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"Sehr gut, dass der Bundespräsident heute nach Holland kommt"

Die Rede des Bundespräsidenten sei für die Niederlande von historischer Bedeutung, sagte der Direktor des Nationalen Komitees 4./5. Mai, Jan van Kooten. Er wünscht sich von Joachim Gauck inspirierende Worte zur Freiheit an dem für die Niederlande so wichtigen Gedenktag zur Befreiung von der deutschen Besatzung.

Jan van Kooten im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Am Telefon begrüße ich Jan van Kooten, er ist der Direktor des Nationalen Komitees 4./5. Mai in den Niederlanden. Guten Morgen!

    Jan van Kooten: Guten Morgen!

    Schulz: Jetzt spricht zum ersten Mal ein ausländisches Staatsoberhaupt überhaupt am 5. Mai, und dann obendrein auch noch gleich ein Deutscher. Sind die Niederlande soweit?

    van Kooten: Na ja, es ist denn ein Fakt, also: Ja, die Niederlande ist soweit, obwohl der 5. Mai immer einen internationalen Einstich hat gehabt. Wir hatten in der Vergangenheit auch zum Beispiel den amerikanischen Embassadeur (= Botschafter). So ganz neu ist das nicht, aber ein Präsident, und in diesem Fall ein Bundespräsident von Deutschland, ist natürlich speziell und historisch, kann ich sagen.

    Schulz: Jetzt gibt es noch andere Stimmen, um es vorsichtig zu sagen, scharfe Kritik, könnte man auch sagen. Das Gedenken solle eine rein niederländische Angelegenheit sein. Das fordert zum Beispiel Mirjam Ohringer, sie ist Jüdin, frühere Widerstandskämpferin. Mit welchen Argumenten können Sie denn da für den Auftritt Gaucks werben?

    van Kooten: Eigentlich müssen wir einen großen Unterschied machen, und das machen wir in Holland, zwischen dem 4. Mai – gestern – und dem 5. Mai. Der 4. Mai ist der Tag der Erinnerung, und das ist eine holländische Sache im Sinne, dass wir dann unserer Kriegsopfer erinnern. Der 5. Mai ist ein Tag der Freiheit, und die Freiheit ist immer schon international gewesen, wie ich gesagt habe. Und da hat Mirjam Ohringer von Holland vielleicht etwas miteinander vermischt. Es gibt ein Problem, dass noch in Deutschland der Herr Faber, ein Kriegsverbrecher, ist, der war im Gefängnis, ist jetzt in Deutschland. Und Mirjam Ohringer und auch das Nationalkomitee und auch die Regierung – und auch die deutsche Regierung – hat gesagt, eigentlich soll Herr Faber wieder ins Gefängnis kommen. So, das war der Fall von Frau Ohringer. Und warum wir so froh sind: Der Tag der Freiheit – in Freiheit ist immer ein, und jetzt in dieser Zeit im Speziellen, eine internationale Angelegenheit. Das kann man nicht mehr als kleines Holland oder auch nicht als Deutschland für die Freiheit und den Frieden kämpfen. Das ist international. Und deshalb ist das gut, sehr gut, dass der Bundespräsident heute nach Holland kommt.

    Schulz: Herr van Kooten, ich wollte gerne einen Moment noch verweilen eben bei der kritischen Seite. Sie haben es gerade schon angesprochen: Es gibt diesen Streit um den Kriegsverbrecher Klaas Carel Faber. Gauck nein, Faber ja: Das ist eine Initiative, die zum Beispiel der Publizist Arthur de Graaff gestartet hat. Wie gesagt, dieser Streit hat um viel Kritik gesorgt, der Faber ist im Moment in Deutschland, wird auch nicht ausgeliefert, stattdessen kommt der deutsche Bundespräsident angereist. Sind das nicht schlechte Vorzeichen für die Feierlichkeiten, aber auch für eine Versöhnung oder gute Beziehungen.

    van Kooten: Nein, überhaupt nicht. Ich muss da ganz kritisch sein gegen die Aktion von de Graaff. Ich habe mit ihm gesprochen. Und er ist eigentlich mit diesen Leuten, die ihn unterstützen für diese Kampagne – Gauck nein, Faber ja –, sind sehr, sehr wenige. Das ist eine sehr kleine Minderheit. Viele Leute haben den Unterschied gemacht im Kopf und im Herz, dass der 4. Mai Erinnerung ist. Und dass die Sache Faber eine ganz andere Sache ist als der 5. Mai und der Tag der Freiheit. Ich kann da keine Zahlen nennen, aber wenn ich vielleicht 100 sage, die im ganzen Land mit ihm einig sind, dann sind es schon viele.

    Schulz: Wie muss der Tag heute laufen, wenn wir vorausschauen, damit Sie sagen, das ist ein guter Tag für die Niederlande, für Deutschland oder für beide?

    van Kooten: Ich glaube für beide. Ich bin auch sehr froh, dass mit dem Präsidenten auch viele Journalisten mitkommen, vom Fernsehen, vom Rundfunk, schreibende Presse. Und dass ich auch finde, dass die Freiheit auch in Deutschland, wie wir in Holland damit umgehen, mit dem Tag der Freiheit, oder ihn gemeinsam überreden, nach der Zukunft schauen und nicht nach hinten. Dass das gut ist, gut für Holland und gut für Deutschland. Also bin ich sehr froh. Ich habe da volles Vertrauen darin, dass wir einen wunderschönen Tag haben mit dem Bundespräsidenten.

    Schulz: Sie haben das gerade schon erklärt, der Tag der Befreiung, dieser 5. Mai, der hat sich bei Ihnen inzwischen offenbar gewandelt zu einem Tag der Freiheit. Was erwarten Sie denn vor dem Hintergrund von einem Bundespräsidenten Joachim Gauck, dessen Thema ja ausdrücklich die Freiheit ist?

    van Kooten: Ich denke und ich erwarte – und das kann auch eigentlich nicht anders sein –, dass der Bundespräsident, ich sage mal, einerseits sich bewusst ist, dass er zum ersten Mal in Holland als Bundespräsident redet über die Freiheit und auch über die schwierigen Sachen von dem Krieg. Also, ich denke, dass der Bundespräsident da auch etwas sagen wird darüber, wie schwierig es ist für ihn, aber vielleicht auch für ganz Deutschland, noch jetzt immer, um zu reden in einem Land, was besetzt war und viele Opfer gehabt hat. Das ist die eine Sache, die ich erwarte. Aber die andere Zeit ist, dass er dann auch sagen wird: Aber jetzt sind wir fast 70 Jahre weiter, wir sind immer gute Nachbarn gewesen. Deutschland und auch Holland haben sich gemeinsam eingesetzt für Europa, für den Frieden, für die Freiheit, und wie können wir das zusammen weiter machen. Und da ist die Gemeinsamkeit und da ist die Zukunft.

    Schulz: Welche Rolle wird das spielen, wie schätzen Sie das ein, dass ein deutscher Präsident Gauck, der selbst ja unter gleich zwei Diktaturen unterschiedlicher Prägung gelitten hat, welche Rolle wird diese persönliche Geschichte Gaucks spielen?

    van Kooten: Das weiß ich natürlich nicht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Gauck, der so eine persönliche Erfahrung gehabt hat und eine persönliche Verbundenheit hat mit diesem Thema, dass er da nicht das ansprechen wird. Es ist natürlich auch komplex, die Geschichte. Auch Deutschland hat nach dem Krieg mit der Zweiteilung mit der DDR und dem Westen. Und Gauck war natürlich in der DDR, hat für seine eigene Freiheit gekämpft. Es ist eigentlich noch ganz jung, unsere Geschichte über die Freiheit, und Gauck hat das persönlich miterlebt, war da aktiv, also ich glaube, dass das auch für uns eine Inspiration ist, für jeden Mensch, nach ihm zu hören.

    Schulz: Sie werden den Bundespräsidenten heute ja eng begleiten. Jetzt mal spekulativ: Er kommt auf Sie zu und bittet Sie um einen Rat für seine Rede. Was sagen Sie ihm?

    van Kooten: Ein Rat – ein Rat würde vielleicht sein, ja, wir können auch gemeinsam feiern. Und ich hoffe, dass am Ende dieses Tages wir alle froh sind. Und dass in Holland auch ein Tag ist, wo fast eine Million Jugendliche im ganzen Land die Freiheit feiern. Und wir sollen auch in die Zukunft schauen. Und dann können wir auch feiern, die Freiheit feiern. Das würde ich ihm sagen.

    Schulz: Jan van Kooten war das, heute hier im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Er ist der Direktor des nationalen Komitees 4./5. Mai in den Niederlanden, den Feierlichkeiten zur Befreiung von der deutschen Besatzung. Haben Sie herzlichen Dank!

    van Kooten: Bitte!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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