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Selma Gültoprak
Kunst zwischen Alltag und Ausnahmezustand

Künstlerin Selma Gültoprak legt in ihrer neuen Ausstellung "Alles und auch das Gegenteil" den Fokus auf die Dinge, die nebensächlich erscheinen. Sie möchte aber keine politische Kunst machen. Politisch werde eine Arbeit, weil Menschen mit Vorwissen und Vorurteile in Ausstellungen kämen, sagt sie.

Von Peter Backof |
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    Die Künstlerin Selma Gültropak vor weißen Gebäuden in Köln (C.Kox)
    Selma Gültoprak: "'Alles und auch das Gegenteil' - ist ja nochmal mehr als alles. Und das mag ich eigentlich, dass da nicht so diese Eindeutigkeit ist. Dinge, die nebensächlich erscheinen, dass man die rauszoomt oder ranzoomt und ausschneidet."
    Der Kontext rund um den Kölner Dom bietet genau das, was Selma Gültoprak mit dem Titel ihrer Ausstellung "Alles und auch das Gegenteil" andeutet. Hier Leuchtreklame, Pommes- und bald -Glühweinduft, dort Touristen aus aller Welt mit Kameras, Junggesellinnenabschiede und Architektur aus 2000 Jahren: Sieben abstrakt-rätselhafte tischhohe Stahlgerippe mit Kirmesbeleuchtung hat die Künstlerin herausdestilliert und im neutralen, vor Trubel geschützten Innenraum der Artothek postiert; so dass man "Alles und auch das Gegenteil" rückwärts wieder hineinprojizieren soll?
    "Ich könnte da hinten Lagerfeuer sehen oder einen Thronsessel. Also ich sehe was, was Du nicht siehst? Nein. Der Ursprung sind wirklich so Wappen. Ich habe die sozusagen vorgezeichnet mit Projektor, und dann dem Kunstschmied gegeben. Und der hat die geschmiedet und geschweißt."
    Markenlogos lenken die Wahrnehmung
    Wappen, wie sie an denkmalgeschützten Häusern prangen. Wie sie aber auch für deutsche Bundesländer stehen, Fußballvereine - und: Sind Markenlogos auf der Jacke nicht auch Wappen, legen Identität fest oder lenken die Wahrnehmung? Selma Gültopraks Arbeiten sind nie flüchtig. Dinge und Menschen. Ein Foto ist dann auch noch zu sehen. Jemand steht mit einer Karnevalsmaske vor einem weißen Lieferwagen. Auf den ersten Blick ein Selbstporträt, da es ja das einzige Foto in der Ausstellung ist.
    "Es ist so ein verschwommenes Wesen. Sieht aus wie so eine Maske - eine bemalte Maske. So ein bisschen erinnert es an Bank Robbery."
    Stimmt. An Horrorclowns oder - wegen der verschwommenen Optik - an bewusste Anonymisierung. Überall sind gesichterkennende Überwachungskameras ...
    "Aber ich bin es nicht."
    ... obwohl sie es sein könnte – Jeans-Typ mit Kurzhaarschnitt. Das Foto zeigt aber ein zufällig fotografiertes Mädchen, spoilert Selma Gültoprak die Situation.
    "Also ich bin ihr begegnet auf der Straße in Istanbul, in so ... nicht Slums, aber es sind so die letzten kleinen Dörfer in Istanbul, in die Hochhaus-Riesenwelten wachsen."
    Kulturbotschafterin mit Banksy-Gesten
    Auf Feldforschung war sie in den letzten Jahren in China unterwegs - und eben in der Türkei, wo die in Gummersbach Geborene Familie hat. Wird einem dann in Deutschland die Rolle der Kulturbotschafterin zugewiesen?
    "Ich fühle mich nicht so direkt angesprochen, weil ich da eine Diss-Position habe, weil ich eine Position habe auch zu Deutschland. Aber das begegnet einem. Weil man halt diesen Namen hat. Türkisch und so weiter. Man ist ja auch in einem Umfeld, das nicht so geprägt ist von einer Nationalität."
    Künstler-Umfeld. Ohne nationale Wappen. Im Rahmen einer Kölner Gruppeninstallation hatte Selma Gültoprak letztes Jahr im Sommer Bushaltestellen in einen Park verpflanzt, wo gar kein Bus hält. Verblüffendes Ergebnis: Man begann trotzdem irgendwie zu warten. Der Kontext macht das Verhalten. Auch der verrückte Kontext, um den es der Künstlerin meistens geht. So hatte sie auch, in Collagen historischer Fotos, die Köpfe türkischer Soldaten durch Tulpen ersetzt. Eine Art Banksy-Geste. Aber es ist nicht ihr Ziel, politische Kunst zu machen. Politisch werde eine Arbeit, weil wir alle etwas mitbringen: Vorwissen, Vorurteile, den Nachrichten-Feed. Für das Kennenlernen und die Gespräche über Selma Gültopraks Kunst wären Neugier und Offenheit als Mitbringsel nicht schlecht.
    Soziale Medien als perfekter Kunstort
    "Die Welt ist voll von Material. Überlagerung von Geschichten oder Erinnerungen und Verbindungen - wo sind wir gerade, welche Zeit, welcher Ort? Also ist das jetzt da oder nicht?"
    Es ist Kunst, die nicht für sich selbst steht. Sie wird erst durch Assoziationen und Meinungen lebendig. Umso vielfältiger, desto klarer werden Dinge und Plots entbanalisiert. In den sozialen Medien, wo Selma Gültoprak viel publiziert, funktioniert das bereits sehr gut.