gefühl immer noch leben. Und das ist glaube ich das, was den Segelsport von vielen anderen Sportarten unterscheidet und was ihn so faszinierend macht."