Mittlerweile bestätigt auch die Hirnforschung, dass es große individuelle Unterschiede gibt, wie gut Menschen ihre langfristigen Pläne verfolgen. Es gibt Grübler und Macher - stellte die Arbeitsgruppe Motivation an der Bochumer Uni fest - Persönlichkeitsmerkmale, die sich bis in basale Prozesse im Gehirn verfolgen lassen. Und ein Forschungsverbund in Dresden stellte heraus, dass verschiedene neuronale Netzwerke im Gehirn an der Selbstkontrolle in Bezug auf die eigenen Pläne beteiligt sind. Interagieren diese Netzwerke nicht miteinander, wird es schwer, die guten Vorsätze fürs neue Jahr in die Tat umzusetzen.
Das komplette Manuskript zum Nachlesen:
"Haben Sie gute Vorsätze fürs neue Jahr? Ja, aber immer die gleichen: Abnehmen und mehr Sport treiben. Also, im Januar renne ich viel ins Fitnessstudio, dann ab März lässt das wieder nach. Ich nehme auch schon ein Kilo ab, aber dann esse ich wieder mehr und nehm wieder zu."
Uwe Kanning: "Jetzt ist ja bald wieder die Jahreswende, und das kennen ja viele Menschen, die das versucht haben, mehr Sport zu treiben, abzunehmen, sich das Rauchen abzugewöhnen, dass es nicht einfach so ist, dass man sein Denken ändert."
Warum ist es manchmal so schwer, seine guten Vorsätze umzusetzen? Warum verschieben manche Menschen wichtige Arbeiten von einem Tag auf den anderen? Und warum erreichen manche Menschen alle Ziele, die sie sich gesetzt haben? Gibt es Methoden, mit denen Willensstärke trainiert werden kann?
In einem Positiv-Denken-Video heißt es: " … deine Ziele erreichen, … vollkommen engagiert, … konsequent positiv denken und handeln"
"Denk positiv!", schallt es aus der Ratgeberliteratur und mittlerweile auch aus dem Internet. Der Weg zum Erfolg beginnt im Kopf! Auf Dale Carnegies 1948 erschienene Bibel des positiven Denkens "Sorge dich nicht – lebe" folgte eine Unzahl weiterer Autoren, die alle dasselbe verkündeten: Wer Erfolg erwartet, der bekommt ihn! Wer Unglück erwartet, bekommt es auch!
"Positiv denken besagt, dass ich meine Realität, das Leben das ich führe, allein dadurch gestalte, dass ich mein Denken verändere."
Prof. Uwe Kanning, Wirtschaftspychologe an der Universität Osnabrück: "Also eine wichtige Strategie dabei ist die Autosuggestion, dass ich beispielsweise mir einrede, ich bin erfolgreich, ich bin erfolgreich, ich bin erfolgreich. Und dann wird auf geheimnisvolle Weise versprochen, dass mein Unterbewusstsein auf Erfolg programmiert wird."
Neues Buch mit dem Titel "Das positive Denken neu durchdenken"
Vor einigen Jahren schrieb Uwe Kanning ein Buch mit dem Titel "Wie Sie garantiert nicht erfolgreich werden!". Sein Urteil über das "Positive Denken":
"Es gibt keine empirischen Belege dafür, dass das jemals funktioniert hat, und auch wenn Sie aus der Psychologie kommen, ist das in höchstem Maße unwahrscheinlich."
"Rethinking positive thinking", also etwa "Das positive Denken neu durchdenken" heißt ein Buch der Psychologieprofessorin Gabriele Oettingen, die an der Uni Hamburg und der New York University lehrt. Sie entwickelt darin eine "Psychologie des Gelingens" so der deutsche Titel des Buchs, will Wege zu erfolgreichen Verhaltensänderungen aufzeigen:
"Unsere europäische und vor allem die amerikanische Kultur basieren darauf, dass Probleme durch positives Denken gelöst werden können. Aber unsere Daten zeigen, dass man differenzierter sein muss, um den Nutzen des positiven Denkens zu erzielen. Man muss diesem positiven Denken einen klaren Sinn für die Realität an die Seite stellen."
Die Studien von Gabriele Oettingen ergaben zwar: Je positiver Menschen ihre Zukunft ausmalten, desto erfolgloser waren sie. Allerdings meint die Psychologin, ihre Arbeitsgruppe habe doch eine Methode gefunden, Wünsche in Wirklichkeit zu übersetzen: "Scientifically we call this strategy mental contrasting.”
Bettina Schwörer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Gabriele Oettingen erläutert, was "mentales Kontrastieren" ist:
"Mentales Kontrastieren sind genau diese zwei Schritte, dass ich mir einen Wunsch überlege, zum Beispiel ich möchte regelmäßig joggen gehen und mir dann vorstelle, wie schön wäre das. Und als nächster Schritt ist wichtig, über die Hindernisse nachzudenken, also was hindert mich, morgens joggen zu gehen? Und das könnte so was sein wie ein Pflichtgefühl, weil ich denke, die To-Do-Liste ist schon so lang, ich muss direkt zur Arbeit. Und durch dieses Kontrastieren von den erwünschten Ergebnissen mit den Hindernissen im Hier und Jetzt werde ich energetisiert und merke, oh, da steht dir was im Weg, das muss ich überwinden. Und das überwinde ich dann auch, um meine Zukunft zu erreichen."
WOOP nennen die Hamburger Psychologen die Strategie, mit der man seine Vorsätze realisieren kann. WOOP, das bedeutet: wish, outcome, obstacle, plan; zu Deutsch also: Wunsch, bestmögliches Ergebnis, Hindernis, Plan. Und das funktioniert so: Man überlegt sich, welche Wünsche man für seine Zukunft hat. Dann malt man sich aus, was passieren würde, wenn diese Wünsche in Erfüllung gingen. Aber dann überlegt man sich, welche Hindernisse bei der Erreichung des Zieles im Weg stehen. Und dann - kommt der Plan: Mit welcher Maßnahme kann man das Hindernis überwinden? Eine Strategie, die Uwe Kanning für durchaus erfolgversprechend hält:
"In diesen Studien hat man gefunden, dass es hilfreich ist zu überlegen, was steht mir im Weg. Das führt aber nicht dazu, dass man einfach diese ganzen Barrieren oder Hürden überspringen kann, sondern das führt dazu, dass ich andere Ziele wähle, dass ich solche wähle, die eher erreichbar sind und die, die weniger erreichbar sind, nach hinten schiebe oder ausblende. Das heißt, ich selektiere andere Ziele und werde dadurch etwas erfolgreicher."
Ende der 1960er-Jahre führte der Neuropsychologe Walter Mischel die sogenannten "Marshmellow-Experimente" durch
Allerdings, gibt Uwe Kanning zu bedenken, ist das erfolgreiche Realisieren langfristiger Ziele beziehungsweise das Scheitern beim Durchsetzen solcher Ziele tief in der Persönlichkeit eines Menschen verwurzelt. Durch mehr oder weniger simple Methoden kann menschliches Verhalten nur begrenzt umgepolt werden:
"Es gibt kein Training, dass aus einem Extrovertierten einen Introvertierten macht oder umgekehrt. Oder aus einem Menschen, der keinen Antrieb hat, einen leistungsorientierten Menschen, das ist naiv. Es wird Menschen geben, die aufgrund ihrer Persönlichkeit, genetisch, durch Sozialisation, eine bestimmte Beharrlichkeit mitbringen oder eine intrinsische Motivation, es macht mir einfach Spaß, Leistung zu bringen, auch wenn ich nichts dafür bekomme. Bei anderrn ist das weniger stark ausgeprägt. Und diese Persönlichkeit setzt dem Ganzen auch einen Rahmen, in dem meine Spielräume liegen."
Zwischen 1968 und 1971 führte der österreichisch-amerikanische Neuropsychologe Walter Mischel die sogenannten "Marshmellow-Experimente" durch. Dabei setzte er Kinder im Vorschulalter vor ein Marshmellow, in Deutschland bekannt als Mäusespeck.
"Ok. I give you a Marshmellow. If you wait I give you another one later. Ok."
Die Versuchsleiterin erklärte den Kindern, dass sie eine zweite Süßigkeit bekommen würden, wenn sie 20 Minuten die erste unberührt lassen. Anderenfalls müssten sie sich mit nur einer zufrieden geben. Einige Kinder aßen den Marshmallow ziemlich schnell auf, andere hielten ohne Probleme die vorgeschriebene Zeit durch – und manche setzten ausgeklügelte Methoden ein, um sich abzulenken und das Ziel zu erreichen. Ein frühes Experiment, das, so Walter Mischel, Aufschluss über das weitere Leben der Kinder gab:
"Was wir in vielen Studien heraus gefunden haben ist, dass zwischen der Entscheidung, die die Kinder getroffen haben und wie sie mit ihrem Leben weiter zurechtkommen, ein deutlicher Zusammenhang besteht. Denn die Kinder, die sich mit vier, fünf oder sechs Jahren selbst kontrollieren konnten, hatten viel bessere Chancen in der Schule, ihre Adoleszenz zu bewältigen und im Leben weiterzukommen."
Sehr früh scheinen Kinder also die Fähigkeit zu haben, ihre spontanen Impulse zu kontrollieren, um ein entfernteres Ziel zu erreichen – oder sie haben diese Fähigkeit eben nicht. Der "innere Schweinehund", so die Neuropsychologin Dr. Marlies Pinnow, der Menschen vom Verfolgen ihrer Ziele abhält, ist bei manchen Menschen stärker und bei anderen schwächer ausgeprägt.
"Einmal haben einige Personen Schwierigkeiten, sich überhaupt für eine Sache entscheiden zu können aus den vielen anstehenden Projekten. Und dann kann es ein Problem sein, mit der Umsetzung zu beginnen. Also sprich, wenn ich mir vornehme, gesund leben zu wollen oder eine Diät machen zu wollen, und das in der Tat dann umzusetzen und mich einem Plan zu verpflichten. Die sogenannten Macher, die können sich relativ schnell entscheiden. Das zweite Problem ist, wenn man so ein Projekt in Angriff nimmt und es treten unerwartete Dinge auf, dann gibt es Personen, die können sehr schnell umswitchen, Mist hat nicht funktioniert, dann mach ich was anderes. Und es gibt Personen, die grübeln nach und damit sind sie behindert in ihrem weiteren Fortgehen weiter anknüpfen zu können."
Marlies Pinnow unterscheidet die "Grübler" von den "Machern". Die Grübler, das sind jene, so der Fachbegriff, die "lageorientiert" sind und die Hindernisse, die überall auf dem Weg zum Ziel lauern, nicht ausblenden können. Und dann gibt es die "Handlungsorientierten", die konzentriert bei der Sache sind, ohne sich von Hindernissen oder kurzfristigen Verlockungen ablenken zu lassen. In Tests konnte die Leiterin der Arbeitsgruppe Motivation an der Uni Bochum zeigen, das sich solche Persönlichkeitsmerkmale bis in basale Prozesse im Gehirn verfolgen lassen. Marlies Pinnow:
"Die Aufgabe war so konzipiert, dass die Versuchsperson eine ganz einfache Aufgabe hat, nämlich auf einem Display zu entscheiden, erscheint das Kreuz oben oder unten. Und kurz bevor das Kreuz erscheint, wird der Rahmen, in dem das erscheinen könnte, kurz vorher gelb. Mal da, wo das Kreuz erscheint, mal wo es nicht erscheint. Und das sagen wir den Personen vorher, dass das so ist, und dass sie das nicht beachten sollen, das Gelbe."
Große individuelle Unterschiede, wie gut Menschen ihre langfristigen Ziele verfolgen
Im Experiment wurde deutlich, dass die "Grübler" beim Aufscheinen des gelben Rahmens stutzten und verzögert reagierten. Während die "Macher" das aufscheinende Gelb in kürzester Zeit ausblenden konnten. Eine experimentelle Situation, die Rückschlüsse auf das Alltagsverhalten zulässt, so Marlies Pinnow:
"Wenn Sie sich vorstellen, wir gehen hier durch die Welt und Sie wollen was finden, und Sie werden von allen möglichen Informationen beballert, die dafür gar nicht relevant sind. Und die Handlungsorientierten können sehr schnell diese irrelevanten Reize unterdrücken. Den Prozess sehen wir im Hirn, weil wir haben da eine bestimmte Komponente im EEG dafür, die mir ganz schnell zeigt, ab welcher Zeit fängt dieses Gehirn an, diese Information zu unterdrücken. Das können wir ablesen, und das ist eben objektiv."
Auch Prof. Thomas Goschke, Leiter eines großen Sonderforschungsbereiches Willenskraft und kognitive Kontrolle an der Uni Dresden, stellt in seinen Forschungen fest, dass es große individuelle Unterschiede gibt, wie gut Menschen ihre langfristigen Ziele verfolgen können:
"Wir finden Personen, die sehr selbstkontrolliert sind. Aber es gibt auch Personen, die gegen besseres eigenes Wissen und gegen eigene Ziele häufig impulsiv handeln, das hinterher auch bereuen."
Allerdings, so der Neuropsychologe, müsse man sich von der simplen Vorstellung lösen, es gebe im Gehirn ein singuläres inneres Kontrollzentrum, das die Impulskontrolle steuert, wenn es zum Beispiel um die Wahl zwischen Hamburger und Knäckebrot geht. Vielmehr seien drei verschiedene Netzwerke im präfrontalen Kortex des Gehirns daran beteiligt, langfristige Ziele in Realität umzusetzen.
"Das eine nennen wir Kontrollnetzwerk mit der Fähigkeit Ziele aktiv zu halten, langfristige Ziele zu antizipieren und andere Verarbeitungssysteme im Sinne dieser Ziele zu beeinflussen. Das zweite Netzwerk ist ein Überwachungsnetzwerk, was wichtig dafür ist, Konflikte zu entdecken. Wenn ich eigentlich in der Situation mit dem Hamburger bin, und eigentlich will ich ihn nicht essen, dass das Gehirn überhaupt registriert, hier ist ein Entscheidungskonflikt. Und dieses Netzwerk ist deshalb so wichtig, weil wir vermuten, dass das das Kontrollnetzwerk aktiviert. Wenn das aber alles so funktioniert, dann kommt das dritte Netzwerk ins Spiel, das nennen wir Bewertungsnetzwerk. Und das reflektiert den subjektiven Wert von Dingen, z.B. einem Hamburger oder die Idee, schlank zu bleiben, gesund zu bleiben."
Hochkomplexe ineinander greifende Prozesse müssen also miteinander harmonieren, damit die Selbstkontrolle in Bezug auf langfristige Ziele gelingt. Sonst kommt es zu sogenannten Selbstkontrollfehlern. Und die sind bei Personen mit geringeren Netzwerkaktivitäten häufiger zu finden.
"Voller Energie, voller Elan, mit innerer Kraft deine persönlichen Ziele erreichen."
Einfach ist es also nicht, seine Vorsätze in die Tat umzusetzen. Autosuggestion, positives Denken und andere Ratgeberweisheiten münden schnell in Frustration. Und auch Appelle an die Vernunft helfen nicht unbedingt, über den Tag hinaus zu planen. Denn nicht Argumente beflügeln die Willenskraft, sondern da müssen schon Emotionen aktiviert werden. Meint jedenfalls Thomas Goschke:
"Der Philosoph Hume hat das formuliert, der hat gesagt, die Vernunft hat keine motivationale Kraft, das was uns bewegt sind die Affekte, die Emotionen. Und das ist ein Forschungsthema, was wir verfolgen. Und erste Befunde deuten darauf hin, dass eine reine kognitive Vorstellung von langfristigen Zielen tatsächlich nicht unbedingt Selbstkontrolle befördert. Sondern was dazu kommen muss, ist, dass die Vorstellung eines langfristigen Zieles tatsächlich in der Entscheidungssituation dazu führt, dass eine entsprechende Emotion generiert wird, das heißt, es muss spürbar werden, dass das langfristig was Gutes oder Schlechtes wird."