Suchumi ist die Hauptstadt von Abchasien am Schwarzen Meer. Abchasien war einmal die Cote d’Azur der Sowjetunion, Tausende erholungsbedürftige Sowjetbürger machten hier jedes Jahr Urlaub unter Palmen. Jetzt brandet das Schwarze Meer gegen verrottete Hafenanlagen. Bäume wachsen in den Etagen der zerschossenen Luxushotels.
Als die sowjetische Welt noch in Ordnung war, gehörte Abchasien zur Georgischen Sowjetrepublik. Innerhalb derer genoss es eine gewisse Autonomie. Als Georgien 1991 aus der Sowjetunion austrat und seine Unabhängigkeit erklärte, tat Abchasien das gleiche und sagte sich seinerseits von Georgien los. Die Abchasen wollten im Staatenverbund der Sowjetunion bleiben. Daraufhin marschierten im August 1992 georgische Truppen ein. Der Krieg endete zwei Jahre später mit einer Niederlage der Georgier – unter anderem deshalb, weil die Abchasen Hilfe von der russischen Armee bekamen.
Mit dem Waffenstillstand 1994 begannen Verhandlungen zwischen den ehemaligen Kriegsparteien. Die haben bis heute kein Ergebnis gebracht. Abchasien wird von keinem Staat der Welt anerkannt. Die internationale Gemeinschaft betrachtet es als Teil Georgiens. Doch die Separatisten lassen sich davon nicht beeinflussen. Der politische Berater des Präsidenten der sogenannten Republik Abchasien, Astamur Tania:
Unser politischer Status steht fest. Abchasien ist ein unabhängiger Staat. Normale, gutnachbarschaftliche Beziehungen zu Georgien sind nur dann möglich, wenn Georgien diese Tatsache anerkennt. Das ist unsere Hauptbedingung.
Darauf allerdings will sich die Regierung in Tiflis keinesfalls einlassen. Der georgische Minister für besondere Angelegenheiten, Malchaz Kakabadze:
Wir sind offen für alles, solange sich die Modelle im Rahmen EINES Staates bewegen. Wir können Kompromisse eingehen und Übergangsregelungen finden. Wir müssen die Abchasen überzeugen, dass wir mit ihnen in einem modernen, zivilen Staat leben wollen, und dass wir gemeinsam mehr erreichen als getrennt.
Zwischen den beiden scheinbar unversöhnlichen Seiten vermittelt eine Mission der Vereinten Nationen, die UNOMIG. Diese Beobachtermission wurde 1994, nach dem Krieg, eingesetzt. Gut einhundert unbewaffnete Blauhelmsoldaten verfolgen, ob der Waffenstillstand eingehalten wird. Außerdem bemüht sich der politische Stab der UNOMIG, das Umfeld für Verhandlungen zu schaffen. Eine schwierige Aufgabe, meint die UNO-Botschafterin in Georgien, Heidi Tagliavini:
Akteure, die von außen versuchen, auf die Parteien einzuwirken, damit sie miteinander sprechen, die können es von sich allein nicht bewirken, dass dieser Frieden hier kommt. Daher brauchen wir wirklich den ausdrücklichen Willen beider Seiten, und dieser Wille fehlt…
Die UNOMIG versucht zu moderieren. Sie gerät deshalb zunehmend selbst in die Kritik. Die UNOMIG bekämpfe lediglich Symptome, heißt es, anstatt die Ursache des Problems, die Statusfrage, anzugehen. UNO-Botschafterin Heidi Tagliavini:
Wenn Sie ganz starke Kopfschmerzen haben, und nur mit irgendeiner Tablette die Kopfschmerzen kurieren, dann fühlen sie sich mindestens momentan besser. Stellen Sie sich einfach immer vor, dass die UNO nicht in dieser Region wäre. Irgendwie würde die Welt ja weitergehen, würden die Menschen weiterleben, ich bin aber überzeugt, dass die Situation viel viel schlimmer wäre.
Die Regierungen haben gar kein Interesse, das Problem zu lösen, kritisieren Oppositionelle auf beiden Seiten. Denn Mafiabanden und mit ihnen verbandelte Politiker profitieren von dem Konflikt. Im abchasisch-georgischen Grenzgebiet blühen Schwarzhandel und Rauschgiftschmuggel. Zurab Schengelia ist Direktor des Instituts für georgisch-abchasische Beziehungen in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Er organisiert kulturelle Austauschprojekte zwischen Abchasien und Georgien und wird dabei immer wieder behindert, auch von hochrangigen Politikern. Schengelia:
Eingefrorene Konflikte sind ein gutes Geschaeft, in der ganzen Welt, und nur ein bestimmter Teil der Politik hat Zugang zu diesem Geschäft. Ich will niemanden persönlich beschuldigen, aber die Situation ist so.
Natella Akaba ist Mitglied der abchasischen Oppositionsbewegung "Wiedergeburt”. Sie meint über die Führung in Abchasien:
Ich glaube nicht, dass es in unserer Regierung Menschen gibt, die Krieg wollen. Das kann man vollständig ausschließen. Aber es gibt Menschen, die nicht wollen, dass sich wirklich etwas verändert. Wenn der Konflikt beigelegt würde, wäre es nicht auszuschließen, dass der eine oder andere seinen Job verliert. Außerdem kämen neue Leute an die Macht. Daher kommt ein bestimmtes Interesse, den Status quo zu erhalten.
Die Folgen bekommen in erster Linie die mehreren hunderttausend vor allem georgischen Fluechtlinge zu spüren, die Abchasien während des Krieges verlassen mussten. Sie können nicht zurück, solange der Konflikt nicht gelöst ist. Die Flüchtlinge hausen seit nunmehr zehn Jahren unter ärmlichsten Bedingungen in zweckentfremdeten Massenunterkünften in ganz Georgien, in Schulen, Kindergärten, Hotels. Die Zahlen weichen stark voneinander ab, die abchasische Seite spricht von höchstens 150.000, die georgische von mindestens 300.000 Menschen.
Die Rückkehr der Flüchtlinge ist ein entscheidendes Problem bei der Konfliktlösung. Und dafür gibt es einen wichtigen Grund: Vor dem Krieg stellten die Georgier fast die Hälfte der Bevölkerung von Abchasien. Die Abchasen dagegen waren, gemeinsam mit Russen und Armeniern, in der Minderheit. Jetzt bilden die Abchasen die größte Gruppe. Die Regierung hat diese demographischen Verschiebungen genutzt. Sie hat die Bevölkerung 1999 in einem Referendum über die Unabhängigkeit Abchasiens abstimmen lassen. Die Mehrheit war dafür; die georgischen Flüchtlinge hatten, weil sie außerhalb Abchasiens leben, nicht mitstimmen dürfen. Die georgische Regierung sieht darin einen Grund mehr, die Unabhängigkeit Abchasiens nicht anzuerkennen. Der Minister für besondere Angelegenheiten, Malchaz Kakabadze:
Ein Volk hat das Recht zu bestimmen, wo es leben möchte. Aber dazu muss das GANZE Volk gefragt werden, und nicht nur ein kleiner Teil - auch wenn das die angestammte Bevölkerung ist, das abchasische Volk. Der Begriff der "Selbstbestimmung” ist auf das GESAMTE Volk anwendbar. Zumindest ist das in der europäischen Praxis und Geschichte so. Und es ist kein Privileg einer einzelnen ethnischen Gruppe.
Die Flüchtlinge würden nur in ein zu Georgien gehörendes Abchasien zurückkehren, sagt Kakabadze. Doch selbst wenn die Menschen bereit wären, in einer unabhängigen Republik Abchasien zu leben – die abchasische Regierung lässt auch das bisher nicht zu. Aus Sicherheitsgruenden, meint Da-ur Arschba, der stellvertretende Außenminister der selbstproklamierten Republik:
Der große Krieg ist zehn Jahre her, aber der Terror gegen Abchasien hält an. Die Terrorgruppen bestehen vor allem aus Leuten, die seinerzeit aus Abchasien geflohen sind. Eine massenweise unkontrollierte Rückkehr von Flüchtlingen kann erneut zu massiven Zusammenstößen führen.
Abchasien wirft der georgischen Regierung vor, die Partisanen im abchasisch-georgischen Grenzgebiet zu unterstützen. Das stimmt nicht, beteuert hingegen der georgische Minister für besondere Angelegenheiten, Malchaz Kakabadze. Die Partisanen agierten, wenn überhaupt, auf eigene Faust, und es seien in erster Linie Kriminelle. Doch auch Kakabadze droht:
Wir sind für eine friedliche Lösung, aber der Prozess muss vorangehen. Ich sage meinen Partnern und Kollegen immer: Wenn wir die friedlichen Verhandlungen nicht fortsetzen, kann ich nicht garantieren, dass unter 300.000 Flüchtlingen nicht auch welche sind, die, um in ihre Häuser zurückzukehren, zur Waffe greifen. Wir bieten den Abchasen an, die Verhandlungen fortzusetzen. Wir wollen keine Gewalt, denn darunter würden erneut zwei Völker leiden, Abchasen und Georgier. Aber mit jedem Tag wird unser Staat kräftiger, und wir bekommen eine Armee, die den Namen auch verdient…
Das georgische Militär wird seit Jahren mit erheblicher finanzieller und logistischer Unterstützung der Vereinigten Staaten modernisiert. In vier bis fünf Jahren habe Georgien eine einsatzfähige Armee, der Abchasien wohl nicht mehr gewachsen wäre, heißt es in georgischen Regierungskreisen – und das russische Militär im übrigen auch nicht.
Diese Drohgebärden georgischer Politiker gegenüber Russland sind typisch. Russland spielt im Abchasienkonflikt eine Schlüsselrolle. Sein Einfluss in Abchasien ist immens, und Russland profitiert von der anhaltenden Auseinandersetzung. Weite Teile der georgischen Regierung sehen ihren wahren Opponenten deshalb nicht im abchasischen Suchumi, sondern in Moskau. Die russische Regierung würde eine Lösung des Konflikts behindern. Und Abchasien wolle in Wirklichkeit gar nicht selbständig sein, sondern suche den Anschluss an Russland.
Dafür gibt es einige Anzeichen. In Abchasien gilt der russische Rubel. Sämtliche Waren werden – trotz der Wirtschaftsblockade - aus Russland importiert. Die GUS-Friedenstruppe, die nach dem Waffenstillstand von 1994 in Abchasien installiert wurde, besteht ausschließlich aus Russen. Zwischen 1.000 und 2.000 Soldaten der russischen Armee patrouillieren seitdem mit schweren Waffen in abchasischem Gebiet. Und seit einigen Monaten gibt Russland auch noch Pässe in der separatistischen Region aus. Etwa zwei Drittel der Abchasen besitzen bereits die russische Staatsbürgerschaft. Im abchasischen Suchumi bemüht man sich, diese Tatsachen herunterzuspielen – und das betrifft Regierungsvertreter wie regierungsunabhängige Personen gleichermaßen. Batal Kobachia ist Direktor eines "Zentrums für humanitäre Programme”:
Die massenweise Annahme der russischen Staatsbürgerschaft vor einem halben Jahr entsprach einer Massentaufe. Und sofort kam die hysterische Reaktion: Aha, jetzt steht fest, die Abchasen haben sich festgelegt, sie wollen Teil Russlands sein…. Aber das ist keine Festlegung. Die Menschen fühlen sich als Bürger Abchasiens. Sie wollen lediglich Reisefreiheit. Dieses Recht verweigert ihnen die internationale Gemeinschaft seit 10 Jahren. Die Passfrage ist keine politische Entscheidung.
Die abchasische Regierung hat Russland außerdem eine sogenannte Assoziierte Partnerschaft vorgeschlagen. Diese Partnerschaft sieht eine Zoll- und Währungsunion vor sowie gemeinsame Grenzkontrollen und gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen. All das sind Punkte, die Mitte der 90er Jahre auch schon zwischen Abchasien und Georgien diskutiert wurden. Damals haben die abchasischen Vertreter diese Projekte als unvereinbar mit der Souveränität Abchasiens abgelehnt. Im Verbund mit Russland ist das offenbar kein Problem. Der stellvertretende Außenminister Abchasiens, Da-ur Arschba:
Es geht lediglich um eine Integration, wie sie heute in der ganzen Welt geschieht. Europa vereinigt sich. Natürlich muss es eine Grenze geben zwischen Integration auf der einen Seite und Souveränität und Unabhängigkeit auf der anderen. Ich sehe darin keinen Widerspruch.
Die georgische Führung in Tiflis will nun einen Anlauf unternehmen, um die russische Führung in Moskau für sich zu gewinnen – und das mit internationaler Hilfe. Der georgische Präsident Eduard Schewardnadze hat eine internationale Konferenz angekündigt, unter dem Vorsitz Russlands und der Vereinigten Staaten. Außerdem sollen die Ukraine, die Türkei und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa teilnehmen, ferner Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Die Konferenz soll hochrangig besetzt sein, erläutert der georgische Minister für besondere Angelegenheiten, Malchaz Kakabadze:
Basis für die internationalen Verhandlungen soll das sogenannte "Boden-Dokument” sein, benannt nach dem ehemaligen UNO-Botschafter in Georgien, dem deutschen Diplomaten Dieter Boden. Das Dokument beruht auf zwei Eckpunkten, erstens der "territorialen Integrität” Georgiens und zweitens der Rückkehr der Flüchtlinge in Würde und Sicherheit. Der Plan sieht aber auch eine weitestgehende Aufteilung der Kompetenzen zwischen Georgien und der Provinz Abchasien vor. Russland hat sich für die Umsetzung dieses Dokuments ausgesprochen, die Gruppe der Freunde des Generalsekretärs der Vereinten Nationen hat den Plan dem Weltsicherheitsrat empfohlen. Doch all das nützt nichts, solange die Separatisten in Abchasien das Dokument ablehnen.
Georgien muss sich deshalb vor allem darum bemühen, das Vertrauen der Abchasen wieder zu gewinnen, meint der georgische Konfliktforscher Paata Sakare-ischwili. Und da koenne Russland nur wenig helfen. Paata Sakareischwili war während des Krieges als Beamter der georgischen Regierung für die Evakuierung der Zivilbevölkerung und den Austausch von Gefangenen zuständig. Seit einigen Jahren organisiert er Konferenzen georgischer und abchasischer Nichtregierungsorganisationen. Außerdem koordiniert er inoffizielle Treffen georgischer und abchasischer Politiker, die in unregelmäßigen Abständen im Ausland stattfinden. Sakareischwili ist davon überzeugt, dass zumindest der gebildete Teil der Abchasen bereit sei, mit den Georgiern über gemeinsame nationale und Sicherheitsprojekte zu diskutieren. Sie würden das bislang nur nicht zugeben. Deshalb müsse die georgische Führung in Tiflis ein paar deutliche Zeichen setzen. Sakareischwili schreckt dabei auch vor einer vorübergehenden Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens nicht zurück.
Georgien könnte zum Beispiel eine Garantie geben, dass es nicht versuchen wird, Abchasien mit militärischen Mitteln zurückzugewinnen oder mit Hilfe der Partisanenbewegung; oder es könnte ein Gesetz über eine doppelte Staatsbürgerschaft verabschieden – so dass jeder Bürger Abchasiens zugleich Bürger Georgiens ist, aber nicht jeder Bürger Georgiens Bürger Abchasiens. So ein Gesetz wäre ein Zeichen dafür, dass die abchasische Kultur nicht von der georgischen verdrängt würde. Denn davor haben die Abchasen Angst. Mechanismen zu finden, ist leicht, wenn nur der Wille da ist. Man könnte auch eine Regelung schaffen, nach der Abchasien ein Vetorecht innerhalb Georgiens erhält. All das wären vorübergehende Maßnahmen. In 10 bis 20 Jahren würden die von selbst wegfallen. Georgien könnte den Abchasen solange beweisen, dass es ein Staat ist, in dem es sich zu leben lohnt.
Als erstes aber müsse Georgien eingestehen, dass der Einmarsch in Abchasien 1992 ein Fehler und der Krieg die Schuld Georgiens war, so Sakareischwili. Eine offizielle Entschuldigung gegenüber dem abchasischen Volk könne viel bewirken. Doch mit dieser Forderung steht Sakareischwili in Georgien weitgehend allein da. Der Begriff "Entschuldigung” stößt in georgischen Regierungskreisen auf absolutes Unverständnis. Der Minister für besondere Angelegenheiten, Malchaz Kakabadze:
Wir sind das Land, das besiegt wurde. 300.000 friedliche Menschen wurden vertrieben, darunter etliche Frauen, Alte und Kinder. Die sollen sich jetzt auch noch entschuldigen? Dafür, dass sie aus ihrer Heimat vertrieben wurden? Diese Logik verstehe ich nicht. Wofür sollen wir uns entschuldigen? Dafür, dass wir besiegt wurden?
Der Konfliktforscher Paata Sakareischwili hofft auf die georgischen Parlamentswahlen in einem Jahr. Vielleicht kämen dann Politiker an die Macht, die bereit seien, auf Abchasien zuzugehen. Doch selbst in solch einem Fall bliebe da noch die andere Seite. Den Berater des abchasischen Präsidenten, Astamur Tania, bringt allein schon der Gedanke, in Tiflis könnten gemäßigte Kräfte an die Macht kommen, für einen Moment aus dem Konzept.
Versuchen Sie nicht, mich zu überreden…. Wenn das eine Regierung sein sollte, die bereit ist, Abchasien als unabhängigen Staat anzuerkennen, dann könnten wir gut nachbarschaftliche Beziehungen haben. Wozu das dann weiter führt, weiß ich nicht.
Tania erwartet von dem bevorstehenden Wahlkampf aber lediglich eine Radikalisierung der georgischen Positionen. Entsprechend nüchtern sind die Hoffnungen der UNO-Botschafterin, Heidi Tagliavini, auf eine baldige politische Lösung.
Prognosen machen, wie lang das dauert, wie groß unsere Chancen sind, einen Frieden herbeizubringen, das hab ich in meiner langjährigen Erfahrung von Konflikten eigentlich aufgegeben.
Als die sowjetische Welt noch in Ordnung war, gehörte Abchasien zur Georgischen Sowjetrepublik. Innerhalb derer genoss es eine gewisse Autonomie. Als Georgien 1991 aus der Sowjetunion austrat und seine Unabhängigkeit erklärte, tat Abchasien das gleiche und sagte sich seinerseits von Georgien los. Die Abchasen wollten im Staatenverbund der Sowjetunion bleiben. Daraufhin marschierten im August 1992 georgische Truppen ein. Der Krieg endete zwei Jahre später mit einer Niederlage der Georgier – unter anderem deshalb, weil die Abchasen Hilfe von der russischen Armee bekamen.
Mit dem Waffenstillstand 1994 begannen Verhandlungen zwischen den ehemaligen Kriegsparteien. Die haben bis heute kein Ergebnis gebracht. Abchasien wird von keinem Staat der Welt anerkannt. Die internationale Gemeinschaft betrachtet es als Teil Georgiens. Doch die Separatisten lassen sich davon nicht beeinflussen. Der politische Berater des Präsidenten der sogenannten Republik Abchasien, Astamur Tania:
Unser politischer Status steht fest. Abchasien ist ein unabhängiger Staat. Normale, gutnachbarschaftliche Beziehungen zu Georgien sind nur dann möglich, wenn Georgien diese Tatsache anerkennt. Das ist unsere Hauptbedingung.
Darauf allerdings will sich die Regierung in Tiflis keinesfalls einlassen. Der georgische Minister für besondere Angelegenheiten, Malchaz Kakabadze:
Wir sind offen für alles, solange sich die Modelle im Rahmen EINES Staates bewegen. Wir können Kompromisse eingehen und Übergangsregelungen finden. Wir müssen die Abchasen überzeugen, dass wir mit ihnen in einem modernen, zivilen Staat leben wollen, und dass wir gemeinsam mehr erreichen als getrennt.
Zwischen den beiden scheinbar unversöhnlichen Seiten vermittelt eine Mission der Vereinten Nationen, die UNOMIG. Diese Beobachtermission wurde 1994, nach dem Krieg, eingesetzt. Gut einhundert unbewaffnete Blauhelmsoldaten verfolgen, ob der Waffenstillstand eingehalten wird. Außerdem bemüht sich der politische Stab der UNOMIG, das Umfeld für Verhandlungen zu schaffen. Eine schwierige Aufgabe, meint die UNO-Botschafterin in Georgien, Heidi Tagliavini:
Akteure, die von außen versuchen, auf die Parteien einzuwirken, damit sie miteinander sprechen, die können es von sich allein nicht bewirken, dass dieser Frieden hier kommt. Daher brauchen wir wirklich den ausdrücklichen Willen beider Seiten, und dieser Wille fehlt…
Die UNOMIG versucht zu moderieren. Sie gerät deshalb zunehmend selbst in die Kritik. Die UNOMIG bekämpfe lediglich Symptome, heißt es, anstatt die Ursache des Problems, die Statusfrage, anzugehen. UNO-Botschafterin Heidi Tagliavini:
Wenn Sie ganz starke Kopfschmerzen haben, und nur mit irgendeiner Tablette die Kopfschmerzen kurieren, dann fühlen sie sich mindestens momentan besser. Stellen Sie sich einfach immer vor, dass die UNO nicht in dieser Region wäre. Irgendwie würde die Welt ja weitergehen, würden die Menschen weiterleben, ich bin aber überzeugt, dass die Situation viel viel schlimmer wäre.
Die Regierungen haben gar kein Interesse, das Problem zu lösen, kritisieren Oppositionelle auf beiden Seiten. Denn Mafiabanden und mit ihnen verbandelte Politiker profitieren von dem Konflikt. Im abchasisch-georgischen Grenzgebiet blühen Schwarzhandel und Rauschgiftschmuggel. Zurab Schengelia ist Direktor des Instituts für georgisch-abchasische Beziehungen in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Er organisiert kulturelle Austauschprojekte zwischen Abchasien und Georgien und wird dabei immer wieder behindert, auch von hochrangigen Politikern. Schengelia:
Eingefrorene Konflikte sind ein gutes Geschaeft, in der ganzen Welt, und nur ein bestimmter Teil der Politik hat Zugang zu diesem Geschäft. Ich will niemanden persönlich beschuldigen, aber die Situation ist so.
Natella Akaba ist Mitglied der abchasischen Oppositionsbewegung "Wiedergeburt”. Sie meint über die Führung in Abchasien:
Ich glaube nicht, dass es in unserer Regierung Menschen gibt, die Krieg wollen. Das kann man vollständig ausschließen. Aber es gibt Menschen, die nicht wollen, dass sich wirklich etwas verändert. Wenn der Konflikt beigelegt würde, wäre es nicht auszuschließen, dass der eine oder andere seinen Job verliert. Außerdem kämen neue Leute an die Macht. Daher kommt ein bestimmtes Interesse, den Status quo zu erhalten.
Die Folgen bekommen in erster Linie die mehreren hunderttausend vor allem georgischen Fluechtlinge zu spüren, die Abchasien während des Krieges verlassen mussten. Sie können nicht zurück, solange der Konflikt nicht gelöst ist. Die Flüchtlinge hausen seit nunmehr zehn Jahren unter ärmlichsten Bedingungen in zweckentfremdeten Massenunterkünften in ganz Georgien, in Schulen, Kindergärten, Hotels. Die Zahlen weichen stark voneinander ab, die abchasische Seite spricht von höchstens 150.000, die georgische von mindestens 300.000 Menschen.
Die Rückkehr der Flüchtlinge ist ein entscheidendes Problem bei der Konfliktlösung. Und dafür gibt es einen wichtigen Grund: Vor dem Krieg stellten die Georgier fast die Hälfte der Bevölkerung von Abchasien. Die Abchasen dagegen waren, gemeinsam mit Russen und Armeniern, in der Minderheit. Jetzt bilden die Abchasen die größte Gruppe. Die Regierung hat diese demographischen Verschiebungen genutzt. Sie hat die Bevölkerung 1999 in einem Referendum über die Unabhängigkeit Abchasiens abstimmen lassen. Die Mehrheit war dafür; die georgischen Flüchtlinge hatten, weil sie außerhalb Abchasiens leben, nicht mitstimmen dürfen. Die georgische Regierung sieht darin einen Grund mehr, die Unabhängigkeit Abchasiens nicht anzuerkennen. Der Minister für besondere Angelegenheiten, Malchaz Kakabadze:
Ein Volk hat das Recht zu bestimmen, wo es leben möchte. Aber dazu muss das GANZE Volk gefragt werden, und nicht nur ein kleiner Teil - auch wenn das die angestammte Bevölkerung ist, das abchasische Volk. Der Begriff der "Selbstbestimmung” ist auf das GESAMTE Volk anwendbar. Zumindest ist das in der europäischen Praxis und Geschichte so. Und es ist kein Privileg einer einzelnen ethnischen Gruppe.
Die Flüchtlinge würden nur in ein zu Georgien gehörendes Abchasien zurückkehren, sagt Kakabadze. Doch selbst wenn die Menschen bereit wären, in einer unabhängigen Republik Abchasien zu leben – die abchasische Regierung lässt auch das bisher nicht zu. Aus Sicherheitsgruenden, meint Da-ur Arschba, der stellvertretende Außenminister der selbstproklamierten Republik:
Der große Krieg ist zehn Jahre her, aber der Terror gegen Abchasien hält an. Die Terrorgruppen bestehen vor allem aus Leuten, die seinerzeit aus Abchasien geflohen sind. Eine massenweise unkontrollierte Rückkehr von Flüchtlingen kann erneut zu massiven Zusammenstößen führen.
Abchasien wirft der georgischen Regierung vor, die Partisanen im abchasisch-georgischen Grenzgebiet zu unterstützen. Das stimmt nicht, beteuert hingegen der georgische Minister für besondere Angelegenheiten, Malchaz Kakabadze. Die Partisanen agierten, wenn überhaupt, auf eigene Faust, und es seien in erster Linie Kriminelle. Doch auch Kakabadze droht:
Wir sind für eine friedliche Lösung, aber der Prozess muss vorangehen. Ich sage meinen Partnern und Kollegen immer: Wenn wir die friedlichen Verhandlungen nicht fortsetzen, kann ich nicht garantieren, dass unter 300.000 Flüchtlingen nicht auch welche sind, die, um in ihre Häuser zurückzukehren, zur Waffe greifen. Wir bieten den Abchasen an, die Verhandlungen fortzusetzen. Wir wollen keine Gewalt, denn darunter würden erneut zwei Völker leiden, Abchasen und Georgier. Aber mit jedem Tag wird unser Staat kräftiger, und wir bekommen eine Armee, die den Namen auch verdient…
Das georgische Militär wird seit Jahren mit erheblicher finanzieller und logistischer Unterstützung der Vereinigten Staaten modernisiert. In vier bis fünf Jahren habe Georgien eine einsatzfähige Armee, der Abchasien wohl nicht mehr gewachsen wäre, heißt es in georgischen Regierungskreisen – und das russische Militär im übrigen auch nicht.
Diese Drohgebärden georgischer Politiker gegenüber Russland sind typisch. Russland spielt im Abchasienkonflikt eine Schlüsselrolle. Sein Einfluss in Abchasien ist immens, und Russland profitiert von der anhaltenden Auseinandersetzung. Weite Teile der georgischen Regierung sehen ihren wahren Opponenten deshalb nicht im abchasischen Suchumi, sondern in Moskau. Die russische Regierung würde eine Lösung des Konflikts behindern. Und Abchasien wolle in Wirklichkeit gar nicht selbständig sein, sondern suche den Anschluss an Russland.
Dafür gibt es einige Anzeichen. In Abchasien gilt der russische Rubel. Sämtliche Waren werden – trotz der Wirtschaftsblockade - aus Russland importiert. Die GUS-Friedenstruppe, die nach dem Waffenstillstand von 1994 in Abchasien installiert wurde, besteht ausschließlich aus Russen. Zwischen 1.000 und 2.000 Soldaten der russischen Armee patrouillieren seitdem mit schweren Waffen in abchasischem Gebiet. Und seit einigen Monaten gibt Russland auch noch Pässe in der separatistischen Region aus. Etwa zwei Drittel der Abchasen besitzen bereits die russische Staatsbürgerschaft. Im abchasischen Suchumi bemüht man sich, diese Tatsachen herunterzuspielen – und das betrifft Regierungsvertreter wie regierungsunabhängige Personen gleichermaßen. Batal Kobachia ist Direktor eines "Zentrums für humanitäre Programme”:
Die massenweise Annahme der russischen Staatsbürgerschaft vor einem halben Jahr entsprach einer Massentaufe. Und sofort kam die hysterische Reaktion: Aha, jetzt steht fest, die Abchasen haben sich festgelegt, sie wollen Teil Russlands sein…. Aber das ist keine Festlegung. Die Menschen fühlen sich als Bürger Abchasiens. Sie wollen lediglich Reisefreiheit. Dieses Recht verweigert ihnen die internationale Gemeinschaft seit 10 Jahren. Die Passfrage ist keine politische Entscheidung.
Die abchasische Regierung hat Russland außerdem eine sogenannte Assoziierte Partnerschaft vorgeschlagen. Diese Partnerschaft sieht eine Zoll- und Währungsunion vor sowie gemeinsame Grenzkontrollen und gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen. All das sind Punkte, die Mitte der 90er Jahre auch schon zwischen Abchasien und Georgien diskutiert wurden. Damals haben die abchasischen Vertreter diese Projekte als unvereinbar mit der Souveränität Abchasiens abgelehnt. Im Verbund mit Russland ist das offenbar kein Problem. Der stellvertretende Außenminister Abchasiens, Da-ur Arschba:
Es geht lediglich um eine Integration, wie sie heute in der ganzen Welt geschieht. Europa vereinigt sich. Natürlich muss es eine Grenze geben zwischen Integration auf der einen Seite und Souveränität und Unabhängigkeit auf der anderen. Ich sehe darin keinen Widerspruch.
Die georgische Führung in Tiflis will nun einen Anlauf unternehmen, um die russische Führung in Moskau für sich zu gewinnen – und das mit internationaler Hilfe. Der georgische Präsident Eduard Schewardnadze hat eine internationale Konferenz angekündigt, unter dem Vorsitz Russlands und der Vereinigten Staaten. Außerdem sollen die Ukraine, die Türkei und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa teilnehmen, ferner Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Die Konferenz soll hochrangig besetzt sein, erläutert der georgische Minister für besondere Angelegenheiten, Malchaz Kakabadze:
Basis für die internationalen Verhandlungen soll das sogenannte "Boden-Dokument” sein, benannt nach dem ehemaligen UNO-Botschafter in Georgien, dem deutschen Diplomaten Dieter Boden. Das Dokument beruht auf zwei Eckpunkten, erstens der "territorialen Integrität” Georgiens und zweitens der Rückkehr der Flüchtlinge in Würde und Sicherheit. Der Plan sieht aber auch eine weitestgehende Aufteilung der Kompetenzen zwischen Georgien und der Provinz Abchasien vor. Russland hat sich für die Umsetzung dieses Dokuments ausgesprochen, die Gruppe der Freunde des Generalsekretärs der Vereinten Nationen hat den Plan dem Weltsicherheitsrat empfohlen. Doch all das nützt nichts, solange die Separatisten in Abchasien das Dokument ablehnen.
Georgien muss sich deshalb vor allem darum bemühen, das Vertrauen der Abchasen wieder zu gewinnen, meint der georgische Konfliktforscher Paata Sakare-ischwili. Und da koenne Russland nur wenig helfen. Paata Sakareischwili war während des Krieges als Beamter der georgischen Regierung für die Evakuierung der Zivilbevölkerung und den Austausch von Gefangenen zuständig. Seit einigen Jahren organisiert er Konferenzen georgischer und abchasischer Nichtregierungsorganisationen. Außerdem koordiniert er inoffizielle Treffen georgischer und abchasischer Politiker, die in unregelmäßigen Abständen im Ausland stattfinden. Sakareischwili ist davon überzeugt, dass zumindest der gebildete Teil der Abchasen bereit sei, mit den Georgiern über gemeinsame nationale und Sicherheitsprojekte zu diskutieren. Sie würden das bislang nur nicht zugeben. Deshalb müsse die georgische Führung in Tiflis ein paar deutliche Zeichen setzen. Sakareischwili schreckt dabei auch vor einer vorübergehenden Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens nicht zurück.
Georgien könnte zum Beispiel eine Garantie geben, dass es nicht versuchen wird, Abchasien mit militärischen Mitteln zurückzugewinnen oder mit Hilfe der Partisanenbewegung; oder es könnte ein Gesetz über eine doppelte Staatsbürgerschaft verabschieden – so dass jeder Bürger Abchasiens zugleich Bürger Georgiens ist, aber nicht jeder Bürger Georgiens Bürger Abchasiens. So ein Gesetz wäre ein Zeichen dafür, dass die abchasische Kultur nicht von der georgischen verdrängt würde. Denn davor haben die Abchasen Angst. Mechanismen zu finden, ist leicht, wenn nur der Wille da ist. Man könnte auch eine Regelung schaffen, nach der Abchasien ein Vetorecht innerhalb Georgiens erhält. All das wären vorübergehende Maßnahmen. In 10 bis 20 Jahren würden die von selbst wegfallen. Georgien könnte den Abchasen solange beweisen, dass es ein Staat ist, in dem es sich zu leben lohnt.
Als erstes aber müsse Georgien eingestehen, dass der Einmarsch in Abchasien 1992 ein Fehler und der Krieg die Schuld Georgiens war, so Sakareischwili. Eine offizielle Entschuldigung gegenüber dem abchasischen Volk könne viel bewirken. Doch mit dieser Forderung steht Sakareischwili in Georgien weitgehend allein da. Der Begriff "Entschuldigung” stößt in georgischen Regierungskreisen auf absolutes Unverständnis. Der Minister für besondere Angelegenheiten, Malchaz Kakabadze:
Wir sind das Land, das besiegt wurde. 300.000 friedliche Menschen wurden vertrieben, darunter etliche Frauen, Alte und Kinder. Die sollen sich jetzt auch noch entschuldigen? Dafür, dass sie aus ihrer Heimat vertrieben wurden? Diese Logik verstehe ich nicht. Wofür sollen wir uns entschuldigen? Dafür, dass wir besiegt wurden?
Der Konfliktforscher Paata Sakareischwili hofft auf die georgischen Parlamentswahlen in einem Jahr. Vielleicht kämen dann Politiker an die Macht, die bereit seien, auf Abchasien zuzugehen. Doch selbst in solch einem Fall bliebe da noch die andere Seite. Den Berater des abchasischen Präsidenten, Astamur Tania, bringt allein schon der Gedanke, in Tiflis könnten gemäßigte Kräfte an die Macht kommen, für einen Moment aus dem Konzept.
Versuchen Sie nicht, mich zu überreden…. Wenn das eine Regierung sein sollte, die bereit ist, Abchasien als unabhängigen Staat anzuerkennen, dann könnten wir gut nachbarschaftliche Beziehungen haben. Wozu das dann weiter führt, weiß ich nicht.
Tania erwartet von dem bevorstehenden Wahlkampf aber lediglich eine Radikalisierung der georgischen Positionen. Entsprechend nüchtern sind die Hoffnungen der UNO-Botschafterin, Heidi Tagliavini, auf eine baldige politische Lösung.
Prognosen machen, wie lang das dauert, wie groß unsere Chancen sind, einen Frieden herbeizubringen, das hab ich in meiner langjährigen Erfahrung von Konflikten eigentlich aufgegeben.