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Seide hält Medikamente frisch

Medizin.- Impfstoffe und Antibiotika zerfallen bei normalen Temperaturen oft innerhalb von Tagen. Wird einmal die Kühlkette unterbrochen, sind die Mittel wertlos. Forscher aus Massachusetts konnten jetzt aber zeigen: Mithilfe von Seidenproteinen können Impfstoffe und Antibiotika stabilisiert werden.

Von Katrin Zöfel |
    "Das sieht aus wie ein ganz normales Stück durchsichtiger Plastikfilm. Man könnte es einfach in die Hand nehmen oder in die Tasche stecken."

    David Kaplan ist Professor für Biomedizintechnik an der Tufts Universität in Massachusetts, USA. Seine Spezialität ist es, Materialien aus der Natur für biomedizinische Zwecke zu nutzen.

    "In dieser neuen Studie haben wir mit dem Seidenprotein Fibroin Impfstoffe und Antibiotika stabilisiert."

    Stabilisiert - das heißt: Während die fragilen Medikamente normalerweise bei Umgebungstemperatur rasch zerfallen, schützt das Seidenprotein die Arzneimittel so effektiv, dass sie ihre Wirkung lange Zeit behalten. Kaplan arbeitet seit gut 20 Jahren mit Seidenproteinen, vor allem mit Fibroin aus der Seide der Seidenspinnerraupe. Es ist, sagt er, ein faszinierendes Material. Chemisch und mechanisch sind Strukturen aus Seide extrem stabil. Dazu kommt: Der menschliche Körper reagiert auf reines Fibroin kaum gereizt, es kommt also nur selten zu Abstoßungsreaktionen oder Entzündungen. Das unterscheidet das Seideneiweiß von vielen anderen Materialien, die für ähnliche Zwecke in der Biomedizin in Frage kommen würden. Wichtig ist dabei nur: das Fibroin muss aus dem Rohstoff Seide sorgfältig herausgelöst und gründlich gereinigt werden.

    "Wir lösen dann das Fibroin in Wasser und geben den Impfstoff oder das Antibiotikum dazu. Dann entziehen wir der Lösung das Wasser möglichst schnell, damit es nicht zu Abbauprozessen kommt. Am Ende hat man dann diese kleinen durchsichtigen Stücke aus dünnem Film in der Hand – richtig feste, stabile Biomaterialien."

    Wird der Impfstoff oder das Antibiotikum dann gebraucht, löst man es einfach wieder in Wasser auf. Im Temperaturtest bei 45 Grad Celsius behielt ein mit handelsüblicher, mit Seidenproteinen stabilisierter Impfstoff gegen Masern, Röteln und Mumps sechs Monate lang immerhin 85 Prozent seiner Wirksamkeit. Die Tests mit Antibiotika lieferten ähnliche gute Ergebnisse. Die oberste Temperaturgrenze ist dabei noch nicht einmal erreicht, sagt der Forscher. Was genau in den dünnen Seidenfilmchen eigentlich geschieht, ist noch nicht klar. Möglich ist, dass die reaktionsschwachen Seidenmoleküle die reaktionsfreudigen Medikamente schlicht voneinander fernhalten. Kaplan interessiert sich nun vor allem für Varianten, bei denen das Auflösen der Medikamente in Wasser wegfallen würde – denn dieser Prozess birgt schließlich das Risiko, dass die Wirksamkeit der Arzneien am Ende doch noch leidet.

    "Am spannendsten finden wir folgende Möglichkeit: Da haben wir das Gemisch aus Seidenprotein und Medikament so behandelt, dass es zu winzigen Nadeln aushärtet. Diese Nadeln könnte man auf ein Pflaster aufbringen, das einfach auf die Haut geklebt wird. Die Nadeln dringen in die Haut ein und lösen sich auf, das Medikament wird dabei frei. Das tut nicht einmal weh, weil die Nadeln so winzig sind. So müsste man das Medikament gar nicht erst aus der stabilisierenden Seidenstruktur herausholen."

    David Kaplans Idee könnte ein Problem lösen, das neben Impfstoffen und Antibiotika auch andere Medikamente betrifft. Viele Substanzen sind nicht stabil, ohne Kühlung zerfallen sie und verlieren ihre Wirkung. Das verursacht Kosten, und dort, wo die Infrastruktur für kontinuierliche Kühlung fehlt, wird die medizinische Versorgung schwierig. In ersten Tests konnte Kaplan zeigen, dass sein Konzept anderen Verfahren überlegen ist. Auch deshalb lobt Chris Holland von der englischen Universität Oxford die Studie.

    "Diese Studie zeigt zunächst einmal, dass das Konzept funktioniert. Das ist eine gute Nachricht. Wir wissen inzwischen sehr viel darüber, wie man mit Seide als Rohstoff umgehen muss. Und Seide ist leicht in großen Mengen zu bekommen. Das heißt, wir haben hier neben all den technischen Anwendungen für Seide eine Möglichkeit, ein gut erforschtes Material für einen neuen, medizinischen Zweck zu nutzen."