Dieter Thieme:
"Wir sind tatsächlich reingerutscht. Wir wollten ja nur unsere Studenten holen. Aber jeder, der rüber kam, der hat schon gleich drei andere Adressen mitgebracht von Leuten, die auch rüber wollten. Und so hat sich da immer mehr gesteigert. Wir sind echt reingerutscht in die Geschichte."
Die Geschichte, in die Dieter Thieme und seine Kommilitonen in den sechziger Jahren hineingerutscht sind, betrifft ein bis heute höchst umstrittenes Phänomen aus dem Alltag des Kalten Krieges: die Fluchthilfe. Erst heute, 16 Jahre nach dem Fall der Mauer, liegt nun eine historische Gesamtdarstellung des nicht immer nur selbstlosen Engagements der Fluchthelfer vor. Die Historikerin Marion Detjen stellt die verschiedenen Facetten dieser Form des Aufbegehrens gegen die Teilung Deutschlands dar. Sie befreit die Fluchthilfe von ideologischer Verbrämung und erliegt dabei nicht der Versuchung der Sensationsheischerei – ein gleichermaßen löbliches wie gelungenes Unterfangen. Die Autorin kann sich dabei unter anderem auf die zeitgenössische Recherche von Uwe Johnson stützen, sie konnte die Materialsammlung des mecklenburgischen Schriftstellers nutzen.
"Die Grenze ... die Waffe in der Hand,
das ist die Grenze, die das Volk schützt ..."
Kaum hatte die Staats- und Parteiführung der DDR sich und ihre Bürger eingemauert, begann an der Grenze die Suche nach Schlupflöchern. Bewegende Bilder zeigten damals die Schändlichkeit des "antifaschistischen Schutzwalls": Menschen sprangen aus dem dritten Stock der Häuser, deren Fenster später zugemauert wurden, Eltern reichten sich ihre kleinen Kinder über den Stacheldraht der zunächst provisorischen Zaunanlagen zu, ein DDR-Grenzposten sprang über die von seinen Kameraden errichteten Sperranlagen in die westliche Freiheit – ad hoc Fluchten einzelner DDR-Bürger. Insbesondere in den Westsektoren in Berlin begannen unmittelbar nach dem Mauerbau zerrissene Familien oder eben Studenten der Freien Universität auch gezielt nach Fluchtwegen für ihre nunmehr eingesperrten Verwandten oder Freunde zu suchen: Hier begann die organisierte Fluchthilfe.
Dieter Thieme, damals im Studentenwerk beschäftigt, verschaffte sich anhand von Immatrikulationslisten einen Überblick über die Zahl der Grenzgänger, der ostdeutschen Studenten der FU – und versuchte denjenigen, die in den Westen wollten, mittels falscher Papiere einen möglichst ungefährlichen Fluchtweg aufzuzeigen:
"Über Sperranlagen haben wir nie etwas versucht. Unser oberstes Gebot war immer: Es darf keine Toten geben. Und bei Passgeschichten kann nichts passieren. Was wir dann hatten, wir hatten einen Mischwasserkanal in der Alten Jakobstraße, der lief im September Oktober 1961 wirklich hervorragend, da haben wir 28 Leute durchgebracht. Drüben wurde ein Deckel aufgenommen, dann stiegen die rein und mussten dreihundert Meter unten laufen in der Brühe, und dann haben wir sie in Empfang genommen und in einen Kastenwagen gesteckt und raus gefahren ins Studentenwerk, da konnten sie sich waschen. Da haben wir zum ersten Mal Unterstützung erfahren vom Senat, da kam jemand an und brachte ein paar lange Stiefel: Bis dahin sind wir da unten mit Turnschuhen rumgetanzt."
Dass auch den noch so idealistischen, selbstlosen Fluchthelfern nicht allein Gummistiefel oder fingierte Ausweise zur Verfügung gestellt wurden und dass einige von ihnen aus der Not der Eingeschlossenen bis in die achtziger Jahre hinein ein lukratives Geschäft machten, brachte die Fluchthilfe insgesamt in Misskredit: Wer verhalf wem zur Flucht, wer ließ sich von wem bezahlen, wer verriet welche Fluchtwege an die Staatssicherheit, in welcher Weise engagierten sich die Geheimdienste – all diese Fragen blieben im Vagen und reizten zu Spekulationen. Und es war offenkundig, dass nicht jede Gruppe so unabhängig operierte wie die studentische Fluchthilfe von Thieme und seinen Kollegen
"Wir haben weder Geld noch sonst Unterstützung bekommen, wir waren auf uns selbst gestellt. Natürlich, die Parteien haben dazwischen rumgefummelt, die wollten ihre Leute rüber haben, die haben das Geld gekriegt, aber wir haben davon nichts gesehen, und wir wollten auch bewusst nicht mit irgendwem zusammenarbeiten. Das war einzig und allein unsere Entscheidung, und wir haben entschieden, ob es Freunde sind, die rüberkommen, ob sie gefährdet sind, da haben wir uns nicht auf eine staatliche Stelle eingelassen."
Naturgemäß mussten die Kanäle der Fluchthelfer im Dunklen bleiben, schon allein, um nachfolgenden Flüchtlingen den oft komplizierten und gefahrvollen Weg in die Freiheit offen zu halten – doch so haftete dem klandestinen Tun bald der Ruch des Unseriösen an. Marion Detjen beschreibt in ihrem Band "Ein Loch in der Mauer", wie sich die Haltung offizieller Stellen gegenüber der zunächst aus humanitären Erwägungen tolerierten Fluchthilfe gewandelt hat:
Marion Detjen:
"Es gab keine einheitliche Regierungspolitik gegenüber dem Phänomen der Fluchthilfe, aber am Anfang, unmittelbar nach dem Mauerbau bis etwa 1962, kann man sagen, dass in Berlin die gesamte Politik die Fluchthilfe moralisch unterstützt hat. Sie konnte nicht sichtbar Unterstützung bieten, aber die Fluchthelfer wussten, dass zumindest der Innensenat ein Auge zudrückt, wenn sie Waffen haben, wenn sie Urkunden fälschen, Straftaten, die völlig selbstverständlich mit einem übergesetzlichen Notstand gerechtfertigt wurden. Erst mit der Zeit hat sich dann der Berliner Senat von der Fluchthilfe distanziert, das hat mehrere Gründe. Zum einen die Presseveröffentlichungen, ursprünglich hatte es ja einen Schweigekonsens gegeben, weil man die Flüchtlinge schützen wollte, im ersten Jahr ist deshalb nichts über Fluchthilfe erschienen. Diesen Schweigekonsens haben die Fluchthelfer selbst gebrochen, aus Verzweiflung, aus finanzieller Not, weil sie ihre Kosten nicht mehr decken konnten. Da haben sie diese sensationellen Fluchtgeschichten soweit der Presse verkauft."
In der westdeutschen Öffentlichkeit war insgesamt weniger von gelungenen Fluchten als vielmehr von gescheiterten Ausbruchsversuchen die Rede – nicht zuletzt, weil die DDR die Prozesse gegen Republikflüchtlinge und ihre geschäftstüchtigen Helfer propagandistisch auszuschlachten pflegte. Marion Detjen beschreibt die Milieus, aus denen die Fluchthelfer stammten, ihre Motive, wie sie kooperierten oder auch unterwandert und schließlich ins gesellschaftliche Abseits gedrängt wurden: In dem Masse, in dem sich die Bundesrepublik an den Alltag der Teilung gewöhnte, sank das Interesse an den zum Teil lebensgefährlichen Bemühungen der Fluchthelfer. Schließlich fanden sich nach dem Grundlagenvertrag und der angeblichen Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten auch institutionalisierte Wege für Übersiedlung, Familienzusammenführung und den Häftlingsfreikauf. Die Fluchthilfe war mit dem Stigma des Anti-Kommunismus behaftet und ging im gewandelten öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik unter.
Marion Detjen:
"Dieser Wertewandel bezieht sich auf einen Teil der Meinungsöffentlichkeit, auf Teile der Medien. Aber die Regierungen in Berlin wie auch die Bundesregierungen haben sich nie Illusionen hingegeben, was den Charakter des Regimes anging. Und ich glaube, dass die Regierungen in einem riesigen Dilemma, in einem großen Zwiespalt waren. Sie hatten diese Fürsorgepflicht für die Menschen in der DDR, die hier verstanden wurden als Deutsche im Sinne des GG, und da wurde viel erreicht, es wurden 250.000 Menschen im Zuge der Familienzusammenführung rausgekauft, es wurden über 30 000 Häftlinge freigekauft, aber es gab eben eine Gruppe von Menschen, denen die Bundesregierung nicht helfen konnte: Da waren die gut ausgebildeten Leute, die raus wollten und die die DDR auf keinen Fall ziehen lassen wolllte. Und ich glaube, dass der Berliner Senat schon 1962 begriffen hat, diesen Leuten können wir nicht helfen. Und diese Leute waren dann die Zielgruppe für die kommerziellen Fluchthelfer. Die wussten ja, wenn sie sich einer kommerziellen Fluchthelfergruppe anvertrauen, dass die Chance etwa fifty-fifty ist, dass sie verhaftet würden."
Dass die Hilfe zur Überwindung von Mauer und Stacheldraht eine Widerstandshandlung war, dass die DDR ihren Bürgern ein Menschenrecht verweigerte und die so genannten Grenzverletzer vielfach uneigennützig handelten, das ignoriert unsere Gesellschaft bis heute. Die Mehrzahl der Geflüchteten wie ihrer selbstlosen Helfer hat sich im Kalten Krieg in Schweigen gehüllt und dieses nicht gebrochen. Eine Würdigung der Verdienste der nicht-kommerziellen Fluchthelfer, eine Anerkennung des Muts derer, die Unrecht in der DDR nicht hinnehmen wollten, steht immer noch aus. Anhand der umfangreichen und fundierten Darstellung von Marion Detjen dürfte eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Kapitel deutsch-deutscher Absonderlichkeiten leichter fallen.
Marion Detjen: Ein Loch in der Mauer. Die Geschichte der Fluchthilfe im geteilten Deutschland 1961 bis 1989, erschienen im Siedler Verlag München. 355 Seiten zum Preis von 24,90 Euro.
"Wir sind tatsächlich reingerutscht. Wir wollten ja nur unsere Studenten holen. Aber jeder, der rüber kam, der hat schon gleich drei andere Adressen mitgebracht von Leuten, die auch rüber wollten. Und so hat sich da immer mehr gesteigert. Wir sind echt reingerutscht in die Geschichte."
Die Geschichte, in die Dieter Thieme und seine Kommilitonen in den sechziger Jahren hineingerutscht sind, betrifft ein bis heute höchst umstrittenes Phänomen aus dem Alltag des Kalten Krieges: die Fluchthilfe. Erst heute, 16 Jahre nach dem Fall der Mauer, liegt nun eine historische Gesamtdarstellung des nicht immer nur selbstlosen Engagements der Fluchthelfer vor. Die Historikerin Marion Detjen stellt die verschiedenen Facetten dieser Form des Aufbegehrens gegen die Teilung Deutschlands dar. Sie befreit die Fluchthilfe von ideologischer Verbrämung und erliegt dabei nicht der Versuchung der Sensationsheischerei – ein gleichermaßen löbliches wie gelungenes Unterfangen. Die Autorin kann sich dabei unter anderem auf die zeitgenössische Recherche von Uwe Johnson stützen, sie konnte die Materialsammlung des mecklenburgischen Schriftstellers nutzen.
"Die Grenze ... die Waffe in der Hand,
das ist die Grenze, die das Volk schützt ..."
Kaum hatte die Staats- und Parteiführung der DDR sich und ihre Bürger eingemauert, begann an der Grenze die Suche nach Schlupflöchern. Bewegende Bilder zeigten damals die Schändlichkeit des "antifaschistischen Schutzwalls": Menschen sprangen aus dem dritten Stock der Häuser, deren Fenster später zugemauert wurden, Eltern reichten sich ihre kleinen Kinder über den Stacheldraht der zunächst provisorischen Zaunanlagen zu, ein DDR-Grenzposten sprang über die von seinen Kameraden errichteten Sperranlagen in die westliche Freiheit – ad hoc Fluchten einzelner DDR-Bürger. Insbesondere in den Westsektoren in Berlin begannen unmittelbar nach dem Mauerbau zerrissene Familien oder eben Studenten der Freien Universität auch gezielt nach Fluchtwegen für ihre nunmehr eingesperrten Verwandten oder Freunde zu suchen: Hier begann die organisierte Fluchthilfe.
Dieter Thieme, damals im Studentenwerk beschäftigt, verschaffte sich anhand von Immatrikulationslisten einen Überblick über die Zahl der Grenzgänger, der ostdeutschen Studenten der FU – und versuchte denjenigen, die in den Westen wollten, mittels falscher Papiere einen möglichst ungefährlichen Fluchtweg aufzuzeigen:
"Über Sperranlagen haben wir nie etwas versucht. Unser oberstes Gebot war immer: Es darf keine Toten geben. Und bei Passgeschichten kann nichts passieren. Was wir dann hatten, wir hatten einen Mischwasserkanal in der Alten Jakobstraße, der lief im September Oktober 1961 wirklich hervorragend, da haben wir 28 Leute durchgebracht. Drüben wurde ein Deckel aufgenommen, dann stiegen die rein und mussten dreihundert Meter unten laufen in der Brühe, und dann haben wir sie in Empfang genommen und in einen Kastenwagen gesteckt und raus gefahren ins Studentenwerk, da konnten sie sich waschen. Da haben wir zum ersten Mal Unterstützung erfahren vom Senat, da kam jemand an und brachte ein paar lange Stiefel: Bis dahin sind wir da unten mit Turnschuhen rumgetanzt."
Dass auch den noch so idealistischen, selbstlosen Fluchthelfern nicht allein Gummistiefel oder fingierte Ausweise zur Verfügung gestellt wurden und dass einige von ihnen aus der Not der Eingeschlossenen bis in die achtziger Jahre hinein ein lukratives Geschäft machten, brachte die Fluchthilfe insgesamt in Misskredit: Wer verhalf wem zur Flucht, wer ließ sich von wem bezahlen, wer verriet welche Fluchtwege an die Staatssicherheit, in welcher Weise engagierten sich die Geheimdienste – all diese Fragen blieben im Vagen und reizten zu Spekulationen. Und es war offenkundig, dass nicht jede Gruppe so unabhängig operierte wie die studentische Fluchthilfe von Thieme und seinen Kollegen
"Wir haben weder Geld noch sonst Unterstützung bekommen, wir waren auf uns selbst gestellt. Natürlich, die Parteien haben dazwischen rumgefummelt, die wollten ihre Leute rüber haben, die haben das Geld gekriegt, aber wir haben davon nichts gesehen, und wir wollten auch bewusst nicht mit irgendwem zusammenarbeiten. Das war einzig und allein unsere Entscheidung, und wir haben entschieden, ob es Freunde sind, die rüberkommen, ob sie gefährdet sind, da haben wir uns nicht auf eine staatliche Stelle eingelassen."
Naturgemäß mussten die Kanäle der Fluchthelfer im Dunklen bleiben, schon allein, um nachfolgenden Flüchtlingen den oft komplizierten und gefahrvollen Weg in die Freiheit offen zu halten – doch so haftete dem klandestinen Tun bald der Ruch des Unseriösen an. Marion Detjen beschreibt in ihrem Band "Ein Loch in der Mauer", wie sich die Haltung offizieller Stellen gegenüber der zunächst aus humanitären Erwägungen tolerierten Fluchthilfe gewandelt hat:
Marion Detjen:
"Es gab keine einheitliche Regierungspolitik gegenüber dem Phänomen der Fluchthilfe, aber am Anfang, unmittelbar nach dem Mauerbau bis etwa 1962, kann man sagen, dass in Berlin die gesamte Politik die Fluchthilfe moralisch unterstützt hat. Sie konnte nicht sichtbar Unterstützung bieten, aber die Fluchthelfer wussten, dass zumindest der Innensenat ein Auge zudrückt, wenn sie Waffen haben, wenn sie Urkunden fälschen, Straftaten, die völlig selbstverständlich mit einem übergesetzlichen Notstand gerechtfertigt wurden. Erst mit der Zeit hat sich dann der Berliner Senat von der Fluchthilfe distanziert, das hat mehrere Gründe. Zum einen die Presseveröffentlichungen, ursprünglich hatte es ja einen Schweigekonsens gegeben, weil man die Flüchtlinge schützen wollte, im ersten Jahr ist deshalb nichts über Fluchthilfe erschienen. Diesen Schweigekonsens haben die Fluchthelfer selbst gebrochen, aus Verzweiflung, aus finanzieller Not, weil sie ihre Kosten nicht mehr decken konnten. Da haben sie diese sensationellen Fluchtgeschichten soweit der Presse verkauft."
In der westdeutschen Öffentlichkeit war insgesamt weniger von gelungenen Fluchten als vielmehr von gescheiterten Ausbruchsversuchen die Rede – nicht zuletzt, weil die DDR die Prozesse gegen Republikflüchtlinge und ihre geschäftstüchtigen Helfer propagandistisch auszuschlachten pflegte. Marion Detjen beschreibt die Milieus, aus denen die Fluchthelfer stammten, ihre Motive, wie sie kooperierten oder auch unterwandert und schließlich ins gesellschaftliche Abseits gedrängt wurden: In dem Masse, in dem sich die Bundesrepublik an den Alltag der Teilung gewöhnte, sank das Interesse an den zum Teil lebensgefährlichen Bemühungen der Fluchthelfer. Schließlich fanden sich nach dem Grundlagenvertrag und der angeblichen Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten auch institutionalisierte Wege für Übersiedlung, Familienzusammenführung und den Häftlingsfreikauf. Die Fluchthilfe war mit dem Stigma des Anti-Kommunismus behaftet und ging im gewandelten öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik unter.
Marion Detjen:
"Dieser Wertewandel bezieht sich auf einen Teil der Meinungsöffentlichkeit, auf Teile der Medien. Aber die Regierungen in Berlin wie auch die Bundesregierungen haben sich nie Illusionen hingegeben, was den Charakter des Regimes anging. Und ich glaube, dass die Regierungen in einem riesigen Dilemma, in einem großen Zwiespalt waren. Sie hatten diese Fürsorgepflicht für die Menschen in der DDR, die hier verstanden wurden als Deutsche im Sinne des GG, und da wurde viel erreicht, es wurden 250.000 Menschen im Zuge der Familienzusammenführung rausgekauft, es wurden über 30 000 Häftlinge freigekauft, aber es gab eben eine Gruppe von Menschen, denen die Bundesregierung nicht helfen konnte: Da waren die gut ausgebildeten Leute, die raus wollten und die die DDR auf keinen Fall ziehen lassen wolllte. Und ich glaube, dass der Berliner Senat schon 1962 begriffen hat, diesen Leuten können wir nicht helfen. Und diese Leute waren dann die Zielgruppe für die kommerziellen Fluchthelfer. Die wussten ja, wenn sie sich einer kommerziellen Fluchthelfergruppe anvertrauen, dass die Chance etwa fifty-fifty ist, dass sie verhaftet würden."
Dass die Hilfe zur Überwindung von Mauer und Stacheldraht eine Widerstandshandlung war, dass die DDR ihren Bürgern ein Menschenrecht verweigerte und die so genannten Grenzverletzer vielfach uneigennützig handelten, das ignoriert unsere Gesellschaft bis heute. Die Mehrzahl der Geflüchteten wie ihrer selbstlosen Helfer hat sich im Kalten Krieg in Schweigen gehüllt und dieses nicht gebrochen. Eine Würdigung der Verdienste der nicht-kommerziellen Fluchthelfer, eine Anerkennung des Muts derer, die Unrecht in der DDR nicht hinnehmen wollten, steht immer noch aus. Anhand der umfangreichen und fundierten Darstellung von Marion Detjen dürfte eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Kapitel deutsch-deutscher Absonderlichkeiten leichter fallen.
Marion Detjen: Ein Loch in der Mauer. Die Geschichte der Fluchthilfe im geteilten Deutschland 1961 bis 1989, erschienen im Siedler Verlag München. 355 Seiten zum Preis von 24,90 Euro.