Archiv

Semantik der AfD
"Es ist gut, dass man in diesem Land eben nicht alles sagen darf!"

Der Historiker Tillmann Bendikowski kritisiert, dass Parteien wie die AfD durch gezielte Semantik politische Brandstiftung betrieben. Worte seien Waffen, sagte er im DLF. Wer heute Begriffe setze, der gestalte Erwartungen und damit die Zukunft. Das sei gefährlich. Darum könne man Begriffe wie "Kanzlerdiktatorin" oder "Volkskörper" nicht unbedarft verwenden.

Tillmann Bendikowski im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Anhänger der Partei Alternative für Deutschland (AfD) halten am 31.10.2015 in Hamburg während einer Kundgebung Transparente, Plakate und Fahnen hoch.
    Die AfD versuche aus Sicht des Historikers Tillmann Bendikowski durch gezielte sprachliche Provokation zu "zündeln". (dpa / picture alliance / Daniel Bockwoldt)
    Stefan Koldehoff: Merkwürdig fremd und befremdlich klingen die Worte, die in den vergangenen Wochen und Monaten immer dann zu hören und zu lesen sind, wenn über die Partei AfD und ihre führenden Köpfe berichtet wird. Vom "Volkskörper" ist dann plötzlich wieder die Rede, von "Altparteien", einer "Kanzlerdiktatorin", von "raum- und kulturfremden Menschen" und vom "Kultur- und Zivilisationsbruch". Und anders als bei gedankenlosen Begriffen, die aus dem NS-Deutsch einfach überlebt haben, etwa "Machtergreifung" oder "Kristallnacht", wird diesmal keine historische Vergangenheit beschrieben, sondern eine angebliche Gegenwart oder gar drohende Zukunft. Tillmann Bendikowski ist Historiker und Kommunikationswissenschaftler und ihn habe ich gefragt, wie er solche Ausdrücke im Jahr 2016 bewertet. Sind das bewusste Setzungen, oder sind das Ausdrücke, die man wieder ganz unbedarft verwenden darf?
    Tillmann Bendikowski: Nein. Solche Begriffe kann man nicht unbedarft verwenden in Deutschland. Auch heute nicht, auch mit dem Abstand zum Dritten Reich kann man diese Begriffe nicht ohne Weiteres verwenden. Es ist gute Tradition im Nachkriegsdeutschland geworden, muss man sagen, dass man nicht alles sagen darf in diesem Land. Das ist richtig so und daran muss man sich just in diesen Tagen unbedingt wieder erinnern.
    Der Historiker Tillmann Bendikowski sitzend auf dem blauen Sofa.
    Der Historiker Tillmann Bendikowski (dpa/picture alliance/Jens Kalaene)
    "Eine gezielte Provokation"
    Koldehoff: Das heißt, ein Satz, den wir ja auch oft hören in diesen Tagen, "das muss man doch einfach mal sagen dürfen", hat aus historischer Sicht nicht wirklich eine Berechtigung? Das ist aber keine Tabuisierung, das ist einfach ein Abstand wahren aus guten Gründen. Habe ich Sie da richtig verstanden?
    Bendikowski: Wenn Sie einen Satz hören, der anfängt mit "das darf man doch mal sagen", oder "es ist nicht erlaubt, das und das zu sagen, ich tue es jetzt aber", das ist ein rhetorischer Griff all jener, die gegen eine vermeintliche Political Correctness in diesem Land vorgehen. In der Regel folgen solchen Sätzen eine gezielte inhaltliche Provokation. Es sind Indikatoren für politische Provokationen und häufig für sprachliche Verstöße.
    "Wenn jemand semantisch zündelt, ist es in der Regel ein politischer Brandstifter"
    Koldehoff: Von einem "habe ich nicht gewusst, habe ich so nicht gemeint" gehen Sie da eher nicht aus?
    Bendikowski: Nein! Und da schützt das Unwissen auch vor Strafe nicht. Wenn wir einen Begriff wie "Zivilisationsbruch" nehmen, wer den als Erwachsener und vielleicht noch ausgebildeter Mann in Deutschland in der politischen Öffentlichkeit verwendet weiß, dass er bewusst einen Begriff nimmt, mit dem wir eigentlich die deutsche Katastrophe meinen und diesen unglaublichen Schrecken, der uns noch immer in den Gliedern sitzt: über den wirklichen Zivilisationsbruch, das Dritte Reich. Wer den nimmt, um damit gegen die Flüchtlingspolitik zu agitieren, der zündelt bewusst politisch. Wenn Sie so wollen: Wir können hier sehr gut sehen: Wenn jemand semantisch zündelt, ist es in der Regel ein politischer Brandstifter.
    "Wer hier von Zivilisationsbruch spricht, will die Flüchtlingspolitik diffamieren"
    Koldehoff: Lassen Sie uns noch mal bei diesem Zivilisationsbruch, dem angeblichen, bleiben. Ein führender AfD-Politiker, Björn Höcke, hat ihn verwendet in einer Rede und gesagt, die Kanzlerin Angela Merkel habe Deutschland in einen "Kultur- und Zivilisationsbruch historischen Ausmaßes geführt". Historischen Ausmaßes sogar.
    Können Sie sich als Historiker irgendeine historische Situation vorstellen, für die dieser Ausdruck überhaupt angemessen war, nachdem, wie Sie gerade damit beschrieben haben, der Holocaust damit beschrieben wurde?
    Bendikowski: Wenn ich großzügig bin und mir keine Freunde machen würde, würde ich sagen: Na ja, die Christianisierung vor tausend Jahren war vielleicht ein solcher Zivilisationsbruch, eine Kulturwende, ja, wo etwas geschehen ist, was dazu geführt hat, dass die Geschichte danach ganz anders verlaufen ist. Aber das ist hier sicherlich nicht gemeint.
    Wer hier von Zivilisationsbruch spricht, will die Flüchtlingspolitik diffamieren und will zugleich (oder tut es zugleich zumindest) den Schrecken des Nationalsozialismus geringer erscheinen lassen und nähert sich damit natürlich einem ganz gefährlichen politischen Terrain.
    "Wer heute Begriffe setzt, gestaltet damit auch Erwartungen"
    Koldehoff: Gelingt so etwas denn? Was sieht man da in Ihrer Zunft, die ja nun nicht unbedingt gegenwarts- oder zukunftsbezogen forscht, die Geschichtswissenschaft? Aber trauen Sie sich trotzdem eine Einschätzung, ob solche Neuprägungen, Neubelegungen von Ausdrücken erfolgreich sind?
    Bendikowski: Die Sprache hat ja einen doppelten Charakter für uns als Historiker. Einmal ist sie der Ausdruck eines historischen Geschehens. Wenn Sie so wollen: Das ist die Beschreibung des gestern. Zugleich hat Sprache temporär einen ganz anderen Charakter, in dem sich nicht nur die Erfahrung der Vergangenheit bündelt, sondern Erwartungen freisetzt, und zielt damit auf die Zukunft. Wer heute Begriffe setzt, gestaltet damit auch Erwartungen und damit die Zukunft. Das macht es so gefährlich. Und wenn wir sehen, dass Begriffe aus der Vergangenheit gerade im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus heute revitalisiert werden, mit Blick auf aktuelle Fragen, dann ist die Bedrohung natürlich sehr groß und die Gefahr, dass damit Zukunft strukturiert wird. Deshalb müssen wir bei der Sprache so extrem empfindlich bleiben.
    Koldehoff: Heißt das, dass Sprache trotz aller Technisierung, trotz aller Demokratisierung, Internet und und und, immer noch ein Machtinstrument ist? Wer die Sprache besitzt, der besitzt auch Inhalte?
    Bendikowski: Dabei ist es geblieben, ganz sicherlich. Und wie Tucholsky sagt: Sprache ist eine Waffe, haltet sie scharf. Selbstverständlich! Und noch mal: An der Sprache sollen wir sie erkennen. Und es ist gut, dass man eben nicht alles in diesem Land sagen darf.
    Koldehoff: Alternativsprech für Deutschland - der Historiker und Kommunikationswissenschaftler Tillmann Bendikowski war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.