Der Meisterdenker am Klavier, der sich, zumal in späteren Jahren, nur den aller tiefsten und aller wertvollsten Werken gewidmet hat, ganz offenbar dem Satz des Kollegen Arthur Schnabel folgend: "Ich spiele nur Musik, die besser ist, als man sie spielen kann" – dieser grüblerische Pianist erweist sich in seiner Lyrik als Freund des Skurrilen, des sanft Absurden, des Schwarzhumorigen. Diese Seite Brendels überwiegt in dem kleinen Bändchen, das jetzt bei Hanser erschienen ist, den treffenden Titel "Nach dem Schlussakkord" trägt und Interviews, Aufsätze und eben Gedichte enthält.
Wie gut ist Brendel als Dichter? Nun, etwa so gut wie Grass als Maler. Diplomatisch ausgedrückt: Man zieht beide in ihrem Hauptgeschäft doch vor. Nun würde Brendel seine poetischen Produkte wohl auch nicht auf dieselbe Höhe stellen wie etwa seine Interpretation der letzten Schubert-Sonaten. Es sind eher Fingerübungen in Versen und wirken wie ein erleichtertes Ausatmen nach einer großen Anstrengung.
"Wenn ich Beethoven spiele, bin ich kein Dadaist", sagt Brendel im Gespräch mit dem NZZ-Feuilletonchef Martin Meyer. Sonst aber schon: Viele Antworten in Interviews oder Fragebögen zeichnen sich durch ausgesprochenen Unernst aus. Und die Wurzeln dieses Unernstes reichen weit zurück. In einem schönen Text über "Bücher und Noten" erinnert sich Brendel an die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als er – damals noch ein Jüngling – in Graz in einer sogenannten Tauschzentrale auf frühe Dada-Flugblätter stieß und gleich Feuer fing. Dada und Surrealismus, schreibt Brendel, bilden "heute noch eine der Säulen meiner Bibliothek und meines auf einem Bein balancierenden Weltbewusstseins".
Da passt es, dass er den verspielten Russen Daniil Charms zu seinen Lieblingsdichtern zählt, dass er für Edward Lear, Lewis Carroll und überhaupt englischen Nonsense schwärmt und große Stücke auf Edward Gorey hält, den Brendel seinen "Ehren-Dadaisten" nennt.
Natürlich geht es in dem Buch auch um das Hauptgeschäft, um die Interpretation der großen Meister, um den Konzertbetrieb, um die Zukunft der klassischen Musik.
Um die ist Brendel nicht bange. Es gebe ein interessiertes Konzertpublikum, auch ein junges, und hervorragende junge Interpreten, vor allem Geigerinnen, hat er festgestellt – bei dem pianistischen Nachwuchs bemängelt er dagegen den Hang zur Selbstdarstellung. Originalität kann nur in der Auseinandersetzung mit den Werken entstehen, meint er und entwirft ein umfassendes kulturelles Anforderungsprofil für junge Pianisten: Sie sollen nicht nur ihr eigenes Instrument beherrschen, sondern sich von anderen Instrumentalisten, von Sängern und Dirigenten, ja von Schauspielern inspirieren lassen. Natürlich sollten sie auch in allen anderen Sparten der Kunst bewandert sein, von der Malerei über die Literatur bis zum Film.
Ein Anforderungsprofil, das ein bisschen wie ein Selbstporträt klingt, denn Brendel ist ein furchterregend gebildeter Zeitgenosse, der auch Spezialisten mit seinen Spezialkenntnissen auf ihrem Gebiet verblüffen kann. Am Schönsten an dem Katalog all der Dinge, die junge Pianisten können und tun sollen, ist aber der abschließende Satz: "Und schließlich sollen sie leben, lieben, mit Anstand leiden und sich freuen." anschließend gibt Brendel zu, dass das alles vielleicht ein bisschen viel verlangt ist – von anderen.
Wer dieses Büchlein durchblättert hat, kennt den großen Pianisten ein bisschen besser, vielleicht hört er seine Deutungen Beethovens, Mozarts oder Schuberts ein bisschen anders. In jedem Fall wird er sich nach Kräften bemühen, im Konzert nicht mehr zu husten. Denn das ist offenbar das, was Brendel in seinem ganzen Pianistenleben am meisten gequält hat. Sein Traum vom Glück? Darauf antwortet er in dem sogenannten Proust-Fragebogen: "Ein Publikum, das nicht hustet." Das ist so unernst wie ernst gemeint, wie vieles auf diesen verspielten Seiten.
Witz und Tiefe: Beides gehört bei Brendel zusammen, und das Pendel, das während seines Pianistenlebens stark in Richtung Tiefe ausschlagen musste, schlägt jetzt mit Macht zurück. So gibt er auf die Frage nach der größten Liebe seines Lebens zur Antwort: "Erstens: Sinn. Zweitens: Unsinn."
Alfred Brendel: Nach dem Schlussakkord. Fragen und Antworten.
Hanser, München 2010. 112 S., 12,90 Euro
Wie gut ist Brendel als Dichter? Nun, etwa so gut wie Grass als Maler. Diplomatisch ausgedrückt: Man zieht beide in ihrem Hauptgeschäft doch vor. Nun würde Brendel seine poetischen Produkte wohl auch nicht auf dieselbe Höhe stellen wie etwa seine Interpretation der letzten Schubert-Sonaten. Es sind eher Fingerübungen in Versen und wirken wie ein erleichtertes Ausatmen nach einer großen Anstrengung.
"Wenn ich Beethoven spiele, bin ich kein Dadaist", sagt Brendel im Gespräch mit dem NZZ-Feuilletonchef Martin Meyer. Sonst aber schon: Viele Antworten in Interviews oder Fragebögen zeichnen sich durch ausgesprochenen Unernst aus. Und die Wurzeln dieses Unernstes reichen weit zurück. In einem schönen Text über "Bücher und Noten" erinnert sich Brendel an die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als er – damals noch ein Jüngling – in Graz in einer sogenannten Tauschzentrale auf frühe Dada-Flugblätter stieß und gleich Feuer fing. Dada und Surrealismus, schreibt Brendel, bilden "heute noch eine der Säulen meiner Bibliothek und meines auf einem Bein balancierenden Weltbewusstseins".
Da passt es, dass er den verspielten Russen Daniil Charms zu seinen Lieblingsdichtern zählt, dass er für Edward Lear, Lewis Carroll und überhaupt englischen Nonsense schwärmt und große Stücke auf Edward Gorey hält, den Brendel seinen "Ehren-Dadaisten" nennt.
Natürlich geht es in dem Buch auch um das Hauptgeschäft, um die Interpretation der großen Meister, um den Konzertbetrieb, um die Zukunft der klassischen Musik.
Um die ist Brendel nicht bange. Es gebe ein interessiertes Konzertpublikum, auch ein junges, und hervorragende junge Interpreten, vor allem Geigerinnen, hat er festgestellt – bei dem pianistischen Nachwuchs bemängelt er dagegen den Hang zur Selbstdarstellung. Originalität kann nur in der Auseinandersetzung mit den Werken entstehen, meint er und entwirft ein umfassendes kulturelles Anforderungsprofil für junge Pianisten: Sie sollen nicht nur ihr eigenes Instrument beherrschen, sondern sich von anderen Instrumentalisten, von Sängern und Dirigenten, ja von Schauspielern inspirieren lassen. Natürlich sollten sie auch in allen anderen Sparten der Kunst bewandert sein, von der Malerei über die Literatur bis zum Film.
Ein Anforderungsprofil, das ein bisschen wie ein Selbstporträt klingt, denn Brendel ist ein furchterregend gebildeter Zeitgenosse, der auch Spezialisten mit seinen Spezialkenntnissen auf ihrem Gebiet verblüffen kann. Am Schönsten an dem Katalog all der Dinge, die junge Pianisten können und tun sollen, ist aber der abschließende Satz: "Und schließlich sollen sie leben, lieben, mit Anstand leiden und sich freuen." anschließend gibt Brendel zu, dass das alles vielleicht ein bisschen viel verlangt ist – von anderen.
Wer dieses Büchlein durchblättert hat, kennt den großen Pianisten ein bisschen besser, vielleicht hört er seine Deutungen Beethovens, Mozarts oder Schuberts ein bisschen anders. In jedem Fall wird er sich nach Kräften bemühen, im Konzert nicht mehr zu husten. Denn das ist offenbar das, was Brendel in seinem ganzen Pianistenleben am meisten gequält hat. Sein Traum vom Glück? Darauf antwortet er in dem sogenannten Proust-Fragebogen: "Ein Publikum, das nicht hustet." Das ist so unernst wie ernst gemeint, wie vieles auf diesen verspielten Seiten.
Witz und Tiefe: Beides gehört bei Brendel zusammen, und das Pendel, das während seines Pianistenlebens stark in Richtung Tiefe ausschlagen musste, schlägt jetzt mit Macht zurück. So gibt er auf die Frage nach der größten Liebe seines Lebens zur Antwort: "Erstens: Sinn. Zweitens: Unsinn."
Alfred Brendel: Nach dem Schlussakkord. Fragen und Antworten.
Hanser, München 2010. 112 S., 12,90 Euro