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Selbstheilungskräfte
Gesund werden ohne Medizin

Wer überzeugt ist, krank zu sein, wird krank. Wer fest an seine Genesung glaubt, hat bessere Chancen, gesund zu werden. Bei fast allen Krankheiten spielen Selbstheilungskräfte eine wichtige Rolle. Die Wissenschaftsjournalistin Jo Marchant ist der Wirkung von der Psyche auf Körper und Gesundheit nachgegangen und zieht ein überzeugendes Fazit.

Von Michael Lange |
    Die Krankenkassen fördern schon heute Bewegungs- und Entspannungskurse.
    Meditation und entspannende Übungen wirken direkt von der Psyche auf den Körper. (imago/Westend61)
    "Heilung von innen". Das klingt ganzheitlich bis esoterisch, nicht gerade wissenschaftlich. Und das pastellfarbene Buch-Cover mit Kopf und Blume verstärkt diesen Eindruck. Dabei ist die Autorin Jo Marchant eine gestandene Wissenschaftsjournalistin. Sie hat Medizin und Mikrobiologie studiert und war Redakteurin beim Wissenschaftsmagazin Nature.
    "Die westliche Medizin basiert (zu Recht) auf Wissenschaft und medizinischer Evidenz, und für viele politische Entscheider 'fühlen' sich physische Interventionen einfach wissenschaftlicher an, als Körper-Geist-Ansätze."
    Wirkung der Psyche ist keineswegs nur Glaubenssache
    Dabei ist die Wirkung der Psyche auf Körper und Gesundheit keineswegs Glaubenssache, sondern vieltausendfach belegt. Man denke nur an die Placebos. Der Glaube, dass ein Medikament wirkt, reicht oft schon aus, um Krankheitssymptome zu lindern. Und es gibt auch den umgekehrten Fall:
    "Ein 29-Jähriger nahm an einer Studie über ein Antidepressivum teil und reagierte gut darauf. Nach einem Streit mit seiner Freundin nahm er jedoch eine Überdosis seiner verbliebenen Kapseln ein und kollabierte mit Herzrasen und gefährlich niedrigem Blutdruck. Er erhielt im Verlauf von vier Stunden sechs Liter intravenöse Flüssigkeit, bevor er von den Studienleitern erfuhr, dass er in ihrer Placebo Gruppe war. Seine Symptome verschwanden innerhalb von 15 Minuten."
    Überzeugendes Fazit nach sorgfältiger Recherche
    Wer überzeugt ist, krank zu sein, wird krank. Und wer fest daran glaubt, gesund zu werden, hat bessere Chancen auf Genesung. Das Vertrauen auf den Arzt und seine Fähigkeiten, gemeinschaftsfördernde Rituale, Meditation und entspannende Übungen wirken direkt von der Psyche auf den Körper. Und das ist kein Hokuspokus.
    Das Fazit der Autorin ist deshalb so überzeugend, weil sie skeptisch bleibt und sorgfältig recherchiert. Sie zitiert Studien, hinterfragt Forschungsergebnisse, trifft Patienten, Wissenschaftler und Ärzte. Unvoreingenommen lässt sie ihre Umgebung auf sich wirken, wie bei einer Messe im Wallfahrtsort Lourdes:
    "Ich fühle mich fehl am Platz zwischen all den Singenden und sich Bekreuzigenden. Mir ist nicht wohl, wenn ich Logik und klares Denken durch Gewänder, Beschwörungen und geheimnisvolle höhere Mächte ersetzen soll."
    Impulse für Selbstheilung kommen oft von außen
    Und dennoch:
    "Recht unerwartet habe ich plötzlich ein Gefühl der Verbundenheit, als stünde ich im Zentrum von etwas viel Größerem."
    Bei fast allen Krankheiten spielen Selbstheilungskräfte eine wichtige Rolle. Dabei kommen die Impulse oft von außen. Von anderen Menschen:
    "Menschen, die herzliche Beziehungen und ein reiches soziales Leben haben und die sich in eine Gruppe eingebettet fühlen, 'werden nicht so krank und leben länger', erklärt Charles Raison, Psychiatrieprofessor an der Universität Wisconsin-Madison. 'Das ist wahrscheinlich die wichtigste verhaltensbiologische Erkenntnis der Welt.'"
    Zielgruppe: Empfehlenswert für Naturwissenschaftler, denen alles "Ganzheitliche" sonst suspekt ist.
    Erkenntnisgewinn: Das Gehirn produziert ständig Heilmittel, auch wenn es selbst nicht daran glaubt.
    Spaßfaktor: Es bereitet Freude, die Autorin auf ihren Reisen und bei ihren Recherchen zu begleiten. Sehr lesenswert.

    Jo Marchant: "Heilung von innen – Die neue Medizin der Selbstheilungskräfte"
    Aus dem Englischen übersetzt von Monika Niehaus,
    Rowohlt Taschenbuchverlag, 416 Seiten, 16,99 Euro.