Selbstbestimmungsgesetz in Kraft
Weniger Hürden für neuen Geschlechtseintrag

Geschlecht und Vornamen können im Personenregister durch das neue Selbstbestimmungsgesetz deutlich leichter geändert werden. Befürworter sehen darin einen Meilenstein für die Gleichberechtigung. Kritiker fürchten, Minderjährige würden gefährdet.

    Eine Person steht mit einer Transgender-Pride-Flagge vor dem Bundestag.
    Jahrelang haben Menschen sich für eine neues Selbstbestimmungsgesetz eingesetzt (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Cis, trans, non-binär: Es gibt eine Vielzahl von Geschlechtsidentitäten jenseits der traditionellen männlichen und weiblichen Kategorien. In Deutschland hat jede und jeder das Recht auf seine und ihre geschlechtliche Selbstbestimmung, so steht es im Grundgesetz.
    Menschen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren, sollen es mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz einfacher haben, den Eintrag dazu zu ändern. Befürworter sehen darin einen historischen Schritt. Die Bundesärztekammer steht dem neuen Gesetz kritisch gegenüber.

    Inhalt

    Was wird mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz möglich?

    Das neue Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ohne psychologische oder andere Sachverständigengutachten und gerichtliche Entscheidungen zu ändern. Die Änderungen können einfach beim Standesamt beantragt werden. Somit entfallen einige bürokratische Hürden. Anstelle eines Gerichtsverfahrens genügt eine „Erklärung mit Eigenversicherung“ beim Standesamt.
    Als Optionen für den Geschlechtseintrag gibt es: männlich, weiblich, divers oder auch der Verzicht auf einen Geschlechtseintrag. Menschen, die ihren Geschlechtseintrag geändert haben, können sich zudem als „Elternteil“ in Geburtsurkunden ihrer Kinder eintragen lassen.
    Wer seinen Geschlechtseintrag ändern lassen will, muss dies drei Monate im Voraus anmelden. Der frühestmögliche Termin für die Anmeldung von Änderungen war der 1. August dieses Jahres. Die dreimonatige Wartefrist dient dem Familienministerium zufolge auch als Bedenkzeit für die Person. Und: Der Geschlechts- und Vornamenseintrag kann frühestens nach zwölf Monaten erneut geändert werden. 
    Das Gesetz verbietet zudem die Verwendung von nicht mehr gültigen Namen oder Geschlechtseinträgen. Betroffene sollen vor Zwangsoutings geschützt werden, wer ohne Erlaubnis ehemalige Namen verwendet, muss mit einem Bußgeld rechnen. Dieses sogenannte Offenbarungsverbot hat aber Ausnahmen, insbesondere für enge Angehörige: Eltern dürfen im privaten Rahmen beispielsweise den früheren Namen ihres Kindes erwähnen - ohne dass sie mit rechtlichen Konsequenzen rechnen müssen.

    Besteht freie Wahl für neue Vornamen?

    Der Vorname muss zum neuen Eintrag passen. Das heißt, dass er dem Geschlechtseintrag entsprechen muss. Wer also beispielsweise den Eintrag „männlich“ wählt, kann als Namen nicht Bettina oder Julia eintragen lassen. Eine separate Änderung des Vornamens ohne Änderung des Geschlechtseintrags ist auf Basis des Selbstbestimmungsgesetzes nicht möglich. Bei der Angabe „divers“ oder dem Verzicht auf einen Eintrag besteht eine freiere Wahl.
    Bei der Wahl neuer Namen agieren Standesämter nach Medienberichten sehr unterschiedlich. Nach einem Bericht der taz hat das Bremer Standesamt beispielsweise die Namenswünsche Jamie oder Mika als zu unmännlich abgelehnt.
    (*)

    Was sagen Befürworter zum Selbstbestimmungsgesetz?

    Tessa Ganserer (Grüne) hat den Bundestagsbeschluss über das Selbstbestimmungsgesetz als „historischen Tag“ bezeichnet. Dem Gesetz sei ein jahrzehntelanger Kampf von transgeschlechtlichen Menschen voraus gegangen. Dieser Kampf werde aber trotz der gesetzlichen Verbesserung weitergehen: „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit können wir nicht per Bundestagsbeschluss aus der Welt schaffen“, sagte Ganserer.
    Auch der Deutsche Frauenrat begrüßt das neue Gesetz grundsätzlich. Es sei richtig, dass Menschen selbstbestimmt und ohne die Einmischung Dritter über ihr Geschlecht entscheiden könnten. In den Gesetzesbegründungen würden allerdings auch transfeindliche Narrative reproduziert. Trans* Frauen würden beispielsweise als potenzielle Bedrohungen für Frauenräume diskutiert. So würden trans* Frauen
    unter „Generalerdacht eines gewaltvollen Verhaltens“ gestellt. Dabei seien diese Personengruppen in öffentlichen Räumen häufig selbst Gewalt ausgesetzt.
    Auch die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat sich positiv über das neue Gesetz geäußert, Diskriminierung und Pathologisierung von trans*, intergeschlechtlichen und non-binären Personen werde darüber reduziert. Bei den Rechten für Minderjährige geht das Gesetz der BPtK allerdings nicht weit genug, eine Zustimmung der Sorgeberechtigten zu Änderungen im Personenregister sollte demnach für Menschen ab 16 Jahren entfallen. „Bei Jugendlichen kann ab diesem Alter die erforderliche Einsichtsfähigkeit vorausgesetzt werden. Sie können die Folgen der Änderung hinreichend abschätzen“, sagte BPtK-Vizepräsidentin Sabine Maur.

    Welche Kritik gibt es am neuen Gesetz?

    Im Gegensatz zur Bundespsychotherapeutenkammer hält die Bundesärztekammer die Selbstbestimmung von Minderjährigen für zu weitgehend. Unter 18-Jährigen dürfte nicht gestattet werden, ohne vorherige fachärztliche kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik und Beratung Angaben zu ihrem Geschlecht und Personenstand im Personenregister zu ändern.
    Die Bundesärztekammer beklagt in der Begründung, dass das Selbstbestimmungsgesetz das subjektive Zugehörigkeitsgefühl zu einem Geschlecht mit dem „faktisch gegebenen körperlich-biologischen Geschlecht“ gleichsetze. Aus medizinischer Perspektive sei das Geschlecht eines Menschen eine am „Körper feststellbare und in den allermeisten Fällen eindeutig zu bestimmende, keineswegs frei verfügbare, sondern unveränderbare Realität.“ Das Geschlecht sei biologisch binär und müsse von der Geschlechtsidentität getrennt werden.
    In seltenen Fällen weiche die subjektiv empfundene Geschlechtsidentität einer Person von ihrem objektiv gegebenen körperlichen Geschlecht ab. Daraus ergebe sich ein innerer Konflikt. Das Personenstandsrecht sei aus ärztlicher Sicht aber nicht das richtige Instrument, um die Selbstbestimmung der von Geschlechtsinkongruenz betroffenen Menschen zu gewährleisten, deren egalitäre Behandlung zu befördern und sie vor Diskriminierung im Alltag zu schützen.
    Im Vergleich zu einem körperlichen Eingriff sei eine Änderung im Personenregister nicht so einschneidend, sagte der Sexualmediziner Alexander Korte bereits im November 2023. Es sei aber zu befürchten, dass damit die Weichen zu einer körperlichen Behandlung gestellt würden. Dieser Zusammenhang sei durch Studien gestützt.
    Die Grafik zeigt ein Balkendiagramm zur Anzahl der geschlechtsangleichenden Operationen in Deutschland nach Altersgruppen
    Transition findet mehrheitlich in den 20ern statt. (Statista)

    Unklarheiten für Saunen und Frauenhäuser?

    Im Diskurs wurden vielfach auch Schutzräume für Frauen als Problemfeld angesprochen. Auch eine der lautesten Kritikerinnen des Gesetzes, die Feministin Alice Schwarzer, sieht Schutzräume für Frauen durch das Gesetz in Gefahr. Im Interview mit dem Spiegel benannte sie die Möglichkeit, dass eine „Person mit Bart und Penis“ am Frauentag in die Sauna kommen könne.
    In den Begründungen für das Gesetz schreibt die Bundesregierung, dass auch zukünftig Personen nicht lediglich unter Berufung auf ihren Eintrag im Personenstandsregister Zugang zu einer geschlechtsspezifischen Sauna verlangen können. Der Inhaber könne weiter sein Hausrecht ausüben wie vor dem Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes.
    Das ebenfalls unberührte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schützt jedoch transgeschlechtliche Personen vor Diskriminierung aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, was bedeutet, dass sie nicht aufgrund ihres Geschlechts abgelehnt werden dürfen. Stattdessen müsse ein sachlicher Grund angeführt werden.
    Für Frauenhäuser bedeute das neue Gesetz keinerlei Änderungsbedarf, schreibt die Bundesregierung. Der Eintrag im Personenstandsregister sei bisher unerheblich für den Eintritt in ein Frauenhaus gewesen und er bleibe unerheblich.
    Die Bundesregierung verweist dabei auch auf den Verein Frauenhaus-Koordinierung. Der Verein hatte in einer Stellungnahme klargestellt, dass trans* Frauen und nicht-binäre Personen in Deutschland schon seit Jahren regelmäßig Schutz in Frauenhäusern finden. Ob ein bestimmtes Frauenhaus für eine gewaltbetroffene Frau passende Unterstützung bieten könne, werde von den Fachkräften vor Ort stets im Einzelfall entschieden.

    Welche Hürden gab es im bisherigen Transsexuellengesetz?

    Vor dem Selbstbestimmungsgesetz galt das Transsexuellengesetz, das 1981 in Kraft getreten war. Betroffene mussten eine langwierige und kostspielige Prozedur mit Gutachten und Gerichtsbeschluss über sich ergehen lassen, wenn sie ihren Geschlechtseintrag samt Vornamen ändern lassen wollten. Bis 2011 mussten sich transgeschlechtliche Menschen dafür sogar noch sterilisieren lassen. Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz werde „staatliches Unrecht“ beseitigt, heißt es im neuen Gesetzestext.

    (*) Wir haben an dieser Stelle eine Passage geändert.
    pto

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