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Seit 25 Generationen
Die Glockengießer der Päpste

In der ältesten Glockengießerei der Welt scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Mindestens seit dem 14. Jahrhundert stellt Familie Marinelli in der süditalienischen Region Molise Glocken her. Sie gehören zu den besten weltweit und tragen das Siegel der Päpste.

Von Jan-Christoph Kitzler |
    Papst Benedict XVI erhält im Zuge einer Generalaudienz auf dem Petersplatz im Jahre 2005 eine Glocke der Firma Marinelli als Geschenk.
    Im Vatikan gerne gesehen: Glocken der Firma Marinelli (EPA/Plinio Lepri)
    Das Gießen einer Glocke ist gewissermaßen eine "heilige" Handlung. Dazu gehört in der ältesten Glockengießerei der Welt, der Firma Marinelli in Agnone, in der Region Molise, auch die Anrufung der Jungfrau Maria. Heute wird hier nur eine kleine Glocke gegossen, aber bei den großen, wichtigen Glocken kommt auch schon mal hoher Besuch, sagt Armando Marinelli, einer der Chefs:
    "Es waren Bischöfe, Kardinäle hier, haben in der Gießerei auch die Messe gelesen. Da wird aus dem Evangelium gelesen, zusammen gebetet. Dann wird die Bronze gesegnet. Dann wird die Bronze in die Formen gegossen und dabei die Litanei gebetet. Beim ersten Tropfen Bronze kommt das 'Santa Maria', dann macht der Pfarrer weiter und wenn er fertig ist, kommt der letzte Tropfen Bronze."
    Ein Blick in die Glockengießerei der Marinellis - eine große Glocke steht im Vordergrund, zukünftige Ziselierungen mit Kreide angezeichnet. (Foto: Jan-Christoph Kitzler)
    Ein Blick in die Glockengießerei Marinelli ist wie eine Reise ins Mittelalter (Jan-Christoph Kitzler)
    Seit 1339 gießen die Marinellis hier schon Glocken. Seit 24 oder 25 Generationen. Rund 40 größere Glocken im Jahr sind es zurzeit, fast die Hälfte geht inzwischen ins Ausland. An jeder arbeiten die 15 Angestellten etwa drei Monate. Gerade haben sie einen großen Auftrag aus Indianapolis - fünf Glocken. Die größte wird drei Tonnen wiegen, das Modell ist schon fast fertig. Betritt man die Gießerei, ist das wie eine Reise ins Mittelalter:
    "Hier herrscht kein frenetisches Tempo. Das ist alles langsam, so verlangt es die Arbeit an der Glocke. Der globale Markt macht uns etwas Angst, es könnte enorme Nachfrage geben. Zurzeit ist das noch alles spontan. Sie rufen aus dem Ausland an und wir behandeln sie so, als wäre das eine Kirche irgendwo hier in Italien. Wenn wir das ganze Jahr Arbeit haben, ist das für uns okay."
    Eine Illustration von Alexander Liezen-Mayer zu Schillers "Lied von der Glocke". Männer bedecken die Form mit Erde aus einer Schubkarre.
    "Festgemauert in der Erden..." - Bei Marinelli werden die Glocken gegossen, wie in alter Zeit. (imago stock&people / Maler: Alexander Liezen-Mayer)
    Und sie machen die Glocken, wie schon immer. Die Bronze besteht aus 80 Teilen Kupfer und 20 Teilen Zinn. Erst wird eine Art Fundament aus Steinen gemauert, dann mit Lehm die sogenannte falsche Glocke aufgetragen. Darauf kommen mit Wachs die Verzierungen und Inschriften. Denn Glocken sind seit Jahrhunderten auch ein Dokument der Zeit. Dann eine weitere Schicht, die später mit der anderen den Hohlraum bildet. Wichtig ist nicht nur langsames Arbeiten, sondern auch Genauigkeit, sagt Pasquale Marinelli, Armandos jüngerer Bruder:
    "Wenn sich die Schablone nur einen Millimeter nach außen verschiebt, ich spreche von Millimetern, oder nach innen, was passiert? Nach außen hat die falsche Glocke mehr Material und dieser Millimeter bedeutet auf der Oberfläche der Glocke fünf, sechs Kilo mehr oder weniger, die dann den Klang der Glocke beeinträchtigen könnten."
    Zwischen Seele und Mantel
    Denn seit 500 bis 600 Jahren sind Glocken nicht nur einfach ein Signal, sondern auch ein Musikinstrument. Auch das zeigen sie hier bei Marinelli an schon fertigen Glocken, mit dem nur wenig frommen "Va pensiero" aus Verdis Nabucco. Irgendwann, nach Monaten der Arbeit, kann die Bronze in die Form gegossen werden:
    "Wir begraben die Form unter Erde, denn es darf sich nichts verschieben, wenn die Bronze gegossen wird, die schwer ist und in den Raum zwischen der Seele und dem Mantel fließt. Und dann müssen wir alles umgekehrt machen: Die Erde abtragen, den äußeren Teil zerbrechen und auch den inneren Teil. Und dann wird die Glocke poliert und ziseliert."
    Totenglocke via App
    Langsam ist hier alles bei Marinelli, aber natürlich müssen sie auch hier mit der Zeit gehen.
    "Wir machen Glocken, aber wir bauen sie auch ein, was sehr wichtig ist, das hat Marinelli schon immer gemacht. Glocken im Glockenturm einzubauen ist eine tolle Arbeit. Aber wir müssen mit der Zeit gehen. Denn wenn die Glocke hängt, dann sind da die Computer, die das Ganze steuern. Heute gibt es sogar eine App, die sich der Pfarrer herunterladen kann. Nehmen wir an, er ist nicht vor Ort und man muss für einen Toten die Glocken läuten, dann kann der Pfarrer, der in Mailand ist, mit dieser App, wenn er einen Code eingibt, die Glocken in Palermo läuten lassen."
    Eine echte Marinelli-Glocke erkennt man am Klang, sagen sie hier. Sie hängen in der ganzen Welt. Und doch wollen sie hier nicht das schnelle Geschäft machen, sondern einfach so weiter, wie seit Jahrhunderten.
    Denn Glockengießen ist eben auch eine "heilige" Handlung, zumindest hier bei Marinelli.