Dina Netz: Die politische Talkshow hat gerade Konjunktur: Jeden Abend sitzen Politiker, Experten und anders bemerkenswerte Menschen in fast denselben Konstellationen bei Jauch, Plasberg, Maischberger und sprechen über Politik oder was sonst so die Welt gerade bewegt. Um den Kultur-Talk hingegen steht es schlecht im deutschen Fernsehen: Das "Literarische Quartett" ist lange passé. Das "Philosophische Quartett", moderiert von Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski, hielt sich zehn Jahre lang tapfer, aber nun kommt die Meldung, dass das ZDF auch diese Sendung, die sechsmal im Jahr Sonntag abends spät lief und in der "Grundsatzfragen der Gesellschaft" diskutiert wurden, einstellt. Allerdings nicht ersatzlos: Es wird offenbar an einer neuen Sendung mit dem Philosophen Richard David Precht gearbeitet.
- Frage an meinen Kollegen Hubert Winkels aus der Literaturredaktion des Deutschlandfunks: Noch im November nannte die "FAZ" das "Philosophische Quartett" "eine der besten Talkshows im Fernsehen". Sie sind auch ein bekennender Fan der Sendung - warum?
Hubert Winkels: Ja, Fan ist bestimmt ein bisschen übertrieben, aber ich finde, dass man überhaupt mal die Frage stellt, wie politische Argumentationen, wie Argumentationen überhaupt im allgemeinen Talk, in Nachrichten, in Talk-Sendungen, begründet sind, was da passiert. Sozusagen diese Metareflexion muss in einem großen Medium selbst möglich sein. Und natürlich war auf einer bescheidenen Stufe zu einer späten Sendezeit am Sonntagabend immer eine Reflexion auf das Medium und die politischen Gespräche, die in der Woche gelaufen sind, möglich. Es war ja nicht zufällig so, dass das sogenannte "Philosophische Quartett" immer Themen wie Bildung, Geld, Macht hatte, die zu tun hatten durchaus mit den ansonsten auch auf der Agenda stehenden politischen Fragen, nur dass man in relativ vergleichsweise wenigen Schritten zu Hintergrundformulierungen kam, wie das alles zusammenhängt. Man hat ja oft auch konkrete Leute aus der Praxis eingeladen: Politiker, Joschka Fischer war in der letzten Sendung, gelegentlich Ökonomen, Schriftsteller, Fachwissenschaftler, also nicht reine Philosophen. Es gab eigentlich nie Philosophen da, also nie der klassische deutsche Ordinarius war da vertreten, sondern Leute aus der Praxis. Und dann hat man versucht, Stückchen für Stückchen mit Argumenten dahinter zu kommen, wie sind die größeren Zusammenhänge, auch historisch, manchmal evolutionsgeschichtlich gar ausgreifend, gar bis zur Darwinschen Welterklärung, um zu verstehen den Rahmen, in dem aktuelle Dinge heute geschehen. Und dieses wesentliche intellektuelle Geschehen, für uns in der Zivilisation wesentliche Geschehen, zu vermitteln mit einer allgemeineren Öffentlichkeit, die ansonsten an Politik zurecht ihres Interesses wegen interessiert ist, das ist eine so wichtige Aufgabe, die nicht mehr zu erfüllen ist ein großer Schaden für das öffentlich-rechtliche Fernsehen.
Netz: Nun sagt ein Sprecher des ZDF, dass die Absetzung des "Philosophischen Quartetts" damit zu tun habe, das Format habe sich nach zehn Jahren auserzählt. Nach dem, was Sie gerade gesagt haben, kann man sich das gar nicht vorstellen. Fanden Sie es auch auserzählt. Oder vermuten Sie andere Gründe für die Absetzung?
Winkels: Das Format kann nicht auserzählt sein, weil es viel zu offen ist in jede Richtung. Sie können ja alles damit machen: Sie können ethische Fragen, sie können anthropologische Fragen, sie können evolutionstheoretische Fragen behandeln, auf jeder Ebene, in jede Richtung. Das war ja das Schöne. Nein, der Grund ist ganz einfach: Warum verschwinden überhaupt alle anspruchsvollen diskursiven Sendungen aus dem Fernsehen und bleiben nur politisch konkrete übrig? Und da sind natürlich die Talkshow-Leiter alle angehalten, viel zu konkrete, genaue Antworten bei Politikern zu unterbinden, theoretische Exkurse zu unterbinden. Das heißt, es sind ja extrem, wenn man hart formulieren wollte, zensierte Veranstaltungen. Es darf ja auf keinen Fall jemand zu konkret oder zu abstrakt werden, sofort fliegen 500.000 Zuschauer weg. Und sich das an keiner einzigen Stelle zu erlauben, nicht mal Sonntag abends, sondern alles muss durchnormiert sein auf einen ganz, ganz engen Diskursausschnitt, wo man möglichst viele Leute, deren unterstelltes Interesse bedient, sie mitnimmt, ist eine unangenehme Verengung. Dafür lagert man dann solche Sendungen gegebenenfalls aus oder ähnliche macht man dann bei 3Sat oder jetzt sogar im Kulturkanal. Man erfindet immer neue Nischensender, die gar keine Einschaltquoten mehr haben, die messbar sind, um sie dahin abzudrängen. Das ist aber tödlich, weil man muss diese Form des Diskurses, die es ja gibt, die es immer gegeben hat, immer geben wird, dass der Mensch Interesse hat an der Selbstverständigung über das, was er tut, muss man Raum geben. Wenn man das nicht tut, beschneidet man diese Grundaufgabe, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat.
Netz: Sie haben ja nun, Herr Winkels, heute mit Richard David Precht gesprochen, dem Philosophen, der die, nennen wir es, Nachfolgesendung beim ZDF übernehmen soll. Was hat der Ihnen denn erzählt, was das für ein Format sein soll?
Winkels: Also, es wird eine Sendung im weitesten Sinne zum Thema Philosophie sein. Wie diese Sendung aussieht, wann sie gesendet wird, wie lang sie sein wird, all das ist offen. Es soll im September starten, man ist miteinander im Gespräch und will es machen. Fertig, Punkt, aus. Antwort auf Ihre Frage: Man kann natürlich vermuten, so wie man Richard David Precht kennt, es wird eine ganz andere Form der Sendung. Er ist nicht sozusagen der freie Spekulierer, wie es Sloterdijk ist, sondern er ist sehr, sehr nah dran an der Hirnforschung, an den Naturwissenschaften, an der Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften. Ihm fehlt eigentlich, wenn man so will, dieses große, sozusagen ethisch-anthropologische Philosophen-Gen klassischer Prägung, das Sloterdijk als Philosoph und Safranski als Biograf und durchaus auch Anekdotenerzähler hatte. Insofern wird es etwas ganz anderes werden, es kann auch gut werden, aber so wie es jetzt war, werden wir es dann nicht wiederkriegen. Und ich finde es sehr bedauerlich.
- Frage an meinen Kollegen Hubert Winkels aus der Literaturredaktion des Deutschlandfunks: Noch im November nannte die "FAZ" das "Philosophische Quartett" "eine der besten Talkshows im Fernsehen". Sie sind auch ein bekennender Fan der Sendung - warum?
Hubert Winkels: Ja, Fan ist bestimmt ein bisschen übertrieben, aber ich finde, dass man überhaupt mal die Frage stellt, wie politische Argumentationen, wie Argumentationen überhaupt im allgemeinen Talk, in Nachrichten, in Talk-Sendungen, begründet sind, was da passiert. Sozusagen diese Metareflexion muss in einem großen Medium selbst möglich sein. Und natürlich war auf einer bescheidenen Stufe zu einer späten Sendezeit am Sonntagabend immer eine Reflexion auf das Medium und die politischen Gespräche, die in der Woche gelaufen sind, möglich. Es war ja nicht zufällig so, dass das sogenannte "Philosophische Quartett" immer Themen wie Bildung, Geld, Macht hatte, die zu tun hatten durchaus mit den ansonsten auch auf der Agenda stehenden politischen Fragen, nur dass man in relativ vergleichsweise wenigen Schritten zu Hintergrundformulierungen kam, wie das alles zusammenhängt. Man hat ja oft auch konkrete Leute aus der Praxis eingeladen: Politiker, Joschka Fischer war in der letzten Sendung, gelegentlich Ökonomen, Schriftsteller, Fachwissenschaftler, also nicht reine Philosophen. Es gab eigentlich nie Philosophen da, also nie der klassische deutsche Ordinarius war da vertreten, sondern Leute aus der Praxis. Und dann hat man versucht, Stückchen für Stückchen mit Argumenten dahinter zu kommen, wie sind die größeren Zusammenhänge, auch historisch, manchmal evolutionsgeschichtlich gar ausgreifend, gar bis zur Darwinschen Welterklärung, um zu verstehen den Rahmen, in dem aktuelle Dinge heute geschehen. Und dieses wesentliche intellektuelle Geschehen, für uns in der Zivilisation wesentliche Geschehen, zu vermitteln mit einer allgemeineren Öffentlichkeit, die ansonsten an Politik zurecht ihres Interesses wegen interessiert ist, das ist eine so wichtige Aufgabe, die nicht mehr zu erfüllen ist ein großer Schaden für das öffentlich-rechtliche Fernsehen.
Netz: Nun sagt ein Sprecher des ZDF, dass die Absetzung des "Philosophischen Quartetts" damit zu tun habe, das Format habe sich nach zehn Jahren auserzählt. Nach dem, was Sie gerade gesagt haben, kann man sich das gar nicht vorstellen. Fanden Sie es auch auserzählt. Oder vermuten Sie andere Gründe für die Absetzung?
Winkels: Das Format kann nicht auserzählt sein, weil es viel zu offen ist in jede Richtung. Sie können ja alles damit machen: Sie können ethische Fragen, sie können anthropologische Fragen, sie können evolutionstheoretische Fragen behandeln, auf jeder Ebene, in jede Richtung. Das war ja das Schöne. Nein, der Grund ist ganz einfach: Warum verschwinden überhaupt alle anspruchsvollen diskursiven Sendungen aus dem Fernsehen und bleiben nur politisch konkrete übrig? Und da sind natürlich die Talkshow-Leiter alle angehalten, viel zu konkrete, genaue Antworten bei Politikern zu unterbinden, theoretische Exkurse zu unterbinden. Das heißt, es sind ja extrem, wenn man hart formulieren wollte, zensierte Veranstaltungen. Es darf ja auf keinen Fall jemand zu konkret oder zu abstrakt werden, sofort fliegen 500.000 Zuschauer weg. Und sich das an keiner einzigen Stelle zu erlauben, nicht mal Sonntag abends, sondern alles muss durchnormiert sein auf einen ganz, ganz engen Diskursausschnitt, wo man möglichst viele Leute, deren unterstelltes Interesse bedient, sie mitnimmt, ist eine unangenehme Verengung. Dafür lagert man dann solche Sendungen gegebenenfalls aus oder ähnliche macht man dann bei 3Sat oder jetzt sogar im Kulturkanal. Man erfindet immer neue Nischensender, die gar keine Einschaltquoten mehr haben, die messbar sind, um sie dahin abzudrängen. Das ist aber tödlich, weil man muss diese Form des Diskurses, die es ja gibt, die es immer gegeben hat, immer geben wird, dass der Mensch Interesse hat an der Selbstverständigung über das, was er tut, muss man Raum geben. Wenn man das nicht tut, beschneidet man diese Grundaufgabe, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat.
Netz: Sie haben ja nun, Herr Winkels, heute mit Richard David Precht gesprochen, dem Philosophen, der die, nennen wir es, Nachfolgesendung beim ZDF übernehmen soll. Was hat der Ihnen denn erzählt, was das für ein Format sein soll?
Winkels: Also, es wird eine Sendung im weitesten Sinne zum Thema Philosophie sein. Wie diese Sendung aussieht, wann sie gesendet wird, wie lang sie sein wird, all das ist offen. Es soll im September starten, man ist miteinander im Gespräch und will es machen. Fertig, Punkt, aus. Antwort auf Ihre Frage: Man kann natürlich vermuten, so wie man Richard David Precht kennt, es wird eine ganz andere Form der Sendung. Er ist nicht sozusagen der freie Spekulierer, wie es Sloterdijk ist, sondern er ist sehr, sehr nah dran an der Hirnforschung, an den Naturwissenschaften, an der Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften. Ihm fehlt eigentlich, wenn man so will, dieses große, sozusagen ethisch-anthropologische Philosophen-Gen klassischer Prägung, das Sloterdijk als Philosoph und Safranski als Biograf und durchaus auch Anekdotenerzähler hatte. Insofern wird es etwas ganz anderes werden, es kann auch gut werden, aber so wie es jetzt war, werden wir es dann nicht wiederkriegen. Und ich finde es sehr bedauerlich.