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Sein oder Nicht-Sein eines Dichters

Alle Jahre wieder dasselbe Spektakel: Irgendjemand versucht zu beweisen, dass Shakespeare gar nicht Shakespeare war, sondern jemand völlig anderes. Zuletzt tat dies Kurt Kreiler in seinem Buch "Der Mann, der Shakespeare erfand". Der Übersetzer Frank Günther findet die ganze Fragestellung lächerlich und liest lieber die Texte Skakespeares.

Von Bernd Noack |
    Shakespeares Totenmaske
    Shakespeares Totenmaske (AP)
    "Das Faszinierende an dieser Urheberschaftsgeschichte ist, dass sie ungefähr im Jahr 1870 erfunden wurde...,"

    ... sagt der Shakespeare-Übersetzer Frank Günther, der die ganze Diskussion, die jetzt mit Kurt Kreilers Buch "Der Mann, der Shakespeare erfand" wieder einsetzt, nicht sehr ernst nehmen will.

    "Bis dahin hatte sich kein Mensch Gedanken darüber gemacht, dass Shakespeare nicht Shakespeare sein könnte, weil es nicht den geringsten materiellen Hinweis darauf gibt, dass irgendetwas an dieser Verfasserschaft faul ist."

    Der Gelehrtenstreit – es gibt bis heute 174 Leute, von denen behauptet wird, sie hätten Shakespeares Werke geschrieben – beruht dabei laut Günther auf nur einem Grundgedanken: Wie kann ein ungebildeter Mensch vom Lande solche gigantischen Werke geschaffen haben?

    "Das ist ja unvorstellbar, weil ein gebildeter Dichter muss ja mindestens auf der Universität gewesen sein. Man könnte fragen: Auf welcher Universität lernt man Dichten wie Shakespeare, aber ist egal. Die Frage wird da nicht gestellt, sondern es wird gesagt: Shakespeare sei so wahnsinnig gebildet gewesen, und deswegen kann es nur ein gebildeter Mensch gewesen sein – nämlich ein Adliger. Die Adligen aber hatten einen seltsamen Bildungskanon. Der beruhte im Wesentlichen auf Tanzen, Musik, Fechten, Reiten, Jagen und was die edelmännischen Tugenden und Künste mehr waren."

    Ungeachtet derartiger Zweifel aber hat Kurt Kreiler in mehr bewundernswerter als lesefreundlicher Kleinstarbeit Details zusammengetragen, die endgültig den Earl of Oxford, einen Adligen mit dichterischen Ambitionen, als "Shakespeare" überführen sollen. Kreiler spickt seine Recherche mit ermüdend vielen Namen und Anspielungen und kommt zu dem (auch schon einige Jahrzehnte alten) Schluss, dass nur jener smarte und weitgereiste Earl den Horizont gehabt haben kann, um die Dramen so farbig und beziehungsreich auszustatten.

    Die Welt aber wurde systematisch betrogen: zwar verschwand der Earl zunächst notdürftig hinter seinem Pseudonym; die Sonette jedoch mit der darin vorhandenen Dreiecksliebesgeschichte waren für die Erben zuviel. Sie fürchteten die Bloßstellung der ganzen adligen Familie und setzten alles daran, die "Erfindung" Shakespeare für alle Zeiten festzuschreiben.

    Für Günther sind das alles eher "Verschwörungstheorien", an denen natürlich stets ein Fetzen Wahrheit haftet, die den endgültigen Beweis allerdings schuldig bleiben. In die Welt gesetzt werden sie mit solch einer Verve, dass es müßig wird, sie zu widerlegen. Aber warum wird überhaupt soviel Anstrengung darauf verwendet, dem armen Handschuhmachersohn William Ruhm und Ehre abspenstig zu machen?

    "Shakespeare verschwindet ja vollkommen hinter seinen Texten. Er ist eigentlich der ideale nicht-vorhandene Autor, wie ihn Foucault oder Barthes gefordert haben. Es gibt ihn nicht. Ich wüßte nicht, wer mehr Texte geschrieben hat, in denen die Person des Autors so abwesend ist wie in diesen Stücken. Shakespeares Texte erwecken die Illusionen, als würden sie aus sich selbst heraus sich selber generieren. Ihre Konfliktstruktur treibt weiter, es sind Personen, die handeln, man gewinnt die Illusion, als würde die wirkliche Welt irgendwie erscheinen in diesen Texten, und nicht, als wäre da ein Mastermind am Werk."

    Das aber wird nicht gewünscht. Man möchte unbedingt einen personalen Autor haben, von dem man auch weiß, was er zum Beispiel für einen Streit mit seiner Schwiegermutter hatte: diese "verdammte Verwechslung" von einem privaten Menschen, der etwas dichtet, und die unausrottbare Frage, ob das auch alles aus dem persönlichen Erlebnisbereich genommen wurde. Und deshalb muss der in seinen Texten nicht vorhandene William Shakespeare auf jeden Fall personal festgenagelt werden. Und mit der eigenen läppischen Biografie kann er es nicht gewesen sein. Also muss ein anderer, irgendwie interessanterer her.

    Günther, der bislang 30 Schauspiele übersetzt hat, konzentriert sich lieber auf die Texte und präsentiert sie in einem ungemein frischen, direkten Deutsch, in dem die Sprach- und Klangvielfalt des Originals, die ganze Spannbreite zwischen lyrischer Entrücktheit und derbem Draufgängertum kongenial zum Klingen kommt. Das ist ihm wichtig, nicht die "Erfindung" des Dichters.

    Ohnehin hat Frank Günther längst seine eigene Theorie entwickelt: Natürlich war Shakespeare nicht Shakespeare. Königin Elizabeth war Shakespeare. Allerdings war Elizabeth auch nicht Elizabeth. Sie wurde, nach ihrer tatsächlichen Ermordung, nur dargestellt von einem kleinen Londoner Schauspieler. Nachdem der aber nun, dazu verdammt, bis zum Tod eine fremde, auch noch weibliche Rolle auszufüllen, am wirklichen Leben nicht teilnehmen konnte, hat er sich dichtend befreit und gerächt – mit Fluchten nach Arkadien, mit Morden an der ganzen Aristokratie:

    "Der Junge wollte sich einfach aus seinem Scheiß Hofstaat rausdenken und sich in andere Welten begeben."