Der Vatikan hat erklärt, dass ein kirchlicher Segen für homosexuelle Paare nicht möglich sei. Mehr als 1.000 römisch-katholische Seelsorgerinnen und Seelsorger bekunden öffentlich, sie wollten trotzdem schwule und lesbische Paare segnen.
Dass der Vatikan überhaupt Stellung bezogen hat, hat mit einem sogenannten "Dubium" zu tun, mit einem an Rom adressierten Zweifel. Der lautete: Hat die Kirche die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen? Die Glaubenskongregation verneint: Es könne keine Verbindung gesegnet werden, die nicht dem Schöpfungsplan Gottes entspreche.
Dem haben in einer Erklärung mehr als 200 Theologinnen und Theologinnen widersprochen. In der Erklärung heißt es: "Wir gehen davon aus, dass das Leben und Lieben gleichgeschlechtlicher Paare vor Gott nicht weniger wert sind als das Leben und Lieben eines jeden anderen Paares."
Auch Julia Knopp hat unterzeichnet. Sie ist Professorin für Dogmatik in Erfurt und hat ein Buch über Ehe und Partnerschaft geschrieben mit dem Titel "Beziehungsweise". Außerdem leitet sie das Forum zu Macht und Partizipation auf dem Synodalen Weg.
Christiane Florin: Frau Knopp, wie argumenteirt die Glaubenskongregation?
Julia Knopp: Die Glaubenskongregation hat ein "dubium" erhalten oder geschrieben - so genau weiß man das nicht - das gar nicht so sehr auf inhaltliche Fragen eingeht, sondern auf die Frage, ob die Kirche die Vollmacht habe, solche Paar-Segnungen vorzunehmen. Das geschieht ja in Deutschland an vielen Stellen längst und wird in der Theologie und auf dem Synodalen Weg breit diskutiert. Auf diese Frage nach Vollmacht antwortet die Glaubenskongregation: "Nein, wir dürfen nicht, wir können nicht. Selbst wenn wir wollten, wir hätten diese Vollmacht nicht."
Begründet wird das mit einer Zusammenstellung überkommener sakramenten-, theologischer und sexualethischer Punkte, die im Katechismus der Reihe nach so stehen, die aber in der Theologie inzwischen sehr viel differenzierter und auch korrekturbedürftiger wahrgenommen werden.
"Man hätte den Diskussionsprozess abwarten müssen"
Florin: Aber ist es so überraschend? Es war doch nicht ernsthaft damit zu rechnen, dass die Glaubenskongregation sagt: Wir korrigieren uns. Wir haben bisher etwas gelehrt, dass wir jetzt so nicht mehr aufrechterhalten können und wir erlauben jetzt die Segnung homosexueller Paare?
Knop: Das wäre durchaus denkbar gewesen, allerdings nicht auf dem Weg eines kurzen "dubium" mit einer kurzen Antwort. Das hätte einen breiten Diskussionsprozess in Gang gesetzt, der schon geführt wird. Den hätte man aber abwarten müssen, vielleicht noch dazu selbst dazu beitragen können, um dann eine entsprechende Änderung vorzunehmen, wie sie ja zum Beispiel Papst Franziskus vor Kurzem bezüglich der Legitimität der Todesstrafe vorgenommen hat. Da hat er den Katechismus geändert und hat gesagt: Was bisher gelehrt worden ist, geht nicht mehr. Wir müssen eine Korrektur vornehmen.
Prinzipiell ist das durchaus denkbar. Gerade in diesem Punkt der Wahrnehmung von Homosexualität und der Zuordnung von Sakramenten und Segnungen - und überhaupt der Frage: Was tut Kirche, wenn sie liturgisch unterwegs ist, wenn sie in die Gesellschaft liturgisch hineinwirkt? Es ist so viel Bewegung und so viel Debatte da, dass es eigentlich eine völlige Verkürzung ist, das mit einem kleinen Nein zum Ist-Zustand, bewenden zu lassen.
Mit dem Kopf gegen die römische Wand
Florin: Sie schreiben in Ihrem Buch "Beziehungsweise", dass die Gutheißung, die in einer Segnung, einer Benediktion zum Ausdruck kommt, keine sittliche Bewertung von Biografien und Handlungen durch eine kirchliche Instanz ist. Dass es also nicht darum geht, zu sagen: So wie ihr lebt, ist es gut. Die Segnung sei keine Belohnung. Aber die Glaubenskongregation argumentiert jetzt genau so wie Sie es in Ihrem Buch kritisieren, wenn sie sagt: Etwas, was in sich ungeordnet ist, können wir als Kirche nicht segnen. Gibt es einen Anlass für Sie anzunehmen, dass theologische Argumentation bis in den Vatikan vordringt?
Knop: Das ist jetzt eine sehr spekulative Frage. Ich nehme zumindest eine ganz große Diskrepanz wahr zwischen dem, was theologisch diskutiert wird und dem, was aufgegriffen wird. Das hat sicherlich auch mit dieser typisch katholischen Unterscheidung von Beratung, Reflexion auf der einen Seite und Entscheidung auf der anderen Seite zu tun. Die Berater bilden sich vor Ort, die Entscheider tun das nicht.
Florin: Wenn Theologinnen und Theologen mit dem Kopf gegen die römische Wand laufen, immer und immer wieder. Das ist ja nicht nur in der Frage der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare so. Ist das Problem dann der Kopf oder die Wand?
Knop: Wenn Sie einmal durch die sozialen Medien gehen im Moment, zigtausende von Menschen haben plötzlich um ihr Profilbild eine Regenbogenkarte, vor Dorfkirchen werden "Love Is No Sin"-Kreide-Markierungen angebracht, Pfarrer, Verbände, Gremien und so weiter erheben sich. Das ist nicht einfach diese Gegenüberstellung von Theologie und Rom, sondern im Grunde haben wir hier eine römische Kongregation, die eine solche Wucht von Konsens und Solidarisierung zumindest hier im deutschsprachigen Raum gerade erlebt, dass sich das vielleicht mit dem Kopf und der Wand sogar umdreht gerade.
"Diskriminierung ist Diskriminierung"
Florin: Bevor wir auf die Reaktionen zu sprechen kommen, würde ich gerne eine Frage zum Inhalt dieses Textes der Glaubenskongregation stellen. Darin gibt es die Wortkombination "gerechte Diskriminierung". Da würde ich als Nicht-Theologin sagen: Das ist ein Widerspruch in sich. Sehen Sie das als Theologin anders? Gibt es "gerechte Diskriminierungen"?
Knop: Dahinter steckt diese Überzeugung, dass man nur Gleiches gleich behandeln soll und eben nicht Ungleiches auf eine gleiche Weise. Eine Ebene weiter nimmt die Glaubenskongregation für sich in Anspruch, dass homosexuelle und heterosexuelle Partnerschaften eben nicht etwas Gleiches, nichts Analoges seien. Diese Wahrnehmung wird aber immer weniger geteilt. Aber ich würde Ihnen völlig zustimmen: Es kann keine gerechte Diskriminierung geben. Diskriminierung ist Diskriminierung. Punkt. Es kann nicht derjenige, dem Diskriminierung vorgeworfen wird, einfach sagen: Das ist nicht so, ihr müsst das einfach anders sehen.
Das Schreiben geht dann auch dann noch etwas weiter: Menschen, die homosexuell veranlagt sind, werden auch noch aufgefordert, anzuerkennen, dass dieses Schreiben nicht diskriminierend sei und nicht gegen ihre Grundrechte auf sexuelle Integrität verstößt.
Florin: Aber das Schreiben ist diskriminierend und verstößt auch gegen Grundrechte.
Knop: Ja, das sehe ich auch so.
Florin: Und warum wird dieses Wort "Diskriminierung" jetzt benutzt? In anderen Texten wird wird gesagt: "Es ist eine wahre Gleichheit, die ihr einfach nur nicht versteht.". Aber hier wird explizit "Diskriminierung" benutzt. Man steht also jetzt zur Diskriminierung.
Knop: Man ahnt, dass genau dieser Vorwurf erhoben werden wird und will sich im Vorhinein dagegen verwehren.
"Ich würde von Transformationsprozessen sprechen"
Florin: Sie haben jetzt die Regenbogenfahnen schon angesprochen. Auf Facebook benutzen viele Katholikinnen und Katholiken auch die Regenbogenfarben in ihrem Profil, Sie ja auch. Es gibt Bischöfe, die sagen: Wir müssen Homosexualität neu bewerten. Es gibt Seelsorger, die bekunden, homosexuelle Paare segnen zu wollen. Gibt es eine Art Ungehorsam, eine Art von Aufstand im Moment?
Knop: Allein diese Frage setzt ja voraus, dass ich Kirche darauf reduziere, ein hierarchisches System zu sein, in dem eine Instanz etwas sagt und ganz viele andere Instanzen in Gehorsam des Willens, des Verstandes und der Praxis und so weiter darauf reagieren. Nur wenn ich Kirche darauf reduziere, kann ich auch von Ungehorsam sprechen.
Ich nehme im Moment eher etwas wahr, was man mit anderen Modellen beschreiben würde: Dass jede Menge von - theologisch würde man sagen "Loci Theologici" -, von theologischen Orten, von Instanzen, die normalen Gläubigen, verschiedene Vertreter des Lehramtes, Theologie, Gremien, Diözesanverbände – also dass auf ganz vielen verschiedenen Instanzen ein Konsens entsteht, in dem sich Katholizität anders und neu artikuliert, als das in dem theologischen Ort Lehramt im Moment in Rom - also nur das päpstliche Lehramt - der Fall ist. Und wenn man das in dieser Konstellation sieht, würde ich nicht von Ungehorsam sprechen, sondern von Transformationsprozessen, in denen auf ungleichzeitige Art und Weise ein Problem bearbeitet wird.
"Eigentlich sind wir gerade in einer sehr guten Spur"
Florin: Wie lässt sich überhaupt diese Spannung aushalten? Einerseits eine Lehre, die offen sagt "wir diskriminieren" und auf der anderen Seite ein Gemeindeleben, eine Katholizität, die sagt "wir lassen uns das nicht mehr bieten". Wie geht das zusammen?
Knop: Es geht nicht mehr zusammen. Man merkt, wie die Leute der Reihe nach entweder gehen oder zusammenbrechen oder nicht mehr können oder sich empören. Wie sie sich alleingelassen bis verraten fühlen, wenn sie für eine katholische Kirche einstehen wollen, meinetwegen in der Ehe-, Familien-, Lebensberatung oder als Seelsorgerinnen und Seelsorger. Und wenn diese Leute immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen. Sie sollen etwas vertreten, was sie von ihrem Inneren und von ihrer Überzeugung her nicht mehr vertreten können. Wie lange das gut geht, das kann man nicht vorhersehen. Aber wir sind mitten in einem - schön gesagt Transformationsprozess, was Kirchenkommunikation angeht. Es kann auch eine Phase des radikalen Umbaus, vielleicht sogar des Abbruchs sein. Aber das werden wir erst in ein paar Jahren wissen.
Florin: Mit dem Text der Glaubenskongregation wird ja ganz klar gesagt: "Wir werden die Lehre nicht ändern". Diese Zerreißprobe - so kann man es auch nennen – bleibt. Die Hoffnung, dass eine Bewegung von unten etwas verändert, scheint sich nicht zu bestätigen.
Knop: Wir sind jetzt gerade mal wenige Tage nach diesem Schreiben. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Debatten weitergehen, dass auch die Praxis weitergeht. Die einzige Gefahr, die im Moment sehe, ist, dass man jetzt auch so einer aufwallenden Empörung heraus sagt. So, jetzt macht mal jeder, wie er meint. Dass wir aus diesem strukturierten Denken und gemeinsamen Denken und auch reflektierten Planen von Riten rausrutschen. Wir sind eigentlich gerade in einer sehr guten Spur in dem Sinne, dass eben nicht jeder nach seiner Façon etwas macht, sondern im Verbund von verschiedenen Kompetenzen und sich das auch gut überlegt. Aber das wird weitergehen. Dann muss man schauen, was aus diesem Papier wird.
"Recht ist kein Selbstzweck"
Florin: Ihr Kollege Michael Seewald, Dogmatiker in Münster, hat in einem Interview gesagt, er wisse jetzt gar nicht mehr, worüber der Synodale Weg noch beraten soll - mit einem realistischen Ergebnis -, wenn Rom ein Thema dieses Diskussionsprozesses nach dem anderen abräume. Synodaler Weg, eine Beschäftigungstherapie? Nach diesem Nein aus Rom erst recht?
Knop: Nein. Es ist ein Projekt, das gerade aufgrund der Geschlossenheit dieses Systems, das eigentlich aus sich heraus nicht reformwillig ist oder keine organisierten Schritte kennt, um sich selbst zu reformieren, um dieses System aufzubrechen. Wenn ich das nur mit den Augen des gegebenen Rechtes anschaue, dann könnte man tatsächlich sagen, das ist die Zeit und die Mühe nicht wert, die man dort investiert. Aber die Themen sind die Zeit und die Mühe wert. Und wir erleben ja, dass sich etwas verändert und Recht ist kein Selbstzweck, sondern ein Recht muss Realität unterstützen und koordinieren. Wenn es dieser Realität nicht mehr gerecht wird, gibt es auch Reformbedarf auf der Ebene des Rechtes.
Aber allein die Tatsache, dass ein System so etwas wie den Synodalen Weg erst mal nicht vorgesehen hat - das heißt nicht, dass dieser Synodale Weg gegen das System wäre – heißt ja weder, dass das illegitim ist, noch dass es unrealistisch ist, dass daraus Veränderungen entstehen.
Werben für einen "intellektuellen Freimut"
Florin: Es gibt die Gruppe derer unter den Bischöfen und unter den Gläubigen an der Basis, die sagen: Wenn sich das ändert, ist das nicht meine katholische Kirche. Dass es so bleibt, wie es ist, gilt als Markenkern. Was sagen Sie denen, wenn sie mit ihnen am Tisch der Synodaldiskussion sitzen?
Knop: Ich würde zumindest mal darauf hinweisen, dass es also mit einem ein bisschen historisierten Blick ganz offenkundig ist: Welche Veränderungen es alles schon gegeben hat und was alles schon mal als katholisch gegolten hat. Ich würde darauf versuchen hinzuwirken, zu unterscheiden: Was ist denn tatsächlich eine religiöse Frage? Was ist eine konfessionelle Frage? Was ist eine kulturelle Frage? Viele der Debatten, die wir gerade um Segnungsfeiern für Homosexuelle führen, haben wir ganz analog geführt für konfessionsverschiedene Ehepaare:
Kann man die segnen? Soll man die segnen? Darf man das? Ist das im Hinterzimmer, ist das irgendwo in der Sakristei? Darf das öffentlich werden oder nicht? Das haben wir alles schon einmal gehabt. Da hat es diese Entwicklung gegeben. Und wir sind immer noch katholisch. Also da kann man nur werben für Freimut, auch für einen intellektuellen Freimut und vor allem für ein historisches Bewusstsein, dass das mit der ewigen Wahrheit eine Konstruktion ist, die es einem vielleicht gedanklich bequem macht, die aber schlichtweg nicht zutrifft.
Florin: Und so was wie Menschlichkeit, zieht das eigentlich auch? Sie haben vorhin die Menschenwürde oder die Grundrechte angesprochen. Mit Grundrechten zu argumentieren - geht das in diesen innerkatholischen Diskussionszirkeln oder interessieren sich jene, die sagen, Diskriminierung sei Markenkern, nicht für Grundrechte?
Knop: Es könnte tatsächlich sein, dass das genau der Punkt ist, an dem sich die Geister scheiden. Das erleben wir bei diesem Thema, das erleben wir natürlich auch beim Thema Missbrauch. Also die Frage: Welche Bedeutung hat die Integrität eines Gegenübers, die Integrität der Person, die Würde der Person im Rahmen der katholischen Kirche? Ich würde das..., es ist das kostbarste Gut, was wir haben, und daran entscheidet sich, ob die katholische Kirche satisfaktionsfähig ist. Aber es kann gut sein, dass das genau der Punkt ist, an dem sich die Geister scheiden.
Das wäre allerdings verheerend, weil damit etwas, was im gesellschaftspolitischen Bereich unbedingte Geltung hat, in der Kirche plötzlich unter Bedingungen gestellt würde.
Das Schreiben als Machtdemonstration
Florin: Am vergangenen Montag kam die Entscheidung der Glaubenskongregation. Am Donnerstag wurde das Kölner Gutachten präsentiert. Gut katholische Lehre ist: Zufälle gibt's nicht.
Knop: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Um das wirklich hieb- und stichfest zu machen, müsste man in dieser Gutachten-Sprache gesagt eine Aktennotiz finden, die genau den Zeitpunkt festschreibt. Das wird man sicherlich nicht finden. Es gibt deutliche Parallelen, aber das erste Symboldatum des Schreibens vom vergangenen Montag, vom 15.03., war eigentlich gar nicht der 15.03., sondern der 22.02. Dieses Schreiben zur vermeintlichen Unmöglichkeit von Paar-Segnungen ist erlassen worden am Fest der Cathedra Petri, das ist der Namenstag des Lehramtes, sozusagen also das Hochfest des Lehramtes, also noch mal eine ganz starke Machtdemonstration auch symbolischer Art.
Formale Parallelen gibt es ganz viele: Dass eine Machtinstitution, eine Autorität innerhalb einer Institution das Problem bestimmt, die Frage bestimmt, den Zeitpunkt bestimmt, die Antwort bestimmt und die Konsequenzen bestimmt, die sich aus einem solchen Phänomen ergeben. Das haben wir beim Gutachten in Köln genauso wie jetzt bei diesem Schreiben. Wenn man in diesen Lagern denken will, bestärkt das die Gruppe, die sagt: Eigentlich müssen wir gar nicht an irgendwelche systemischen Fragen heran. Es soll alles so bleiben, wie es ist, und es geht immer nur um individuelle Verfehlungen.
"Wir brauchen für alle Bistümer eine Untersuchung individueller Haftbarkeit"
Florin: Man dem Kölner Kardinal zugute halten, dass er als erster es geschafft hat, ein Gutachten vorzulegen, das gerade durch diese rein rechtliche Betrachtung, auch durch die Zählung von Pflichtverstößen, dazu geführt hat, dass tatsächlich Weihbischöfe ihren Rücktritt angeboten haben und auch der Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße. Es gibt also in Köln ein klares Ergebnis, das in anderen Bistümern und Erzbistümern noch auf sich warten lässt. Dieser Kardinal, der keine Strukturveränderungen will, was die Institution Kirche anbetrifft, hat doch geliefert.
Knop: Er hat geliefert, was die Frage persönlicher, individueller Haftbarkeit für einen ganz eng umschriebenen Fragenkreis betrifft. Wir haben den Mehrwert, aber auch die Grenzen dieses Gutachtens direkt mit drin. Wir haben Klein-Klein aufgelistet, welche Verstöße gegen professionelle Aktenführung, gegen professionelles Verwaltungshandeln dort gegeben sind.
Was wir nicht haben, ist die Verknüpfung von Einzelfällen oder Einzel-Haftung und systemischer Verantwortung. Das ist dann natürlich auch genau die Grenze, die aber in anderen Gutachten, wenn man da jetzt mal das Aachener Gutachten zum Beispiel nimmt, überschritten wird, wo es um Exemplarität geht und nicht um Vollständigkeit.
Ich glaube, was wir brauchen, ist für alle Bistümer eine Untersuchung individueller Haftbarkeit. Aber das kann nur der allererste Schritt sein. Was Rücktritte angeht, glaube ich, muss man das Ganze noch mal in einen größeren Kontext stellen.
"Ein ambivalentes Signal"
Florin: Wir hören die Erklärung, die der Erzbischof von Hamburg abgegeben hat. Stefan Heße bietet seinen Rücktritt mit folgenden Worten an, wenige Stunden nach der Pressekonferenz in Köln:
Stefan Heße: "Ich habe mich nie an Vertuschung beteiligt. Ich bin dennoch bereit, meinen Teil der Verantwortung für das Versagen des Systems zu tragen. Ich muss und will die Konsequenzen aus meinem damaligen Handeln und letztlich damit auch aus den mir zur Last gelegten Pflichtverletzungen ziehen. Ich bedauere sehr, wenn ich durch mein Handeln, beziehungsweise mein Unterlassen, Betroffenen und ihren Angehörigen neuerliches Leid zugefügt haben sollte. Vor wenigen Tagen konnte ich den Jahrestag meiner Bischofsweihe am 14. März 2015 hier in Hamburg begehen. Papst Franziskus hat mich in dieses Amt berufen. Um Schaden vom Amt des Erzbischofs sowie vom Erzbistum Hamburg abzuwenden, biete ich Papst Franziskus meinen Amtsverzicht an und bitte ihn um die sofortige Entbindung von meinen Aufgaben."
Florin: Ist das ein Schuldeingeständnis? Ist das eine Andeutung von sowohl persönlicher Schuld als auch systemischer Mitverantwortung?
Knop: Das ist ein ganz ambivalentes Signal, was er dort setzt. Zunächst einmal finde ich es respektabel, dass er diesen Rücktritt anbietet. Aber die Begründung, mit der er das tut oder untermauert ist wirklich sehr, sehr ambivalent. Er nimmt überhaupt keine individuelle Schuld, kein Schuldeingeständnis vor. Er hat verschiedene Formulierungen, die das ja sehr allgemein beschreiben: Jeder mache ja Fehler, er auch. Oder eine konditionierte Formulierung ist da drin: Wenn ich weiteres Leid verursacht haben sollte, dann bedauere ich das.
Aber die Pflichtverletzungen, die ihm im Kölner Gutachten ja nachgewiesen worden sind, sind nur welche, die ihm vorgehalten werden in seiner Ansage, aber nicht der Grund für seinen Rücktritt. Der Grund für das Angebot seines Rücktritts ist letztlich irgendwo Systemerhalt: um das Amt des Erzbischofs zu schützen, um das Erzbistum Hamburg in diesem Fall vor Schaden zu bewahren. Auch das wären respektable Gründe, zurückzutreten. Aber nicht in diesem Zusammenhang.
Das wären respektable Gründe, die signalisieren: Ein Repräsentant ist nicht nur an seinen individuellen Taten zu bemessen, sondern er steht für das ganze System. Und da sagt Heße völlig zu Recht, das ganze System hat versagt. Und das kann ein Grund für einen Repräsentanten sein, zurückzutreten. Aber in diesem Zusammenhang, wo er gleichzeitig eben nicht diese Pflichtverletzungen eingesteht, wird das eben so ambivalent.
"Der Synodale Weg ist ein Zwitter"
Florin: Wie sinnvoll ist es überhaupt, sich auf eine Reformdiskussion wie den Synodalen Weg einzulassen, ohne dass vorher geklärt ist, welche Bischöfe persönlich Schuld auf sich geladen haben?
Knop: Ich glaube, man kann nicht darauf warten, bis in vielleicht noch mal zehn, elf Jahren diese ganzen persönlichen Verantwortlichkeiten geklärt worden sind. Dass der Synodale Weg durch die Zusammensetzung der Synodalversammlung irgendwo ein Zwitter ist, dass er sagt: Wir versuchen im System, das System zu verändern, wir versuchen unter den Bedingungen des Systems, das Machtgefüge neu zu konfigurieren, das ist ein Wagnis, ein Experiment. Ich glaube, zum jetzigen Zeitpunkt ist es das einzig Mögliche, wenn man eben nicht entweder alles weiterlaufen lassen will wie bisher und wenn man genauso wenig alles über Bord werfen will.
Wir haben keine anderen Menschen als diejenigen, die gerade in der katholischen Kirche sind. Da darf man sich auch nicht der Illusion einer eines reinen, untadeligen kleinen Häufleins irgendwie hingeben, das das Ganze retten kann. Da sind wir in dieser gemischten, fehlbaren, fehlerhaften, problematischen Gruppe, die überhaupt erst mal lernen muss, solche Konflikte um Verantwortlichkeiten auch zu führen.
Florin: Mir ist aufgefallen. Ich glaube, das ist nicht nur ein subjektiver Eindruck. Es gibt mehr gehisste Regenbogenfahnen, auch an Kirchen, als Zeichen der Solidarität mit Missbrauchsbetroffenen. Warum ist das so?
Knop: Ja, das stimmt. Ich glaube, wir haben eine ganz breite gesellschaftliche Entwicklung, für die klar ist: Diskriminierung geht nicht. Da ist ein ganz starker Konsens da, ob man jetzt persönlich betroffen ist oder nicht, ob man jemanden in der Familie hat oder nicht. Da ist auch die eigene Rolle klar. Bei sexualisierter Gewalt ist das anders. Da fühlen sich viele vielleicht auch teilschuldig. oder ihnen ist das unangenehm. Oder sie haben keine Worte dafür. Vielleicht ist es auch leichter, als Fahnenträger voranzugehen denn als Ankläger.
Julia Knop: "Beziehungsweise: Theologie der Ehe, Partnerschaft und Familie"
Verlag Friedrich Pustet 2019, 384 Seiten, 30 Euro
Verlag Friedrich Pustet 2019, 384 Seiten, 30 Euro
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