"Diese 19 Märtyrer vereinen Christen und Muslime. Sie mögen künftig auch beide Seiten des Mittelmeers stärker verbinden, damit wir mehr Respekt und Verständnis füreinander entwickeln. Das ist unser größter Wunsch!",
schreibt die Gemeinschaft der Alawiten, die bei Oran ihr Zentrum hat: Die islamischen Mystiker sind in Algerien von jeher stark vertreten und wissen, dass an der Seite der 19 Ordensleute unzählige Muslime starben: so auch mehr als 100 Imame, die sich weigerten, Gewalt anzuwenden oder zu rechtfertigen. Die jetzige Seligsprechung sei vor diesem Hintergrund eine kleine Sensation, meint der langjährige Erzbischof von Algier, Henri Tessier:
"Diese Ordensleute - 6 Frauen und 13 Männer - wurden während des Bürgerkriegs alle Opfer brutaler Gewalt. Sie wussten, dass ihr Leben in Gefahr war. Trotzdem harrten sie freiwillig bei den Menschen in Algerien aus. Die katholische Kirche erkennt damit erstmals Martyrien von Christen an, die nicht nur aus Treue zu ihrem Glauben gestorben sind, sondern auch aus Freundschaft zu Andersgläubigen."
Ein Krieg der Armee gegen das eigene Volk
Alles begann in den 1960er Jahren: Damals wurde Algerien von der Kolonialmacht Frankreich unabhängig. Doch die Armee regierte das Land nach einem Putsch zunehmend willkürlich: Die sozialen Spannungen wuchsen, es kam zu heftigen Protesten. 1991 stimmte die Militärregierung demokratischen Wahlen zu. Doch als sich ein Sieg der "Islamischen Heils-Partei", der "Front Islamique du Salut", abzeichnete, griff die Armee abermals gewaltsam ein.
Der damalige General-Prokurator des Trappisten-Ordens, Armand Veilleux, erinnert sich:
"Einige korrupte Generäle wollten die Macht und das Öl Algeriens nicht teilen. Der Bürgerkrieg, der dann ausbrach, war ein Krieg der Armee gegen ihr eigenes Volk. Die Islamische Partei, die damals gegen die Korruption eintrat und deshalb vom Volk gewählte wurde, war zunächst keineswegs radikal. Sie war sogar sehr demokratisch und hatte die Jugend hinter sich. Aber die intellektuellen Führer der Partei wurden vom Militär bald ausgeschaltet und ihre Anhänger gezielt radikalisiert, damit man einen Grund hatte, sie zu bekämpfen."
Die Mitglieder der Islamischen Partei flüchteten daraufhin in den Untergrund. Immer mehr Terroranschläge erschütterten das Land. Doch in vielen Fällen, so Armand Veilleux, sei bis heute unklar, ob die Attentate im Auftrag der Rebellen oder der Armee ausgeführt wurden. Der gnadenlose Kampf zwischen beiden Gruppen erfasste schließlich ganz Algerien. 1993 forderte man alle Ausländer auf, das Land zu verlassen.
"Wir waren davon überzeugt, dass wir trotz der Gefahr bleiben sollten"
Die Gefahr war auch im Kloster Notre Dame de l´Atlas am Rande des Dorfes Tibhirine zu spüren, in dem französische Trappisten seit Jahrzehnten friedlich mit der muslimischen Bevölkerung zusammen lebten. Die Mönche standen vor der Wahl, ihre algerischen Freunde im Stich zu lassen oder ihr eigenes Leben zu riskieren. Sie entschieden sich für letzteres, erklärt Jean Pierre Schumacher. Der 94jährige ist der letzte Überlebende der Gemeinschaft:
"Zunächst waren wir in Tibhirine alle unsicher, was wir tun sollten. Aber im Lauf der Jahre sind wir uns darüber klar geworden, dass es Gottes Ruf war, der an uns erging. Das war ein Geschenk, eine Gnade. Wir hatten unter unseren muslimischen Freunden schöne, vorbildliche Formen der Nächstenliebe und der Hingabe an Gott kennengelernt und erkannt: Es geht im Dialog nicht darum, andere zu bekehren, sondern mit Hilfe des Geistes gemeinsam für den Frieden zu arbeiten. Ja, wir waren damals alle überzeugt, dass wir trotz der Gefahr da bleiben wollten."
Doch in der Nacht zum 27. März 1996 drangen Angreifer ins Kloster ein und kidnappten sieben Mönche. Einen Monat später erhielt der französische Geheimdienst eine Tonkassette mit den Stimmen der Trappisten, in der die Entführer Forderungen stellten. 2 Monate später wurde im Namen der Extremisten folgende Nachricht veröffentlicht:
"Wir haben der französischen Botschaft Verhandlungen angeboten und gedroht, im Falle ihres Scheiterns die französischen Mönche zu enthaupten… Zunächst erhielten wir positive Antwort. Doch dann kündigte Frankreichs Präsident an, dass es keine Verhandlungen mit der Djamaat El Islamiya geben werde. Somit haben wir unsere Drohung wahr gemacht!"
"Sie wurden aus schmutzigen politischen Motiven getötet"
Als Armand Veilleux wenig später aus Rom nach Algier kam, zeigten ihm die Behörden nur die sieben Köpfe der Ermordeten. Weder algerische noch französische Institutionen hatten eine überzeugende Erklärung, wie es zu der Katastrophe kam. Die Ordensleitung der Trappisten regte daher in Frankreich ein Untersuchungsverfahren an und wartet seither auf konkrete Ergebnisse.
Armand Veilleux sagt: "Wir haben diese Initiative auch aus Solidarität mit dem algerischen Volk ergriffen. Denn unsere ermordeten Mitbrüder wollten nicht, dass man die Schuld an ihrem Tod dem Volk oder gar dem Islam zuschiebt. Sie waren Zeugen von viel Gewalt auf allen Seiten und sie wussten zu viel. Das war der Armee ein Dorn im Auge. Wir vermuten deshalb, dass sie von Leuten gekidnappt wurden, die der algerische Geheimdienst geschickt hatte, um sie in ein Flugzeug nach Frankreich zu setzen und los zu werden. Aber dann lief offenbar einiges schief…. Wir sind jedenfalls sicher, dass die Mönche nicht aus religiösen, sondern aus schmutzigen politischen Motiven getötet wurden, und wir hoffen sehr, dass die Wahrheit irgendwann ans Licht kommt."
Bei der Trauerfeier in Tibhirine sah man Muslime und Christen vereint. Der ermordete Prior des Atlas-Klosters, Christian de Chergé, schrieb in seinem Testament:
"Wenn es eines Tages geschehen sollte, dass ich ein Opfer des Terrorismus werde, mögen sich alle daran erinnern, dass mein Leben Gott und diesem Land, Algerien, geschenkt war… Sie mögen meinen Tod im Zusammenhang mit so vielen Toden sehen, die hier ebenso gewaltsam waren, aber in der Gleichgültigkeit dieser Zeit namenlos geblieben sind… Ich kenne die Karikaturen des Islam, die ein gewisser islamischer Fundamentalismus hervorgerufen hat. Aber es ist zu leicht, den religiösen Weg des Islam mit dem Extremismus gleichsetzen. Algerien und der Islam: Für mich ist das etwas anderes."
Die Geschichte der Opfer ist noch nicht zu Ende
Während des Bürgerkriegs starben mehr als 100.000 Algerier. Viele Angehörige warten bis heute vergeblich auf Informationen zum Tod ihrer Familienmitglieder. Die internationale Aufmerksamkeit, die mit der bevorstehenden Seligsprechung verbunden ist, biete eine Chance, Licht ins Dunkel der Vergangenheit bringen, hofft der islamische Theologe Adnan Mokrani. Auch seine Vorfahren stammen aus Algerien. Er selbst arbeitet im muslimisch-christlichen Dialog und lehrt an römischen Universitäten.
"Die Seligsprechung der 19 Märtyrer ist eine Gelegenheit, das Schicksal aller in Erinnerung zu rufen, die damals sterben mussten. Die Geschichte der unzähligen Opfer wurde noch nicht zu Ende geschrieben, und das macht mir Sorgen. Denn nur, wenn wir Geschichte schreiben, arbeiten wir die Vergangenheit auf und beugen einer Wiederholung vor. Das wäre hier umso wichtiger als die Gewalt, die Algerien erlebt hat, heute kein Einzelfall mehr ist: Was sich dort ereignet hat, ähnelt manchem, was inzwischen auch im Irak, in Syrien oder anderen Ländern geschieht."