Selbstregulation von Kindern und Jugendlichen
Einmal kurz durchatmen

Mathe, Englisch, Achtsamkeit: Psychologen und Neurologen empfehlen, die Selbstregulationskompetenzen von Kindern und Jugendlichen in Kitas und Schulen zu trainieren, um ihnen ihre Zukunftsängste zu nehmen.

    Ein Mädchen schaut aus einem verregneten Fenster auf eine Stadt.
    Viele junge Menschen haben zur Zeit mit Sorgen und Ängsten zu kämpfen. (Getty Images / Justin Paget)
    Viele Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden unter psychischen Problemen. Sie haben Ängste und Sorgen, die sie stark belasten. Etwa die Hälfte der 15-Jährigen hat psychosomatische Beschwerden, knapp 20 Prozent der Jugendlichen sind unzufrieden mit ihrem Leben, so das Ergebnis der jüngsten HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children). Einigen ist die Fähigkeit abhandengekommen, sich selbst zu regulieren. Deshalb sollen nun Kitas und Schulen nachhelfen und Selbstregulationskompetenzen vermitteln, fordert die Wissenschaftsakademie Leopoldina.

    Inhalt

    Was bedeutet Selbstregulationskompetenz?

    Selbstregulation ist ein Begriff aus der Psychologie. Selbstregulationskompetenz beinhaltet die Fähigkeit, sich Ziele zu setzen und diese konsequent zu verfolgen. Dazu gehört auch: Motivation für Aufgaben aufzubringen, die erst einmal anstrengend und kaum lösbar erscheinen, sich gegenseitig zuzuhören, andere ausreden zu lassen und Emotionen zu kontrollieren. Selbstregulation kann auch unbewusst stattfinden. Darin unterscheidet sie sich von Selbstkontrolle.
    Die Selbstregulationskompetenzen entwickeln sich im Laufe der Kindheit und der Jugend. Auch Erwachsene können sie trainieren. Selbstregulation müsse ohnehin immer wieder eingeübt werden, erklärt Bildungsforscher Ulrich Trautwein. Er ist Professor für Empirische Bildungsforschung an der Uni Tübingen und Mitglied der Leopoldina-Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Selbstregulation bei Kindern auseinandersetzt. „Es gibt nicht den einen Schalter für Selbstregulationskompetenz, den man einfach umlegen kann und dann läuft alles.“ Es lohnt sich, die Selbstregulationskompetenzen zu trainieren, weil sie dabei helfen, Herausforderungen mutig anzugehen und nicht an ihnen zu verzweifeln. Sie geben Kindern und Jugendlichen Sicherheit und Vertrauen. Davon profitieren sie später auch als Erwachsene. „In der Tat ist es so: Kinder, Jugendliche, die sich relativ gut selbst regulieren können, die können auch besser damit umgehen, wenn etwas Unerwartetes kommt.“
    Da alle Kinder eine Schule besuchen, plädiert Bildungsforscher Ulrich Trautwein dafür, Selbstregulationskompetenz in den Bildungseinrichtungen zu trainieren und idealerweise schon im vorschulischen Bereich damit zu beginnen. „Wissenschaftliche Studien zeigen, dass über eine Förderung der Selbstregulationsfähigkeiten tatsächlich relativ viele Outcome-Kriterien positiv beeinflusst werden. Also wir können unseren Kindern helfen, erfolgreich zu lernen, gesund zu leben und hohes Wohlbefinden auszubilden.“ Zwei Aktionstage im Schuljahr würden aber nicht ausreichen. „Wir brauchen Selbstregulation als eine Leitperspektive im Bildungssystem.“

    Warum fehlen Kindern Selbstregulationskompetenzen?

    Die Welt verändert sich in einem rasanten Tempo, viele Krisen überlappen sich. Die Corona-Pandemie, die Kriege in der Ukraine und Nahost, der Klimawandel, der negative Einfluss von Social Media – all das führte und führt bei einigen Kindern und Jugendlichen zu Stress und mentaler Belastung. Kinder psychisch erkrankter Eltern, Kinder aus einkommensschwachen Familien, Kinder aus Familien mit Migrationsgeschichte und Kinder, die schon körperliche oder psychische Gewalt erfahren haben, sind besonders gefährdet.
    Gafrik zur Trendstudie zur Jugend aus dem Jahr 2024: Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich viele Jugendliche Sorgen machen. Die Inflation und die Kriege in Osteuropa und Nahost belasten sie am meisten.
    Jugendliche haben vermehrt finanzielle und existenzielle Ängste. Neben der Inflation machen sich junge Menschen zunehmend Sorgen um Armut, Wirtschaftskrisen und die Rente. (dpa-infografik GmbH / dpa-infografik GmbH)
    Psychische Probleme, gesteigerte Sorgen und Zukunftsängste bei Kindern und Jugendlichen können Hinweise sein auf mangelnde Selbstregulationskompetenzen. „Diese Fähigkeiten sind sehr stark abhängig von den Anregungen, die Kinder bekommen, aber auch vor allen Dingen der Aufmerksamkeit von Betreuungspersonen. Von Eltern, die auf die Bedürfnisse von Kindern eingehen, auf der anderen Seite aber auch eine gute Balance herstellen, zu den Anforderungen, die an Kinder gestellt werden“, erläutert die Psychologin Sabine Walper. Sie leitet das Deutsche Jugendinstitut (DJI). Eltern sollten ihren Kindern Autonomie ermöglichen, damit sie ihre eigenen Erfahrungen machen können – gute wie schlechte. Man könne sich nur entfalten, wenn auch die Fähigkeiten gegeben seien, die Folgen des eigenen Handelns zu überblicken, sagt die Psychologin Sabine Walper.

    Welche Folgen hat es, wenn sich ein Kind schlecht selbst regulieren kann?

    Selbstregulationskompetenzen haben, der aktuellen psychologischen und neurowissenschaftlichen Forschung zufolge, für das Wohlergehen und die Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen eine entscheidende Bedeutung. Die psychische und körperliche Gesundheit, die soziale Teilhabe und Bildung hängen von Selbstregulationskompetenzen ab.
    Selbstregulationskompetenzen sind während der Schulzeit sehr wichtig. Denn in dieser Zeit müssen Kinder und Jugendliche sich motivieren, überhaupt zur Schule zu gehen und konzentriert am Unterricht teilzunehmen. Mit ansteigendem Alter müssen sie sich selbst organisieren können.
    Mangelnde Selbstregulationskompetenzen können Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit im Erwachsenenalter haben. Menschen, die sich schlecht selbst regulieren können, leben ungesünder, neigen eher zum Drogenkonsum, geraten eher mit dem Gesetz in Konflikt und haben Schwierigkeiten damit, sich um ihre Finanzen zu kümmern. Das sind Ergebnisse der Dunedin-Studie, einer 1972 gestarteten Langzeitstudie aus Neuseeland zu Gesundheit und Entwicklung mit rund 1.000 Männern und Frauen, die seit ihrem vierten Lebensjahr regelmäßig befragt werden.

    Wie lassen sich Impulskontrolle und Resillienz stärken? Was können Eltern, Kitas und Schulen tun?

    Eltern sollten früh damit beginnen, Kindern Regeln beizubringen. So lernen sie, sich an angemessen zu verhalten. All das müssten Kinder im Alter zwischen zwei und vier wiederholt über Monate erfahren, um es zu akzeptieren. Stockt diese Entwicklung, wachse meist der Leidensdruck der Eltern, sagt Kinderarzt Ulrich Fuchs. „Man muss sagen, dass Kinder, die so früh auffällig werden, schon auch in der Zukunft Probleme haben können, ihre Emotion zu regulieren, das heißt meistens eben, ein eigenes Bedürfnis zurückzuschieben. Das ist im Sinne der Selbstregulation eine Kompetenz.“
    Kindern zu mehr Selbstregulationskompetenzen zu verhelfen, ist gar nicht so schwer. Das geschieht automatisch, wenn Eltern oder Geschwister mit ihnen Wimmelbücher anschauen oder „Mensch ärgere dich nicht“ spielen. Im Spiel lernen Kinder, sich auf gemeinsame Regeln zu einigen und aufeinander zu warten, sie lernen Dinge zu planen und mit unvorhergesehenen Ereignissen umzugehen, die manchmal richtig ärgerlich sein können. Auch balancieren hilft Kindern dabei, inneres Gleichgewicht zu finden. Wenn bei Kindern und Jugendlichen bereits festgestellt wurde, dass sie Schwierigkeiten haben, sich zu regulieren, kann eine Psychotherapie helfen.
    Ein am Tisch sitzendes Mädchen spielt eine Partie Schach und betrachtet das Feld nachdenklich.
    Spiele fördern unter anderem die Aufmerksamkeit von Kindern. (picture alliance / Westend61 / Svetlana Karner)
    Die Wissenschaftsakademie Leopoldina sieht die Verantwortung nicht allein bei den Eltern. Sie nimmt auch Kitas und Schulen in die Pflicht. Konkrete Maßnahmen können zum Beispiel Yoga oder Atemübungen sein. Auch Rollenspiele haben sich bewährt. Sie helfen Kindern dabei, ihre Aufmerksamkeit, ihr Gedächtnis und ihre Problemlösungsfähigkeiten zu trainieren. Achtsamkeitstrainings führen zu weniger Störungen im Unterricht, Mediation zu besseren Noten.
    Zur Ruhe kommen, will gelernt sein. Es sei wie beim Sport: Um fit zu sein, müsse man selbst aktiv werden, und zwar immer wieder, sagt der Neurologe Uwe Meier. „Das Gehirn lernt ständig. Und wenn wir positive Gedankenschleifen oder das Vertrauen haben, wir können selbst mit Krisen umgehen, dann lernt das Gehirn das auch. Auch das kann man mit Meditation trainieren.“
    Wie gut sich Kinder selbst regulieren können, hängt auch von ihren Lehrerinnen und Lehrern und deren Entschlossenheit ab. Je weniger Lehrkräfte Regeln verdeutlichen und Konsequenzen umsetzen, desto unkontrollierter ist auch die Klasse.

    rey